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Ein Drache wohnte in einem fließenden Wasser, und auf eine Zeit, da das Wasser sehr wuchs, führte es den Drachen mit fort, bis es wieder abnahm. Als es ganz verlaufen war, blieb der Drache auf trockenem Lande liegen, und er konnte nicht weiterkommen.
Dieweil er also lag, ging ein Bauer des Weges mit seinem Esel und sprach: »O Drache, wie liegst du hier?«
Der Drache antwortete: »Als das Wasser wuchs, bin ich ihm gefolgt, und als es verlaufen ist, hat es mich auf dem Trocknen gelassen, und nun kann ich nicht mehr ins Wasser kommen. Willst du mich aber binden und auf deinen Esel legen und wieder in meine Behausung bringen, so sollst du von mir Gold und Silber dafür empfangen.«
Der Bauer ward zum Mitleid bewogen, band den Drachen, legte ihn auf den Esel und brachte ihn nach seiner Wohnung zurück.
Nachdem er ihn von dem Esel gehoben und ihm alle Bande gelöset hatte, begehrte er seinen Lohn in Gold und Silber. Der Drache aber sprach: »Begehrst du Lohn dafür, daß du mich gebunden hast?« Der Bauer sprach: »Du hast mich ja darum gebeten!« Der Drache sprach: »Ich will dich zum Lohne fressen, denn ich habe großen Hunger.« Der Bauer versetzte: »So wolltest du mir Übles für Gutes geben?«
Als sie so sprachen, kam ein Fuchs dazu, und als der den Streit der beiden vernahm, sprach er: »Brüder, warum streitet ihr miteinander?« Der Drache antwortete: »Der Bauer hat mich hart gebunden, auf den Esel gelegt und hierhergeführt.« Der Mann entgegnete hierauf: »Höre mich, lieber Fuchs! Der Drache ist von einem wachsenden Wasser hinweggeschwemmt worden und zuletzt auf dem trocknen Sande liegengeblieben. Als ich vorüberkam, bat er mich, ihn gebunden auf den Esel zu legen und wieder in seine Behausung zu führen; dafür versprach er mir Gold und Silber, nun aber will er mich – fressen.« Da sprach der Fuchs: »Du hast töricht getan, daß du ihn gebunden hast. Darum zeige mir, wie du ihn gebunden hast, so will ich alsdann richten zwischen euch.«
Der Bauer fing an, den Drachen zu binden. Danach fragte der Fuchs den Drachen: »Hat dich der Bauer so hart gebunden?« Der Drache antwortete: »Nicht allein so hart, sondern hundertmal härter!« Da sprach der Fuchs zu dem Bauern: »Binde ihn härter!« Der Bauer, der sehr stark war, band den Drachen mit aller Kraft. Da sprach der Fuchs zu dem Drachen: »Hat er dich so hart gebunden?« Der Drache antwortete: »Ja, Herr Fuchs, er hat mich wohl so hart gebunden.« Da sprach der Fuchs zu dem Bauern: »so verknüpfe die Bande gar wohl; leg ihn auf den Esel und führ ihn wieder dorthin, wo du ihn gefunden hast! Dort laß ihn so gebunden liegen; so kann er dich nicht fressen.«
Der Bauer vollbrachte alles, wie der Fuchs geraten hatte, und war des Drachen ledig.