Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Einunddreißigste Erzählung.

Tancred, Fürst von Salerno, würde den Ruhm eines sehr leutseligen und gütigen Herrn hinterlassen haben, wenn er nicht in seinem Alter seine Hände mit dem Blute der Liebe befleckt hätte. Ihm ward in seinem Leben nur eine einzige Tochter geboren und es wäre für ihn und sie ein Glück gewesen, wenn er auch diese nicht gehabt hätte. Er liebte sie mehr, als jemals ein Vater sein Kind geliebt hat; aber eben deswegen behielt er sie länger unvermählt bei sich, als ihre Jahre es erfordert hätten, und zwar bloß deswegen, weil er vor Liebe sich nicht entschließen konnte, sie von sich zu lassen.

Wie er sie endlich an einen Sohn des Herzogs von Capua verheiratete, ward sie bald darauf wieder Witwe und kehrte zu ihrem Vater zurück. Sie war so schön von Gestalt und von Angesicht, wie ein Frauenzimmer nur sein kann und dabei jung und munter und mit so vielem Verstande begabt, als ein Weib nur besitzen kann. Da sie nun bei einem liebreichen Vater in allen Wollüsten eines glänzenden Hofes lebte und da sie fand, daß ihr Vater aus übergroßer Liebe zu ihr nicht daran dachte, sie wieder zu vermählen und sie selbst es nicht für schicklich hielt, ihn daran zu erinnern, so kam sie auf den Einfall, wenn es möglich wäre, sich insgeheim einen würdigen Liebhaber anzuschaffen. Indem sie nun alle, die den Hof ihres Vaters besuchten, Edelleute und andere von geringerem Stande durchmusterte, fiel ihre Wahl auf einen Jüngling, welcher ihrem Vater diente, namens Guiscardo, der zwar nicht von adeliger Geburt, aber desto adeliger an Sitten und Vollkommenheiten war, und weil sie oft Gelegenheit hatte, ihn zu sehen, so ward sie immer mehr und mehr in sein Betragen verliebt. Der junge Mann, dem es nicht an Scharfsichtigkeit fehlte, ward ihre Neigung zu ihm bald gewahr und diese machte einen solchen Eindruck auf sein Herz, daß ihn ebenfalls die Liebe gänzlich beherrschte. Wie sie nun beide einander heimlich liebten und die Prinzessin nichts sehnlicher wünschte als eine Zusammenkunft mit Guiscardo zu veranstalten und ihre Leidenschaft dennoch keiner fremden Person anvertrauen mochte, so ersann sie eine ganz neue List, um ihm anzuzeigen, wie er am bequemsten zu ihr gelangen könnte. Sie schrieb nämlich ein Zettelchen; in welchem sie ihm Nachricht gab, wie und wo er sie am folgenden Tage sprechen könnte. Dieses verbarg sie in einem hohlen Rohr, welches sie ihm scherzend gab und dabei sagte: »Gieb das Deiner Magd heute Abend zum Blasebalg, um das Feuer damit anzufachen.«

Guiscardo nahm das Rohr und konnte sich wohl vorstellen, daß sie es ihm nicht ohne geheime Absicht gegeben hätte; er nahm es deswegen mit sich nach Hause und wie er es genau betrachtete, entdeckte er bald die Öffnung, welche den Brief der Prinzessin enthielt, der ihm anzeigte, wie er zu ihr kommen könnte, worüber er sich sehr freute und unvorzüglich Anstalten dazu machte. Es war nämlich neben dem Palaste des Fürsten schon vor uralten Zeiten eine Höhle in den Felsen gehauen, in welche ein wenig Licht von oben hereinfiel, welches man mit Gewalt durch den Felsen gesprengt hatte, welches aber, weil die Höhle mit der Zeit gänzlich in Vergessenheit geriet, ganz mit Dornen und Gebüschen überwachsen war. Eine geheime Treppe führte aus einem Zimmer im untersten Geschosse des Palastes, welches die Prinzessin bewohnte, nach dieser Höhle, doch war der Ausgang dahin durch eine starke Thür verschlossen. Da man sich nun seit undenklichen Zeiten dieser Treppe gar nicht bedient hatte, so war sie einem jeden so sehr aus dem Gedächtnis gekommen, daß sich fast niemand mehr daran erinnert. Allein die Liebe, vor deren Augen die geheimsten Dinge nicht verborgen sind, hatte der verliebten Prinzessin diese Thür gezeigt; doch kostete es ihr einige Tage Mühe und Anstrengung, sie zu öffnen, worauf sie allein in die Höhle hinabstieg und das Luftloch oben in der Höhle gewahr ward. Durch dieses Loch hatte sie dem Guiscardo empfohlen, sich, wenn es möglich wäre, in die Höhle hinabzulassen, und ihm die ungefähre Tiefe derselben angezeigt. Guiscardo versorgte sich demnach unverzüglich mit einer Strickleiter, um bequem hinab- und heraufsteigen zu können, und mit einem ledernen Kittel, um sich gegen die Dornen und Hecken zu schützen, und verfügte sich am nächsten Abend nach dem Loche, an dessen Mündung er seine Leiter an einem starken Hagedorn befestigte und sich in die Höhle hinabließ, wo er die Ankunft der Prinzessin abwartete. Diese schickte am folgenden Nachmittage ihre Kammerjungfrau weg, als ob sie schlafen gehen wollte, verschloß ihr Zimmer und eilte die geheime Treppe hinunter ihrem Geliebten entgegen, mit welchem sie in ihre Kammer zurück kam und einen großen Teil des übrigen Tages mit ihm zubrachte. Nachdem sie alles mit einander verabredet hatten, wie sie mit Vorsichtigkeit ihre verliebten Zusammenkünfte fortsetzen wollten, kehrte Guiscardo nach der Höhle zurück; die Prinzessin verschloß die geheime Thür und kam wieder heraus zu ihren Hofdamen. Guiscardo wartete in der Höhle bis es Abend ward, worauf er wieder herausstieg und nach Hause ging. Auf diesem Wege pflegte er hernach die Prinzessin oft zu besuchen; doch endlich beneidete ihnen das Glück ihre öfteren und großen Freuden und verwandelte durch einen unglücklichen Zufall den Genuß der Liebenden in die bittersten Thränen.

Tancred pflegte bisweilen ganz allein zu seiner Tochter zu kommen, sich dann mit ihr in ihren Zimmern eine Zeit lang zu unterreden und wieder heimzukehren. So kam er auch einst kurz nach Mittag, indem Sigismunda (so hieß die Prinzessin) eben mit ihren Frauenzimmern ein wenig in den Garten gegangen war, in ihr Zimmer, ohne daß ihn jemand gewahr ward. Er wollte seine Tochter nicht stören und da er die Fensterladen verschlossen und die Vorhänge am Bette niedergelassen fand, so setzte er sich in einer Ecke auf ein Kissen, lehnte den Kopf an die Bettstelle und wickelte sich in den Vorhang, als wenn er sich vorsätzlich hätte verbergen wollen und schlief ein. Unglücklicherweise hatte Sigismunda an eben dem Tage ihren Guiscard bestellt; sie verließ demnach ihre Frauenzimmer im Garten, schlich in ihr Zimmer und schloß sich ein; öffnete darauf ihrem Geliebten die geheime Thüre und überließ sich mit ihm, wie gewöhnlich, den Freuden der Liebe. Unterdessen erwachte Tancred und sah und hörte alles, was vorging; worüber er sich heftig entrüstete und anfänglich seinen Zorn auf der Stelle an den Verliebten auslassen wollte. Doch bedachte er sich wieder und beschloß zu schweigen und womöglich unbemerkt wieder wegzugehen, damit er desto stiller und vorsichtiger seinen Vorsatz ausführen könnte. Die beiden Verliebten blieben ihrer Gewohnheit nach lange beisammen, ohne den Tancred gewahr zu werden, und wie endlich die Prinzessin ihren Guiscard wieder nach seiner Höhle begleitete, nahm Tancred ihre Abwesenheit wahr und schlüpfte, trotz seinem Alter, behende aus dem Fenster in den Garten und kam unbemerkt, jedoch mit einem Herzen voll Zorn und Gram, nach seinem Zimmer zurück. Wie Guiscardo bei anbrechender Nacht wieder aus der Höhle steigen wollte, ward er in seinem ledernen Kittel von zwei Leuten, welche Tancred bestellt hatte, aufgehoben und heimlich zu ihm gebracht. Fast mit Thränen sprach er zu ihm: »Guiscardo, meine Güte gegen Dich verdiente nicht mit solcher Schmach und Schande belohnt zu werden, die Du mir angethan hast, wie ich heute mit meinen eigenen Augen gesehen habe.«

Guiscardo antwortete ihm nichts weiter, als: »Die Liebe ist mächtiger, als Du und ich.«

Tancred befahl darauf, ihn heimlich in einem Zimmer des Palastes zu bewachen. Am folgenden Tage, ehe noch Sigismunda von allen diesen Begebenheiten das Geringste ahnte, ging Tancred, der schon allerlei Entwürfe gemacht hatte, nach der Mittagstafel auf die gewöhnliche Weise nach dem Zimmer seiner Tochter, ließ sie rufen und verschloß sich mit ihr; dann sprach er mit Thränen in den Augen: »Sigismunda, da ich meinte, daß ich mich auf Deine Züchtigkeit und Tugend verlassen könnte, so hätte ich nimmermehr geglaubt, wenn man es mir auch gesagt hätte, daß Du Dich zu einem geheimen Umgange mit einem Manne, der nicht Dein Gemahl wäre, verstehen, oder auch nur an dergleichen denken könntest; und dennoch haben meine Augen dieses sehen müssen, und es wird mir während der wenigen Lebenstage, die mir mein Alter noch übrig läßt, ein Dorn im Herzen sein. Doch wollte Gott, da Du Dich zu einem unziemlichen Schritte verleiten ließest, daß es wenigstens mit einem Manne geschehen wäre, dessen Stand Dir keine Schande machte; aber unter so vielen, die sich an meinem Hofe befinden, hast Du gerade den Guiscardo gewählt, einen Menschen von der niedrigsten Herkunft, den ich an meinem Hofe vom Knabenalter an bis auf den heutigen Tag fast um Gottes willen habe erziehen lassen, und hast mir damit das Herz so empfindlich zerrissen, daß ich nicht weiß, was ich mit Dir thun soll. Wie ich es mit Guiscard halten will, den ich diese Nacht aufheben ließ, wie er eben aus der Höhle kam, darüber ist mein Entschluß schon gefaßt; aber Gott weiß, was ich noch mit Dir beginnen werde. An der einen Seite spricht die Liebe für Dich, die ich stets als ein zärtlicher Vater zu Dir gehegt habe; an der andern reizt mich der gerechteste Zorn über Deine Thorheit. Jene will, daß ich Dir verzeihen soll; dieser gebietet mir, wider meine Natur grausam gegen Dich zu verfahren. Aber ehe ich mich entschließe, will ich hören, was Du selbst für Dich zu sagen hast.«

Damit senkte er seinen Blick zur Erde und weinte wie ein Kind, das eine schwere Züchtigung bekommen hat. Sigismunda, die an der Rede ihres Vaters wohl merkte, daß ihr geheimes Liebesverständnis nicht nur entdeckt, sondern daß auch Guiscard gefangen war, empfand darüber den heftigsten Schmerz, und war nahe daran, ihn durch Thränen und Geschrei laut werden zu lassen, wie die meisten ihres Geschlechtes thun; doch ihr stolzer Sinn besiegte diese Kleinmütigkeit, sie nahm mit bewundernswürdiger Stärke eine ruhige Miene an und war entschlossen, lieber zu sterben, als ein Wort zu sagen, um Gnade für sich zu erbitten, weil sie gewiß glaubte, daß ihr Guiscard schon tot wäre. Sie sprach also nicht in dem Tone eines betrübten und ihres Fehlers überwiesenen Frauenzimmers, sondern mit unbefangenem Blicke, mit trockenem Auge und ohne das geringste Merkmal von Unruhe zu ihrem Vater: »Tancred, ich mag weder leugnen, noch bitten, weil das eine mir nichts helfen kann, und weil ich mir durch das andere nicht helfen mag; ja noch mehr, ich verlange auf keine Weise. Dich zur Langmut und Liebe für mich zu bewegen; sondern indem ich die reine Wahrheit bekenne, will ich zuerst meine Ehre mit gerechten Gründen verteidigen, und dann sollen meine Handlungen von der Festigkeit meiner Gesinnungen zeugen. Es ist wahr, daß Guiscardo mir teuer gewesen und es noch jetzt ist; daß ich ihn lieben werde, so lange ich lebe (welches nicht lange mehr sein wird), und daß ich, wofern man nach diesem Leben noch lieben kann, auch dann nicht aufhören werde, ihn zu lieben. Zu dieser Liebe führte mich aber nicht so sehr weibliche Schwachheit, als vielmehr Deine eigene Saumseligkeit, mich wieder zu vermählen. Da Du selbst Fleisch und Blut hast, Tancred, so hättest Du bedenken sollen, daß Deine Tochter weder von Stein noch von Eisen sein könne, und wiewohl Du jetzt alt bist, so hättest Du doch nicht vergessen sollen, wie mannigfaltig und wie mächtig die Triebe der Natur auf einen jugendlichen Körper wirken; und obwohl Du, als ein Mann, einen Teil Deiner besten Jahre unter den Waffen zugebracht hast, so mußtest Du nichtsdestoweniger wissen, was Müßiggang und Wohlleben selbst über alte Leute, wie viel mehr denn auf ein junges Blut vermögen. Ich bin, nicht weniger als Du, von Fleisch und Blut, und bin noch in der besten Blüte meiner Jahre, und bin sogleich aus der einen, so wie aus der anderen Ursache, den Leidenschaften ausgesetzt; und da ich überdies schon einmal verheiratet gewesen war, so empfand ich um desto stärker das Bedürfnis, diese Leidenschaften zu befriedigen. Da ich als ein junges Weib nicht Kraft genug hatte, ihren Reizungen zu widerstehen, so gab ich ihnen nach und verliebte mich. Aber wahrlich, mein ganzes Bestreben ging dahin, weder Dir noch mir Schande zu machen, indem ich meinen natürlichen Trieben folgte. Die mitleidsvolle Liebe und mein gutes Geschick hatten auch solche verborgene Wege für mich ausfindig gemacht und sie mir gezeigt, daß ich meine Wünsche befriedigen konnte, ohne daß ein Mensch etwas davon merkte. Dies leugne ich nicht; Du magst es erfahren, oder ausfindig gemacht haben, wie Du wollest. Den Guiscardo nahm ich nicht auf's blinde Glück, wie manche wohl thun, sondern ich wählte ihn nach reifer Überlegung vor allen anderen; ich wußte ihn durch vorsichtige Maßregeln an mich zu ziehen und ich habe mich mit Klugheit und Beständigkeit eine lange Zeit des Genusses der Liebe mit ihm erfreut, und mich deucht (meine zärtliche Schwachheit abgerechnet), Du handelst mehr dem gewöhnlichen Vorurteil, als der Gerechtigkeit gemäß, wenn Du mir so harte Vorwürfe deswegen machst, daß ich mich einem Menschen von geringerer Abkunft ergeben habe; als würdest Du Dich weniger ereifert haben, wenn ich mir einen edleren Mann ausersehen hätte. Du wirst nicht gewahr, daß Du auf diese Weise nicht meinem Fehler, sondern dem Schicksal die Schuld zur Last legst, welches oft den Unwürdigen erhebt und den Würdigsten in der Niedrigkeit läßt. Laß uns aber dieses beiseite setzen und auf den Ursprung aller Dinge zurückgehen, so wirst Du finden, daß wir alle aus einerlei Stoff gebildet sind, und daß unsere Seelen ursprünglich mit gleichen Kräften, mit gleichen Fähigkeiten und mit gleichen Tugenden begabt, aus der Hand des Schöpfers kamen. In der Folge war es die Tugend, die uns zuerst adelte; denn wir wurden und werden noch jetzt alle gleich geboren; wer die meisten Tugenden besaß, ward ehemals adelig genannt, und die Übrigen waren es nicht; und wiewohl der Mißbrauch dieses erste Grundgesetz aus der Übung gebracht hat, so ist es darum nicht aufgehoben, und es ist weder der Natur, noch den guten Sitten zuwider. Wer demnach tugendhaft lebt und handelt, der legt seinen Adel an den Tag, und wenn man ihn nicht adelig nennt, so liegt der Fehler nicht an dem, der nicht adelig heißt, sondern an denen, die ihm nicht den Namen beilegen, den er verdient. Sieh Dich nur selbst um unter allen Deinen Edelleuten; prüfe ihre Tugenden, ihre Sitten und ihre Bildung und vergleiche sie mit Guiscard, so wirst Du, wofern Du ohne Leidenschaft urteilen willst, in ihm den Edelmann erkennen, und die anderen alle für gemeine Menschen erklären. Ueber Guiscard's Verdienste und Tugenden hat mich niemand besser urteilen gelehrt, als Deine eigenen Worte und meine Augen. Wer hat ihn jemals mehr gerühmt, als Du selbst, in allem, was einem Biedermann löblich und anständig sein kann? und wahrlich nicht mit Unrecht! Wofern mich meine Augen nicht betrogen, so hast Du ihm nie einen Lobspruch beigelegt, den er nicht durch seine Handlungen verdiente, und zwar noch reichlicher, als Du ihn mit Worten ausdrücken konntest; wenn ich mich also jemals in diesem Stücke betrogen hätte, so hättest Du selbst diesen Irrtum veranlaßt. Wolltest Du demnach sagen, ich hätte mich einem niedrigen Menschen in die Arme geworfen, so würdest Du nicht die Wahrheit reden. Wenn Du ihn aber damit vielleicht einen armen Mann nennen wolltest, so könnte man Dir Recht geben, zu Deiner eigenen Schande, daß Du einen so trefflichen Diener nicht in bessere Umstände zu versetzen wußtest. Doch die Armut kann niemand an seinem Adel schänden; wohl aber der Reichtum. Es hat manchen König und manchen großen Fürsten gegeben, der arm war, und manchen Pflugtreiber und Viehhirten, der Reichtum im Ueberfluß besaß; und dergleichen gibt es noch. Die Unschlüssigkeit, die Du zuletzt geäußert hast, was Du mit mir anfangen sollst, kannst Du nur völlig fahren lassen. Bist Du willens, in Deinem hohen Alter zu thun, was Du in Deinen jüngeren Jahren nie gethan hast, und eine Grausamkeit zu begehen, so begehe sie an mir; denn da ich selbst die erste Veranlassung zu diesem Fehltritte gegeben habe (wenn es ein Fehltritt ist), so bin ich auch nicht willens, um Gnade zu bitten, und wenn Du mir nicht dasselbe thust, was Du dem Guiscardo gethan hast, oder noch thun willst, so sollen meine eigenen Hände Dir helfen. Geh' also und weine bei den Weibern, und wenn Du meinst, daß wir Deine Grausamkeit verdient haben, so töte uns beide mit einem Streiche.«

Der Fürst war ganz erstaunt über die hochherzige Rede seiner Tochter; doch traute er ihr nicht die Entschlossenheit zu, ihre Worte in Erfüllung zu bringen. Wie er demnach von ihr ging, ließ er zwar den Gedanken fahren, an ihrer eigenen Person eine Grausamkeit zu begehen, doch nahm er sich vor, auf Kosten eines andern ihre feurige Liebe abzukühlen, und befahl den beiden Wächtern, die den Guiscardo bewachten, ihn im Schlaf zu erdrosseln und ihm das Herz desselben zu bringen. Sein Befehl ward vollzogen, und am folgenden Tage ließ sich der Fürst einen großen köstlichen Becher geben, in welchen er das Herz des Guiscardo that, worauf er ihn durch einen vertrauten Kammerdiener an seine Tochter sandte, mit dem Befehl, ihr dabei zu sagen: Dein Vater schickt Dir dieses, um Dich über den Verlust desjenigen zu trösten, was Dir am liebsten war, so wie Du ihn über dasjenige getröstet hast, was er am meisten liebte.

Sigismunda, die ihren schauervollsten Vorsatz nicht fahren ließ, hatte sich inzwischen, sobald ihr Vater weggegangen war, giftige Kräuter und Wurzeln bringen lassen, aus welchen sie ein Wasser abzog, um es auf denjenigen Fall in Bereitschaft zu halten, welchen sie befürchtete. Wie nun der Diener des Fürsten ihr das Geschenk ihres Vaters überbrachte, und ihr seine Worte sagte, empfing sie mit standhafter Miene den Becher, nahm den Deckel ab, und wie sie das Herz erblickte und die Worte erwog, zweifelte sie nicht, daß es gewiß das Herz ihres Guiscardo wäre. Sie blickte zu dem Diener auf und sagte: »Gewiß kein geringeres als ein goldenes Totengefäß schickte sich für ein solches Herz, wie dieses, und mein Vater hat dies sehr wohl überlegt.« Sie küßte das Herz, indem sie dieses sagte und fuhr fort: »Er hat mir jederzeit, und bis an das Ende meines Lebens immer viel zärtliche Liebe bewiesen; doch in diesem Augenblicke mehr als jemals, und deswegen sollst Du ihm auch von mir den letzten Dank überbringen, den ich ihm für dies große Geschenk schuldig bin.«

Sie blickte jetzt wieder nach dem Kelche, den sie fest umfaßte, sah das Herz an und rief: »O Du köstlicher Schrein aller meiner Wonne! Wehe über die Grausamkeit dessen, der Dich so meinen leiblichen Augen darstellt! mir genügte ja, Dich zu jeder Stunde mit dem Auge des Gemüts zu betrachten. Du hast Deinen Lauf vollendet, und Deine Laufbahn so, wie es das Schicksal Dir bestimmte, verlassen. Du hast das Ziel erreicht, nach welchem ein jeder läuft. Du bist dem Elend und der Mühseligkeit dieser Welt entgangen und Dein Feind selbst hat Dir ein solches Grab bereitet, wie Du es verdientest. Nichts fehlte noch, um Deine Totenfeier vollkommen zu machen, als die Thränen derjenigen, die Du in Deinem Leben so zärtlich liebtest; doch damit auch diese Dir fließen möchten, so gab der Himmel meinem Vater ein, daß er Dich mir sandte, und ich will sie Dir nicht vorenthalten, obwohl ich mir vorgenommen hatte, mit heiterem und unbewölktem Blick in den Tod zu gehen; doch sobald ich sie Dir gewidmet habe, so soll meine Seele, durch Dich gestärkt sich ungesäumt mit derjenigen wieder vereinigen, welcher sie immer so teuer war. An wessen Hand könnte ich auch froher und sicherer in jene unbekannten Räume wallen, als an der ihrigen? Ich bin gewiß, daß sie mich hier umschwebt, hier noch die Stätte ihrer und meiner vergangenen Wonne betrachtet und voll Sehnsucht die meinige erwartet, welche sie so unaussprechlich liebte.«

Indem sie diese Worte sprach, entstürzten die Thränen ihren Augen in solcher Menge, als ob sie zu Quellen würden. Ohne ein weibisches Klagegeschrei dabei zu erheben, beugte sie sich über den Kelch hin und bedeckte das entseelte Herz mit tausend zärtlichen Küssen. Die Frauenzimmer, welche um sie waren, konnten nicht begreifen, was es mit dem Herzen für eine Bewandtnis hätte, und was ihre Worte bedeuteten. Doch von Mitleiden gerührt, weinten sie alle mit ihr, und fragten sie teilnehmend nach der Ursache ihrer Klage, indes sie sich auf alle mögliche Weise bestrebten, sie zu trösten; aber vergebens. Nachdem sie Thränen genug vergossen hatte, erhob sie ihr Haupt wieder und trocknete ihre Augen und sagte: »O Du geliebtes Herz! Jetzt habe ich Dir meinen letzten Dienst erwiesen, und es bleibt mir nichts mehr übrig, als in die Gesellschaft des Deinigen zu eilen.« Sie ließ sich darauf das Fläschchen mit dem Wasser reichen, welches sie am vorigen Tage bereitet hatte, goß es in den Becher auf das Herz, das sie mit ihren Thränen gebadet hatte, und trank es beherzt bis auf den letzten Tropfen aus. Darauf bestieg sie ihr Bett, mit dem Becher in der Hand; legte sich in der züchtigsten Stellung nieder, drückte das Herz ihres entseelten Geliebten an das ihrige und erwartete stillschweigend ihr Ende. Ihre Frauenzimmer, in deren Gegenwart dies alles geschah, und welche nicht wußten, was für Bewandtnis es mit dem Wasser haben möchte, eilten, dem Fürsten von allem Nachricht geben zu lassen, was vorgefallen wäre. Eiligst und voll Ahnung kam dieser nach der Kammer der Prinzessin in dem Augenblicke, da sie sich auf ihr Bett gelegt hatte. Zu spät suchte er nun, da er sie in diesem Zustande fand, sie mit tröstenden Worten aufzurichten. Sie gab ihm zur Antwort: »Tancred! spare Deine Thränen für eine weniger gewünschte Veranlassung und widme sie nicht mir, denn ich begehre sie nicht. Wo hat man wohl jemand, außer Dir, weinen gesehen über das, was er selbst gewollt hat? Glimmt aber in Deinem Herzen noch ein Funken von Deiner vorigen Liebe zu mir, so gewähre mir nur noch eine Bitte als meine letzte, und da Du nicht gewollt hast, daß ich mit Guiscardo in der Stille leben sollte, so laß nunmehr meinen Leichnam an demselben Orte öffentlich begraben, wohin Du ihn im Tode hast legen lassen.«

Tancred konnte vor Schmerz und Thränen nicht antworten. Da nun die Prinzessin die kalte Hand des Todes schon fühlte, so drückte sie nochmals das geliebte Herz an ihren Busen: »Seid Gott empfohlen! (sprach sie mit schwacher Stimme), ich scheide von Euch!« – Ihre Augen erloschen; ihre Sinne verließen sie, und sie schied aus diesem Leben der Trübsal.

So unglücklich endigte die Liebe Guiscardo's und Sigismunda's. Tancred beweinte sie lange; und zu spät bereute er seine Hartherzigkeit. Er baute ihnen beiden ein gemeinschaftliches Grabmal und ganz Salerno trauerte um sie.

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