Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Sechsundsechzigste Erzählung.

In Florenz lebte eine junge, artige und sehr schöne Dame, die Gemahlin eines edlen und wackeren Rittersmannes. So wie man jedoch häufig findet, daß der Mensch sich nicht immer mit einerlei Speise begnügen kann, sondern bisweilen Veränderung liebt, so ward auch diese Dame ihres Gemahls überdrüssig und verliebte sich in einen Jüngling namens Leonetto, der zwar von keiner vornehmen Herkunft, aber sehr artig und liebenswürdig war und die Dame nicht weniger liebte. Da nun, wie Ihr wohl wißt, dasjenige, was von beiden Seiten gewünscht wird, selten unerfüllt bleibt, so währte es nicht lange, bis sie das Ziel ihrer Wünsche erreichten.

Die große Schönheit und Liebenswürdigkeit dieser Dame reizte indessen auch einen gewissen Rittersmann, namens Lambertuccio, sich in sie zu verlieben; weil er ihr aber durchaus zuwider und unausstehlich war, so konnte sie sich um alles in der Welt nicht überwinden, ihm geneigt zu werden. Nachdem er sie jedoch lange umsonst mit seinen Zudringlichkeiten verfolgt hatte, ließ er ihr endlich als ein trotziger und mächtiger Mann drohen, sie zu beleidigen und zu beschimpfen, wenn sie ihm nicht Gehör gäbe. Da sie sein trotziges Wesen kannte, so ließ sie sich dadurch in Schrecken jagen und bewegen, seine Besuche anzunehmen.

Einmal, wie diese Dame, die sich Madonna Isabella nannte, die Sommermonate gewöhnlichermaßen auf dem Lande auf einem ihrer schönen Güter zubrachte, traf es sich, daß ihr Gemahl früh morgens ausritt, um sich einige Tage auf einem anderen Ort aufzuhalten. Sie ließ demnach ihren Leonetto kommen, der sich auch den Augenblick fröhlich einstellte. Messer' Lambertuccio, welcher vernommen hatte, daß ihr Gemahl abwesend wäre, setzte sich indessen gleichfalls zu Pferde, ritt ohne Begleitung nach ihrem Schlosse und klopfte an. Das Kammermädchen eilte, ihrer Frau, die mit Leonetto in ihrer Kammer war, Nachricht zu geben, daß Herr Lambertuccio da wäre. Seine Ankunft war zwar Frau Isabella äußerst verdrießlich, weil sie sich aber vor ihm fürchten mußte, so bat sie den Leonetto, sich so lange hinter den Bett-Vorhängen zu verstecken, bis Lambertuccio sich wieder entfernte. Leonetto, der sich eben so sehr vor ihm fürchtete wie die Dame, war froh, sich zu verstecken, worauf die Dame ihrem Mädchen befahl, den Herrn Lambertuccio einzulassen. Er stieg also im Hofe ab, band seinen Gaul an den Thorflügel und ging hinauf. Die Dame nahm eine vergnügte Miene an, empfing ihn oben an der Treppe mit so freundlichen Worten, als sie nur konnte, und fragte, was ihm beliebte.

Er umarmte und küßte sie, und sagte: »Ich hörte, daß Euer Gemahl nicht zu Hause wäre, meine Geliebte; darum bin ich gekommen, Euch ein wenig Gesellschaft zu leisten.« Mit diesen Worten gingen sie zusammen in die Kammer, verschlossen die Thüre und Messer' Lambertuccio ließ sich's wohl bei seiner Dame sein. Plötzlich aber und wider alle Vermutung kam ihr Gemahl zurück. Sobald ihn die Zofe in der Nähe des Schlosses erblickte, eilte sie nach der Kammer ihrer Frau und sagte: »Madonna, unser Herr ist zurückgekommen, und ich glaube, er ist schon unten im Hofe.«

Die Dame, welche zwei Liebhaber im Hause hatte, und wußte, daß sie den Ritter nicht verbergen konnte, weil sein Gaul im Hofe stand, empfand einen tödlichen Schreck über diese Nachricht. Sie sprang indessen geschwind auf, nahm auf der Stelle ihre Maßregeln und sagte zu Messer' Lambertuccio: »Messere! wenn Ihr einige Liebe für mich habt und mir das Leben retten wollt, so befolget genau, was ich Euch sage. Zieht Euren Dolch, gebt Euch eine aufgebrachte Miene, lauft eilends die Treppe hinunter und sprecht weiter nichts, als: »Beim Himmel, ich will ihn wohl anderswo zu finden wissen!« und wenn mein Gemahl Euch aufhalten, oder etwas fragen wollte, so antwortet ihm nichts, sondern schwingt Euch aufs Pferd und reitet unverweilt davon.«

Lambertuccio gehorchte, zog seinen Dolch, und da ihm die Ankunft des Ehemanns verdrießlich genug machte, und ihm auch noch aus anderen Ursachen das Blut in's Gesicht gestiegen sein mochte, so erfüllte er die Absicht der Dame nach ihrem Wunsche. Ihr Gemahl war schon abgestiegen und hatte sich verwundert, den Gaul im Hofe zu finden; und er war eben im Begriffe, die Treppe hinauf zu gehen, wie ihm Lambertuccio entgegen kam. Er war erstaunt über seine Worte und Miene und fragte: »Was soll das bedeuten, Herr Lambertuccio?« Aber Lambertuccio hatte schon den Fuß im Bügel, schwang sich auf und sagte, indem er davon sprengte, nichts weiter als: »Ich will ihn, bei Gott, wohl anderswo finden!«

Wie der Rittersmann hinaufkam, fand er seine Gemahlin fast atemlos vor Schrecken oben an der Treppe. »Was hat das zu bedeuten (sprach er), daß Lambertuccio solche wütende Drohungen ausstößt?«

Die Dame antwortete ihm, indem sie sich der Kammerthüre näherte, damit Leonetto ihre Worte hören könnte: »Ach mein Lieber! Ich war in meinem Leben noch nicht so erschrocken. Ein junger Mensch, den ich nicht kenne, und den Messer' Lambertuccio mit gezücktem Dolche verfolgte, hat sich eben hier in's Haus geflüchtet. Zufälligerweise fand er diese Kammerthüre offen und flehte mit bebender Stimme: »Madonna, steht mir um Gottes Willen bei, daß man mich nicht vor Euren Augen umbringt.« Ich stand auf und wollte ihn fragen, wer er wäre, und was ihm fehlte; da kam Herr Lambertuccio ihm auf dem Fuße nach und rief: »Wo bist Du, Nichtswürdiger?« Ich stellte mich ihm an der Kammerthüre entgegen und hielt ihn ab, daß er nicht hinein ginge; und er hatte doch noch so viel Rücksicht, wie er sah, daß ich ihn nicht einlassen wollte, daß er sich nach einigem Wortwechsel wieder entfernte, wie Du wohl gesehen hast.«

»Du hast wohl gethan, meine Liebe (sprach der Mann). Es wäre eine Schande für uns gewesen, wenn jemand in unserem Hause wäre erschlagen worden, und es war sehr unbescheiden von Lambertuccio, jemand zu verfolgen, der zu uns seine Zuflucht genommen hatte.«

Er fragte hierauf nach dem Jüngling, und sie antwortete: »Ich weiß nicht, wo er sich mag versteckt haben.«

»Wo bist Du? (rief der Ritter) Komm jetzt nur getrost hervor.«

Leonetto, der Alles gehört hatte, kam zitternd zum Vorschein; denn ihm war in der That Angst genug geworden. Der Ritter fragte ihn: »Was für Händel hast Du mit Lambertuccio gehabt?«

»Keine in der Welt, gestrenger Herr, (antwortete der Jüngling) Ich glaube vielmehr, er muß entweder nicht recht bei Sinnen, oder er muß mich für einen anderen gehalten haben. Denn so wie er mich hier nicht weit von Eurem Schlosse nur gewahr war, zog er gleich seinen Dolch und sagte: »Nichtswürdiger, Du bist des Todes!« Ich fragte nicht lange warum, sondern floh, so schnell ich konnte, hier herein, wo mir Gottes Gnade und diese edle Frau das Leben gerettet haben.«

»Sei nur nicht mehr bange (sprach der Schloßherr). Ich will Dich sicher und gesund nach Deinem Hause schaffen, und dann magst Du selbst Deine Sache weiter mit ihm ausmachen.«

Er behielt ihn hierauf bei sich zum Abendessen, ließ ihm ein Pferd satteln und begleitete ihn nach der Stadt und nach Hause. Hier ging der Jüngling, wie ihm die Dame empfohlen hatte, noch denselben Abend zu Lambertuccio und sagte ihm so viel, als er zu wissen nötig hatte, um dem Handel, von welchem noch viel gesprochen ward, einen solchen Anstrich zu geben, daß der Rittersmann nie etwas von dem Streiche erfuhr, den ihm seine Gemahlin gespielt hatte.

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