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Erstes Kapitel.
Das mutige Schifflein

Um die Jahrhundertwende, in den letzten Dezembertagen 1900, lag ein kleines Schifflein in der weiten Bai von Valparaiso, welches nicht einmal auf die Bezeichnung Bark Anspruch machen durfte, sondern als Peilboot, Mastboot, sich eben über die leichten Nachen erhob, die kräftiger Ruderschlag zwischen Land und Ozeanfahrern hin und her trieb.

Seltsam verloren nahm es sich aus zwischen den weißen Panzern mit den gelben Türmen der Chilenischen Kriegsflotte und den Dampferkolossen Liverpools und Hamburgs neben seiner Riesenschwester, dem Fünfmaster »Potosi«. Und merkwürdiger noch war sein Name: »Juan Fernandez«. Was hat es mit jenem weltentrückten Eiland zu schaffen, gleich fern von dem Inselmeer des Stillen Ozeans und der Küste Südamerikas, einsam wie wenige Inseln der Welt? War der Name Prunk? O nein, er war verdient, redlich und reichlich erworben in zahllosen Fahrten und Gefahren, in Sturm und Wogen zwischen Valparaiso und Juan Fernandez. Das winzige, aber robuste Schiff brachte der Insel die Welt, alle paar Monate einen Laut von ihrem Getriebe, auf den ein buntes Menschenvölklein wartete und hoffte, als ob es damit ein Tagewerk vollbrächte, bis eines Tages der Erlösungsschrei erschallt: »Der ›Juan Fernandez‹, der ›Juan Fernandez‹!« Dann zieht alles auf die Berge hinauf, und die geübten schwarzen, braunen, grauen und blauen Augen unterscheiden ein winziges, weißes Pünktchen am Horizonte, das Segel des Bootes, dem alle ohne Ausnahme wie einem Gliede ihrer Familie entgegenharren. –

Es war ein trüber Sommermorgen, als es einstmals dem Ozean zustrebte. Der Wind flau. Die Segel schlugen unentschlossen hin und her, und die hoch an den Hügeln emporkletternde, vielfarbige Häusermasse Valparaisos wollte und wollte nicht verschwinden. Der Neger, welcher steuerte – Steuermann und Kapitän in einer Person – ließ sich wenig beirren, aber den Reisenden begannen böse Ahnungen aufzugehen, daß die »Segelmaschine« ein launiges Ding sei, schöner zum Anschauen, als sich ihr anzuvertrauen. Überdies kämpfte sich die Sonne durch, die heiße chilenische Weihnachtssonne, und mit Entsetzen sahen wir den Schatten der Segel, den einzigen an Bord, ins Wasser fallen! Erbarmungslos sandte das Gestirn seine Strahlen auf uns nieder; ohne Mitleid warf der ruckweise Wind das Schiff, welches sich widerstandslos seiner Wankelmütigkeit überließ, von Seite zu Seite, und Sonne und Wind straften uns, Gesicht und Nacken verbrennend und mit Blasen bedeckend und das Innere umkehrend.

Juan Fernandez – Robinsoninsel – zauberisches Ozeanidyll, Märchenland der Kindheit, damals hattest du deine suggestive Anziehungskraft verloren! Ach, wir hätten dich hingegeben für die Rückkehr, für die energische Wendung dem Leuchtturm von Curaumilla entgegen, dessen Lichtgarbe wir noch im Dämmer des zweiten Morgens aufblitzen sahen!

Wie lange sollte denn diese Fahrt dauern mit dem Lager auf Kohlen und Mehlsäcken im Bauche des Schiffes? war die halbentrüstete Frage. Und die ruhige, statistisch-erwägende Antwort: das könne man nicht sagen, aber das letztemal habe das Boot 13 Tage gebraucht, davor nur 10, aber einmal 18. Achtzehn Tage! Die Glieder bebten bei der Wiederholung, aber der Schwarze ließ nicht mit sich handeln. Wir klammerten uns nun an die Möglichkeit eines Wunders.

Siehe da, als wir wiederum erwachten, nahmen wir ein Ächzen wahr, ein rhythmisches Heben und Senken und stoßweises Erzittern unseres Schiffleins, und als wir den Kopf aus der Luke hoben, sahen wir die Segel voll und prall; ein eisiger, steifer Südost bestrich uns die Ohren. – Hei! Wie fuhrest du nun dahin, »Juan Fernandez«, wie schnittest du die Wogen und setztest über sie hinweg, wie fest und unverrückbar legtest du dich ein wenig zur Seite (wie ein gut zielender Schütze) vor dem Wind!

Wir triumphierten. Das Festland verschwunden. Nicht einmal ein Dunstreifen verrät, wo es liegt. Auch die riesigen Schneehäupter der Kordillere, Mercedario und Aconcagua, entglitten dem Horizonte. Blauer Himmel, blaues Meer mit weit ausgreifenden, beinahe glatten Wogen, die nur am Kiel leicht aufschäumen, und denen wir bald auf dem breiten Rücken sitzen, bald entrinnen in ihr flaches Tal hinab.

Kein Laut, kein Möwenschrei; nur das Gezwitscher einer Seeschwalbe, die uns, fast die See streifend, unablässig folgte. Tag um Tag blieb sie unsere Genossin, zuweilen einige Sekunden auf den Fluten tänzelnd, öfters einen Moment in sie halb niedertauchend, aber nur selten die Spanne eines Augenblicks auf ihnen sich wiegend rastend, sondern fast ohne Schlag mit den schmalen, erstaunlich langen Flügeln dem eiligen Fahrzeuge nachschießend. Wie eine Erscheinung kreuzte vor uns ein stolzer Dreimaster. Wie unendlich winzig kamen wir uns vor, die wir den Wasserspiegel fast mit den Händen berühren konnten, über den wir hinflogen. –

Sollte man es für möglich halten, daß unsere kleine Nußschale einige Monate später der Schauplatz wilder Szenen wurde? Den schwarzen, hünenhaften Kapitän, der uns jetzt in behaglichem Gleichmut den Kurs hielt, hatte der Wahnsinn erfaßt, ein wildes Delirium von Liebestaumel und Alkohol, so daß er überwältigt an den Mast gekettet werden mußte. Dann zurück nach Valparaiso, denn kein anderer getraute sich, die Insel zu finden. Mit einem schnell aufgelesenen Ersatz ging es ohne Säumen zum zweitenmal los; da, auf halber Fahrt versiegte das Wasser – die verstauten Trinkfässer, welche die Reserve bilden sollten, waren leer gewesen – wiederum zurück, mit genauer Not dem Verdursten entronnen, denn disziplinlose Gesellen hatten das Faß mit dem Rest heimlich angebohrt. Erst die dritte Fahrt führte zum Ziel. Wir auf der Insel hatten das Schiff verloren gegeben. Und abermals einige Monate später ein wilder Kampf, und ein Alter, der Juan Fernandez nach Jahr und Tag verließ, um auf dem Festlande mit einigem Ersparten eine kleine Existenz zu gründen, wurde ins Meer gestoßen; ein Opfer der Rache. Und schließlich, auch die letzte Stunde hat dem Schifflein inzwischen geschlagen, kam es nicht wieder – nicht zur Insel, nicht zum Lande. Ohne Kunde erfüllte sich sein Schicksal. Zerschnitt es ein Dampfer oder Segler, schleuderte es ein Wal unwirsch von seinem Rücken oder zermalmten und begruben es entfesselte Wellen? –

Aber heute stieg und senkte es sich wie ein stolzes Geschöpf.

Wem fließt das Spiel, wem entströmt der Sang nach leidlichem Mahle, wenn das Schiff wie unser »Juan Fernandez« in Sonne und Wind wie leicht beschwingt dahineilt? Dem Abenteurer! Was Wunder, daß unsere Planken bald von Liedern und Saiten widerhallten! Denn wir hatten jener rasch murrenden und noch schneller fröhlich blickenden Gesellen etliche. Vorne am Bugspriet waren sie eingepfercht, mit Weib und Kind. Merkwürdige Menschen, voll Sehnsucht und Hoffnung. Sie hatten es so eilig, als ob ihnen ein Glücksfall davonlaufen könnte, nach der Insel zu kommen, wo sie Langusten fischen und Haifett sieden sollten. Viel eiliger als wir. Darum ihre Verzweiflung gestern und heute ihre singende und klimpernde Lust.

Vier Tage hindurch jubelte die Gitarre und schmetterten ihre Kehlen, und am sechsten nach unserer Ausfahrt, wollte die Begeisterung kein Ende finden, denn am westlichen Horizonte zeichnete sich ein trapezförmiger Umriß ab, die Spitze des Yunque, des höchsten Gipfels des ersehnten Eilands. Dann wurde es schwüler, die Segel plätscherten, und bald schwamm die Leine mit dem Zählapparat am Backbord; der »Juan Fernandez« stoppte. Da verfielen unsere ungeduldigen Weltfahrer auf einen verzweifelten Ausweg. Ein kleiner Nachen wurde auf das spiegelglatte Meer hinabgelassen und mit einem Tau versehen, bemannt von jenen ruderschwingenden Burschen, der Vorspann unseres Peilbootes. Unser Schwarzer hatte willig ihrem anstürmenden Begehren nachgegeben und strich jetzt schmunzelnd seinen Lohn ein, wie er sie mit viel Enthusiasmus und wenig Übung die wildesten Anstrengungen machen sah, den widerwilligen Rumpf unseres »Juan Fernandez« fortzuschleppen. Es war umsonst. Er wankte und wich nicht; nur die unsichtbare Strömung trieb ihn langsam ab, und bald war der Yunque verschwunden, der Nachen wieder an der Seite vertäut und die wackeren Seefahrer lagen in lethargischem Schlummer.

An der Cumberlandbai.
Die Ausläufer der Kolonie beschattet von Eukalypten.
An dem Felsabhange über den Bäumen die Eingänge der Kerker.
In der Mitte der Yunque.
Verf. phot.

Das träumende Meer belebte sich. Röhrenquallen erschienen an der Oberfläche, lange, mit hundert Rubinen verzierte Ketten durchsichtiger Polypen und tiefblaue, zierliche Physalien in schier unabsehbaren Scharen; in einem riesigen, rosenroten Schweif zogen Tausende von Melonenquallen ihre Bahn, und ein andermal kräuselten sich ringsumher glashelle, zarte Venusbänder. Dann erschienen in endloser Fülle reizende Salpen, eine Milchstraße erzeugend und kleine, purpurne Medusen pulsten langsam dahin. Nachts begann ein Glänzen ohnegleichen. Das erstarrte Meer badete sich im Widerschein des Vollmonds, und vielmehr noch strahlte es einen eigenen Silberglanz aus, mit dem es Millionen leuchtender Urtiere tränkten.

Noch einen Tag und eine Nacht konnten wir das windstille Meer beobachten, dessen Spiegel sich so mannigfältig und wundervoll belebte. Dann führte uns eine leichte Briese am neunten Tage in die Bahia Cumberland, jene Bucht des Eilandes, in welche sich das Tal niedersenkt, in dem Robinson Crusoe einst zu seinem Lugaus hinaufstieg.


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