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Der Löwe und der Hase

Es kam ein Hase zum Löwen und sprach: »Herr, ich bin zu Paris auf der hohen Schule gewesen und habe mein Vermögen verstudieret und bin ein gelehrter Gesell geworden. Ich begehre, Ihr wollet mir ein Dienstgeld, eine Pension, oder ein Wartegeld geben, daß ich Nahrung haben möge, denn ein König bedarf gelehrter Leute und besonders der Rechtsgelehrten und Redner.«

Der Löwe sprach: »Du sagst recht; ich will dich aber zuvor prüfen, ob du wohl gelehrt bist, und was du studieret hast; darum komm' mit mir in den Wald!«

Als sie nun durch den Wald gingen, da sahen sie einen Jäger, der hatte die Armbrust gespannt und wollt' entweder einen Fuchs oder einen Bären schießen, die er da beieinander sah. – Der Fuchs lief und sprang hin und her und blieb nicht an einem Orte still stehen, der Bär aber gedacht' an seine Stärke und meinte, er wolle den Jäger zerreißen, und sprang gegen ihn. Der Jäger drückte die Armbrust ab und traf den Bären in das Herz, daß er gleich tot war.

Da sprach der Löwe zum Hasen: »Sage mir ein Sprüchlein darauf!« – Da sprach der Hase: »Weisheit ist besser als Stärke.«

Der Löwe lobte den Spruch und er gefiel ihm wohl.

Danach kamen sie in eine Stadt; da sahen sie einen Herrn, der hatte zwei Knechte; und was der Herr dem einen Knechte hieß, das tat er alles, und was er dem andern Knechte hieß, das wollte dieser nicht tun, sondern fluchte auf den Herrn und gab ihm stolze Worte. Der Herr ließ den Knecht übel schlagen und jagt' ihn von sich.

Der Löwe sprach zum Hasen: »Sage mir auch ein Sprüchlein hierauf!« – Der Hase sprach: »Schweigen ist besser denn übel antworten.«

Der Löwe war mit dem Sprüchlein zufrieden.

Zum dritten kamen sie in ein Dorf; da sahen sie, wie ein Bauer zwei Ochsen zusammenband unter das Joch und wollte zu Acker gehen, und legt' ihnen eine Bürde Heu auf den Kopf. Der eine Ochs trug das Heu mit Geduld; der andere Ochs murrte wider den Bauern und sprach: »Was soll uns so wenig Heu? Es mag uns doch nicht ersättigen und uns die Bäuche füllen! Ich will es nicht«' Und warf's ihm hin.

Da es nun Mittag geworden war, da aß der Bauer zu Mittag und gab dem einen Ochsen sein Heu, daß er sich damit erquicke. Der andere Ochse hatte nichts sich zu laben und zu stärken und mußte ungefüttert im Pfluge ziehen bis zur Nacht, so daß er erlag und starb vor Hunger.

Der Löwe sprach: »Sag' mir ein Sprüchlein hierüber!«

Der Hase sprach: »Etwas haben ist besser, als nichts haben.«

Da sagte der Löwe zum Hasen: »Du bist recht und wohl gelehrt und hast deine Zeit nicht verloren; da, nimm die Pension! Du bist ihrer würdig.«

Und der Hase war gleich bei der Hand und machte folgenden Vers darauf:

»Wer auf Erden hoch will steigen,
Mache Weisheit sich zu eigen.«

 


 


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