Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Achtundvierzigste Erzählung.

In der uralten Stadt Ravenna in Romagna waren vormals viele edle und angesehene Leute, unter welchen ein gewisser junger Edelmann, namens Nastagio Onesti, durch die großen Güter, die ihm sein Vater und Oheim nachgelassen hatten, ohne jeden Vergleich der reichste geworden war. Er verliebte sich in die Tochter des Messer' Paolo Traversaro, ein Mädchen von viel älterem Adel, als der seinige war, und hoffte, sie durch sein Betragen zu gewinnen; allein je mehr und je fleißiger er sich bemühte, ihr gefällig zu sein, um desto weniger konnte er bei ihr ausrichten; denn entweder machten sie ihre ausbündige Schönheit, oder ihr Adel, so stolz und hochfahrend, daß er und alles, was er schätzte, ihr zuwider war. Diese Verachtung ward dem Nastagio so schwer zu ertragen, daß er nach manchen vergeblichen Bitten und Klagen vor Schmerz fast in Versuchung geriet, sich das Leben zu nehmen; doch enthielt er sich noch und dachte oft daran, sie ganz zu meiden, und wenn es möglich wäre, sie ebenso sehr zu hassen, wie sie ihn haßte. Allein vergeblich war sein Vorsatz, und es schien vielmehr, daß seine Liebe zunahm, je mehr seine Hoffnung sich verminderte Da er nun weder in seiner Liebe, noch in seinem Aufwande Maß zu halten wußte, so fürchteten seine Freunde und Verwandten, daß er sein Leben und sein Vermögen zusetzen würde; daher sie ihn oftmals baten und ihm rieten, Ravenna zu verlassen und sich eine Zeitlang an einem andern Orte aufzuhalten, und sowohl mit seiner Liebe, als mit seinem Golde ein wenig sparsamer umzugehen.

Nastagio lachte im Anfang über ihren Rat; doch wie sie ihn oftmals ermahnten, konnte er endlich nicht länger widerstehen, sondern versprach ihnen zu folgen. Er ließ demnach große Anstalten machen, als wenn er nach Frankreich, Spanien oder einem andern fernen Lande ziehen wollte, stieg zu Pferde und ritt mit verschiedenen Freunden von Ravenna weg, und begab sich an einen Ort, ungefähr drei Meilen von Ravenna, Chiassi genannt, wo er Zelte und Hütten aufschlagen ließ und zu seinen Begleitern sagte, er wolle dort bleiben und sie möchten nur wieder nach Ravenna zurückgehen.

Wie Nastagio hier sein Lager aufgeschlagen hatte, fing er an, ebenso herrlich und köstlich zu leben, wie ehemals, und nach seiner vorigen Gewohnheit bald diese, bald jene Gäste des Mittags und Abends zu sich zu bitten. Einmal traf es sich an einem Freitage im Anfang des Maimonats, daß ihm seine grausame Schöne wieder einfiel, und um seinen Gedanken desto ungehinderter nachhängen zu können, befahl er allen den Seinigen, ihn allein und ungestört zu lassen. Der Tag war schön, und er wandelte Schritt vor Schritt und in seinen Gedanken vertieft bis in den Tannenwald. Es war schon lange nach Mittag, und er war schon eine halbe Meile in den Wald hinein geraten, ohne an Essen und Trinken, oder an andere Dinge zu denken, wie er plötzlich eine weibliche Stimme vernahm, die ein lautes Jammergeschrei erhob. Seine verliebte Schwärmerei ward dadurch unterbrochen; er sah sich um und wunderte sich nicht wenig, wie er sich mitten im Walde befand; allein er erstaunte vollends, wie ihm mitten durch die dichtesten Sträucher und Dornen ein wunderschönes Frauenzimmer nackend und mit losfliegendem Haar entgegen eilte, welches von den Dornen ganz zerfleischt war und mit Geschrei und Thränen um Gnade bat, indeß ein Paar fürchterlich große Hunde sie wüthend verfolgten und nach ihr schnappten, so oft sie sie einholten. Ein schwarzer Jäger auf einem Rappen folgte ihnen, der mit grimmigem Blicke seinen Dolch auf sie gezückt hatte und ihr unter den grausamsten Vorwürfen den Tod drohte. Sein Schrecken über diesen Anblick war so groß wie seine Verwunderung, und größer als beide war sein Mitleiden mit dem unglücklichen Mädchen, wodurch er sich bewogen fühlte, sie wo möglich aus dieser Noth und Todesgefahr zu erretten. Da er keine Waffen bei sich hatte, so brach er einen Ast von einem Baume und stellte sich damit zur Wehr gegen die Hunde und gegen den Reiter. Doch dieser rief ihm von ferne zu: »Nastagio, widerstehe mir nicht, sondern laß mich und meine Hunde mit diesem bösen Weibsbilde verfahren, wie sie es verdient hat.« Indem er dieses sprach, hatten die Hunde das Mädchen von beiden Seiten ergriffen und hielten es fest, und der Reiter sprang von seinem Rappen.

Nastagio ging zu ihm und sprach: »Ich weiß nicht, wer Du bist, der Du mich so gut zu kennen scheinst; aber das muß ich Dir sagen, daß es eine Schande ist, ein nacktes Frauenzimmer morden zu wollen und ihr die Hunde auf den Leib zu hetzen, als wenn sie ein wildes Thier wäre. Ich werde sie gewiß vertheidigen, so lange ich kann.«

»Nastagio! (versetzte der Reiter). Ich lebte einst in Deiner Vaterstadt und Du warst noch ein kleiner Knabe, wie ich, den man Messer' Guido Anastagi nannte, noch weit mehr in dieses Frauenzimmer verliebt war, als Du jetzt in die Traversara. Ihre Grausamkeit und Sprödigkeit machte mich so unglücklich, daß ich einst mit dem Dolche, den Du hier in meiner Hand siehst, mir aus Verzweiflung das Leben nahm, und dafür verdammt ward. Die Grausame freute sich meines Todes nicht lange, sondern sie folgte mir bald in's Grab und gerieth in gleiche Verdammniß, sowohl wegen ihrer Grausamkeit, als wegen der Freude welche sie an meiner Qual gehabt und welche sie nicht bereut hatte, weil sie nicht glaubte, unrecht, sondern verdienstlich gehandelt zu haben. Wie sie nun an den Ort der Verdammnis kam, ward ihr und mir die Strafe auferlegt, daß sie immer vor mir fliehen muß, und ich, der ich sie einst so zärtlich liebte, muß sie jetzt nicht als den Gegenstand meiner Liebe, sondern als meine Todfeindin verfolgen. So oft ich sie einhole, töte ich sie, die mich in's Grab gestürzt hat, mit diesem Dolche, öffne ihr die Seite, reiße ihr das harte kalte Herz, welches nie der Liebe und dem Mitleide zugänglich war, mit allem Eingeweide aus dem Leibe, und gebe es diesen Hunden zu fressen. Allein es währt nicht lange, so steht sie nach dem Ratschluß der Gerechtigkeit und Allmacht Gottes wieder auf, als wenn sie nicht tot gewesen wäre, fängt ihre traurige Flucht wieder an, und ich setze ihr mit meinen Hunden nach. Jeden Freitag um diese Stunde hole ich sie auf dieser Stelle ein, und zerfleische sie so, wie Du jetzt sehen wirst. Denke aber nur nicht, daß wir an anderen Tagen Ruhe haben; nein, ich verfolge sie dann an anderen Orten, wo sie mich mit ihren grausamen Gesinnungen und Handlungen gequält hat; und nachdem ich, wie Du siehst, aus ihrem Liebhaber ihr Feind geworden bin, so muß ich sie jetzt so viele Jahre verfolgen, als sie mich Monate hat schmachten lassen. Laß mich demnach das göttliche Urteil vollziehen, und widerstrebe nicht dem, das Du nicht hindern kannst.«

Nastagio verstummte vor Erstaunen. Jedes Haar an seinem Kopfe sträubte sich empor, indem er zurücktrat, und voll Entsetzen erwartete, was der Reiter vornehmen würde. Wie dieser ausgeredet hatte, fiel er mit seinem Dolche wie ein wütender Hund über das Mädchen her, welches von den beiden Rüden festgehalten ward und ihn knieend um Gnade bat, und bohrte ihr den Dolch aus allen Kräften mitten durch die Brust, bis in die Schultern. Sie stürzte nieder auf ihr Angesicht und schrie noch immer, indem der Reiter mit einem Weidmesser ihr die Seite öffnete, ihr das Herz und die Eingeweide herausriß und diese den Hunden zu fressen gab, welche sie heißhungrig verschlangen. Es dauerte nicht lange, so sprang das Mädchen wieder auf, als wenn nichts geschehen wäre und floh nach der Seeküste; die Hunde verfolgten sie wieder mit ihren Bissen, und der Jäger schwang sich auf sein Roß und jagte ihr nach mit seinem Dolche, bis Nastagio sie nach einer kleinen Stunde aus dem Gesichte verlor.

Dieser blieb, nachdem er das schreckliche Schauspiel angesehen hatte, noch eine geraume Zeit voll Schrecken und Mitleid stehen; doch bald darauf fiel es ihm ein, daß es ihm vielleicht sehr nützlich werden könnte, da es alle Freitage wiederholt würde. Er merkte sich demnach die Stelle, kehrte zu den Seinigen zurück und ließ bei der ersten Gelegenheit seine Freunde und Verwandten zu sich berufen. »Ihr habt mir (sprach er) lange Zeit angelegen, daß ich der Liebe zu meiner Spröden entsagen, und daß ich aufhören soll, das Meinige zu verschwenden. Ich will Euch gehorchen, wenn Ihr mir zu Gefallen noch eine Sache in die Wege richten könnt, nämlich, daß Herr Paola Traversaro mit seiner Frau und Tochter und mit allen Frauenzimmern von ihrer Verwandtschaft, nebst solchen anderweitigen Gästen, die Euch selbst beliebig sind, am künftigen Freitag zu mir kommen, und mit mir hier zu Mittag essen. Warum ich dieses wünsche, das sollt ihr alsdann sehen.«

Die Sache schien ihnen keine große Schwierigkeiten zu haben, und wie sie nach Ravenna kamen, versäumten sie nicht, diejenigen Gäste einzuladen, welche Nastagio verlangt hatte, und obwohl die spröde Schöne schwer zu erbitten war, so ließ sie sich doch endlich bewegen mitzukommen.

Nastagio ließ ein herrliches Gastmahl bereiten und die Tafel in dem Tannenwalde an demselben Orte decken, wo er die Marter des anderen spröden Mädchens angesehen hatte. Wie nun die Damen und Herren sich zu Tische setzten, gab er seiner Geliebten einen solchen Platz, daß ihr Gesicht gerade nach der Gegend gewandt war, wo das Trauerspiel vor sich gehen sollte. Indem das letzte Gericht aufgetragen ward, ließ sich das Jammergeschrei des gejagten Mädchens hören, worüber die ganze Gesellschaft, Weiber und Männer, ganz erstaunt waren, und weil niemand wußte, was es zu bedeuten hätte, so standen sie sämtlich auf und wurden alsobald die gemarterte Schöne und den Jäger gewahr, welche in wenigen Minuten sich mitten unter ihnen befanden. Alle drängten sich dem Jäger und den Hunden mit Getümmel entgegen, und viele gaben sich Mühe, dem geängsteten Mädchen zu Hülfe zu kommen; allein der Reiter mahnte sie mit denselben Worten ab, die er zu Nastagio gesprochen hatte, so daß sie nicht nur zurückwichen, sondern auch vor Schrecken und Verwunderung staunten, und wie er das Mädchen abermals so wie vorhin behandelte, blieb kein Frauenzimmer in der Gesellschaft, welches es nicht mit eben so heißen Thränen beklagte, als wenn das Unglück sie selbst betroffen hätte; denn es befanden sich nicht wenige gegenwärtig, mit denen das unglückliche Mädchen und sein grausamer Jäger verwandt gewesen waren, und die sich seiner Liebe und seines unzeitigen Todes noch sehr wohl erinnerten. Wie nun das schreckliche Trauerspiel vorbei, und das Mädchen und sein Verfolger verschwunden waren, entstanden darüber zwischen denen, welche den Vorgang mit angesehen hatten, viele und mancherlei Gespräche; doch niemand war dadurch mehr in Schrecken gesetzt worden, als die grausame Geliebte des Nastagio.

Da sie Alles von Anfang bis zu Ende gesehen und gehört hatte, und sich bewußt war, daß die Sache niemand näher anginge, als sie selbst, indem sie ihre bisherige Grausamkeit gegen Nastagio in Erwägung zog, so glaubte sie schon vor ihrem verschmähten und ergrimmten Liebhaber auf der Flucht zu sein und die Saurüden an den Fersen zu haben, und sie geriet darüber so in Angst, daß sie, um dem Unglück zuvor zu kommen, die Zeit nicht abwarten konnte, den Nastagio durch eine vertraute Zofe wissen zu lassen, daß ihre Abneigung sich in Liebe verwandelt hätte, und daß sie ihn bitten ließe, zu ihr zu kommen, indem sie bereit wäre, ihm die Erfüllung aller seiner Wünsche zu gewähren.

Nastagio ließ ihr antworten, daß ihm dieses große Freude machte, und er wünschte nichts sehnlicher, als daß es ihr gefallen möchte, ihm die Hand als ihren Gemahl zu geben. Die Schöne, welche wohl wußte, daß außer ihr kein Mädchen in Ravenna sich einen Augenblick bedenken würde, die Gattin des Nastagio zu werden, ließ ihn wissen, daß sie nichts dawider hätte, und sie war nunmehr selbst die erste, die seinen Antrag ihren Eltern hinterbrachte und ihnen sagte, daß sie bereit wäre, ihn anzunehmen. Den Eltern war dieses sehr willkommen; am folgenden Sonntage ließ sich Nastagio mit ihr trauen, feierte seine Hochzeit und lebte hernach lange Jahre mit ihr in einer vergnügten Ehe.

Dies war jedoch nicht die einzige glückliche Folge dieser Begebenheit; sondern die Furcht wirkte so stark auf alle hübschen Mädchen in Ravenna, daß sie von dem Tage an weit nachgiebiger gegen die Männer wurden, als sie sonst gewesen waren.

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