Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Vierundachtzigste Erzählung.

Vor einigen Jahren waren einmal in Siena ein Paar Leute, die schon ihre männlichen Jahre erreicht hatten und beide den Namen Cecco führten, doch hieß der eine Cecco Angiolieri und der andere Cecco Fortarrigo. Sie waren in ihrer Aufführung und in ihren Gesinnungen sehr verschieden; doch stimmten sie in einer einzigen Sache so sehr mit einander überein, daß sie darüber Freunde und tägliche Gesellschafter wurden; sie lebten nämlich Beide in schlechtem Benehmen mit ihren Vätern. Angiolieri, ein schöner und wohlerzogener junger Mann, konnte in Siena mit dem Gehalte, welches ihm sein Vater ausgesetzt hatte, nie auskommen; wie er demnach hörte, daß der Papst einen Cardinal, der sein besonderer Gönner war, nach der Mark von Ancona gesandt hatte, so entschloß er sich, zu diesem zu gehen, in der Hoffnung, seine Umstände bei ihm zu verbessern. Er äußerte sich darüber gegen seinen Vater und erreichte auch von ihm, daß er ihm auf einmal so viel Geld vorstreckte, als er ihm sonst nur in sechs Monaten zu geben pflegte, um sich mit Kleidern und mit einem Pferde zu versehen, und mit Anstand reisen zu können. Wie er sich nun nach einem Menschen umsah, den er zu seiner Aufwartung mitnehmen könnte, hörte Fortarrigo davon, welcher den Augenblick zu ihm kam, ihn sehr inbrünstig bat, ihn mitzunehmen, und sich erbot, Reitknecht, Kammerdiener und alles in allem bei ihm zu sein, und keinen anderen Lohn, als freie Kost dafür verlangte. Angiolieri antwortete, er könnte ihn nicht gebrauchen; denn obgleich er wüßte, daß er zu allen Diensten sehr wohl fähig wäre, so kennte er doch seinen Hang zum Spiele und gelegentlich auch zur Völlerei. Fortarrigo versprach hingegen, sich vor beiden Lastern ganz gewiß zu hüten; er beteuerte dieses mit so vielen Schwüren und unterstützte sein Versprechen mit so vielen Bitten, daß Angiolieri sich überreden ließ und ihn in seine Dienste nahm.

Sie begaben sich demnach an einem Morgen auf den Weg und kamen bis nach Buonconvento, wo sie Mittag hielten. Weil die Hitze sehr groß war, so ließ Angiolieri sich nach dem Mittagessen in der Herberge ein Bett bereiten, legte sich nieder und befahl dem Fortarrigo, ihn um vier Uhr nach Mittag wieder zu wecken. Sobald er eingeschlafen war, ging Fortarrigo in ein Weinhaus, fing an zu trinken und setzte sich mit einigen anderen zum Spiel. Diese gewannen ihm bald das Wenige ab, was er bei sich hatte, und wie er auch die Kleider vom Leibe dazu verspielt hatte und begierig war, seinen Verlust wieder einzuholen, lief er im Hemde nach der Herberge, und weil er fand, daß Angiolieri noch fest schlief, so nahm er ihm alles Geld weg, was er bei sich hatte, lief wieder davon und verspielte es, wie das vorige. Unterdessen erwachte Angiolieri, kleidete sich an und fragte nach Fortarrigo. Weil er nirgends zu finden war, dachte Angiolieri, er wäre vermutlich irgendwo betrunkenerweise eingeschlafen, wie er oft zu thun pflegte. Er entschloß sich also, ihn zurück zu lassen, ließ seinen Gaul satteln und sein Felleisen aufschnallen und nahm sich vor in Corsignano sich nach einem anderen Diener umzusehen. Wie er bei der Abreise den Wirt bezahlen wollte, vermißte er seine Börse, worüber ein großer Lärm entstand und das ganze Haus in Bewegung geriet, weil Angiolieri behauptete, er wäre von den Leuten im Hause beraubt worden und drohte, jeden bis auf den letzten Mann gefangen nach Siena führen zu lassen.

Indem kam Fortarrigo im Hemde wieder, in der Absicht, auch die Kleider des Angiolieri abzuholen, wie er es mit den, Gelde gemacht hatte. Wie er sah, daß Angiolieri im Begriffe war, wegzureiten, sprach er: »Was soll das bedeuten, Angiolieri? Wollen wir jetzt schon fort? Warte doch noch ein wenig; es wird gleich jemand kommen, der mein Wams für achtunddreißig Soldi zum Pfande hat. Wenn er aber gleich Geld bekommt, so bin ich versichert, daß er es uns für fünfunddreißig wieder heraus giebt.«

Wie er noch sprach, kam ein dritter dazu, durch welchen sich Angiolieri bald überzeugte, daß Fortarrigo derjenige war, der ihm sein Geld gestohlen hatte; denn er sah die verlorene Summe noch in seinen Händen. Angiolieri ward darüber äußerst entrüstet, er fuhr ihn mit heftigen Worten an und würde ihn eben so heftig mit der That gemißhandelt haben, wenn er sich nicht mehr vor Menschen als vor Gott gefürchtet hätte, und er drohte, indem er zu Pferde stieg, ihn hängen oder in Siena vogelfrei erklären zu lassen.

Fortarrigo that, als ob alles, was Angiolieri sagte, nicht ihn, sondern einen anderen anginge und sagte: »Ei, Angiolieri, laß doch in Gottes Namen solche Reden unterwegs, die zu nichts helfen, und laß uns zur Sache reden. Wir bekommen es jetzt für fünfunddreißig Soldi wieder, und wenn wir bis morgen warten, so giebt er's nicht für weniger, als für die achtunddreißig, die er mir darauf geliehen hat. Thue mir's zu Gefallen; denn ich habe sie auf sein Anraten gesetzt. Warum wollen wir die drei Soldi nicht ersparen?«

Angiolieri wollte über sein Geschwätz rasend werden, zumal, da die Umstehenden ihn nicht aus den Augen ließen und nicht zu glauben schienen, daß Fortarrigo ihm sein Geld verspielt hätte, sondern daß er noch Geld von diesem in Händen haben müßte. »Was scher' ich mich um Dein Wams? (sprach er zu ihm) Ich wollte, Du hingest am Galgen. Du hast mich nicht nur bestohlen und mir das Meinige verspielt, sondern Du hinderst mich auch noch an meiner Abreise und treibst obendrein Deinen Spott mit mir.«

Fortarrigo hielt aber immer tapfer Stich, als wenn ihn das alles nichts anginge, und fragte: »Warum willst Du mir die drei Soldi nicht ersparen? Meinst Du, daß ich sie Dir nicht wieder einbringen kann? Schlage mir's nicht ab, wenn Du mich lieb hast. Wozu willst Du so sehr eilen? Wir kommen heute noch früh genug nach Torrenieri. Komm, zieh nur den Beutel, glaube mir, ich könnte in ganz Siena nach einem Wams suchen, das mir so gut stände, wie dieses. Das wäre schön, wenn ich es diesem für achtunddreißig Soldi lassen müßte, da es noch seine vierzig wert ist. Du würdest mir also doppelten Schaden thun.«

Angiolieri, der vor Verdruß bersten wollte, daß jener ihn erst bestohlen hatte und ihn jetzt noch mit Geschwätz aufhielt, gab sich nicht weiter mit ihm ab, sondern wandte sein Pferd um und machte sich auf den Weg nach Torrenieri. Fortarrigo besann sich schnell auf einen arglistigen Bubenstreich und lief ihm im Hemde nach. Wie er ihn wohl ein paar Meilen verfolgt und ihm beständig wegen des Wamses in den Ohren gelegen hatte, so daß endlich Angiolieri, um des Gewäsches los zu werden, seinem Gaul die Sporen gab, ward Fortarrigo in einer kleinen Entfernung von ihnen einige Landleute auf dem Felde gewahr, denen er sogleich aus vollem Halse zuschrie: »Haltet ihn, haltet ihn!« Die Leute kamen mit ihren Schaufeln und Hacken, verliefen dem Angiolieri den Weg, in der Meinung, daß er denjenigen, der ihm nacheilte, beraubt hätte, und fielen ihm in die Zügel. Umsonst sagte er ihnen, wer er wäre, und wie sich die Sache verhielte; denn Fortarrigo rief mit grimmiger Gebärde: »Ich weiß nicht, was mich abhält, Dich umzubringen, Du Spitzbube, daß Du mir so mit dem Meinigen davon reitest. Seht einmal (sprach er zu den Landleuten), in welchem Aufzuge er mich im Wirtshause zurückgelassen, nachdem er das Seinige alles vorher verspielt hat. Ich kann Gott und Euch danken, daß ich ihn wieder eingeholt habe, und ich danke Euch sehr für Euren Beistand.«

Angiolieri sprach ebenso von ihm; allein er predigte tauben Ohren. Kurz, Fortarrigo zog ihn mit Hülfe der Bauern vom Pferde, zog ihm die Kleider aus und legte sie an, schwang sich auf seinen Gaul, ließ ihn im Hemde und barfuß stehen, ritt zurück nach Siena und gab allenthalben vor, er hätte dem Angiolieri den Gaul und die Kleider abgewonnen.

Angiolieri, welcher geglaubt hatte, ausgestattet zu dem Kardinal in die Mark zu ziehen, kam im bloßen Hemde nach Buonconvento zurück und schämte sich, sogleich wieder nach Siena zu gehen, sondern er borgte einige Kleider und trabte auf dem Mietklepper, den Fortarrigo geritten hatte, nach Corsignano zu einem seiner Verwandten, bei dem er sich so lange aufhielt, bis ihm sein Vater neue Unterstützung schickte.

So verdarb die Büberei des Fortarrigo dem Angiolieri seinen vernünftigen Plan; wofür dieser jedoch zu seiner Zeit Gelegenheit fand, ihn büßen zu lassen.

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