Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wer heute Juan Fernandez besucht, wird als einstige Wohnung
Robinsons eine Höhle gezeigt bekommen, die am Englischen Hafen, ganz nahe dem Meere, und mit Ausblick darauf, gelegen ist. Es ist ein grottenartiges, wenig tiefes Verließ mit mächtigem Eingang, der sich gegen Nordwesten öffnet. Die Eingeborenen sind felsenfest von ihrer Echtheit überzeugt, und vor einigen Jahren nahm sich ein Amerikaner, welcher die Welt auf einer kleinen Jacht durchkreuzte, um Gegenstände für ein Museum zu sammeln, das ihm einmal gute Einnahmen bringen sollte, auch einen Stein ihrer natürlichen Wandung mit, von dem er sich eine besondere Attraktion versprach. Ihn anzuschauen würde er 20 Cent, sich darauf zu stellen sogar 50 fordern!
Indes Alexander Selkirk hat jenen Unterschlupf nicht gewählt, sondern vorgezogen, wie die Indianer, in Hütten zu hausen. Und ganz wie diese errichtete er sich zwei, eine zum Wohnen – zum Schlafen und Beten berichtet der Chronist – und eine als Küche. Auch siedelte er sich nicht am Strande an, denn das hatte seine Gefahren, sondern im Innern einer Waldschlucht.
Jenen Rücken, welcher zum Lugaus ansteigt, begleitet eine westliche, engere und tiefer einschneidende und eine östliche, breit vom Yunque zum Meere herniederhängende Quebrada. Beide durchströmt klares Gewässer. Aber letztere birgt etwa auf halbem Wege zum Amboßberge, etliche Kilometer vom Strande entfernt, eine in Hochwald versteckte Ebene, von Gras, Pangues und Minze beinahe mannshoch bedeckt, die so einladend daliegt, daß dem Wanderer unwillkürlich die Worte auf die Lippen kommen:
»Hier laßt uns Hütten bauen!«
Sollte Robinson ihr Zauber und ihre Heimlichkeit entgangen sein? Alles spricht dafür, daß er auf der Plazuela del Yunque der modernen Insulaner, die heute durch himmelhohe Eukalypten auf weithin gekennzeichnet ist, seine luftige Wohnung aufschlug.
Daniel Defoe läßt seinen Helden eine förmliche, durch Palisaden beschirmte Festung im Anschluß an eine Höhle errichten, die am Abhange eines Berges (weit inseleinwärts) sich öffnete. Der Berg erhob sich so steil wie die Front eines Hauses und begrenzte eine Hochebene, die wie eine Wiese, etwa hundert Ellen breit und zweimal so lang, vor der Höhlenpforte sich ausdehnte.
Aber sein Haus war kein Kastell, sondern eine leichte Hütte, deren Strebepfeiler wohl die harten Stämme der Luma bildeten, deren Wände und Dach ein Sparrenwerk von Bambus erzeugte, und Binsen- und Seggebündel oder vielleicht auch Palmenwedel dichteten. So bauen die Mapuches im Süden Chiles ihre Ranchos, und gleiche Not bringt gleich' Gebot.
Die Habe Robinsons, welche er vom Schiffe mit sich genommen, war kümmerlich genug. Es war die eines armen Matrosen: ein Kasten mit der notwendigsten Kleidung, eine Büchse nebst etwas Blei und nur einem Pfunde Pulver, eine Axt und die Bibel, das Angebinde seines strenggläubigen, presbyterianischen Vaterhauses. Und die Bibel wurde offenbar sein bestes Gut. – Damit richtete er sich ein als König der Insel in seinem noch grün schimmernden Palaste, in den ein starker Duft von der üppig die Wiese bewuchernden Minze einzog. Dann stieg der erste Rauch aus dem zweiten, dem Bache zunächst gelegenen Bambusbauwerk, der Küche, auf. Robinson briet sich ein Zicklein am Spieß, seine erste Jagdbeute.
Das waren goldene Tage, solange das Pulver langte! Aber wie sehr auch unser Eremit damit geizte, allzubald ging's zu Ende, und nun folgte die Jagd à la Diluvialmensch. Er verfolgte die Ziegen im Lauf, er suchte sie an Schnelligkeit und Gewandtheit zu übertreffen. Die Behendigkeit seiner Füße und allerhand Listen mußten das weitreichende Geschoß ersetzen. Es gelang. Er lief bald besser als die verfolgten Böcke und Geißen; nicht mit weit ausgreifenden Schritten, sondern kleinen, trippelnden, die sich so schnell folgen, daß man die Bewegung der Glieder nicht mehr unterscheidet. Fünfhundert Ziegen hat er auf diese Weise im Laufe seiner freiwilligen Verbannung erlegt. Nur einmal verließ ihn seine Geschicklichkeit oder das Glück, so daß es um ein Haar mit ihm zu Ende gewesen wäre. Er verfolgte ein besonders stattliches Tier, welches sich gestellt gegen ihn wandte und so energisch angriff, daß beide in der Hitze des Kampfes in einen Abgrund stürzten. Robinson war betäubt und erwachte erst nach 24 Stunden. Aber der Widersacher lag unter ihm.
Das Fleisch der wilden Ziegen von Juan Fernandez ist von derberer Struktur und hat einen kräftigeren, pikanteren Geschmack, als das der Hausziege. Aber wehe dem, welcher es alle Tage als einzige Kost genießen sollte! Er würde an Appetitlosigkeit zugrunde gehen. Das erfuhr auch Robinson sehr bald, und weder die jungen Tauben, die er aus ihren Felsnestern nahm und aufzog, noch die Fische, welche er mit primitiven, selbstgefertigten Angelhaken fing, und am allerwenigsten die Seehunde, die er so leicht, nur mit einem Knüppel ausgerüstet, erlegen konnte, lieferten ihm die nötige Abwechselung, denn er hungerte nach Pflanzenkost.
Nun fand er zwar mancherlei Beeren, die von uns schon zum Teil erwähnt wurden, wie die Erdbeeren und süßen, schwarzen Murtillas, und außerdem die ähnlichen des Lumabaumes und eines Berberitzenstrauches (Michaies genannt), und ferner die weißen, süßen Steinfrüchte der Savinilla, aber dieselben konnten ihm kein Gemüse ersetzen. Auf der Suche danach entdeckte er vornehmlich zweierlei: den Palmenkohl und eine Rübe. Die Rübe ist eine echte Vertreterin ihres nützlichen Geschlechtes ( Brassica napus), die je nach der Gegend bei uns als Kohlrübe, Wruke oder Erdkohlrabi bekannt ist und von dem englischen Korsaren Dampier auf der Insel ausgesät wurde. Sie verwilderte, ohne ihre geschätzte saftige Wurzel einzubüßen und bedeckt noch heute namentlich die verlassene Gegend der westlichen Insel. Der Palmenkohl aber hat nichts mit den zahlreichen Kohlarten zu schaffen, um die im Wechsel der Jahreszeiten auf allen Märkten der Welt gefeilscht wird, denn es sind die jungen Teile der Chonta, der Palme von Juan Fernandez, und vorzüglich die Gipfelknospen solcher, welche vor der ersten Blüte stehen. Man verzehrt sie roh; sie schmecken wie Nuß oder Mandeln. Es steht aktenmäßig fest, daß Robinson seinen Gaumen ferner an Sauerampfer und den großen Blättern einer Kresse erfrischte, dem Berro der Chilenen, die zurzeit von der Insel verschwunden ist. Sehr wahrscheinlich existierte zu Robinsons Zeiten aber auch bereits der Rettich auf Masatierra, welcher wenigstens schon 17 Jahre nach Abschluß seines merkwürdigen Einsiedlerlebens von einem neuen Besucher – wiederum einem Engländer, dem Lord Anson erwähnt wurde.
Alexander Selkirk begnügte sich nicht damit, Tiere zu jagen und Gemüse und Früchte zu suchen, sobald er Hunger hatte, sondern er traf Vorsorge. Er zähmte Geschöpfe und legte sich einen Garten an. Es dauerte nicht lange, so war er im Besitze einiger junger Zicklein, die er an Stelle der erlegten Mutter aufzog, und bei seiner Hütte gediehen auf wohlgepflegten Beeten Rüben, Kresse, Ampfer und ziemlich sicher auch Rettiche. Zur Abwehr gegen die Ratten gewöhnte er Katzen an seinen Hausstand und zur Gesellschaft und Unterstützung auf der Jagd hegte er Hunde.
Aber alles dieses sind wir ganz genau durch jene Personen unterrichtet, welche ihn später halb mit Gewalt aus seiner Abgeschiedenheit in die Welt zurückführten. Durch sie wissen wir auch, daß er sich in Felle gekleidet hatte, das weiche Haar nach innen, und eine sehr hohe, kegelförmige Mütze, wahrscheinlich aus Seehundspelz trug. Aber mehr: wir hören sogar von einem Regenschirm, von dem Erfinderischen aus zusammengenähten Häuten angefertigt.
Es ist gar nicht unmöglich, daß Robinson außer den aufgezählten kulinarischen Genüssen, die wir noch durch die Quitten vermehren müssen, auch Feigen hatte. Heute gibt es uralte Feigenbäume auf der Insel – ich habe unter ihrem Blätterdache zwei unvergeßliche Monate gehaust – von denen kompetente Gelehrte meinen, daß sie spätestens im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts dorthin eingeführt sein müssen. Diese herrlichen Riesen, welche solch dunkle Schatten geben, daß außer einigen Farnkräutern nichts unter ihnen zu gedeihen vermag, besitzen eine erstaunliche Lebenskraft. Oft ist der Sockel ihres Stammes dem Alter zum Opfer gefallen und völlig verwest; aber dann haben ihn Hunderte von Luftwurzeln ersetzt, die aus seinen oberen, gesunden Teilen trieben, und eine neue Verbindung zwischen Krone und Erde herstellten. Zweimal im Jahre, Anfang Februar und Ende März, zeitigen sie Früchte von einer Größe und Vorzüglichkeit, wie man sie nirgends auf dem Festlande findet.