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V

Als Mariechen beim Zubettgehen all die Stellen, über die die streichelnde Hand des indianischen Knaben hingefahren war, der Mutter zeigte und dann mit einer Art von Stolz und Genugtuung auch noch hinzusetzte, daß sie sich in der Dunkelheit unter den Blättern geküßt hätten … alles ganz harmlos erzählt und ohne Wissen darum, was sie damit eigentlich anrichtete …, war das Unglück da, ein Geschehnis, schlimmer als der plötzliche Einbruch eines Heuschreckenschwarmes auf der Plantage.

Die halbe Nacht saßen die drei Leute: der Kolonist, sein Bruder und Mariechens Mutter, beisammen; erregten sich, machten aus dem Vorfall die Spannung eines unerhörten Verbrechens und überlegten, was man tun müsse, um diesen »dreckigen indianischen Lauseknacker so gründlich und ein für allemal abzustrafen für das schändliche Attentat auf das unschuldige Kind, daß ihm das Hören und Sehen verginge«.

Eine Polizei, an die man sich in »zivilisierten Gegenden« ohne weiteres hätte wenden können, gab es hier nicht. Die uniformierten Vigilanten, lauter Halbindianer, hatten andere Dinge zu erledigen, als sich um solche, hier doch ganz natürlich wachsende Geschichten zu kümmern.

Würde man trotzdem den Señor Kommissar belästigen, dann käme aus der Geschichte womöglich noch etwas heraus, das sich zu einer eigenen Blamage auswüchse und von den immer schadenfrohen Leuten an die große Glocke gehängt werden würde.

»Denn welcher Kolonist«, meinte Onkel Heinrich, »läßt sich sein Haus von diesen indianischen Würmern so verunreinigen, wie wir es taten, indem wir den Misthund aufnahmen wie einen Menschen unseresgleichen und ihn aufgefordert haben, sich so schweinisch zu benehmen.«

Bis zu dem Punkt, daß man in einem gewissen Maße mitschuldig war an dem bösen Geschehnis, waren die Leute in ihren Überlegungen schließlich gekommen. Und mehr kam auch bei der Unterhaltung nicht heraus, die sich trotzdem noch eine Weile fortspann.

Und als sie endlich wieder einmal nach dem Mädchen sahen, in der Erwartung, eine neue Teufelei des Attentäters festzustellen, fanden sie das Gesicht des Kindes erhellt von einem hellen Lachen im Traum. In den vom Mondlicht weiß gefärbten Bäumen sangen die Blaudrosseln eine wunderbare Melodie dazu. Und es war wie eine Wiederholung des hellen Auflachens im Boot.

Wäre es jetzt allein nach dem Willen von Mariechens Mutter gegangen, dann hätte man das Weiternachdenken über den Fall eingestellt und sich ruhig schlafen gelegt. Und am anderen Morgen hätte die Sache wahrscheinlich ein weniger böses Aussehen gehabt.

»Was ist denn überhaupt Böses geschehen auf der Insel? Ich denke: nichts, was nach dem Gesetz, und das muß man in dieser Sache doch als Richtschnur nehmen, als verwerflich und strafbar zu bewerten ist«, sagte sie, um mit dem Hin- und Hergerede endlich zu Ende zu kommen. Darauf sahen sie sich an, einer den anderen, und schwiegen eine ganze Weile. Und das Kind lachte im Traum.

»Bueno«, nahm Onkel Heinrich das Gespräch wieder auf, »wenn deiner Meinung nach also kein strafbarer Fall vorliegt, muß von uns aus trotzdem etwas geschehen. Denn daß dieser Halbaffe es überhaupt gewagt hat, seine schorfigen Krötenhände nach der reinen weißen Haut eines unschuldigen Mädchens auszustrecken … das muß auf jeden Fall bereinigt und die geschädigte Ehre des Hauses ein für allemal wiederhergestellt werden.«

Mariechens Vater hob die Schultern, und die Mutter strich sich sorgenvoll eine Strähne ihres Haares aus der Stirn. Onkel Heinrich bot sich schließlich an, den strengen und gerechten Richter in dieser bösen und, wie er sich ausdrückte, die ganze weiße Rasse beleidigenden Sache zu spielen.

Er war einst kaiserlicher Soldat in Ostafrika gewesen und hatte Erfahrungen hinter sich mit den Negern am Kilimandscharo und auf der Steppe von Tabora. Diese Erfahrungen rankten sich hauptsächlich um die Nilpferdpeitsche und um die Verachtung des »Schwarzen Unkrauts«, um die Abstrafung der Jünglinge, die gutwillig ihre Mädchen nicht hergaben für eine Lustminute im Busch, um die unmenschliche Mißhandlung von säumigen Steuerzahlern und kleinen Dieben und schließlich auch um Dinge, die nichts mehr mit Zivilisation und Kolonisierung zu tun hatten, die nichts weiter waren als Exzesse gemeinster Art, begangen in der Trunkenheit und unter dem Druck des Tropenkollers.

Onkel Heinrich holte aus dem Stall eine aus ungegerbter Pferdehaut geschnittene und mit Fischgräten verflochtene Geißel, eine, wie man sie auf dem Camp benutzt, um störrische Bullen zu zügeln, und demonstrierte damit ein paar Lufthiebe. Diesen schrill pfeifenden Schwung sollte der Missetäter verspüren, in zehn, zwanzig Hieben.

Damit waren der Kolonist und seine Frau schließlich auch einverstanden. Sie selber wollten sich an dem »verdammten Warzenschwein« die Hände nicht schmutzig machen.

»Meinetwegen, wenn Heinrich die Sache so regeln will … gut, soll er tun, was er für richtig hält«, sagte Friedrich Coßmann.

Und die Mutter sah noch einmal nach Mariechen, deren Lippen sich im Schlaf gespitzt hatten wie zu einem Kuß.

Sie beugte sich über das Kind, berührte flüchtig Stirn und Mund und legte sich. Sie kam aber nicht zum Einschlafen. In den Eukalypten vor dem Haus rumorten die Eulen mit einem an den Nerven reißenden, klagenden Geheul. Und in den Balken der Zimmerdecke feilten die Holzwürmer.


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