Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehnte Erzählung.

Es sind noch nicht viele Jahre verflossen, wie in Bologna ein vortrefflicher und fast überall berühmter Arzt lebte, welcher Alberto hieß, dessen Geist in einem Alter von fast sechzig Jahren noch so lebhaft war, daß er nicht vermeiden konnte, für die Flamme der Liebe noch empfänglich zu sein, wie ihn bereits das natürliche Feuer fast gänzlich verlassen hatte; denn einst erblickte er bei einem Gastmahl eine reizende Witwe, die, wie man sagt, Donna Margherita de' Ghisolieri hieß und die ihn so sehr wie einen Jüngling in der Blüte seiner Jahre entzückte, so daß er meinte, die Nacht nicht ruhig schlafen zu können, wenn er nicht am Tage das zarte und schöne Angesicht der reizenden Frau gesehen hatte. Deswegen versäumte er nicht, bald zu Fuß bald zu Pferde, wie es sich am besten fügte, vor ihrem Hause täglich vorbei zu reiten, oder zu gehen. Die Dame und ihre Nachbarinnen merkten bald die Ursache seines Vorbeigehens und hatten oft ihren Scherz darüber, daß ein an Jahren und am Verstande so reifer Mann sich noch verliebt hätte, als meinten sie, daß die süße Leidenschaft der Liebe nur in den thörichten Busen der Jünglinge, und nirgends anders Platz finden und wohnen könnte. Wie nun Alberto immer fortfuhr, vorbei zu gehen, fügte es sich einst an einem Feiertage, daß die besagte Dame nebst vielen andern vor ihrer Thüre saß, wo sie den Arzt von weitem kommen sahen, und sich daher sämtlich beredeten, ihn herein zu rufen und zu bewirten, und ihn hernach mit seiner Liebe aufzuziehen. Sie standen demnach auf, baten ihn herein und führten ihn in einen kühlen Saal, wo sie ihn mit Konfekt und köstlichen Weinen bewirteten, und ihn hernach mit feinen und artigen Worten aufzogen, daß er sich in eine so schöne Dame verliebt hätte, von welcher er doch wüßte, daß viele artige, junge Herren sich um sie bewerben. Doktor Alberto fühlte ihre feinen Stachelreden und antwortete mit lachendem Munde: »Madonna, daß ich Euch liebe, darüber wird sich kein Vernünftiger wundern, weil Ihr es verdient. Wenn nun zwar den alten Männern natürlicher Weise die Kräfte fehlen, die zur Ausübung der Liebe erforderlich sind, so fehlt es ihnen doch weder an gutem Willen, noch an der Erkenntnis dessen, was wirklich liebenswürdig ist; vielmehr sind sie um desto bessere Kenner, je mehr Erfahrung sie vor den Jünglingen voraus haben. Nun will ich Euch auch sagen, warum ich alter Mann mir noch Hoffnung mache, obgleich Ihr von vielen Jünglingen geliebt werdet. Ich habe oft gesehen, daß die Frauenzimmer zur Vesperkost Lupinen und Lauch gegessen haben, und obwohl der Lauch überhaupt kein gutes Essen ist, so ist doch der Kopf desselben weniger schädlich und unschmackhaft, als die Blätter: allein von einem verkehrten Geschmack angetrieben, nehmt Ihr den Kopf in die Hand, und eßt nur die Blätter, die nicht allein zu nichts taugen, sondern auch übel schmecken. Was weiß ich's, Madonna, ob es Euch mit Euren Liebhabern nicht eben so geht? Und wenn das geschehe, so nehmt Ihr mich, und schicket alle Anderen fort.«

Die Dame und ihre Freundinnen wurden ein wenig beschämt, und sie gab ihm zur Antwort: »Lieber Doktor, Ihr habt uns sehr gut und höflich unsern vornehmen Scherz verwiesen; Eure Liebe soll mir, als die Liebe eines weisen und achtungswürdigen Mannes immer wert sein. Deswegen könnt Ihr in allen Fällen, meiner Ehrbarkeit unbeschadet, frei über mich gebieten.«

Der Doktor und seine Begleiter standen auf; er bedankte sich bei der Dame und nahm fröhlich und vergnügt von ihr Abschied.

So ward die gute Frau, weil sie sich nicht vorsah, mit wem sie scherzte, überwunden, indem sie zu siegen meinte; und davor werdet Ihr, lieben Mädchen, wenn Ihr weise seid, Euch bestens hüten.

*


 << zurück weiter >>