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Fünftes Kapitel.
Juan Fernandez, der Seefahrer

Zu den Kampfgenossen Pizarros zählte auch ein junger Steuermann, welcher gleich den meisten der Konquistadoren aus dem gesegneten Andalusien stammte, wo sich, wie im heißen Amerika, die verschiedenen Vegetationszonen an dem vom Mittelmeere aufsteigenden Gebirge übereinanderbauen. Deshalb mochten sich diese Spanier von Anfang an so wohl in den andinen Küstenländern fühlen, denn sie konnten hier, wie in ihrer engeren Heimat, in den Tiefen tropische Früchte und weiter hinauf Korn und Wein bauen, indes sie in den Höhen üppige Wälder und saftige Viehweiden vorfanden.

Vielleicht war es ein Sohn des lebensfrohen Sevilla, welcher sich arm und tatenlustig um 1530 einer Expedition nach Neugranada anschloß, wie man jenen kolossalen Länderkomplex von Guatemala bis Ekuador und östlich bis zu den atlantischen Küsten Venezuelas zu Ehren einer der schönsten Provinzen des Mutterlandes genannt hatte. Schon zwei Jahre später treffen wir ihn in Peru, wo er sich dem Francisco Pizarro zur Verfügung stellte. Mit diesem eben so kühnen als goldhungrigen und herrschsüchtigen Kriegsmanne – nächst Cortéz die gewaltigste Erscheinung unter den spanischen Eroberern – unterjochte er das Inkareich, marterte Indianerfürsten und gründete Städte, die nach Heiligen getauft wurden. Es war ein Abenteurer ohne Rang und Herkunft. Nicht einmal das Don durfte er seinem Juan vorsetzen. Sein Vatersname Fernandez galt nicht mehr als ein Müller oder Meier. Dennoch war er ein sehr selbständiger Charakter, unbeugsam in seinen Leidenschaften wie Pizarro, so daß zwischen beiden Eifersucht und Streit nicht ausbleiben konnten. Außer solchen Mißhelligkeiten war es aber auch wohl das Seemannsblut, welches Fernandez schon nach etwa anderthalb Jahren wieder aufs Meer und nach Guatemala zurücktrieb. Damit befand er sich abermals in dem Dominium von Hernán Cortéz, und als echter Spanier begann er ungesäumt, gegen Pizarro zu intrigieren. Einer der tapfersten Hauptleute des ruhmreichen Eroberers von Mexiko war zweifellos Pedro de Alvarado, von den Eingeborenen seines roten Haares wegen, Sohn der Sonne geheißen. Diesem wußte Fernandez nicht genug von den Schätzen des Sonnenreiches zu erzählen, mit dem Hintergedanken, ihn gegen Pizarro aufzustacheln. Und siehe, seine Einflüsterungen fanden Gehör. Alvarado rüstete einen Kriegszug auf die Hochebenen von Ekuador aus, die der weiße Gipfel des Chimborazo beherrscht. Gleichzeitig steuerte Juan Fernandez mit einer Flotte Peru entgegen. Sein Seemannsglück blieb ihm treu. Er entdeckte sogar neues Land, die Chinchainseln, aber seine dunklen Ziele sollte er nicht erreichen, denn Alvarado ward von Almagro, dem Heerführer Pizarros, zur Kapitulation genötigt, und war drauf und dran, unseren Meerbezwinger an den Galgen zu bringen, vor dem ihn nur Pizarros Großmut bewahrte. Freilich kostete es einen Fußfall und reichliche Tränen. Natürlich leiteten Pizarro nicht nur Edelsinn, sondern hauptsächlich Eigennutz, denn dieser kluge, sonst so brutale Spanier wußte, was für ein nautisches Genie er an Juan hatte, dessen Erfolge die der genuesischen Schiffer – damals dem Rufe nach die besten der Welt – überstrahlten.

In der Folge hielt sich Fernandez in all den blutigen Streitigkeiten zwischen den spanischen Eroberern (Vorläufer der ewigen Revolutionen ihrer Enkel!) an Francisco Pizarros Seite. Ein zweiter Pardon wäre wohl ausgeschlossen gewesen. Aber er entsagte keineswegs dem Ränkespiel und der Doppelzüngigkeit; der unglückliche Gonzalo Pizarro, der sich gegen seinen Halbbruder auflehnte und dafür mit dem Tode büßte, wurde sein Opfer. Erst nach dessen Enthauptung, und nachdem etwa ein Jahrzehnt im Kampfe um die Vorherrschaft vergeudet worden war, wandte sich Fernandez der Schiffahrt wie einem Berufe zu. Wohl aus Not. Er hatte Hab und Gut in den unzähligen Revolten verloren. Nun übernahm er den Transport von Truppen und Waren von Peru nach Chile, und wurde der erste, welcher eine mehr oder minder regelmäßige Schiffsverbindung zwischen jenen beiden Ländern unterhielt, damals von höchster Bedeutung, denn die europäischen Einwanderer kamen ausschließlich über Panama.

Wie Don Garcia hatte er mit dem widerspenstigen Südwinde Mal für Mal auf seiner Tour dem Pol entgegen zu kämpfen. Die Norder des Winters aber bedrohten mit Schiffbruch. Die langen und langsamen Reisen ließen ihn jedoch mehr und mehr in das Wesen des Stillen Ozeans eindringen, und da er offenbar ein guter Beobachter und grüblerischer Kopf war, entging es ihm nicht, daß ungeachtet des strammen, monatelang herrschenden Süders der Wogenprall an der Küste aus Westen oder Südwesten kam. Er folgerte, daß entfernt vom Festlande entsprechende Winde wehen müßten. Und eines Tages übermannte ihn sein Kolumbusblut, und er richtete, dem Hafen Limas entschwunden, das Steuer in den Ozean hinein, weit nach Westen, bis sich die höchsten Schneehäupter der Kordillere am Horizonte verloren. Er hatte sich nicht getäuscht. Ein Westwind straffte die Segel, der ihm erlaubte, in weitem Bogen südwestwärts zu kreuzen. Und dann, etwa nach zwanzig Tagen, erscholl es Land! Land! Ein Gebirgshaupt, breit und abgeplattet wie ein Amboß, tauchte blauschwarz empor: der Yunque von Masatierra! Nach wenigen Stunden landete der Segler an seinen Gestaden mit den hohen, dunklen Lumas, den Sandelbäumen und den riesigen Baumfarnen. Juan Fernandez und seine Genossen waren die Entdecker dieses Eilandes, die ersten Menschen, welche es nachweislich betraten. Es war die Robinsoninsel, die später nach dem kühnen und berechnenden Seefahrer »Juan Fernandez« genannt wurde.

Aber der spanische Schiffer widerstand der Sirene des Stillen Ozeans. Er wandte der Zauberinsel den Rücken, um des Ruhmes der schnellen Reise nicht verlustig zu gehen. Der Süder, vor den er sich nunmehr legte, führte ihn schon in vier bis fünf Tagen nach Valparaiso.

Seine Fahrt von Peru nach Chile in dreißig Tagen erschien aller Welt ein viel größeres Wunder, als die neue Entdeckung. Ja, man sträubte sich, an die Natürlichkeit dieser Seereise zu glauben. Wie kam Juan Fernandez dazu, einen Weg in einem Monat zu durchsegeln, zu dem genuesische Kapitäne sechs und acht gebrauchten? Zweifelsohne er war ein Brujo, ein Hexenmeister! Er stand mit dem Teufel im Bunde! So verwandelte sich sein Triumph in eine Anklage vor der heiligsten Inquisition in Lima. Juan Fernandez verteidigte sich mutig und unerschrocken vor dem finsteren Gerichte. Er berichtete von seinen Überlegungen, wies seine Schiffsbücher vor, und seine Matrosen erklärten, jeder für sich dasselbe Kunststück vollbringen zu können. Die rote Junta ließ sich überzeugen. Juan Fernandez entrann als makelloser Katholik dem Ketzergerichte; die Krone Spaniens belohnte seine Verdienste, indem sie ihm die neu entdeckten Inselchen schenkte.

Juan Fernandez wurde ihr erster Kolonist. Er verpflanzte zunächst sechzig Indianer nach Masatierra, der näher zum Kontinent gelegenen Insel, dem Juan Fernandez katexochen und mit ihnen Vieh, vornehmlich und vielleicht ausschließlich Ziegen. Die Indianer hatten sich mit der Fischerei zu beschäftigen und mit der Bereitung von Öl, welches aus riesigen »Seehunden« gewonnen wurde, die ganz unglaublich fett waren. »Wenn man ein Stück Fleisch an die Sonne hing, so löste es sich bis auf einen winzigen Fetzen in Öl auf.« Auch Häuser aus Holz und Stroh mußten sie aufführen und nutzbar machen, was irgend anging von den Produkten der Insel, denn Juan wollte durch reichlichen Verkauf nach Peru zu neuer Wohlhabenheit gelangen.

Aber ach, es erging ihm wie allen seinen Nachfolgern, die jenes Inselparadies in gewinnsüchtiger Absicht aufgesucht haben, er wurde ärmer statt reicher! Nur wer wie Robinson Crusoe auf ihr lebt mit der Anspruchslosigkeit der Lilie auf dem Felde, wer sich ihrer Sonne freuen will und ihres ultramarinen Meeres mit der weißen Gischtlinie, des kühlen Schattens der tiefen, grün überwölbten Schluchten, in denen der klare Bach nimmer versiegt, und in die kaum ein Sonnenstrahl, wohl aber der Kolibri eindringt, blaue Trichterblüten umschwirrend – den erhält und labt sie. –

Juan Fernandez verlor alles. Sogar sein letztes Gut, sein Schiff. Er mußte im hohen Alter seine Dienste an Kaufleute vermieten, zuletzt nur als zweiter Steuermann. Erst ein mitleidiger Freund erlöste den inzwischen Achtzigjährigen aus seiner unerquicklichen Lage. Er schenkte ihm einige Liegenschaften bei Quillota, nahe Valparaiso, wo der Greis nach aller Unrast seines Lebens noch zwanzig Jahre ein beschauliches Dasein fristete. Er soll es über die Hundert gebracht haben und sich sogar noch mit einer Doña Francisca de Soria verheiratet haben.


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