Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Siebenundfünfzigste Erzählung.

In Prato hatte man vor Zeiten ein Gesetz, welches eben so strenge, als ungerecht, ein jedes Weib, welches aus Schwachheit einen Fehltritt beging, nicht minder zu dem grausamen Tode auf dem Scheiterhaufen verdammte, als diejenige, die aus schnödem Geiz und Gewinnsucht sich einem jeden für Geld überließ. Wie dieses Gesetz noch gültig war, begab es sich, daß eine schöne, adelige und sehr verliebte Dame, namens Madonna Filippa, von ihrem Gemahl Rinaldo Pugliesi in den Armen des Lazarino Guazzaglio, eines schönen und edlen Jünglings in ihrer Nachbarschaft, den sie sehr zärtlich liebte, überrascht ward. Rinaldo war so aufgebracht, daß er sich kaum enthalten konnte, sie beide auf der Stelle um's Leben zu bringen; er hätte sie auch gewiß nicht verschont, wenn ihn nicht die Besorgnis um sein eigenes Leben abgehalten hätte, dem ersten Antriebe seines Zorns zu folgen. Allein obwohl er seine erste Hitze unterdrückte, so konnte er es doch nicht über sich gewinnen, auf das Landesgesetz Verzicht zu leisten, welches seiner Gemahlin den Tod bestimmte, den er selbst ihr zu geben nicht wagte. Da er nun Beweis genug gegen sie in Händen hatte, so trug er kein Bedenken, sie am folgenden Morgen zu verklagen, und sie vor Gericht fordern zu lassen. Die Dame, die ein sehr hohes Herz besaß (welches denen, die recht ernstlich verliebt sind, gewöhnlich eigen ist), ließ sich durch alle ihre Freunde und Verwandten nicht abhalten, vor Gericht zu erscheinen, und lieber mit dem freimütigen Bekenntnis der Wahrheit in den Tod zu gehen, als durch eine feigherzige Entweichung sich einer entehrenden Verbannung auszusetzen, und sich dadurch ihres Liebhabers unwürdig zu bezeigen. Wie sie demnach in Begleitung vieler Herren und Frauen (die ihr noch immer rieten, sich auf's Leugnen zu legen) vor dem Richter erschien, fragte sie mit ruhigem Blick und mit fester Stimme, warum sie vorgefordert wäre.

Der Richter, gerührt von ihrer großen Schönheit, von ihrem edlen Anstand und von dem festen Mut, den sie in ihrer Anrede zeigte, hatte Mitleiden mit ihr und wünschte, daß sie nicht ein Bekenntnis ablegen möchte, welches ihn um seiner eigenen Pflicht und Ehre willen nötigte, sie zum Tode zu verurteilen; weil er jedoch nicht vermeiden konnte, sie wegen der Anklage zu befragen, so sprach er: «Madonna, Ihr seht hier Euren Gemahl, der sich beklagt, daß er Euch mit einem andern Mann im Ehebruch betroffen habe, und verlangt, daß ich Euch deswegen dem hergebrachten Gesetze gemäß, zum Tode verurteilen soll. Dieses kann aber nicht geschehen, wofern Ihr selbst Euch nicht schuldig bekennt. Überlegt demnach wohl, was Ihr antwortet, und sagt mir, ob dasjenige wahr sei, dessen Euch Euer Gemahl beschuldigt.«

Die Dame antwortete ohne eine sichtbare Verlegenheit mit heiterer Miene: »Mein Herr, es ist wahr, daß Rinaldo mein Mann ist, und daß er mich gestern Abend in den Armen des Lazarino angetroffen hat, den ich herzlich und aufrichtig liebe, und daher keineswegs zu leugnen begehre, daß ich mich mehrmals seiner Umarmung überlassen habe. Allein Ihr werdet vermutlich wohl wissen, daß kein Gesetz einseitig sein, und daß zugleich ein jedes billig mit Zustimmung aller derjenigen, die es angeht, abgefaßt werden sollte. Das ist aber bei diesem Gesetze nicht beobachtet worden, welches nur den armen Weibern allein zur Last fällt, da sie doch bei der Abfassung desselben nicht nur ihre Stimme nicht dazu gegeben haben, sondern gar nicht einmal dabei sind zu Rate gezogen worden. Es verdient demnach mit Recht den Namen eines höchst unbilligen Gesetzes. Wollt Ihr es aber dennoch zum Schaden meines Leibes und Eurer Seele an mir in Ausübung bringen, so habt Ihr die Gewalt in Händen. Ehe Ihr jedoch zu meiner Verurteilung schreitet, bitte ich Euch, mir die kleine Gunst zu erweisen, daß Ihr meinen Mann fragt, ob ich ihm jemals eine abschlägige Antwort gegeben habe, oder ob ich ihm jederzeit auf den ersten Wink zu Willen gewesen sei.«

Rinaldo wartete nicht, bis ihn der Richter fragte, sondern gab seiner Frau freiwillig das Zeugnis, daß er sie zu jeder Stunde willig und bereit gefunden hätte.

»Wohlan, Herr Richter! (fuhr sie fort) da also mein Mann immer bei mir fand, was er bedurfte und was ihm Vergnügen machte, so frage ich Euch, was ich mit demjenigen sollte, was mir übrig blieb? Sollt ich es unnütz vergeuden? Oder war es nicht besser, einen braven Mann, der mich mehr als sich selbst liebte, damit zu beschenken, als es umkommen und verderben zu lassen?«

Es hatten sich bei dem Verhör einer so vornehmen und angesehenen Dame fast alle Leute aus Prato eingefunden, und wie sie diese lustige Frage hörten, riefen sie wie mit einmütiger Stimme, sie hätte Recht und spräche die Wahrheit. Und ehe sie von der Stelle gingen, milderten sie mit Genehmigung und auf den Vorschlag des Richters das unbarmherzige Gesetz und setzten fest, daß es künftighin nur gegen solche Weiber in Kraft bleiben sollte, die für Geld ihren Männern untreu würden.

Dem Rinaldo gereichte demnach sein unüberlegtes Verfahren nur zur Demütigung, und seine Frau, die gleichsam aus der Asche wieder auferstand, ging frei und fröhlich nach Hause.

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