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XXXVII

Frau Coßmann war, als Cayrú eines Vormittags mit den bestellten Fischen kam, allein auf dem Hof. Martha säte im Gemüsegarten krausen Salat aus, und Anne-Marie war mit der alten India nach der Lagune gegangen, um sich von ihr zeigen zu lassen, wo man die Chupawurzel findet. Chupa ist eine Schilfart, deren Wurzel ein dem Ingwer verwandtes Aroma besitzt und auch dessen scharfen Geschmack hat. Man braucht das Gewürz für die Zubereitung der Chicha … will man nicht jene üblen Ingredienzien nehmen, die von den Waldindianern bevorzugt werden und als Geheimnis bewahrt bleiben.

Frau Coßmann nahm dem jungen Fischer den Fang ab; es waren vier große, blauschuppige Barben, die zusammen mehr als sechs Kilo wogen. Sie waren blutfrisch, und es schien, als zuckten sie noch, denn vor einer Stunde erst hatte Cayrú sie gefangen.

»Du bist ja ein ganz tüchtiger Pecador, mein Junge! Bald wirst du das Handwerk so gut verstehen wie dein Vater. Er war ein fleißiger Mann, immer so still und bescheiden. Als wir hier das Land kauften, war er uns oft bei der Arbeit behilflich.

Es ist schade, daß die Leute hier so weit auseinander wohnen und du solche weiten Wege machen mußt, um deine Fische und Krebse loszuwerden. Deine Mutter hat sich wirklich sehr quälen müssen. Aber du bist ja jung, dir fällt das Laufen sicher viel leichter.

Sage mal: Bist du auch schon einmal bei dem Almacenero Gutjahr gewesen? Er wohnt in Tres Arroyos, nicht weit von Santa Clara, wo die Yerbamühle ist. Dort bringst du auch immer Krebse hin, nicht wahr? Versuche es jetzt auch einmal mit dem Almacenero Gutjahr, und sage ihm, daß ich dich geschickt habe. Willst du das tun?«

»Ich werde gehn nach Tres Arroyos; es wohnen dort auch Indios, die Fische und Krebse kaufen.«

»Schön, daß du gehn willst; denn der Gutjahr wird sicher ein guter Kunde von dir werden. Und uns kannst du jetzt auch regelmäßig jede Woche einmal Fische und einmal Krebse bringen. Wir werden die Fische räuchern, unser neues Mädchen kennt sich gut darin aus.«

»Man wird jetzt auch bei uns die Fische räuchern, ist besser für den weiten Weg. Und auf dem Dorf unsere Leute essen gern Fische aus dem Rauch.«

Frau Coßmann ging in die Küche und holte für Cayrú ein paar Galletas, aus Weizenmehl und Honig gemacht. Er bekam auch einen Topf voll Milch zu trinken, was ihm gewiß nicht alle Tage passierte. Für die Fische verlangte er schwarze Bohnen und Salz.

Er hatte sich auf die Treppe zur Veranda gesetzt und verspeiste die Galletas. Dann und wann warf er auch den Hühnern ein paar Brocken hin und bewunderte das schneeweiße Federvieh. Über hundert Hühner waren da versammelt, und nicht ein farbiges fand sich darunter. Doch, es tummelten sich auch ein paar Perlhühner auf der Grünfläche zwischen den beiden Galpons. Sie waren aber viel zu stolz, um sich unter das »Volk« zu mischen. Sie hielten sich »streng separat«, wie Frau Coßmann sich ausdrückte.

Als Cayrú den Topf Milch geleert hatte, öffnete er den runden Bastkorb, den er neben sich stehen hatte, und übergab Frau Coßmann das sauber gegerbte Fell des vor einigen Wochen erlegten Pumas. Frau Coßmann wußte nicht, daß Huacua, der Jäger, dem Burschen das Fell übergeben hatte, und es war ihr auch nicht bekannt, wie der Pelz eines Pumas gefärbt ist, wenn man ihn auf indianische Art zubereitet.

Frau Coßmann glaubte zunächst, es sei ein Fuchs; und deshalb fragte sie Cayrú: »Gibt es denn hier auch Füchse?«

Cayrú verstand nicht, was Frau Coßmann meinte. Er fragte aber nicht weiter, sondern sagte nur: »Es wird sein gut für die Doñita, nachts, wenn es ist kalt.«

»Hat Anne-Marie denn das Fell bei dir bestellt?«

»Nein, nicht bestellt; es sein aber gut für die Doñita!«

»Wenn du das Fell nicht brauchst und es uns verkaufen willst, bueno, wir werden es dir gern abnehmen. Ich werde es nachher dem Patrón zeigen; und der wird ja wissen, was man dir dafür geben muß. Vielleicht könnte man dir ein schönes Hemd kaufen, solch eins, wie die Arbeitsleute hier auf dem Hof tragen. Was meinst du?«

»Es wird sein, wie es die Doñita bestimmt …«

Auf Frau Coßmanns Stirn zeigten sich plötzlich Falten, und die Unterlippe schob sich ein Stück vor. Dieser Junge ist ja rein närrisch, dachte sie. Entweder sieht er das Kind als ein Wesen an, das man wie eine Gottheit verehren muß, oder ihn sticht tatsächlich der Hafer. Immerhin benimmt er sich schicklich. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich ihn mal ins Gebet nehmen.

»So …«, sagte sie, als sie den ihr hingereichten Milchtopf an sich nahm, »nun bist du für heute entlassen, mein Lieber. Denn sicher wirst du in der Bai auch noch nach Krebsen Ausschau halten wollen. Heute haben wir Mittwoch, am Sonnabend also kannst du uns wieder Fische bringen, aber kleine, nicht wahr, die lassen sich besser räuchern.«

»Man wird auch eine andere Sorte zum Räuchern nehmen. Ich werde bringen dreimal eine Hand.« (Er meinte dreimal fünf Finger, gleich fünfzehn Stück.)

»Mehr oder weniger, mein Junge, soviel du eben abgeben kannst.«

Cayrú packte die Sachen, die er von Frau Coßmann bekommen hatte, in den Fischkorb und trabte davon. Er schlug den Weg quer durch den Busch ein und begegnete dort den beiden Holzfällern Yamacinto und Huacua. Sie nötigten ihn, Chicha mit ihnen zu trinken. Sie hielten gerade ihre Mittagspause, die dauerte meist von elf bis zwei Uhr. Cayrú setzte sich zu ihnen und sagte, daß er die kommende Woche mit dem Räuchern von Fischen beginnen würde.

»Du Dummer weißt aber doch gar nicht, was man für ein Holz zum Räuchern nehmen muß«, sagte Yamacinto.

»Ich weiß von der Mutter, was man zum Räuchern nehmen muß. Es wird sein trockenes Schilf und Blätter von der Yuca. Zuletzt streut man Beeren vom Papageienstrauch in die Glut. Und so werde ich es halten.«

»Richtig. Du hast aber vergessen, daß man auch Nußschalen in das Feuer hineintun muß. Wo willst du hier einen Nußbaum finden? Ich habe noch keinen gesehen.«

»Auf der Insel findet man ihn«, antwortete Cayrú. »Wenn ich heute hinüberfahre, werde ich gleich die Schalen sammeln.«

»Und das weiße Mädchen wird dir dabei behilflich sein?« fragte Yamacinto und lachte.

»Man wird fahren allein nach der Insel.«

»Immer fährst du allein?« fragte Yamacinto. »Das ist nicht die Wahrheit, du lügst. Am Ende wirst du uns auch noch erzählen wollen, daß es nicht eine Weiße, sondern eine Negra ist, die mit dir zur Insel fährt? Und du hast auch sicher noch nie auf dem Bauch des weißen Mädchens geschlafen?«

»Man soll nicht reden so dumm von der Doñita!« gab Cayrú zur Antwort, in einem Ton, den die beiden Indios von dem jungen Mann noch nicht gehört hatten. Und er goß auch die Chicha, die er hätte trinken sollen, wütend in das Kraut.

Yamacinto legte den Zeigefinger an die Nase, schüttelte den Kopf und sah Huacua an. Denn von ihm hatte er die Nachricht, daß Cayrú mit dem weißen Mädchen zur Insel gefahren sei und daß sie eine Ewigkeit lang dort geblieben wären.

Huacua kratzte sich den Kopf und brummte: »Caramba … kannst du schon so böse werden, Junge! Aber man hört es doch im Dorf, daß du dich zu dem weißen Mädchen hältst. Es würde besser für dich sein und für das Andenken deines Vaters, wenn du zum Kaziken gingst, um ihm zu sagen, daß er dir eine Frau besorgen solle. Denn solch ein großer Mann wie du läuft nicht ohne Frau herum.«

»Man wird tun, was einem die Gedanken befehlen!« antwortete Cayrú und erhob sich zum Gehen.

Yamacinto aber hielt ihn noch zurück und redete mit guten Worten auf ihn ein, sagte, daß er doch nicht vergessen dürfe, wer sein Vater gewesen wäre. Und von diesem Vater habe er die Verpflichtung erhalten, die indianische Rasse nicht aussterben zu lassen.

»Es wird sein, wie ich will, und nicht, wie ihr es wollt!« gab Cayrú trotzig zur Antwort.

»Laß ihn doch fahren!« sagte Huacua zu Yamacinto. »Unsere Mädchen im Dorf wollen sowieso nichts von ihm wissen, weil er schon ganz und gar den Geruch der Weißen an sich hat.«

Cayrú riß sich jetzt los von Yamacinto, der einen Arm um seine Schulter gelegt hatte. Er lief davon und achtete auch nicht auf die Schimpfworte, die man ihm nachwarf. Er fühlte sich so zerschlagen wie damals, als Heinrich Coßmann ihn verprügelt hatte.

Es war Anne-Maries wegen. Und jetzt hatte man ihn wieder dieses Mädchens wegen so beschimpft.

Er setzte sich unter den blühenden Lapacho auf der Barranca und grübelte: Vielleicht wird die Muñeca wissen, was man zu tun hat, um aus dem schlechten Gerede herauszukommen.

Die Sonne brannte auf das Wasser herunter, und das Wasser warf die Glut auf den Uferstreifen zurück. Cayrú verspürte nicht viel davon, obwohl der Honigduft in den Blüten kochte und in einem feinen Nebel verdampfte. Es dampfte auch aus dem Kraut herauf. Selbst der kleine schwarzlackierte Laubfrosch hörte auf, das Xylophon zu schlagen.

In dieser schwülen, feuchten und klebrigen Stunde wanderten große Schmerzen in Cayrús Innern herum, sie waren bald hier und bald dort und füllten ihn zuletzt ganz aus. Müdigkeit bedrängte ihn, aber er kämpfte mit aller Macht dagegen an. Er wollte wach bleiben und in einer Stunde nach der Insel hinüberfahren.

Der Schlaf war stärker als der Wille, wach zu bleiben. Und der Schlaf wischte auch die Schmerzen weg und legte dafür einen Traum über das geplagte Herz. Aber Anne-Marie war nicht in diesem Traum. Das Gesicht eines anderen Mädchens berührte ihn, ein indianisches Gesicht, es hätte das der Micha sein können. Er schüttelte das Gesicht ab mit einer heftigen Bewegung, und darüber wachte er auf. In seinen Gliedern war ein wildes Prickeln, als hätte er auf einem Ameisennest gelegen. Er erhob sich und stand da mit gespreizten Beinen. Er sah auf den Fluß hinaus; jenseits der Insel mußte wohl das Dampfboot vorüberfahren, denn ein langer dünner Rauchfaden schwebte in der Luft und glitzerte.

Alle vierzehn Tage einmal machte das Schiffchen diese weite Reise von Asuncion nach dem Hafen der Kolonie »Blanda Mirasol«. Manchmal, wenn der Fluß einen niedrigen Wasserstand hatte, blieb es auch viele Wochen weg und damit für die Leute dort oben in der »wildesten Wildnis« die Verbindung mit der zivilisierten Welt.

Früher hatte Cayrú sich nie Gedanken über das große Fahrzeug gemacht. Erst als Anne-Marie ihm einmal sagte, daß sie mit solch einem Schiff über das große Wasser gekommen sei, vor langer, langer Zeit, nahm er es in seine Betrachtung hinein. Von welchen Kräften das Dampfboot vorwärts bewegt wurde, blieb ihm auch dann noch verschlossen, als das Mädchen ihm die Dampfkraft zu erklären versuchte.

Meine Gedanken sind arme Gedanken, sagte er sich immer wieder. Vielleicht muß es doch bald anders werden, ganz anders. Denn ich möchte nicht, daß Yamacinto auch noch fernerhin schlecht über mich redet und einen Narren aus mir macht.

 

»Hast du Cayrú darum gebeten, daß er dir das Fell des Pumas geben soll?« fragte Muttchen, als Anne-Marie auf der Veranda saß und müde von dem ziemlich anstrengenden Suchen nach der Gewürzwurzel war.

»Gebeten? No, aber er hat mich neulich gefragt, ob ich das Fell haben wolle, weil es für ihn keinen Wert habe. Und als ich ihm sagte, ich könne es nicht annehmen, ich müsse erst den Vater fragen, da meinte er, es sei schon so abgemacht, daß das Fell allein mir gehöre. Hat er es gebracht? Zeige es mir doch, bitte!«

»Hinter dir im Kasten liegt es. Ein sehr schönes Stück; wer kein besonderer Kenner ist, der wird es für einen Fuchs halten.«

Anne-Marie nahm das Fell aus dem Kasten heraus, strich mit den Fingerspitzen darüber hin und legte es sich um.

»Noch drei Stück davon, und man hätte einen netten Mantel. Findest du nicht auch, Muttchen?«

»Was willst du hier mit solch einem schweren Mantel, Kind? Drüben, in unserer alten Heimat, da wäre er natürlich gut angebracht.«

»In Buenos Aires trägt man im Winter doch auch Pelzmäntel. In der Revista kann man ja die Abbildungen sehen.«

»Vielleicht trägt man dort Pelzmäntel; ich weiß es nicht mehr so genau. Es ist ja auch schon sehr lange her, daß ich dort war. Mich zieht es allerdings auch nicht hin; wenn schon reisen, dann ein ganzes Stück weiter.«

»Mir würde schon Buenos Aires genügen, Muttchen.«

»Das wird ja wohl auch bald in Erfüllung gehen, mein Kind, das heißt, wenn du morgen dich nicht wieder anders besonnen hast.«

»Ich glaube nicht, Muttchen.«

»Um so besser! Aber etwas anderes möchte ich dir noch zu dem Pelz sagen. Ich finde es nämlich nicht gerade nett von dir, daß du die Gutmütigkeit dieses armen jungen Menschen so mißbrauchst. Hast du das noch nie empfunden?«

»Wieso mißbrauchen, Muttchen?«

»Weil er den Wert der Dinge, die er dir bringt, nicht kennt. Und vielleicht auch, weil du ihn dazu animierst.«

»Weshalb soll man sich denn nichts schenken, niemandem wird etwas damit genommen. Oder doch? Hat Onkel Heinrich wieder gemeckert? Man könnte es beinahe glauben.«

»Onkel Heinrich hat den Pelz noch gar nicht gesehen. Und schließlich meckert er auch nicht, sondern kritisiert, wenn ihm etwas nicht richtig erscheint. So, wie ich dich jetzt auch tadeln muß.«

»Was habe ich denn wieder angestellt?«

»Wir sind immer noch bei der alten Sache, mein Kind, bei dem Pelz, den du dir hast schenken lassen. Geschenke verpflichten. Und deshalb kann man sie nicht von jedem so ohne weiteres annehmen. Begreifst du das? Ich hoffe.«

»Ich verstehe dich nicht, Muttchen! Ein Pumafell ist doch kein Verlobungsring. Außerdem habe ich Cayrú ausdrücklich gesagt, daß er von Vater eine gute Belohnung für das Fell erhalten wird, genauso wie für die Reiherfedern, die er uns bringt.«

»Mit den Reiherfedern hat das gar nichts zu tun, denn die hat Vater bei ihm direkt bestellt.«

»Und mit dem Fell verhält es sich anders?«

»Ja … ein wenig anders, weil es eben ein Geschenk ist; das hat der junge Mann ausdrücklich betont. Und nun komme ich auf das, was du bei der ganzen Geschichte wahrscheinlich nicht beachtet hast. Wenn sich nämlich ein junger Indio um ein Mädchen bewirbt, dann stellt er vor die Haustür des Mädchens die seinem Vermögen entsprechenden Geschenke, eine Kuh oder ein Schwein, eine Ziege oder ein Fell. Und wenn das Mädchen diese Geschenke annimmt, respektive ihr Vater, dann besteht eine Verpflichtung für das Mädchen. Wozu … das brauche ich dir wohl nicht zu erklären. Wir haben uns über die sonderbaren Sitten ja oft genug unterhalten, nicht wahr?«

»Man hat uns weder eine Kuh noch ein Schweinchen vor die Tür gestellt. Ich jedenfalls habe noch nichts davon bemerkt. Oder glaubst du denn, daß Cayrú so stockdumm ist und nicht weiß, daß bei uns andere Sitten gebräuchlich sind?«

»Ich nehme durchaus an, daß er es nicht weiß.«

»Bueno! Dann werde ich es ihm bei der nächsten Gelegenheit genau erklären und bei Nichtbefolgung Strafe androhen.«

»Ich hoffe sehr, daß du es nicht tun wirst, Tochter!«

»Ach so … jetzt schon auch du …«

»Was … auch ich?«

»Mir den Unterschied klarzumachen … daß er ein schmutziger Indio ist und ich, hundert Stufen höher, eine Weiße, eine garantiert rassenreine Weiße sogar, festgestellt durch Heinrich Coßmann.«

»Schäme dich, Mädchen, mir solch eine Antwort zu geben!« sagte die Mutter tief gekränkt und blieb danach eine ganze Weile still. Sie sah aber, daß Anne-Marie schließlich doch noch die Augen niederschlug und die Lippen bewegte.

Sie hält mit aller Gewalt das Weinen zurück, dachte die Mutter, als Anne-Marie vor lauter Verlegenheit das Fell wieder in den Kasten legte und das Gesicht gegen die Scheiben der Veranda drückte.

Ja … auch das hat sie von ihrem Vater … dachte Frau Coßmann weiter: Nur nicht zeigen, was im Innern vor sich geht. Hart scheinen und trotzköpfig bleiben. Man sieht, wie ihr das Blut in den Schläfen klopft, vor Anstrengung, die Tränen nicht kullern zu lassen.

»Wenn die Ameisen wieder mit den jungen Blättern über die schmale Rinne hier laufen, muß man Pulver streuen …«, sagte Anne-Marie völlig geistesabwesend. Sie sah in eine graue Leere hinein und nicht dorthin, wo vom Spalier herunter das junge Weinlaub im Wind zitterte.

Frau Coßmann schüttelte den Kopf. »Du fühlst dich nicht gut, Tochter?« fragte sie.

Erschrocken drehte sich Anne-Marie herum. »Wie kommst du darauf, Muttchen?« Und wie durch einen Nebel sah sie, daß die Mutter sie mit ernsten und besorgten Blicken betrachtete.

»Vielleicht bist du auch bloß müde … ich weiß nicht …« Und jetzt war sie es, die mit großer Anstrengung die Tränen in die Augen zurückdrängte.

»Ich fühle mich nicht im geringsten müde, Muttchen, oder gar krank. Hätte ich die Mula zur Hand, würde ich noch eine Stunde über die Felder reiten«, sagte Anne-Marie und setzte sich wieder an den Tisch. Sie strich mit spitzen Fingern über das Blumenmuster der Kaffeedecke und fing wieder an zu grübeln.

»Wenn es dir jetzt unangenehm ist … gut, wir werden später noch einmal über die Sache sprechen, Kind«, sagte Frau Coßmann und schickte sich an, in die Küche zu gehen.

»Worüber werden wir später noch reden, Muttchen?«

»Über die ungezogene Antwort, die du mir vorhin gegeben hast«, sagte Frau Coßmann und zog die Küchentür hinter sich zu.

Mechanisch ging sie mit schweren, immer schwerer werdenden Knien in der Küche umher, öffnete den Schrank und holte die Büchsen mit den Rosinen und Mandeln heraus, die Gewürze und das Backpulver. Sie wollte den Geburtstagskuchen für Onkel Heinrich schon heute backen. Martha sollte, wenn sie mit der Arbeit fertig war, den Teig rühren. Von draußen kam das aufgeregte Zwitschern der Vögel. Es war, als stritten und versöhnten sie sich wieder.


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