Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Sechsundfünfzigste Erzählung.

Es lebte in Florenz ein junger Mann, namens Michele Scalza, der einer von den lustigsten und aufgewecktesten Burschen war und immer die artigsten Histörchen zu erzählen wußte; daher ihn die jungen Florentiner außerordentlich liebten und froh waren, wenn sie ihn in ihrer Gesellschaft haben konnten. Einmal war er mit einigen von ihnen in Mont' Ughi und es ward die Frage aufgeworfen, welche die edelste und älteste Familie in Florenz wäre? Einige nannten die Uberti, andere die Lamberti, der eine diese, der andere jene. Scalza lachte über sie alle und sagte: »Geht doch, Ihr Hasen! Ihr wißt nicht, was Ihr sagt. Die adeligsten und ältesten Leute, nicht nur in Florenz, sondern auch in der ganzen Welt und überall, sind die Baronci: das werden Euch alle Gelehrten sagen und jedermann, der sie so gut kennt wie ich. Und damit wir uns recht verstehen, so meine ich Eure Landsleute und Mitbürger, die Baronci bei Santa Maria maggiore.«

Die jungen Leute, welche erwartet hatten, er würde etwas ganz Anderes vorbringen, wunderten sich über seine Behauptung, lachten ihn damit aus und sagten: »Du hast uns entweder zum Besten, oder Du mußt meinen, daß wir die Baronci nicht so gut kennen, als Du.«

»Beim heiligen Evangelium! Das thu' ich nicht (sprach Scalza); sondern ich rede wie ich's meine, und wenn jemand von Euch Lust hat, eine Abendmahlzeit für fünf bis sechs Personen (die der Gewinner nach seinem Belieben einladen kann) daran zu wetten, und noch mehr dazu, so bin ich sein Mann, und ich lasse mir gefallen, wen Ihr selbst zum Schiedsrichter wählen wollt.«

Einer von ihnen, namens Neri Vannini, übernahm die Wette, und sie wurden einig, daß ihr Wirt Piero di Fiorentini sie entscheiden sollte. Sie gingen beide zu ihm und die Übrigen begleiteten sie, um das Vergnügen zu haben, den Scalza verlieren zu sehen und ihn zu necken. Dieser Piero, der ein gescheiter Mensch war, ließ sich zuerst vom Neri erzählen, worauf sie gewettet hätten, und fragte hierauf den Scalza, wie er seine Behauptung beweisen wollte.

Scalza antwortete: »Ich will es Euch so deutlich beweisen, daß nicht Du allein mir Recht geben sollst, sondern auch derjenige, der mit mir gewettet hat, selbst eingestehen soll, daß ich die Wahrheit sage. Ihr wißt wohl, je älter die Geschlechter sind, um desto adeliger werden sie gerechnet. Das hatten diese Herren vorhin selbst gesagt. Nun sind aber die Baronci älter, als alle übrigen Menschen und folglich auch adeliger, und wenn ich Euch also ihr Altertum beweise, so habe ich unstreitig meine Wette gewonnen. Wisset demnach, daß unser Herr Gott die Baronci erschuf, wie er erst anfing, zeichnen zu lernen; die übrigen Menschen aber, wie er schon fertig zeichnen konnte. Dies könnt Ihr leicht gewahr werden, wenn Ihr die Baronci mit den andern Menschen vergleicht; denn bei den Letzteren werdet Ihr lauter regelmäßige Gesichter und richtige Verhältnisse der Glieder antreffen, dagegen findet Ihr bei den Baronci bald ein langes spindelförmiges Gesicht, bald eine platte breite Fratze; der eine hat eine schrecklich lange Nase, der andere ein kurzes aufstehendes Stumpfnäschen; bei dem einen steht das hervorragende Kinn in die Höhe, als wenn es die Nase begrüßen wollte, der andere hat ein paar Kinnbacken, wie ein Müllertier; bei diesem ist das eine Auge größer, als das andere, der jenem steht das eine hoch und das andere niedrig. Mit einem Worte, sie haben lauter solche Gesichter, wie die Kinder sie zu kritzeln pflegen, wenn sie zu zeichnen anfangen; man kann demnach deutlich sehen, daß unser Herr Gott sie machte, wie er noch zeichnen lernte; folglich sind sie älter, als alle übrigen Menschen und also auch adeliger.«

Wie Piero, der Schiedsrichter, und Neri, der die Wette gelegt hatte, dieses hörten, mußten sie über die spaßhafte Schlußfolge des Scalza lachen; sie gaben ihm Recht und erklärten ihn für den Gewinner der Wette und die Baronci für die ältesten Edelleute, nicht nur in Florenz, sondern auch in der ganzen Welt.

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