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Ein altes Bauernpaar hatte einen Hund, der ihm viele Jahre treu gedient hatte. Der Hund hieß Murrjan. Als Murrjan nun alt und schwach geworden war, beschloß der Bauer, ihn totzuschlagen. Der Hund, der davon gehört hatte, ging in den Wald und klagte dem Wolfe, was ihm bevorstand. Der Wolf aber sagte, er solle nur zu ihm in den Wald ziehen; dann werde er genug zu fressen bekommen. Der Hund befolgte diesen Rat.
In der nächsten Nacht sagte der Wolf zu Murrjan, er wolle zu seinem Bauern gehen und in den Schafstall einbrechen, um sich einige Schafe zu holen. Der Hund gab seine Einwilligung und versprach, nicht bellen zu wollen, wenn der Wolf sich mit höchstens fünf Schafen begnügen würde.
Kaum aber war der Wolf in den Schafstall eingedrungen, so biß er alle Schafe tot, die ihm vor den Rachen kamen, und der Hund, der nun nicht mehr durch sein Versprechen gebunden war, lief vor das Schlaffenster seines alten Herrn und fing dort heftig an zu bellen. Der Bauer aber meinte, der Hund belle nur deshalb, um in das Haus eingelassen zu werden, weil es ihm draußen zu kalt sei, und blieb ruhig im Bette liegen.
Als der Bauer am anderen Morgen die Schafe füttern wollte, sah er das Loch in der Wand des Schafstalles und bemerkte, daß ihm eine große Anzahl von Schafen fehlte. Da lief er schnell in die Schlafstube und sprach zu seiner Frau: »Der Murrjan ist doch ein gutes Tier, wir wollen ihn nicht umbringen.«
Als Murrjan am folgenden Tage wieder zu dem Wolf kam, bat dieser ihn, er möge ihn doch noch einmal bei dem Bauern einbrechen lassen. Der Hund erwiderte, das ginge nicht an, weil der Bauer den ersten Einbruch schon gemerkt habe. Aber der Wolf, dem die Sache so gut gefallen hatte, ließ nicht nach mit Bitten, und schließlich gab der Hund abermals seine Einwilligung unter der Bedingung, daß der Wolf nicht mehr als ein Schaf rauben dürfe.
Der Wolf war es zufrieden. Aber kaum war er im Schafstall, so war wieder des Mordens schier kein Ende.
Da lief Murrjan unter das Fenster seines Herrn und fing wieder laut an zu bellen.
Als der Bauer erwachte, weckte er schnell seine Frau und den Knecht, und alle drei eilten hinaus nach dem Schafstall. Der Knecht hielt einen Sack vor das Loch in der Wand, und die Bäuerin stellte sich mit einer Heugabel daneben; der Bauer aber ging mit einer Laterne in den Stall.
Nun wollte der Wolf schnell durch das Loch entwischen; aber gerade dadurch kam er in die Gewalt seiner Widersacher. Als der Knecht merkte, daß der Wolf in den Sack gesprungen war, band er diesen schnell zu, und die Bäuerin schlug und stach mit der Heugabel darauf los. Als sie meinten, daß der Wolf tot sei, warfen sie den Sack mit dem Tiere in ein Wasserloch, das sich auf dem Bauernhofe befand. Aber der Wolf war noch nicht ganz tot, und als er das kalte Wasser an seinem Leibe fühlte, raffte er alle Kraft zusammen, daß er sich von dem Sack befreite und wieder ans Land schwamm.
Als Murrjan am folgenden Tage wieder in den Wald kam und den Wolf traf, war dieser sehr böse und wollte ihn wegen seines Verrates auffressen. Aber Murrjan lief fort, und der Wolf konnte ihn nicht einholen, weil er infolge der letzten Abenteuer zu viele Schmerzen an seinem Leibe verspürte.
Der Hund hatte nun wieder gute Tage auf dem Bauernhofe. Der Bauer hatte seine Treue erkannt und behandelte ihn gut. Die Bäuerin hatte ein mitleidiges Herz und kochte ihrem Hofhunde Semmeln in Milch, weil er die Knochen nicht mehr beißen konnte.
So erfuhr Murrjan auf seine alten Tage doch noch eine gute Behandlung und brauchte nicht die Hilfe des Wolfes, um sein Leben zu fristen.