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Solch ein schon halb zivilisierter Indio, der im Dornbusch eine Lehmhütte stehen hatte und Yamacinto hieß, gesellte sich eines Tages auf dem gemeinsamen Heimweg zu Mayahua und sagte zu ihr: »Was mühst du dich Jahr um Jahr mit deinen Körben diesen beschwerlichen, weiten Weg ab? Stünde deine Hütte hier im Busch, dann hättest du nur eine oder zwei Stunden Weg bis zu der Stelle, wo du besser dein Brot verdienen kannst. Mein Patron braucht noch jemand zur Arbeit. Und hättest du dazu auch noch ein paar Kinderchen, die sich auf dem Felde mit dir rühren, dann bekämst du einen doppelten Lohn. Ich verdiene einen halben Peso für den Arbeitstag. In sechs Tagen sind das drei Pesos. Zwei davon stecke ich in den Beutel. Und wenn zweihundert im Beutel sind, verkauft mir die Regierung ein Stück Land. Dann bin ich Patron und kann mir sonntags immer einen guten Tag machen.
Überlege dir das, Schwester! Es braucht nicht gerade heute schon zu sein. Im nächsten Jahr aber könntest du ein paar Pesos im Beutel haben.«
»Weshalb soll ich es mir nicht überlegen, Schwager?« antwortete ihm Mayahua. »Ich werde es mir überlegen, und mein Sohn wird mir dabei helfen.«
»Du hast auch eine Tochter?«
»Nein, ich habe nur Cayrú.«
»Ist er stark, der Cayrú?«
»Er wird bald ein Mann sein.«
»Kann er schon ein Ochsengespann zügeln? Kann er Zugstricke flechten und einen Baum mit der Axt umhauen?«
»Mein Sohn könnte schon ein Mann sein, wenn eine Frau gekommen wäre und sich in der Nacht zu ihm gelegt hätte.«
»Sage deinem Sohn, ich hätte eine Frau für ihn. Aber er soll es sich schnell überlegen. Es ist eine gute Frau.«
Ein paar Grillenhüpfer weit vom Wege stand die Lehmhütte Yamacintos. Das mit Schilf gedeckte Dach hing windschief herab, und es wäre auch schon in die Brennesseln hinuntergerutscht, wenn zwei Säulenkakteen es nicht gestützt hätten. Auf einer Bastschnur, die sich rund um die Hütte spannte, schaukelten Tabakblätter zum Trocknen, gebündelt und erdbraun. Die Hütte hatte kein Fenster, aber vorn ein Loch, aus dem ein dicker blauer Rauch herausquoll.
Yamacinto steckte zwei Finger in den Mund und pfiff den schrillen Ruf des Töpfervogels. Er pfiff nur einmal, und aus dem Türloch heraus kugelte ein halbes Dutzend Kinder, braunhäutig, beinahe wie der Tabak, wie Ahornblätter im Herbst, wie an der Sonne getrocknete Zimtrinde. Und nichts weiter hatten die Kinder auf dem Leib als diese herbstlich falbe, trockene Haut, umflattert von den schwarzen Strähnen des Haares.
Jetzt pfiff Yamacinto noch einmal, aber einen anderen Ruf. Aus der Schar der Kinder löste sich das größte Wesen und kam näher. Außer der nackten indianischen Haut hatte dieses Kind aber noch, das sah man jetzt erst, als es vor Mayahua stand und neugierig ihr in den vier Zipfeln des Ponchos herumfingerte, daran roch und hineinbiß, eine Kette aus Kolibrischnäbeln um den Hals. Und auf der Brust knollten sich, wie kleine Kletterkürbisse, die mit spitzen Stacheln bewehrten Milchbehälter.
»So … Schwester, das ist Llamicha. Die könnte schon einen Mann brauchen«, sagte Yamacinto und zeigte auf seine Tochter.
»Ein schönes Mädchen, gewiß!« antwortete Mayahua.
»Oh, sie klöppelt dir Spitzen, feiner noch als Spinngewebe. Und Hängematten kann sie dir flechten, weich darin zu ruhen wie auf einem Fell.«
»Ein gesundes Mädchen!« antwortete Mayahua und taxierte die Kleine ab, wie man ein Schweinchen oder eine Ziege betrachtet: ob das fleischerne Gestell auch schon fett genug ist, es in Lehm zu packen und im offenen Feuer zu braten.
»Schwester, sie mahlt dir den Mais so fein, daß er durch das Säckchen unten wieder herausfällt, wenn man ihn oben hineinschüttet.«
»Ja … Zähne hat dieses Mädchen …«
»Mindestens eine Kuh und eine Last Hirse wert, liebe Schwester.«
»Man müßte ihr aber doch schon einen Lappen um die Hüften herumhängen, Schwager!«
»Das laß nur deinen Sohn besorgen, Schwester! Wenn es ihm so gefällt, das liebe Kind, daß ihm die Augen überlaufen Tag und Nacht … dann wird er ihr drei Lappen umhängen. Und vielleicht auch noch einen Muschelkranz dazu.«
»Muß es eine Kuh sein, Schwager?«
»Bring deinen Sohn morgen mit. Er wird Llamicha sehen und mir dann vor die Tür stellen, was ihm das Mädchen wert ist.«
Llamicha rieb sich die Nase mit einem Zipfel des Ponchos Mayahuas und bleckte das Gebiß zu ihr empor. Vielleicht war sie schon zwölf, vielleicht aber erst elf Jahre alt. Der Bauch war prall und rund und mit weißen und gelben Farben schön verziert. Sie nahm die Hand Mayahuas und spuckte hinein; es sollte der Frau Glück bringen. Und Mayahua rieb ihr mit der nassen Hand im Gesicht herum, und als sie die Schläfen des Mädchens berührte, verspürte sie das starke Pochen des Blutes. Das Mädchen mußte bald einen Mann haben, gewiß.
»Gut … Schwager!« sagte Mayahua nach einer Weile, »man wird hören, wie Cayrú darüber denkt.«
Yamacinto holte aus einem Bein seiner Leinenhosen eine Kalebasse hervor, klopfte dreimal mit den Knöcheln an und nahm einen kräftigen Schluck. Den zweiten Schluck durfte Mayahua nehmen. Sie vergoß Tränen dabei und mußte auch noch niesen. Es war ein grüner, bissiger Guarapa, ein Schnaps, aus den Rückständen der Zuckerrohrpresse gebrannt. Ein Teufelsschnaps, der nur für den privaten Hausgebrauch der Criollos bestimmt ist und den sich die Indios stehlen müssen, wollen sie ihn auch einmal schmecken.
Der Guarapa hatte Mayahua geschmeckt. Und sie kostete noch eine ganze Zeit mit der Zunge auf den Lippen herum. Damit war sozusagen der Vorvertrag abgeschlossen.
Sie schulterte sich die beiden Bastkörbe wieder auf und machte sich auf den Weg. Llamicha begleitete sie und lief noch ein ganzes Stück hinterher wie ein Hund, dem der fremde Hausbesucher sympathisch war, weil er nach einem anderen Hund angenehm roch. Das Mädchen trabte hinter Mayahua her, ohne ein Wort mit ihr zu sprechen, und blieb stehen, als sie glaubte, sie sei weit genug mitgegangen, als versprochene Frau Cayrús.
Mayahua ging vornübergebeugt ihren Weg weiter. Es waren noch gut zwei Stunden bis zur Rohrhütte an der Bai. Sie ließ ihre Gedanken schweifen; sie fuhren ein Stück in die Vergangenheit zurück. Sie kehrten wieder um und sagten sich: Ja, gewiß, Llamicha, längst schon könnte mein Sohn dein Mann sein. An der Bucht ist Platz genug für eine neue Hütte. Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr kleine Kinder schreien hören. Mehr als vierzehn Jahre sind es her. Die Jahre haben eine Männerstimme aus dem Geschrei gemacht. Es wird wohl an der Zeit sein, daß wieder ein neues Geschrei sich aufmacht in die Welt.
Die Sonne legte sich in ihr Feuerbett. Die Wipfel flochten ein rotes Gitterwerk herum, zuerst ohne einen Laut. Dann aber kam von ferne her der Donnergesang angeflogen. Er berührte jetzt schon die Spitzen der Bäume. Und mit einem Male raffte er alle Äste zusammen und fegte auch noch das Kraut hinzu, das unter den Bäumen wucherte: Schachtelhalm und Bromelien, Disteln, Nesseln, Ampfer und Kamillen, Königskerzen, Heliotrop und anderes Gesträuch. Der Weg schob sich wie ein umgestürzter, längst schon verfaulter Baumstamm durch das Unterholz. Er war so schmal, daß er nur die nackten Fußsohlen eines einzelnen Menschen trug. Mayahua aber ging ihn so sicher, als zöge ein Seil, von starker Hand gelenkt, sie Schritt für Schritt vorwärts. Sie atmete den Wind tief ein; ihr Rücken krümmte sich dabei, und die ganze Gestalt hatte jetzt das Aussehen eines in eine ihm unbekannte Landschaft hineintrabenden Tieres.
Der Weg bog schließlich in den seit einem Jahrhundert verwilderten Orangenhain. Man sagt, die Jesuiten hätten ihn angelegt, wenige Jahre vor ihrer Verbannung aus diesem Land. Das dunkle Massiv des Blättergrüns tat sich auf wie der Kelch einer Blumenglocke mit einem Büschel violetter Staubgefäße.
Unter den Sohlen verspürte Mayahua die Erde brennen. Ein leichter Rauch stieg hoch wie die Wesenheit der Bewegung unter den Wurzeln, jene Kräfte, die die rinnenden Säfte kochen und filtern und den Bäumen und dem Gesträuch, den Blüten und den Fruchtzapfen Kraft und Fülle geben.
Durch die Lücken einer frischen Rodung sah Mayahua jetzt den schwarzen Spiegel des Wassers. Er hatte alle Gesichter ausgelöscht, die dem Tag zugehörten. Er wartete auf den Mond. Man sah ihn auch schon in den Wipfeln der Bäume hängen, jenseits des Flusses, wie einen großen Kopf, besudelt von Blut.
Solch einen blutigen Kopf hatte Mayahua schon einmal auf dem Zaun der Hütte, worin sie aufgewachsen war mit Yuma, dem Bruder, und der Schwester Acanay, stecken sehen.
Der Kopf blieb so lange auf dem Pfahl, bis er, von den Ameisen und Fliegen poliert, weiß und blank wie Stein war. Dann erst holte man ihn herunter und tat Hirse oder Mandioka hinein, um auf diese Weise das schmarotzende Geziefer von den Nahrungsmitteln fernzuhalten. Zuletzt war dieser Kopf braun wie ein irdenes Geschirr, und niemand dachte mehr daran, daß es früher einmal der von Gedanken bewegte Kopf eines Menschen gewesen war.
So braun wie der zu einem Topf versteinerte Menschenkopf schwamm jetzt auch der Mond im Wasser der Bai. Und Cayrú hockte auf einem Stein unweit der Rohrhütte und warf mit kleinen, in lustig hüpfenden Sprüngen über das Wasser hintanzenden Steinen nach dem Mond. In Pausen aß er von einer wilden Batata, so wie er sie sich aus der Erde herausgekratzt hatte.
Mayahua dachte bei sich: Mit dem roten Mond gehen die Toten einher; sie essen von meinem Atem und trinken von meinem Blut. Nur in der Sonne breiten sich die Sträucher aus und geben mir ab von den Früchten, und die Krebse lassen sich locken, auf daß ich sie fange.
Und das dort ist mein Sohn. Ein Mann ist aus ihm geworden. Gut könnte er jetzt eine Frau brauchen. Möchte es Llamicha sein. Sie wird sich viele Kinder herausrufen lassen aus dem Bauch, und wenn sie schreien, werde ich wohl zu nichts mehr taugen in der Welt.
Ihre großen, feuersteinbraunen Augen wurden regungslos wie ein totes Wasser, als sie sich mit den Gedanken noch ein Stück weiter in das Zukünftige des Lebens hinauswagte.
Der Mond schwamm auf der Lagune heraus und ließ sich jetzt von der Strömung ein Stück höher heben. Der Wald verlor sich in eine düstere Unendlichkeit. Und als Cayrú mit den Batatas fertig war, den Rest der Steine einem Strauch in den Schoß warf und die Leuchtkäfer hochscheuchte, sah er endlich die Mutter. Der abwesende Blick ihrer Augen, der sich in der jenseitigen Trauer der Weltseele verloren hatte, verschattete das Gesicht in solch einem Maße, daß es Cayrú im ersten Moment wie das einer fremden Frau erschien.
Der Regenpfeifer flötete von der Insel herüber. Der Ochsenfrosch blähte sich auf und antwortete ihm. Der Stumpf einer wurmzerfressenen Weide glühte auf.
»Man müßte wieder Honig aus dem Nest der Espinille kratzen«, sagte Cayrú, nahm die Körbe und trug sie in die Hütte.
»Ja … mein Sohn … Honig für Llamicha …«, antwortete Mayahua. Sie sprach die Worte aber so tief in sich hinein, daß Cayrú kein Wort davon auffangen konnte.