Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Zweiundzwanzigste Erzählung.

Agilulf, König der Langobarden, befestigte seinen Thron, so wie seine Vorgänger in Pavia gethan hatten, durch seine Vermählung mit Teudelinden, der Witwe des lombardischen Königs Vetarich, einer schönen, weisen und sehr keuschen Frau, welcher bei dem Allen die Liebe einst einen hämischen Streich spielte. Wie nämlich Agilulf durch seine Klugheit und Tapferkeit die Ruhe und Sicherheit des lombardischen Reiches ziemlich befestigt hatte, begab es sich, daß ein Stallknecht der Königin, ein Mensch von niedriger Geburt, welchen aber sein Herz über seinen Stand erhob, und welcher dabei so schön und ansehnlich von Person war, wie der König selbst, sich über alle Maßen in sie verliebte; weil ihn aber sein niedriger Stand nicht verhinderte, einzusehen, wie unzulässig seine Liebe war, so ließ er sich nicht nur gegen andere nichts davon merken, sondern er hütete sich auch, die Königin selbst nur durch seine Blicke etwas davon erraten zu lassen. Wiewohl er nun keine Hoffnung hatte, sie jemals zu gewinnen, so war er doch stolz darauf, sich einen so erhabenen Gegenstand seiner Liebe gewählt zu haben, und da ihn seine Liebe ganz entzündet hatte, so bemühte er sich, es seinen Kameraden in Allem zuvor zu thun, wovon er glaubte, daß es der Königin gefallen könnte. Daher pflegte sie auch am liebsten das Pferd zu reiten, welches er gewartet und aufgezäumt hatte, und wenn dieses geschah, so pflegte er sich es zur ungemeinen Gnade zu rechnen, und nie versäumte er dann, ihr den Steigbügel zu halten, und fühlte sich glücklich, wenn er nur den Saum des Kleides berühren konnte. Aber so wie wir oft sehen, daß die Liebe zunimmt, je mehr die Hoffnung verschwindet, so ging es auch diesem Stallknecht, welchem das heimliche Feuer seiner Liebe, welches keine Hoffnung linderte, unerträglich ward, und weil er sich von seiner Liebe nicht losmachen konnte, so beschloß er endlich zu sterben. Indem er über die Todesart nachdachte, die er sich wählen wollte, wünschte er dabei zugleich die große Liebe an den Tag zu legen, die er für die Königin empfunden hatte und noch empfände; er wollte nämlich einen kühnen Versuch wagen, vorher den Endzweck seiner Liebe ganz, oder zum Teil bei ihr zu erreichen. Es fiel ihm jedoch nicht ein, der Königin ein Wort zu sagen, oder ihr durch Briefe seine Liebe zu entdecken: weil er wohl wußte, daß er nur umsonst reden, oder schreiben würde; sondern er wollte versuchen, ihr durch List eine Gunstbezeigung zu rauben. Dies war auf keine andere Weise möglich, als wenn er es wagte, die Person des Königs vorzustellen, von dem er wußte, daß er nicht immer in der Kammer der Königin schlief, und sich unter dieser Maske den Zutritt zu verschaffen.

Damit er nun erführe, auf welche Art und in welcher Kleidung der König sich zu seiner Gemahlin begäbe, so verbarg er sich einige Male des Nachts in einem großen Saale des königlichen Palastes, welcher zwischen den Zimmern des Königs und der Königin lag. Hier sah er einst den König in einem weißen Gewande, mit einem brennenden Kerzchen in der einen Hand, und mit einem kleinen Stabe in der andern aus seinem Zimmer kommen, und nach der Kammer der Königin gehen, wo er mit dem Stäbchen zweimal an die Thür klopfte, worauf ihm sogleich aufgethan ward. Wie er dieses gesehen und auch bemerkt hatte, wie der König wieder heraus kam, nahm er sich vor, es ebenso zu machen. Er verschaffte sich demnach ein völlig ähnliches Schlafgewand, steckte ein Wachslicht und Feuerzeug zu sich, badete sich fleißig, damit der Stallgeruch ihn weder verraten, noch die Königin belästigen möchte, und begab sich, wie er schon oft gethan hatte, nach dem Saale. Sobald er glaubte, daß Alles schliefe, und daß es Zeit wäre, sein glorreiches Wagestück zu bestehen, oder in der Unternehmung einen wünschenswürdigen Tod zu finden, machte er Feuer und zündete sein Kerzchen an, wickelte sich sorgfältig in sein Schlafgewand und klopfte mit seinem Stäbchen zweimal an die Kammerthür der Königin. Eine Kammerfrau öffnete ihm halb schlafend die Thüre, nahm ihm das Kerzchen ab und löschte es aus, und er nahte sich schweigend dem Bette der Königin, legte sein Schlafgewand ab und nahm Platz an ihrer Seite. Er hatte bemerkt, daß der König, wenn er bei übler Laune war kein Wort sprach, und auch nicht mit sich reden ließ; und so gelang es ihm um desto leichter, eine stumme Rolle zu spielen die ihm darum nicht weniger Wonne gewährte, und es ihm schwer machte, seinen Platz wieder zu verlassen. Weil er jedoch befürchten mußte, daß sein höchstes Glück, wenn er zu lange bliebe, ihm zum Unglück gereichen könnte, so stand er auf, wickelte sich wieder in sein Gewand, empfing sein Kerzchen, entfernte sich stillschweigend, wie er gekommen war, und eilte, so schnell er konnte, nach seiner Schlafstelle. Er mochte kaum sein Bett wieder erreicht haben, wie der König aus seinem Zimmer kam und zur Königin ging. Diese wunderte sich außerordentlich; wie sie aber fand, daß er sie mit heiterem Mute umarmte, faßte sie ein Herz und sagte: »Was ist das, mein Herr und Gebieter? Erst eben habt Ihr mich verlassen, und kommt schon wieder? Seht Euch vor; man muß nichts übertreiben.«

Diese Worte brachten den König den Augenblick auf den Gedanken, daß ein Anderer seine Rolle bei der Königin müßte gespielt haben; weil sie ihm indessen selbst nichts davon zu ahnen schien, und kein Anderer etwas davon wußte, so faßte er weislich den Entschluß, sie auch nichts davon merken zu lassen. Mancher Narr würde sich nicht so benommen, sondern gesagt haben: Ich bin nicht hier gewesen. Wer war es? Was hat er hier gemacht? Wie ist er hierher gekommen? woraus denn nichts als Unfug entstanden wäre, weil er die Königin entweder dadurch betrübt, oder auch ihr Anlaß gegeben hätte, die Wiederholung desjenigen zu wünschen, was geschehen war. Denn was ihm nicht die geringste Schande machte, wenn er stillschwieg, das konnte ihm nur Schimpf verursachen, wenn er davon sprach. Er unterdrückte demnach seinen Unmut, und nachdem er der Königin scherzend einige Vorwürfe über ihre Verwunderung gemacht hatte, stellte er sich, als wenn er ihrer Warnung Gehör gäbe. Weil er jedoch innerlich voll Zorn und Wut über den Streich war, den man ihm gespielt hatte, so stand er auf, nahm seinen Schlafrock und ging hinaus, um in der Stille zu untersuchen, wer der Thäter wäre, denn er konnte gewiß vermuten, daß er noch im Hause sein müsse, und sich nicht habe entfernen können. Er nahm also eine kleine Blendlaterne und ging in ein großes, langes Gemach, welches neben dem Palast über den Ställen angelegt war, woselbst alle seine Hausbedienten in verschiedenen Betten schliefen; und weil er glaubte, daß demjenigen, der in dem Zimmer der Königin gewesen wäre, das Herz noch klopfen müßte, so befühlte er sachte jedem nach der Reihe die Brust, um ausfindig zu machen, bei welchem der Puls am stärksten schlüge. Alle lagen im tiefsten Schlafe und nur derjenige schlief noch nicht, welcher bei der Königin gewesen war; und wie er den König kommen sah, ward ihm so schrecklich bange, daß die Furcht bei ihm das Herzklopfen noch vermehrte, und er mußte besorgen, daß der König seine Angst merken und ihn auf der Stelle töten würde. Weil er ihn jedoch unbewaffnet sah, stellte er sich, als wenn er schliefe, und wartete sein Geschick in Geduld ab. Wie nun der König lange gesucht und nichts gefunden hatte, kam er endlich zu diesem Stallknecht, und wie er fühlte, wie sehr ihm sein Herz klopfte, zweifelte er nicht, den Thäter gefunden zu haben. Weil er aber seine Rache ohne Geräusch nehmen wollte, that er ihm weiter nichts, als daß er mit einer Schere ihm an einer Seite eine Locke von seinem Haar abschnitt, damit er ihn am folgenden Morgen daran erkennen könnte; und darauf begab er sich wieder in sein Zimmer. Der Stallknecht war verschlagen genug, zu merken, warum ihn der König so gezeichnet hätte; er stand demnach geschwind auf, holte sich eine Schere, womit man die Pferde zu putzen pflegte, und ging sachte bei allen seinen Kameraden umher, die in demselben Gemach schliefen, schor ihnen das Haar auf eben dieselbe Weise über dem einen Ohr weg und legte sich unbemerkt wieder schlafen.

Der König stand des Morgens früh auf, und ehe die Thüren des Palastes geöffnet wurden, ließ er alle seine Diener vor sich kommen, und wie sie sämtlich mit unbedecktem Haupte vor ihm erschienen, sah er umher, nach demjenigen, den er gezeichnet hatte. Wie er aber fand, daß die meisten von ihnen auf eben diese Weise geschoren waren, verwunderte er sich und dachte: Derjenige, den ich suche, ist zwar von gemeinem Stande, aber von keinem gemeinen Verstande. Da er nun einsah, daß er, ohne Aufsehen zu machen, denjenigen nicht entdecken konnte, welchen er suchte, so wollte er nicht, um eine kleine Rache auszuüben, sich einem großen Schimpf aussetzen, sondern lieber den Thäter mit einem einzigen Worte warnen, und ihm zu erkennen geben, daß er sein Verbrechen wohl gemerkt habe. Er sprach demnach zu allen: »Geht mit Gott! Wer's gethan hat, der schweige und thue es nicht mehr.«

Ein Anderer hätte vielleicht auf nichts gedacht, als auf's Köpfen, Martern, Foltern und Peinigen, und hätte damit alles ruchbar gemacht, was ein Jeder lieber suchen sollte zu verhehlen: denn wenn die Sache laut geworden wäre, und er hätte auch seine Rache befriedigt, so wäre doch der Schimpf damit nicht abgethan, sondern vielmehr die Ehre seiner Gemahlin gekränkt worden.

Diejenigen, welche die Worte des Königs hörten, waren sehr verwundert und fragten einander lange, was er damit habe sagen wollen; aber niemand erriet es, außer demjenigen, den es anging. Er war klug und schwieg, so lange der König lebte und stellte nie sein Glück zum zweiten Mal auf die Probe.

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