Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Zwölfte Erzählung.

Es kam einmal zu den Zeiten des Markgrafen Azzo von Ferrara ein Kaufmann, namens Rinaldo d'Asti um seiner Geschäfte willen nach Bologna, und wie er alles abgethan hatte und wieder nach Hause reiste, traf es sich, indem er aus Ferrara ritt und sich nach Verona wandte, daß er auf einige Männer stieß, die er für Kaufleute hielt, die aber Schnapphähne und räuberisches Gesindel waren, mit welchen er sich unvorsichtiger Weise in Gespräche und in Gesellschaft einließ. Wie diese merkten, daß er ein Kaufmann war und folglich nicht zweifelten, daß er Geld bei sich führte, machten sie einen Anschlag, ihn bei der ersten Gelegenheit zu berauben, und damit er ja nichts argwöhnen möchte, so sprachen sie mit ihm, nach der Weise stiller und ordentlicher Leute, von keinen andern, als von rechtlichen und ehrbaren Dingen und betrugen sich, soviel ihnen möglich war, artig und gefällig gegen ihn, so daß er es für ein großes Glück hielt, sie angetroffen zu haben, weil er allein reiste und nur einen Diener bei sich hatte. Wie man nun unterwegs allerlei mit einander zu schwatzen pflegt, so kamen sie auch unter andern auf die Gebete zu sprechen, welche die Menschen an Gott richten, und einer von den Buschkleppern (deren drei waren) fragte den Rinaldo: »Und Ihr, mein Herr, was habt denn Ihr für ein Gebet, dessen Ihr Euch auf der Reise bedient?«

Rinaldo antwortete: »Die Wahrheit zu sagen, so bin ich in diesem Stück ein einfältiger, unwissender Mensch, der nur so immer nach seiner alten Weise lebt, und fünf gerade sein läßt. Nichtsdestoweniger ist es immer meine Gewohnheit gewesen, auf Reisen, wenn ich des Morgens aus meiner Herberge gehe, ein Paternoster und ein Ave zum Besten der Seelen der Eltern des heiligen Julians zu sprechen, und hernach Gott und ihn zu bitten, mir auf die folgende Nacht wieder gute Herberge zu bescheren; und manchen lieben Tag meines Lebens ist es mir schon begegnet, daß ich auf meinen Reisen in große Gefahren geraten bin, aus welchen ich immer glücklich entrann, und des Abends an einen Ort kam, wo ich gute Aufnahme und bequeme Herberge fand. Ich bin deswegen fest überzeugt, daß der heilige Julian, welchem zu Ehren ich diese Gebete verrichte, mir diese Wohlthat von Gott erbeten hat, und ich würde nicht glauben, daß es mir an demjenigen Tage wohl gehen, und daß ich die folgende Nacht gut zubringen könnte, an welchem ich sie des Morgens nicht gesprochen hätte!«

»Habt Ihr sie denn auch diesen Morgen gesprochen?« fragte ihn derjenige, der mit ihm sich unterredete.

»Das versteht sich«, versetzte Rinaldo.

Der andere, der schon wußte, wie die Sache gekartet war, dachte: Du wirst's nötig haben, wenn wir uns nicht irren, denn ich denke, Du sollst mir schlecht genug herbergen. Darauf gab er ihm zur Antwort: »Ich bin doch auch viel gereist, und habe dies Gebet nie gesprochen, obwohl es mir manche schon angerühmt haben; doch ist es mir deswegen noch nie widerfahren, daß ich nicht recht gute Herberge gefunden hätte; und vielleicht erfahren wir noch diesen Abend, wer von uns beiden besser herbergt, Ihr, der Ihr dieses Gebet gesprochen habt, oder ich, der ich es nicht that. Ich pflege mich jedoch statt dessen wohl des Dirupisti oder der intemerata oder des ex profundis zu bedienen, von welchen mir meine Großmutter zu sagen pflegte, daß sie große Wirkung thun sollen.«

So schwatzten sie noch allerlei, indem sie zusammen fortritten und die Räuber nur auf gelegene Zeit und Ort warteten, um ihren Streich auszuführen; bis sie endlich, wie es schon spät ward, an eine Furt kamen, wo die drei Spitzbuben, weil es dunkel und der Ort abgelegen war, den Rinaldo anfielen und ausplünderten, und indem sie ihn im bloßen Hemde und zu Fuße laufen ließen, zu ihm sagten: »Geh hin und sieh zu, ob Dein Sankt Julian Dir diese Nacht so gute Herberge verschaffen wird, wie der unsrige.« Damit ritten sie durch die Furt, und jagten davon

Rinaldo's Knecht hatte in dem Augenblick, da sein Herr angefallen ward, wie ein feiger Schlingel die Flucht genommen, und nicht daran gedacht, ihm beizustehen; er ritt auch davon, ohne still zu. halten, bis er nach Castel Guglielmo kam, wo er des Abends spät ankam, und sich um nichts bekümmerte, als Quartier zu suchen. Rinaldo, im Hemde und barfuß, sah inzwischen bei einer bitterlichen Kälte und Schneegestöber die Nacht anbrechen, und wußte nicht, wie er sich helfen sollte. Er zitterte, und die Zähne klapperten ihm vor Frost, er sah sich überall um nach einem Zufluchtsort für die Nacht, wo er nicht vor Frost umkommen müßte; allein er fand ihn nicht, denn es war kürzlich Krieg gewesen, und alles war niedergebrannt; daher er, von der Kälte getrieben, so schnell er konnte, nach Castel Guglielmo eilte, obgleich er nicht wußte, ob sein Diener dorthin, oder an einen anderen Ort geflüchtet wäre, denn er dachte, wenn er nur hinein käme, so würde ihm der Himmel auf eine oder die andere Art wohl helfen. Aber schon überraschte ihn die Dunkelheit der Nacht, wie er noch wohl eine Meile von Castel Guglielmo entfernt war, daher er daselbst erst so spät ankam, daß die Thore bereits geschlossen waren, und die Zugbrücke aufgezogen, so daß er nicht mehr hineinkonnte. Traurig und trostlos sah er umher und suchte ein Lager, wo er sich wenigstens vor dem Schnee schützen könnte; da fiel ihm von ungefähr ein Haus auf der Schloßmauer in die Augen, welches einen Vorsprung hatte, unter welchem er sein Nachtlager zu nehmen beschloß. Unter diesem Vorsprunge ward er eine Thür gewahr, die aber verschlossen war, an deren Schwelle er ein wenig Stroh, das er in der Nähe zusammenraffte, zu seinem Bette machte, sich traurig und ächzend darauf hinstreckte, und sich oft über St. Julian beschwerte, daß er sein Vertrauen auf ihn nicht besser belohnte. Doch St. Julian vergaß ihn nicht und bescherte ihm bald eine recht gute Herberge.

Es befand sich in diesem Schlosse eine sehr schöne, junge Witwe, die der Markgraf Azzo wie sein Leben liebte, und sie dort unterhielt. Sie wohnte in eben dem Hause, unter dessen Vorsprung sich Rinaldo sein Lager bereitet hatte, und am vergangenen Tage war eben der Markgraf dahingekommen, um die Nacht bei ihr zuzubringen, weswegen er in ihrem Hause in der Stille ein Bad hatte bereiten und ein schönes Abendmahl bestellen lassen. Wie schon alles fertig war, und die Dame nur noch auf die Ankunft des Markgrafen wartete, kam unverhofft ein Diener und brachte ihm eine Nachricht, die ihn bewog, sogleich wieder davon zu reisen; daher er der Dame sagen ließ, sie möchte nicht auf ihn warten, und sich auf den Weg begab. Die Dame ward darüber ein wenig mißmutig, doch als sie nichts anders anzufangen wußte, so entschloß sie sich, das Bad zu gebrauchen, das für den Markgrafen bereitet war, und hernach zu Abend zu essen und sich zu Bette zu begeben. Das Badezimmer lag hart an der Thüre, wo der arme Rinaldo draußen auf der bloßen Erde lag; daher die Dame, wie sie im Bade war, sein Ächzen hörte, und wie er zitterte, wie ein Espenlaub. Sie rief demnach ihre Magd und sagte: »Geh hinauf und sieh über die Mauer hinaus, wer dort unten an der Thür ist, und was er da macht.«

Die Magd ging und ward in der Dämmerung gewahr, daß ein Mensch in bloßem Hemde und barfuß da saß, welcher erbärmlich zitterte. Sie fragte ihn, wer er wäre, und Rinaldo, der so sehr vor Kälte zitterte, daß er kaum sprechen konnte, sagte ihr mit wenigen Worten, wer er wäre, und durch welcherlei Zufälle er dahin geraten sei, und bat zugleich flehentlich, ihn, wenn es möglich wäre, nicht vor Frost in der Nacht daselbst umkommen zu lassen. Die Magd, welche Mitleid mit ihm hatte, kehrte zu ihrer Frau zurück, und gab ihr von allem Bericht, wodurch diese gleichfalls zum Mitleid bewogen ward. Sie erinnerte sich, daß sie den Schlüssel zu dem Pförtchen hatte, durch welches der Markgraf bisweilen insgeheim zu ihr zu kommen pflegte, und sagte zu ihrer Magd: »Geh sachte hin und öffne ihm das Pförtchen; das Abendessen steht fertig, und niemand ist da, der es verzehren hilft; Raum genug haben wir auch, um ihm ein Nachtlager zu geben.«

Die Magd lobte die Leutseligkeit ihrer Dame, und wie sie ihm die Pforte öffnete, und ihn fast völlig erstarrt fand, sagte sie: »Geschwind, guter Freund, geht in dies Bad, das noch warm ist.«

Er ließ sich nicht lange nötigen, sondern war des Bades herzlich froh, dessen Wärme ihn fast vom Tode ins Leben zurückzurufen schien. Die Dame ließ ihm Kleider geben, die ihrem kürzlich verstorbenen Manne zugehört hatten, und die ihm, wie er sie anzog, wie zu Leibe gemacht schienen, und indes er die weiteren Befehle der Dame erwartete, dankte er Gott und dem heiligen Julian, der ihm eine so böse Nacht, wie er befürchtet hatte, ersparte, und ihm allem Anschein nach ein gutes Nachtlager beschieden hatte.

Wie die Dame nach ihrem Bade ein wenig ausgeruht hatte, ging sie in ein Zimmer, wo ein schönes Feuer angezündet war, und fragte, was aus dem guten Menschen geworden wäre.

Die Magd antwortete: »Madonna, er hat sich angekleidet und ist ein schöner, und allem Ansehen nach wohlerzogener und gesitteter Mann.«

»So geh hin und rufe ihn her«, sprach die Dame, »und sage ihm, er soll sich hier ans Feuer setzen, und zu Nacht essen, denn das hat er gewiß noch nicht gethan.«

Rinaldo trat herein, und wie er die Dame erblickte und vermutete, daß sie von vornehmem Stande wäre, grüßte er sie ehrerbietig und dankte ihr aufs Verbindlichste für die Güte, die sie ihm erwies. Die Dame fand an seinem Anstand und Rede, daß er völlig der Mann war, den ihr ihre Magd beschrieben hatte; daher sie ihn freundlich empfing, ihn traulich nötigte, sich neben ihr ans Feuer zu setzen und ihn nach den Umständen fragte, welche ihn hergeführt hätten, welches Rinaldo ihr alles ausführlich erzählte. Sie hatte bereits, gleich nach der Ankunft seines Dieners in dem Schlosse, etwas von der Sache gehört, daher sie um so leichter seinen Reden Glauben beimaß und ihm auch sagte, was sie von seinem Diener wußte, und wie er ihn leicht am folgenden Morgen antreffen könnte. Sobald der Tisch gedeckt war, mußte Rinaldo nach geschehenem Händewaschen sich mit ihr zur Tafel setzen. Er war groß und wohl gewachsen, von einnehmender Miene und gefälligem Wesen und in der vollen Blüte seiner Jahre, welches alles die Dame hinreichende Gelegenheit hatte, mit Wohlgefallen zu bemerken; und da die Erwartung des Markgrafen bereits ihre Begierden rege gemacht hatte, so konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, um die Gelegenheit zu Nutz zu machen, die ihr das gute Glück schien gesandt zu haben, um sich wegen seines Außenbleibens zu entschädigen. Sie scherzte demnach mit Rinaldo, wie sie nach dem Abendessen wieder mit ihm beim Feuer saß, über sein niedergeschlagenes Wesen. »Glaubt Ihr nicht«, sprach sie, »daß ein Pferd und ein paar Kleider, die Ihr verloren habt, sich bald wieder ersetzen lassen? Seid guten Mutes, und stellt Euch vor, daß Ihr hier zu Hause seid, denn kurz, ich kann es Euch nicht verhehlen, seitdem ich Euch in diesen Kleidern meines verstorbenen Mannes vor mir sehe, finde ich zwischen Euch und ihm die Ähnlichkeit so auffallend, daß ich diesen Abend wohl tausendmal in Versuchung geraten bin, Euch für ihn selbst anzusehen, und Euch wie ihm zu begegnen.«

Rinaldo verstand den Sinn ihrer Worte, den ihm ein zärtliches Feuer in ihren Blicken vollends erklärte. Er empfand, wieviel er der Dame schuldig wäre, die ihn aus der augenscheinlichsten Todesgefahr errettet hatte, und wer hätte ihr dafür an seiner Stelle nicht auch mit Freuden das süßeste Dankopfer gebracht? Er that es, und mehr als einmal bat er in den Armen seiner holden Erretterin den heiligen Julian um Vergebung, daß er ihn beinahe unschuldiger Weise im Verdacht gehabt hatte. Wie die Morgenröte erschien, entließ ihn die Dame, und damit kein Aufsehen verursacht würde, so ließ sie ihm einige schlechte Kleider umwerfen, füllte ihm seine Börse, und nachdem sie ihm gesagt hatte, wie er in das Schloß kommen und seinen Diener wiederfinden könnte, befahl sie, ihn durch dasselbe Pförtchen, durch welches er hereingekommen war, wieder hinauszulassen. Wie es heller Tag ward, ging er, sobald die Thore geöffnet wurden, ins Schloß, als wenn er erst eben von einem fernen Orte käme, und fand auch bald daselbst seinen Diener. Indem er seine eigenen Kleider, die in dem Felleisen des Dieners waren, wieder anzog, und schon im Begriff war, seines Dieners Pferd zu besteigen, begab es sich, daß die drei Räuber, die ihn abends vorher ausgeplündert hatten, über einem andern Straßenraube, den sie nachher begingen, ertappt, und in dasselbe Schloß gefänglich eingebracht wurden, wo dem Rinaldo laut ihres Bekenntnisses sein Pferd, seine Kleider, und alle seine Sachen wieder erstattet wurden, so daß er nichts davon einbüßte, außer ein Paar Kniebändern, von welchen die Räuber selbst keine Nachricht geben konnten. Rinaldo stieg demnach zu Pferde, und dankte Gott und dem heiligen Julian, indem er froh nach Hause ritt; die drei Schnapphähne aber mußten am folgenden Tage schaukeln.

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