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Zweites Kapitel.
Eine bunte Gesellschaft aus aller Welt

Mit den Hochgebirgen zugleich, mit Himalaja und Kordilleren tauchte unsere Insel aus dem Meere empor. Aber nicht auf einmal gewann sie ihre heutige, reich gegliederte, gebirgige Gestalt.

Zunächst erhob sich ein Sockel von grünem Andesit, wie er das Gerippe der Anden bildet, dann folgten Hunderte von Eruptionen, die vielfarbige Aschen und Sande emporschleuderten, weiße, gelbe, rote, braune, grüne, schwarze, und wie Regen über das massive Fundament ergossen, so daß sich Schicht auf Schicht häufte und lagerte, so regelmäßig, wie es sonst nur im Wasser sich abspielt. Die zahllosen Decken preßten und erhärteten sich und bilden heute die manchmal 300 m hohen buntstreifigen Steilküsten der Insel. Aber letztens drang basaltische Lava nach und stieg hoch empor und erstarrte in den Gebirgshäuptern der Insel, deren höchstes der Yunque, der Amboß, gegen 1000 m über die See hinausragt.

Pangues.
Verf. Phot.

Auch nicht allein erstand sie. Eine Zwillingsschwester stieg mit ihr aus den Fluten empor, etwas kleiner, aber doppelt so hoch) wuchtig, eine einheitliche Felsmasse, wie das unangreifbare Kastell eines Meerbeherrschers. Beinahe 100 Meilen westlich von Juan Fernandez umbrandet sie das Meer, in ungastlicher Abwehr trotzend. Mas-a-fuera, Weiter-Hinaus, nennt sie der Bewohner Chiles, während er die Robinsoninsel als Mas-a-tierra, Näher-am-Land, begrüßt.

Beide verwandelten sich in reich bewachsene Eilande mit hohem Wald, dichtem Busch und langgrasiger Steppe. Mannigfaltiger und vielgestaltiger Pflanzenwuchs bedeckt sie: Stattliche Palmen, herrliche Baumfarne, prächtige, immergrüne Laubbäume, Bambusdickichte, liebliche Kräuterrasen und bunter Blumenflor, der in Felsspalten nistet, all das schmückt sie. Wer brachte diesen entlegenen Stätten solch köstliches Geschenk? Die Strömung, die Vögel und vor allem die Winde. Sie beluden sich mit Sporen und Samen.

Vornehmlich suchten sie ihr von dem Aberfluß der Küsten Chiles mitzuteilen. Aber vielem konnte die Insel nicht zur Heimat werden, namentlich nicht dem, was ihr die allernächsten Gestade sandten, die der Breite von Valparaiso, denn dort herrscht eine überaus trockene Luft, und im Winter ist es eisig kalt, im Sommer glühend heiß, bis zum Versengen; in Juan Fernandez aber stets feucht und warm, oft schwül. So paßte ihr besser, was vom Süden Chiles herüberkam, aus jenem Teile, in dem heute Tausende von Deutschen ein neues bekömmliches Vaterland gefunden haben. Selbst vom Feuerlande Empfangenes gedieh. Doch aus viel weiteren Fernen kamen die Einwanderer: aus dem tropischen Amerika, Polynesien, ja, sogar von Australien und Neuseeland und den Inseln des Indischen Ozeans.

Die Mehrzahl der Ankömmlinge blieb sich auch unter den veränderten Verhältnissen getreu in Art und Charakter, aber andere wandelten sich. Einigen sagte das Klima und der Boden des Eilandes so zu, daß sie sich aus der Sippe der Kräuter in die Klasse der Bäume aufschwangen, derart gediehen sie in die Höhe und Dicke, und etliche kleideten sich mit der Zeit so fremdartig, daß niemand ihre Ahnen mehr zu erkennen vermag. Es scheint, als ob sie den Ehrgeiz hätten, für eingeborene Geschlechter gehalten zu werden.

Die immergrünen Wälder bedecken die gebirgige östliche Hälfte der Insel: in den bachdurchrauschten Tälern und an den Berglehnen als ein wildes Durcheinander verschiedenartigster Typen in beinahe undurchdringlichen Dickichten; auf den Höhen oft als lichte Hallen, deren Dach und schlanke Säulen eine einzige Baumart erzeugt.

Es ist nicht überraschend, daß die führenden Gestalten wie im Urwald Chiles ein Myrtenbaum und eine Magnolie sind. Die Luma und der Canelo, wie das Volk sie nennt.

Die Luma ist ein prächtiger, mit feinem, glänzenden Blattwerk dicht belaubter Baum. Meistens vom Boden bis zum Wipfel eine feste, tiefgrüne Masse, die in rötlichen Tinten erglüht zur Zeit der neuen Triebe, welche braunrot hervorsprießen. In den tiefen Tälern erlaubt sie keinen Einblick in ihr Astwerk. Auf den Höhen aber, auf dem Plateau des Puerto Francos schürzt sie ihre Laubmassen und wirft sie in die Wipfel und zeigt ihr stolzes, kühn aufstrebendes, schlankes und reiches Gezweige, das sich schließlich in gotischen Spitzbogen gegeneinander neigt. Hier duldet sie keinen Genossen neben oder unter sich. Hier herrscht sie, wie bei uns die Buche und erweckt dieselbe feierliche Stimmung, die niemals bessere Worte fand als:

»Wer hat dich, du schöner Wald,
aufgebaut so hoch da droben?«

Den Canelo kleidet ein lichtgrünes, großes, glänzendes Blatt (dem des Gummibaumes nicht unähnlich), aus dem vielfach sein silbergraues Geäst hervorleuchtet. Er liebt es auf der Insel, seine Blätter in dicken Rosetten an den Zweigspitzen anzuhäufen und schmückt sich im Frühling mit weißen Blütensträußen.

Beide überragt der Naranjillo, der König der Waldbäume von Juan Fernandez. Er macht sich weithin bemerkbar mit seinem sparrigen, hellen Astwerk, das eine schirmartige Krone erzeugt, welche große Fiederblätter licht belauben, und die sich wohl an 30 m hoch erhebt. Der Naranjillo muß vom tropischen Amerika, aus den Urwäldern Perus oder Neugranadas, hierher verschlagen sein, ebenso wie der Peralillo, welcher ganz außerordentlich an unseren Birnbaum erinnert, aber zu der Familie der Chinarindenbäume gehört und mit den drei anderen die Führerrolle spielt.

Unter jenes Quadriumvirat mischt sich noch recht zahlreich ein Bäumchen mit schwarzgrünem Laube, das wir sommers auch im dichtesten Schatten im Schmucke langer, dunkelvioletter Blüten finden, und ferner dadurch merkwürdig ist, daß es das einzige, mit Dornen bewehrte Gewächs der Insel vorstellt. Trotzdem empfing es die Bezeichnung Juan Bueno, Guter Johann. Außerdem drängt sich vielfach an den Bachrändern und in den Morästen der Manzano vor, ein hoher, eleganter Strauch der Nesselgewächse mit sehr zarten Blättern, deren Unterseite ein grauer Schleier wie mit Silber überzieht. – Juan Bueno und Manzano verraten kaum mehr ihre Herkunft, indes dürften ihre Ahnen aus dem Westen Südamerikas stammen.

Die immergrünen Laubmassen der Luma, des Canelo, Naranjillo und Peralillo, welche Juan Bueno und Manzano durchbrechen und Bambus durchflicht, bilden an vielen Orten Nischen und weichen auseinander, um einer seltsamen, fremdartigen Gesellschaft Platz zu machen: den Baumfarnen, Gruppen herrlichster Erscheinungen.

Die gewaltige, umfangreiche Dicksonia von drei- bis vierfacher Mannshöhe (welche häufig noch mächtige Seitenäste abgibt) mit den 2 m langen Wedeln, die wie riesige Straußenfedern sich emporrecken, die elegante Thyrsopteris, mit jener wetteifernd an kühnem Aufstreben, und die kleinere Alsophila mit den riesigen, sich etwas neigenden Blättern, deren Unterseiten einen blauen Schimmer ausstrahlen. Zwischen ihnen wogt es von Adler- und Saumfarnen, Milz-, Streifen- und Schildfarnen und den vollen Blattrosetten der Lomaria. Die Felsen und modernden Baumstümpfe überkleiden zahllose zarteste Zautfarne, und wie Efeu klettern und umwickeln die Baumstämme – besonders den Juan Bueno – bis hoch in die Wipfel verschiedenartige Tüpfelfarne, darunter einer durchsichtig wie grünes Glas.

La chonta, die Palme der Robinsoninsel.
Verf. phot.

Hin und wieder steigt in dem Dickicht ein schlanker, kerzengerader, grüner Stamm empor mit hellen Ringen; weit über das Laubdach hinaus reckt er sich und entfaltet wie der Naranjillo im hellen Lichte seine wundervolle Krone. Es ist die Chonta, die Palme der Robinsoninsel, mit dem graziösen übervollen Wipfel riesiger Fiederwedel und ihren roten Fruchttrauben, die weit hinaus leuchten. Aus den Wäldern Boliviens oder Perus mag sie vor undenklichen Zeiten ein vom Sturm verwehter Vogel gelandet haben.

Aber von woher kam der fremdartige Eremit der Wälder Masatierras, den heute nur der Zufall hier und dort an unzugänglichsten Orten entdeckt, der Sandelbaum? Zweifelsohne fern aus Ostindiens Meeren, wo die Wiege seines altberühmten Geschlechtes steht. Wie Freimaurer behüten heute die Insulaner das Geheimnis seiner Waldklause und zeigen, Ehrfurcht heischend, wie ein Heiligtum, ein Kreuz, das sie selbst aus seinem duftenden, eisenharten und dunkelroten Holze geschnitzt haben.

Farnheiden und Busch nahmen Besitz von den sonnigen Rücken der Berge. Die Wedel der Farnkräuter schlagen über dem Wanderer zusammen. Weite Flächen bedecken den Zykaspalmen ähnliche Farne, die fiederblätterigen Lomarien, von denen sich Krone an Krone drängt, jede getragen von meterhohem, plumpen Stamme. Hier wächst der Murtillo, ein Myrtenbäumchen Chiles, hoch geschätzt wegen seiner süßen, aromatischen Beeren und ein hoher Strauch gleichen Namens aus der Familie der Heidekräuter, dessen Früchte ebenfalls gegessen werden. Hier duftet der Aromo Kastiliens, hier leuchten wie Alpenrosen die feurigen Blütenrispen eines hohen Saxifragenstrauches, umschwirrt von Kolibris und recken uns Pangues ihre riesigen, rauhen, oft trichterförmigen Blätter entgegen. Diese seltsamen Gewächse, welche an feuchten Orten gewaltige Dimensionen annehmen, und die sich mit strauchartigen Rhabarberpflanzen vergleichen lassen, kamen aus dem fernen Süden Chiles.

Aber auch jene merkwürdigen Pflanzen, die durch nichts mehr verraten, wo ihre Schöpfungswiege stand, bevorzugen die lichten Höhen: Vereinblütler, die hohe Bäume geworden sind und mitunter Palmen gleichen, indem ihre Blätter sich an der Spitze des kahlen Stammes zusammendrängen, den umfangreichen Blütenstrauß umfassend, und die sich oft am nackten Fels festklammern; die den Baldgreisen nahestehenden Robinsonbäume und - sträucher, darunter der Resino und Incensio, welche duftende Harze absondern, die zu köstlichem Weihrauch verglimmen und der gablig verzweigte Flockenblütenbaum. Zu ihnen gesellen sich hohe Labiatensträucher mit blauen, violetten und weißen Lippenblüten und ein Wegerichbaum, der größer wie ein Mann wird, ein echter Wegbreit, der gar nicht selten auf unseren ganz gemeinen Wegerich hinabschaut, welcher sich auf Juan Fernandez aber viel üppiger entfaltet hat: werden seine Blätter doch fußlang, seine Blütenähren meterhoch – er strebt seinem Vorbilde nach.

In den Teppich mannigfaltiger Gräser, Simsen, Riede und Binsen woben ein buntes Muster gelbe Ruhrkräuter, weiße, purpurn geaderte Glockenblumen, zarte Lobelien mit violetten Lippenblüten, rosafarbener Tausendgülden und schlanke Iris. An manchen Stellen bildet der Teufelstabak mit seinen blauroten, auffallenden Blüten kleine Wäldchen oder der gelbe Sauerklee große leuchtende Flecke, und bis zum Meere folgt die kleine, orangefarbene Gauklerblume und ein dunkelblauer Eisenhart.

Der Umarmung des üppigen Pflanzenwuchses entwanden sich jedoch die Gipfel, welche schwarz und kahl emporragen als steile, messerscharfe, zackige Grate, nadelartige, bizarre Spitzen oder schroffe Kegel und massige, jäh abstürzende Felsmauern. Auch die schwindelnd abfallenden Küsten sind nackt; nur hin und wieder leuchten die weißen Blütenbüschel einer an unsere Hundskamille erinnernden Komposite und schimmern die silbernen Polster eines Ananasgewächses.

So ist das Tote und Lebendige wunderbar gemischt in der Landschaft von Juan Fernandez, welches der breite, weiße Brandungssaum aus den ultramarinen Fluten heraushebt.


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