Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Achtundfünfzigste Erzählung.

Ein gewisser Fresco Celatico hatte eine Nichte, die er liebkosend Ciesca zu nennen pflegte. Sie war zwar ein recht hübsches Mädchen, aber doch eben kein solches Engelgesicht, als man bisweilen wohl antrifft; allein sie hielt so viel von ihren Reizen und Vollkommenheiten, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, sich über alle und jede Männer und Weiber aufzuhalten, ohne im geringsten auf ihre eigene Aufführung zu achten, welche um desto unangenehmer und verdrießlicher auffiel, da ihr niemand etwas zu Dank machen konnte, und da sie zugleich stolzer war, als eine französische Prinzessin vom Geblüte. Ging sie bisweilen aus, so fand sie alles so ekelhaft, daß sie nichts that, als die Nase rümpfen, als ob ihr alles übel rieche, was ihr begegnete.

Doch wir wollen uns nicht bei allen ihren anstößigen und widerlichen Untugenden aufhalten; genug, sie kam einmal zu ihrem Onkel nach Hause, setzte sich mit Geziere neben ihm nieder und blies sich auf wie ein Truthahn.

Fresco fragte sie: »Was ist Dir, Ciesca, daß Du heute, da es doch Festtag ist, so früh wieder nach Hause kömmst?«

Schmachtend vor Albernheit gab sie ihm zur Antwort: »Ich bin freilich sehr bald wieder gekommen; aber ich hätte auch nimmer geglaubt, daß die Männer und Weiber in dieser Stadt so unausstehlich wären, wie ich sie heute gefunden habe. Es begegnete mir kein Mensch auf der Straße, den ich nicht wie die Pest fliehen möchte; denn es giebt wohl gewiß kein Frauenzimmer in der Welt, das einen größeren Abscheu vor unangenehmen Gesichtern haben kann, als ich. Um ihnen aus dem Wege zu gehen, bin ich so bald wieder umgekehrt.«

Fresco, der ein großes Mißfallen an dem unartigen Betragen seiner Nichte hatte, sagte: »Mein Töchterchen, wenn Dir die unangenehmen Gesichter so zuwider sind, so rate ich Dir, nie in einen Spiegel zu sehen, wenn Du vergnügt leben willst.«

Das Mädchen, dessen Köpfchen so leer war, wie ein ausgeblasenes Ei, und das sich dabei so weise dünkte, wie ein Salomo, verstand so viel von ihres Onkels Meinung, als irgend ein anderes Gänschen in der Welt. Sie gab ihm vielmehr zur Antwort, sie wollte sich so gut im Spiegel besehen, wie eine andere und blieb demnach bei ihrer Dummheit.

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