Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Achtundsiebenzigste Erzählung.

In Siena sollen einmal ein paar junge Bürgersleute gewesen sein, die in einem behaglichen Mittelstande lebten und Wandnachbarn waren, wovon der eine Spinelloccio Tanena und der andere Zeppadi Mino hieß. Diese beiden waren unzertrennliche Gesellschafter und schienen einander fast noch mehr als Brüder zu lieben. Beide hatten recht hübsche Weiber; da nun Spinelloccio täglich in dem Hause des Zeppa aus und ein ging, dieser mochte zu Hause sein oder nicht, so ward er nach und nach mit seinem Weibchen so vertraut, daß sie ihm nichts mehr abschlug. Dieses Verständnis dauerte eine geraume Zeit, ohne daß irgend jemand etwas davon erfuhr. Endlich aber traf es sich einmal, daß Zeppa zu Hause war, wie Spinelloccio nach ihm fragte. Seine Frau wußte es nicht und sagte, er wäre ausgegangen. Spinelloccio kam deswegen sogleich zu ihr hinauf und wie er sie allein im Saale fand, umarmte er sie mit einem tüchtigen Kusse. Zeppa sah es, hielt sich aber ganz still und wartete, wie das Spiel weiter ablaufen würde. Kurz, er sah, daß seine Frau und Spinelloccio Arm in Arm in die Kammer gingen und sich einschlossen, welches ihn verzweifelt wurmte. Er bedachte indessen, daß er durch Lärm und Gepolter die Beleidigung nicht abwaschen, sondern nur seinen Schimpf dadurch vermehren würde, und er sann deswegen auf Mittel, sich Genugthuung zu verschaffen, ohne die Sache laut werden zu lassen. Nach einigem Besinnen glaubte er dieses Mittel gefunden zu haben. Er hielt sich demnach so lange verborgen, bis Spinelloccio sich wieder entfernte. Wie dieser wegging, trat Zeppa den Augenblick in die Kammer seiner Frau, die noch beschäftigt war, ihren Kopfputz wieder in Ordnung zu bringen, welchen Spinelloccio ein wenig zerstört hatte.

»Was machst Du, Frau?« fragte Zeppa.

»Siehst Du es nicht?« fragte sie ihn wieder.

»Ja wohl, sehe ich's (sprach Zeppa) und ich wünschte, ich hätte nicht noch manches mehr gesehen.« Er ließ sich hierauf deutlicher heraus über alles, was vorgefallen war, und nach einigem Wortwechsel gestand sie ihm unter Angst und Furcht ihren vertrauten Umgang mit Spinelloccio, den sie nicht leugnen konnte, und bat ihren Mann mit Thränen um Vergebung.

»Höre, Frau (sprach Zeppa), Du hast böse Streiche begangen, und wenn ich Dir verzeihen soll, so mußt Du mir alles treulich ausführen, was ich Dir befehlen will. Sage dem Spinelloccio, daß er sich morgen Vormittag, wenn wir beisammen sind, unter irgend einem Vorwande von mir losmachen und zu Dir kommen soll. Wenn er bei Dir ist, werde ich plötzlich nach Hause kommen und dann mußt Du ihn in diesen Kasten kriechen lassen und ihn darin einschließen. Was Du weiter thun sollst, das will ich Dir hernach sagen; Du kannst es getrost thun und versichert sein, daß ihm nichts Böses geschehen soll.«

Die Frau versprach alles, um ihren Mann wieder zu besänftigen, und hielt ihm auch Wort.

Wie Spinelloccio und Zeppa des anderen Vormittags beisammen waren, sagte Spinelloccio um die verabredete Stunde zu seinem Nachbar: »Ich soll heute Mittag bei einem Freunde zur Mahlzeit gehen, und mag ihn nicht auf mich warten lassen. Sei Gott empfohlen!«

»Es ist ja noch lange hin bis zur Mittagszeit«, erwiderte Zeppa.

»Wohl wahr (sprach Spinelloccio); aber ich habe mit ihm noch über eins und das andere zu sprechen und will deswegen ein wenig früher zu ihm gehen.«

Damit verließ er ihn, nahm einen kleinen Umweg und ging zu der Frau Zeppa, die ihn sogleich in ihre Kammer führte: doch waren sie noch nicht lange darin gewesen, wie Zeppa nach Hause kam. Sobald seine Frau ihn hörte, stellte sie sich ganz erschrocken, ließ ihren Nachbar, sich in die Kiste verstecken, schloß ihn ein und ging aus der Kammer. Zeppa kam hinauf und sagte: »Frau, ist es schon Zeit zum Essen?«

»Ja, es wird bald Zeit sein«, gab sie ihm zur Antwort.

»Spinelloccio geht heute bei einem Freunde zu Gast (sprach Zeppa), und seine Frau ist allein. Geh' ans Fenster und bitte sie, herum zu kommen, um mit uns zu essen.«

Die Frau, die vor Angst sehr gehorsam geworden war, that, was er befahl, und wie ihre Nachbarin hörte, daß ihr Mann nicht nach Hause käme, ging sie nach einigem Bitten und Nötigen zu ihr hinüber. Zeppa empfing sie sehr freundlich, nahm sie vertraulich bei der Hand und gab seiner Frau einen Wink, sich in der Küche etwas zu schaffen zu machen. Unterdessen führte er seine Nachbarin in die Kammer und schloß plötzlich die Thüre hinter sich zu.

»Himmel! (rief sie) was soll das bedeuten, Zeppa? Habt Ihr mich darum in diese Kammer geführt? Ist das die Frucht Eurer Freundschaft für Spinelloccio und Eures vertraulichen Umganges mit ihm?«

Zeppa ging mit ihr näher zu der Kiste, in welcher ihr Mann verborgen war, und sagte zu ihr, indem er sie fest in seinen Armen hielt: »Weibchen, ehe Du mir zürnst, so höre erst, was ich für mich zu sagen habe: Ich habe Deinen Mann wie meinen Bruder geliebt und liebe ihn noch; aber gestern, wie er sich's nicht versah, habe ich entdeckt, daß meine große Vertraulichkeit mit ihm ihn dahin gebracht hat, daß er sich bei meiner Frau ebenso viel herausnimmt, wie bei Dir. Weil ich ihn aber lieb habe, so will ich mich nicht strenger an ihm rächen, als er mich beleidigt hat. Er hat meine Frau gehabt, und ich will Dich wieder haben. Gefällt Dir das nicht, so ertappe ich ihn wohl einmal wieder, und da ich nicht willens bin, das Ding ungerächt hingehen zu lassen, so werde ich ihm dergestalt mitspielen, daß es Dich und ihn auf immer gereuen soll.«

Das gute Weibchen sträubte sich lange; wie ihr aber Zeppa die Sache so nahe legte, daß sie seine Worte nicht länger bezweifeln konnte, sagte sie: »Lieber Zeppa, wenn ich denn für meinen Mann büßen soll, so muß ich mich darin ergeben; doch mußt Du mir versprechen, daß Du Deine Frau bewegen willst, mir deswegen ebensowenig böse zu werden, als ich ihr dasjenige übel nehmen will, was sie an mir gethan hat, und daß wir, nach wie vor, gute Freundinnen bleiben.«

»Das nehme ich auf mich (sprach Zeppa), und ich will Dir noch überdies ein so hübsches und kostbares Kleinod verehren, als Dir noch niemand geschenkt hat.«

Mit diesen Worten schloß er sie noch fester und feuriger in seine Arme und machte die Kiste, in welcher ihr Mann steckte, zum Altar, auf welchem er seiner Rache ein angenehmes Opfer brachte.

Spinelloccio, der jedes Wort des Zeppa und die Antwort seiner Frau gehört hatte, und den Walzer, dem sie ihm hernach über dem Kopfe tanzten, wollte anfänglich vor Gift bersten, und nur seine Furcht vor dem Zeppa konnte ihn abhalten, seine Frau mit Scheltworten aus seinem Gefängnisse anzudonnern. Wie er aber bedachte, daß er selbst den ersten Anlaß zu dem Unfuge gegeben hatte; daß Zeppa recht hatte, zu thun, was er that, und daß er menschlich und brüderlich mit ihm verfuhr, ließ er seinen Zorn fahren und wünschte nichts mehr, als ferner in Eintracht mit ihm zu leben.

Wie Zeppa seine Rache befriedigt hatte und seine hübsche Nachbarin ihn an das versprochene Kleinod erinnerte, öffnete er die Thüre und rief seine Frau, welche lächelnd hereintrat und nichts weiter sagte, als: »Nachbarin, Ihr seid mir nichts schuldig, geblieben.«

»Öffne jetzt diese Kiste«, sprach Zeppa zu seiner Frau. Sie that es, und Zeppa zeigte seiner Nachbarin ihren Mann und sagte: »Hier ist das Kleinod, womit ich Dich beschenke.« Es ist schwer zu bestimmen, wer von beiden sich in dem ersten Augenblicke am meisten schämte, Spinelloccio vor seinem Nachbar, oder seine Frau vor ihrem Mann, welcher alles gehört hatte, was vorgefallen war. Doch bald verwandelte sich ihre Bestürzung in Scherz und gute Laune; sie aßen alle vier zusammen vergnügt und friedlich zu Mittag, und die gute Eintracht der beiden Nachbarn und ihrer Weiber ward durch dieses Zwischenspiel nicht im geringsten gestört.

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