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XXXV

Der Zwischenfall in jener Nacht, als für den obdachlosen Atem der verstorbenen Mayahua eine neue Wohnung im Schoß der Tänzerinnen gesucht wurde, bewirkte keine Unterbrechung der Feier. Nach der Ansicht des Kaziken und Zauberpriesters war es Tamputoca, die der große Geist dazu ausersehen hatte, dem eingefangenen Atem wieder das Gesicht eines Menschenwesens zu geben. Sie vereinigte sich mit Cayrú auf jener dunklen Schwelle, wo alle Frauen, ohne Ausnahme, einander gleich sind.

Kraft seiner natürlichen Unschuld war Cayrú über den Exzeß hinweggekommen, ohne daß etwas in ihm zurückblieb, was ihn an diese Frau hätte binden oder für eine lange Zeit verpflichten können. Er blieb in seiner Liebe zu dem weißen Mädchen, zu seiner »Muñeca«. Und diese Liebe war wie eine warme Quelle, die ohne Lärm aus den letzten Tiefen der Erde kommt und Kräfte enthält, die zu den geheimsten zählen, die wir kennen.

Als Cayrú an einem der nächsten Tage die Kleidungsstücke Anne-Maries auf den Hof brachte und sich entschuldigte, daß es erst jetzt geschähe, fragte ihn Friedrich Coßmann, ob er Anne-Marie zu der Totenfeier eingeladen und abgeholt habe oder ob sie von sich aus gekommen sei, und weshalb man sie nicht weggeschickt habe, da man sie doch gewiß nicht mit einer India verwechseln könne.

Cayrú sagte darauf: »Sie ist gekommen und hat gesehen. Sie ist eine Tochter der Sonne, und die Sonne ist nicht der böse Geist. Sie wollte tanzen und den Atem der Mutter einfangen. Mehr ist nicht.«

»Das ist ein Spuk, den ich nicht verstehe, mein Junge! Und vielleicht nicht du, aber der Kazike hätte wissen müssen, daß man ein unschuldiges Mädchen für solch einen Hokuspokus nicht mißbrauchen darf. Ich werde jedoch davon absehen, diese böse und skandalöse Sache der Polizei zu übergeben. Es könnte sonst sein, daß man euch alle auf den Schub bringt. Und damit ist uns nicht gedient. Auch auf den Hof kann ich dich vorläufig nicht nehmen, obwohl ich es dir fest versprochen habe. Du wirst dich noch gedulden müssen. In der Hütte deiner Mutter, die jetzt auf meinem Grund und Boden steht, kannst du einstweilen noch bleiben, das heißt, bis die Männer dort mit der Rodung beginnen. Ebenso erlaube ich dir auch noch die Krebsfischerei in der Bai, denn du wirst ja das Geschäft deiner Mutter fortsetzen wollen, nicht wahr?

Auch wenn du wieder die weißen Federn gefunden hast, kannst du zu mir kommen, ich nehme sie dir ab. Nur das laß dir gesagt sein: Wenn du meine Tochter im Busch siehst oder am Fluß … dann zieh dich zurück, mach dich, unsichtbar! Tust du das nicht, dann ist es aus mit der Freundschaft. Und was sich daraus ergibt, wird nicht gut für dich sein.«

»Es wird sein, wie der Patrón will«, antwortete Cayrú. Sein Gesicht war klar und aufgeschlossen und zeigte nicht einen Schimmer von Unterwürfigkeit.

»Bueno, ein Mann, ein Wort! wie man bei uns sagt. Hast du sonst noch etwas auf der Zunge?«

»Man hat auch das Boot zurückgebracht und festgemacht. Und dort, wo die dicken Blätter sind, fand ich die Spur von unserem Schwarzen.«

»Das Boot werden wir einstweilen aufs Trockene setzen. Und mit dem Schwarzen, was meinst du damit? Doch nicht etwa den Puma?«

»Es ist der Schwarze, der die Mutter getötet hat, und man wird ihn fangen müssen.«

»Womit willst du den Puma fangen? Mit der bloßen Hand? Oder vielleicht mit dem Schmetterlingsnetz? Das Raubtier zu beseitigen … diese Arbeit darfst du ruhig uns überlassen. Aber du kannst mir einmal die Spur zeigen.«

»Ich werde den Patrón führen. Aber ich möchte auch den Patrón fragen: Ist die Patronita böse?«

»Auf dich? Ich weiß nicht. Aber sie ist krank, sehr krank. Eure Sachen taugen nichts für ein weißes Mädchen. Und deshalb mußt du sie auch in Ruhe lassen.«

»Man wird der Patronita Beeren bringen, die machen alles gut.«

»Was sind das für Beeren? Und woher weißt du, daß sie auch für unsere Tochter gut sind?«

»Es sein Beeren für alles, was das Blut krank macht. Man weiß es von der Mutter, und die Mutter hat es von der Puñamoa. Puñamoa ist viel alt, weil sie von den Beeren ißt.«

»Bueno, wenn du weißt, wo man solche Beeren finden kann, dann bring sie uns bei Gelegenheit. Man wird sie probieren.«

»Man wird aber niemand sagen von den Beeren? Es gibt nicht mehr viel Beeren im Wald. Unsere Leute gehen weit nach den Beeren und finden nicht immer.«

»Man wird tun, was man kann, junger Mann! So … und nun warte hier ein paar Minuten! Ich werde das Gewehr holen. Und soll ich dir auch etwas zum Essen mitbringen? Süße Galletas? No? Hast keinen Hunger? Wie du willst!« Die letzten Worte hatte Friedrich Coßmann schon im Fortgehen gesagt. Er ließ Cayrú auf dem Hof zurück wie einen Hund, den man nicht in ein fremdes Haus mitnehmen darf.

Cayrú setzte sich auf den Schwellenstein. Er hatte gehofft, Anne-Marie zu sehen, vielleicht sogar ein paar Worte mit ihr sprechen zu können, und mußte nun erfahren, daß man einen Zaun um ihre Erscheinung gezogen hatte, einen Stacheldrahtzaun wie für das Vieh, um es vor den Dieben zu schützen. Und als einen Dieb sah man jetzt auch ihn an?

Er schüttelte den Kopf, er konnte es mit seinen engen und armen Gedanken nicht fassen. Er schüttelte sich und verspürte Schmerzen in den Schläfen, in der Brust, in den Nieren und in den Kniekehlen. Sein Gesicht war so fahl geworden wie der aus Lehm gestampfte Fußboden der Veranda.

Er schöpfte tief Atem und versuchte, den von allen Seiten ausbrechenden Schmerz zurückzupressen. Für einen Fremden, der die Ursachen der Qualen nicht kannte, war es sicher spaßhaft anzusehen, was Cayrú alles anstellte, um die Schmerzen wieder loszuwerden. Friedrich hatte die Schlußkadenz der schmerzlichen Verrenkungen gesehn und mußte laut auflachen. Und dann fragte er Cayrú: »Das ist wohl immer noch die Nachwirkung von den Unmengen Chicha, die ihr bei dem Fest kleingemacht habt?«

Cayrú öffnete zweimal den Mund, ohne daß etwas herauskam. Erst bei dem dritten Versuch, als sich die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammenfügten und das Kinn in ein heftiges Zittern geriet, bequemten sich die Worte dazu, laut zu werden: »Es ist nichts, Patrón … es sein auch nicht die Bichos!«

Und schon war sein Körper wieder straff, und sein Gesicht hatte seine alte, dunkelkupfrige Farbe.

»Freut mich, daß die Bichos dich nicht plagen!« sagte Friedrich Coßmann. »Jedenfalls ist die Zeit dir nicht lang geworden. So, und nun wollen wir mal sehen, ob du schon eine Igelspur von der Fährte eines Pumas unterscheiden kannst.«

Sie gingen den Pfad zum Flußufer hinab, Cayrú voran und der Patrón mit der schußbereiten Winchester im Arm hinterdrein.

Als Cayrú die Höhe jener Agave passierte, die wenige Schritte vom Pfad buscheinwärts lag, dort, wo er so oft auf das Kommen von Anne-Marie gewartet hatte und nicht minder oft sie auch auf ihn, blieb er einen Moment lang stehen und sah hinüber.

Auch Coßmann blieb stehen und fragte: »Hast du dort etwas bemerkt? In dem großen Strauch?«

Ohne die Antwort Cayrús erst abzuwarten, ging er pirschend zu der hochragenden Agave hinüber, aus der zwei feuerrote Blütenkolben emporschossen. Sie brannten aus dem blassen Grün der dicken und fetten Blätter wie Fackeln der Feuerwehr oder wie der Brand eines Heuschobers in stockdunkler Nacht.

Die Erde unter dem Strauch war graslos. Friedrich Coßmann bückte sich und vermeinte eine Spur zu sehen. Es war auch eine Spur, aber nicht die einer Raubkatze, sondern die halbverwischte der Schreibübungen Cayrús. Die Buchstaben ANNE MARIE.

Friedrich Coßmann konnte sie natürlich nicht entziffern. Er ging die paar Schritte wieder zurück und holte Cayrú, der weitergegangen war, schnell wieder ein. Er kam auf die Frage, deren Antwort er nicht abgewartet hatte, nach einer Weile wieder zurück: »Hattest du dort bei der Agave etwas bemerkt?«

»Es war nichts!« antwortete Cayrú. Und erst nach vielen vorübergelaufenen Sekunden fiel ihm ein, daß die Antwort nicht gut war. Und deshalb setzte er jetzt noch hinzu: »Es hat genau einen ganzen Mond lang gedauert, bis die zwei roten Lichter hochkamen. Und wieder wird es einen Mond lang dauern, bis sie ausgelöscht sind.«

»Du interessierst dich für das Werden und Vergehen von Pflanzenwesen?« fragte Friedrich Coßmann. »Das ist keine schlechte Beschäftigung. Wundervoll sehen die roten Blumenrispen aus. Eigentlich müßte man den Strauch nach unserem Garten verpflanzen. Hier im Busch hat man nicht viel von ihm. Meinst du nicht auch?«

»Ich werde umpflanzen den Strauch, wenn die roten Feuer nicht mehr brennen«, antwortete Cayrú. »Es wird sein ein Geschenk für die Patronita.«

»Immer die Patronita! Du vergißt vor lauter Denken an die Patronita die Spur des Pumas. Und darauf kommt es uns doch an, nicht wahr? Oder hast du das schon wieder vergessen?«

»Die Spur sein hier!« sagte Cayrú, sprang ein paar Schritte voraus und zeigte auf die Schrammen und umgeknickten Halme im Farn, der hier in über Mannshöhe stand.

»Das könnte stimmen«, sagte Friedrich Coßmann und ging der Spur nach, bis sie sich im Dschungel der Bambusstangen verlor.

Von dem vielen Bücken war ihm das Blut in den Kopf gestiegen. Jetzt dröhnte es in seinen Ohren wie von einem ununterbrochen geschlagenen riesigen Gong. Er verstand sein eigenes Wort nicht mehr, als er zu Cayrú sagte: »Also morgen, mein Junge! Morgen vormittag werden wir die Bestie einkesseln und ihr das Fell naß machen. Und dann wird deine Mutter auch Ruhe haben in ihrem kalten Bett.«

Cayrú wußte keine Antwort darauf. Aber er dachte an die Mutter auf seine Art und nahm sich vor, heute abend sie anzurufen und sich mit ihr zu unterhalten, sie vor allem zu fragen, wer zu ihrer Ehre schöner getanzt habe, die Llamicha oder das weiße Mädchen.

»Jetzt machen wir Schluß für heute«, sagte der Patrón in dem Glauben, auch Cayrú habe ihn vorhin nicht verstanden, so wie er seine eigenen Worte nicht gehört hatte.

Cayrú durfte den Patrón bis zum Hof begleiten und unterwegs auch das Gewehr tragen. Der Kummer in seinem Herzen wurde eine Wenigkeit leichter. Er flüsterte, leiser noch als das Flüstern der Grasrispe mit dem Wind: »Es wird auch bald wieder sein, daß ich meine Muñeca wiedersehe. Man hört es in den Gedanken, und die Gedanken kommen aus den Wurzeln herauf, dort, wo die Töchter von Aña ihr Haus haben.«

Die gelbroten Finken im Lapacho flöteten jetzt schon das Abendlied, obwohl doch die Sonne noch nicht müde war. Sie hatte noch eine Stunde Zeit, sich schlafen zu legen.

Cayrú nahm das Lied in seine Gedanken hinein und erinnerte sich, daß Anne-Marie einmal zu ihm gesagt hatte:

»Das ist unser Lied, Cayrú!«

»Das ist unser Lied …«, wiederholte Cayrú.

Es war das Lied zweier Menschen, die von der Liebe noch nicht mehr wußten, als daß sie alle Wesen sanft macht und gut.

Heinrich Coßmann war im Nachbardorf gewesen, um ein Gespann Ochsen zu kaufen. Eine Gelegenheitssache, denn der deutsche Kolonist Brandel war dabei, seine Wirtschaft aufzulösen und eine Stellung in Asuncion, bei einem Häutehändler, anzunehmen. Er hatte, wie er sich Coßmann gegenüber ausdrückte, den Kanal bis zur Mündung voll mit der stinkigsten Galle über dieses Hundeleben eines freien Mannes auf freiem Grund und Boden. »Ich bin knapp vierzig Jahre alt«, sagte er, »und fühle mich wie ein schon halb verkalkter Kadaver von siebzig. Meine Frau hat auch nichts mehr an sich, was nach einem Weibsbild aussieht, und meine beiden Töchter können sich höchstens noch als Schreckschrauben in einer Schießbude produzieren. No … Ihr Lieben vom funkelnden Wein … das weiße und das grüne Gold, Marke Paraguay, können mir für alle Zeiten gestohlen werden. Papiergeld, bar in die Hand, sind immerhin noch Vermögenswerte, auch wenn man für 10 Pesos ›moneda nacional‹ sich nicht einmal eine Briefmarke kaufen kann, um einen Bettelbrief an die Verwandtschaft zu schreiben. Der Patrón, der ich bislang für ein paar indianische Spulwürmer war, wird sich zu einem Peon, zu einem weißen Drehwurm also, verwandeln müssen. Der Tagelohn aber ist mir wenigstens sicher und reicht aus, daß man sich wieder in die alte menschliche Fasson zurückfindet, in zwei, drei Jahren. Vielleicht auch nicht. Das Hellsehen ist nie eine meiner guten Eigenschaften gewesen. Sonst würde ich noch sagen: So Gott will, wird man dann auch noch eines schönen Tages als der verlorene Sohn im Hunsrück landen und auf der Kanzel die Losung ausgeben: Paraguay den Paraguayern! Wer dennoch auswandert und das Beispiel, das ich ihm gab, mißachtet, der ist dann auch die Rute wert, die er sich auf den Hintern bindet. Mir hat man andere Beispiele gegeben; als ich dahinterkam, war es bereits zu spät.«

Heinrich Coßmann hatte auf diesen Ausbruch eines sonst ganz verschlossenen Menschen nicht viel erwidern können. Dieser Brandel war ja kein Einzelfall. Hunderte von solchen Jammerexistenzen quälten sich damit ab, den Entschluß zu fassen: diesen Kampf endlich aufzugeben und die besseren Zeiten, die angeblich in der Luft lagen, Luft sein zu lassen. Meist aber besaßen sie an materiellen Gütern nicht einmal so viel mehr, um nach dem Verkauf dieser Brocken sich in die Stadt zu begeben und dort als Tagelöhner für die Saisonarbeit herumzulungern.

Obwohl sie schon zwanzig, dreißig, vierzig Jahre im Land waren, hatten sie sich nicht dazu entschließen können, paraguayische Staatsbürger zu werden, welcher Akt sie natürlich auch nicht in das Paradies hinein versetzt haben würde. Sie betonten ihr Deutschtum immer, wo sie es nur konnten, oft bei den unpassendsten Gelegenheiten. Zuerst aus einem gewissen Stolz heraus, der sich später, als er schon fadenscheinig geworden war, zu einem Komplex entwickelte. Zuletzt kam dann der Trotz hinzu: »Nun erst recht sind und bleiben wir Deutsche!«

Diese Standhaftigkeit, würde sie auf gesundem Boden gewachsen sein, in allen Ehren! Aber so, wie sie sich hier in den meisten Fällen äußerte, war es eine Krankheit. Und diese Krankheit richtete sie vollends zugrunde.

Man könnte ihnen das Beispiel der Engländer vorhalten, die sich in Paraguay durchaus wie Engländer fühlten und benahmen, doch bedeutend unauffälliger und entschieden sicherer als ihre »Vettern«. Aber dieser Vergleich stimmt nicht. Es gab keine englischen Kolonisten auf staatlichem Pachtland oder Kleinbauern mit zwanzig, dreißig Hektar Eigentum, sondern Großgrundbesitzer, Dickschädel mit Kinnbacken, hinter denen eine reale Macht stand: die englischen Banken und das im Land investierte Kapital.

Die deutschen Kolonisten waren deutsche Staatsangehörige. Doch die deutsche Republik tat nichts für diese als Dünger in den paraguayischen Urwald verschlagenen ehemaligen »Landeskinder«. Die deutsche Republik schickte ihnen höchstens bedrucktes Papier, was sicher viel Geld gekostet haben mochte an Honoraren für die Autoren, die auf dem besagten Papier ihren Laich absetzen durften. Den Leuten aber, die es in die Hand gedrückt bekamen, nutzte es soviel wie einem total Blinden ein Himmelsfernrohr, womit man die Monde des Jupiter erkennen kann.

Heinrich Coßmann sagte zu Brandel, als er ihm das Geld für das Gespann auszahlte: »Sollte es dir bei den Häuten in Asuncion mit der Zeit auch nicht nach Wunsch gehen, denn der Urwald wird noch lange in deinem Kappes herumspuken, trotz der Galle, von der du den Kanal voll hast, dann wird man dir sicher einen Platz bei uns auf dem Hof anbieten können. Ich denke, in zwei Jahren werden wir das Sägewerk laufen haben und den Hafen vor Augen. Eine von deinen Töchtern könnte man jetzt schon bei uns unterbringen. Wir hatten vor, uns eine India zu nehmen. Und ich meine, wo solch ein Affenmonstrum Platz hat, wird der Tisch für die Tochter eines unserer Nachbarn allemal noch ausreichen. Überlege dir das also, wenn du dich auf die Reise machst! Bis zu uns ist kein großer Umweg. Von San Gerónimo hast du knapp drei Stunden bis zu unserem Hof. Und von hier bis zur Anlegestelle schaffst du es in einer Tagereise. Wie du willst.«

»Teufel noch mal, wenn man dich so reden hört«, antwortete Brandel, »fallen einem noch mehr Sünden ein. Weshalb ist es nun euch hier geglückt und nicht uns? Dabei seid ihr doch mindestens fünf Jahre später als ich ins Land gekommen.«

»Wir sind nicht mit ganz leeren Händen hergekommen, Brandel. Das ist der Unterschied. Und dann hatte ich ja auch einige Erfahrungen im Sack. Das Lehrgeld hatte man mir bereits in Afrika abgeknöpft. Was Halsabschneider wert sind und wie man mit der Bande umzugehen hat, das also wußte ich immerhin.

Als ich nun von diesem Wissen den Landsleuten und Nachbarn hier abgeben wollte, sagten die Herrschaften hochnäsig zu mir: ›Junger Mann, laß dir mal erst Warzen auf der Zunge wachsen und Schachtelhalm aus der Nase! Wir sind hier in Paraguay und nicht im warmen Nest bei Muttern. Wir haben uns angewöhnt, unseren Kram allein zu machen. Wir brauchen keinen Fürstand. Denn das Ernten von Baumwolle oder Yerba ist kein Preiskegeln. Und schon gar nicht hat man Lust, nun auch noch Heringsbändiger zu spielen.‹

Bueno! Sollte ich mir da die Fingerspitzen noch mehr verbrennen und schließlich auch noch die Hand?!«

»Vielleicht hast du recht, Heinrich. Für mich kommt diese Einsicht aber viel zu spät. Na ja! Wenn ihr nun das Sägewerk werdet laufen haben und nicht eine neue Art von Bichos sich über das Holz hermacht, dann bleibt mir ja eine Hoffnung, falls die Häute in Asuncion es nicht besser mit mir meinen als hier die Bauerei mit ihren neunundneunzig paraguayischen Plagen.«

Als Heinrich Coßmann von dieser Begegnung beim Abendessen erzählte, sagte der Bruder Friedrich: »Es geht einem an die Nieren … dieses Elend mit unseren Leuten. Man sollte es doch noch einmal mit der Gründung einer Genossenschaft versuchen, um wenigstens das zu retten, was noch nicht völlig ruiniert ist. Vielleicht wird uns der Hafen schneller dazu verhelfen, als wir annehmen.«

»Noch haben wir den Hafen nicht, und vieles andere schmort auch noch auf der langen Bank. Aber man wird ja sehen, ob der Boden sich vorbereitet, auch noch andere Pläne auszuführen.

Und wie denkst du nun darüber, eine von den Töchtern Brandels ins Haus zu nehmen? Ich meine: falls der Brandel und seine Frau sich überhaupt dazu entschließen, sich von der Tochter zu trennen?«

»Von mir aus soll dem nichts entgegenstehn«, antwortete Friedrich Coßmann, »aber was sagst du dazu, Mutter? Es handelt sich ja in der Hauptsache um dein Reich.«

»Natürlich nähme ich solch ein Mädchen lieber ins Haus als eine halbe oder ganze India. Wie alt sind denn die beiden Töchter von Brandel?« fragte Frau Coßmann.

»Die eine wird über zwanzig sein, und die jüngste ist knapp achtzehn. Schönheiten aber sind es nicht, darauf mußt du dich schon gefaßt machen. Es besteht wenig Unterschied zwischen diesen sogenannten Reinweißen und den Halbseidenen. Verwahrlost. Aber vielleicht erholen sie sich wieder bei liebevoller Behandlung und reichlicher Fütterung«, sagte Heinrich Coßmann mit einem Lachen, das ziemlich bitter klang. »Wenn ich dagegen unsere Prinzessin ansehe … du bist so schön wie eine Blume … nicht wahr?« Dabei sah er Anne-Marie an, die gut ausgeruht war und wieder Farbe im Gesicht hatte. Er wußte zwar, daß sie vorgestern die halbe Nacht, als er sie hatte suchen helfen, bei der Totenfeier für die Mutter Cayrús mitgetrauert hatte, aber nichts davon, in welchem Zustand der Vater sie angetroffen hatte. Friedrich Coßmann hatte es ihm mit Absicht verschwiegen. Und in der Frühe nach jener Nacht war er auch schon aufgebrochen, um das Ochsengespann von Brandel zu holen.

»Wenn ich nun schon in deinen Augen eine Blume bin, Onkel Heinrich, an welche Blume denkst du denn dabei?« fragte Anne-Marie.

»An die Blume, die Heinrich Heine meinte, als er die Verse dichtete …«, lachte Onkel Heinrich. »Ich nehme an, daß es ein Veilchen gewesen sein wird. Vielleicht auch ein Gänseblümchen, denn er war damals noch sehr jung, der Herr Studiosus Heine.«

»Falsch gedacht, Onkel Heinrich. Es war eine Sonnenblume.«

»Also etwas, was man sich nicht so leicht ins Knopfloch stecken kann? Eine Nutzpflanze sogar. Wenn du dir das so ausgedacht hast – und ich hatte schon Furcht, du würdest auf eine Orchidee kommen –, dann darf man wohl mit Recht sagen, daß du nicht umsonst die Tochter eines Farmers in Paraguay bist. Auf dem Wege der Besserung also. Mach es nur so weiter!«

Vielleicht hätte dieser Disput, der in seiner banalen Harmlosigkeit dennoch nicht ohne Hintergründe war, noch länger gedauert. Aber Pedro kam aufgeregt herein und sagte: »Man hat unten am Fluß eine Menge zerrissene Enten gefunden. Das kann nur der Schwarze angerichtet haben.«

»Wer hat die zerrissenen Enten gefunden? Du?« fragte Friedrich Coßmann den Peon.

»Der indianische Bursche hat es uns erzählt, vorhin, als wir aus dem Wald kamen«, antwortete Pedro.

»Dann wird es auch seine Richtigkeit haben; denn ich habe mit dem Burschen die Spur des Schwarzen wiedergefunden. Haltet euch beide morgen früh bereit! Wir werden den Schwarzen ausräuchern«, sagte Friedrich Coßmann.

»Es würde besser sein, heute nacht, Patrón«, erlaubte sich der Peon zu erwidern.

»Warum heute nacht?« fragte Heinrich Coßmann.

»Kurz vor Mitternacht ist immer die geeignetste Zeit, denn dann schmeckt dem Schwarzen das Blut am besten. Man wird ein Schweinchen nehmen, fesseln und aussetzen«, sagte der Peon.

»Und wo werden wir das Schweinchen aussetzen?« fragte Heinrich Coßmann. »Man muß doch immerhin einiges Schußfeld haben.«

»Man wird nicht schießen. Wir haben uns geeinigt, einer von den beiden Indios im Wald wird den Schwarzen mit dem Messer töten.«

»Das kann ja heiter werden«, sagte Heinrich Coßmann. »Sind die beiden Indios, du meinst doch Yamacinto und Huacua, zur Hand?«

»Sie warten schon auf dem Hof, die beiden, und haben auch schon die Messer scharf.«

»Bueno! In einer Stunde machen wir uns auf den Weg«, antwortete Heinrich Coßmann. »Und den beiden Indios kannst du etwas zum Aufwärmen geben. Sollten sie auch Appetit auf Räucherfisch haben, dann wird man dir in der Küche ein paar nette Brocken geben.«

Als der Peon die Veranda wieder verlassen hatte, fragte Friedrich Coßmann seinen Bruder: »Willst du wirklich die beiden Indios mit dem blanken Messer auf die Bestie loslassen?«

»Beide? No, Señor! Das würde die Spielregeln verletzen. Einer von ihnen wird die Sache erledigen. Der zweite steht Reserve. Es müßte aber mit dem Teufel zugehen und Paraguay kopfstehen, kämen wir in die Verlegenheit, mit unseren Knallerbsen nachhelfen zu müssen«, erwiderte der Bruder Heinrich.

Anne-Marie sah den Vater an und fragte: »Ist das derselbe Puma, der auch die Mutter Cayrús angefallen und getötet hat?«

»Sicher ist es die gleiche Bestie. Denn ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß wir hier ein ganzes Rudel von diesen Raubkatzen haben sollten.«

»Ich möchte mit, wenn ihr auf die Jagd geht, Vater!«

»Die Laterne halten, oder noch besser: das Salzfaß?« lachte der Onkel Heinrich.

»Dich habe ich doch gar nicht gefragt, Onkel!« antwortete Anne-Marie ziemlich spitz und fühlte sich beleidigt durch den Versuch des Onkels, sie lächerlich zu machen.

Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: »Es wird anstatt besser immer noch schlechter mit dir, Mädchen! Ich meine, es müßte dich mehr reizen, einen Mandelpudding zuwege zu bringen oder mir eine Weste zu stricken, als indianische Tänze zu üben und auf die Jagd gehn zu wollen!«

»Wir leben hier aber doch in der Wildnis und nicht in einem feinen Haus in der Stadt«, antwortete Anne-Marie.

»Es wäre mir lieb, wenn du dich jetzt ein wenig verkrümeln und in der Küche beim Abwaschen helfen wolltest, verstanden?« herrschte der Vater Anne-Marie an.

Sie sah Muttchen an, bekam Wasser in die Augen, senkte den Kopf und ging in die Küche.

»Das ist doch wahr!« sagte Friedrich Coßmann nach einer Weile. »Nichts anderes als Dummejungenstreiche hat das Mädel im Kopf. Ich habe nun endlich genug davon.«

»Ich habe es dir schon gestern gesagt, Mann, daß du mit dem Kind nicht so umgehen kannst wie mit einer erwachsenen Person.«

»Sie ist reifer, Frau, und weiter, als du dir vorstellst«, antwortete Friedrich Coßmann.

»Mag sein, in dem einen oder anderen. Aber im Gemüt ist sie immer noch ein Kind, das zu beurteilen mußt du mir, der Mutter, schon überlassen.«

»Kind her, Kind hin, und mit dem Gemüt desgleichen«, mischte sich jetzt Heinrich Coßmann ein. »Mit den Augen eines Fremden aber gesehen, ist dieses so gefühlvolle Kind bereits ein Weib, wenn auch noch nicht vertilgt von dem Geschlechtswesen, das nur empfangen und gebären will.«

»Nun mach aber einen Punkt, Heinrich!« brauste die Schwägerin auf. »Du bekommst es sogar fertig, derartige Sachen dem Kind direkt ins Gesicht zu sagen. No, auch hier in der Wildnis bin ich nicht für rauhe Töne. Das überlassen wir besser den Criollos.«

»Immerhin empfehle ich, und diesmal dringender als noch vor einem halben Jahr, eine Luftveränderung für das Mädchen, ich meine: wenn ihr kein Unglück mit ihr erleben wollt. Sie ist nicht auf den Kopf gefallen, ist lernbegierig und hat gar keine Anlage dazu, vor euch sich zu verstecken. Der Plan, sie in eine Wirtschaftsschule zu schicken, mindestens zwei Jahre, ist heute spruchreifer als je. Ob sie dann, wenn Buenos Aires den Reiz der Neuheit für sie verloren hat, mit Freuden nach hier zurückkehrt, das ist eine andere Sache und läßt sich jetzt noch nicht beurteilen. Ich glaube aber, daß sie gern in die Wildnis zurückfindet. Nicht bloß geographisch oder romantisch bewegt.«

Muttchen stützte den Kopf mit beiden Händen und sah Heinrich an, als habe er ihr einen unangenehmen Befehl erteilt.

 

Kurz vor zehn Uhr nachts klopfte Pedro an das Fenster der Veranda und rief: »Es ist alles bereit, Patrón.«

»Wir kommen sofort!« rief Heinrich Coßmann zurück und fragte seinen Bruder: »Nehmen wir jeder die Büchse, oder genügt eine?«

»Besser, wir nehmen beide die Büchsen. Ich kenne mich in der Jagd allein mit dem Messer noch nicht aus.«

Heinrich holte die beiden Winchester aus dem Schrank, steckte sich noch ein paar Zigarren ein und sagte zu seinem Bruder: »Also … wollen und können wir jetzt?«

Auf dem Hof losten Yamacinto und Huacua unter dem Timbó um die Ehre, den »Schwarzen« abzustechen. Sie warfen eine Münze hoch, Adler oder Kopf. Huacua war der Gewinner. Das Wappen der Münze lag unten. Der Kopf lag oben.

Huacua zog jetzt das Messer aus dem Gürtel und prüfte die mehr als zwanzig Zentimeter lange und vier Zentimeter breite Schneide. Mit dem gleichen Messer war auch der Verlierer Yamacinto bewaffnet. Beide priesen gegenüber Pedro und Pablo die Vorzüge ihrer »Zahnstocher«.

Den beiden Criollos paßte es gar nicht, daß der Indio das Glück hatte, sich den wertvollen Orden zu verdienen, der aus den beiden Eckzähnen der Bestie bestand. Aber, nüchtern betrachtet, mußten sie zugeben, daß sie für solch einen aufregenden Kampf schon viel zu alt und steif waren.

Pedro trug das gefesselte Schweinchen unter dem Arm und führte die reichlich gemischte Jagdgesellschaft an. Cayrú, der auch gekommen war und gegen dessen Anwesenheit Friedrich Coßmann keinen Einspruch erhob, bildete mit dem Chichakrug auf der Schulter das Schlußlicht.

Als sie das Bambusdickicht erreicht hatten, wählte Huacua den Platz aus, wo das Schweinchen den Köder für den Puma abzugeben hatte. Es war eine Art Rondell, gebildet aus niedrigem Gestrüpp, sieben oder acht Meter der Mauer aus Rohr und Schilf vorgelagert. Und etwa zehn Schritte nach dem Wald zu ließen sich die Männer auf einem gefällten Baumstamm nieder und warteten ab, ob der Puma »anbeißen« würde, falls er überhaupt noch im Revier war. Dann und wann hob das Schweinchen, dem Pedro eine Handvoll Erbsen hingestreut hatte, den Rüssel und grunzte vergnügt über die zusätzliche Nahrung. Mit diesem »blutwarmen Geräusch«, so spekulierten die Indios und auch die beiden »Halben«, wird sich der »liebe Schwarze« gern heranlocken lassen. Es war eine mondhelle Nacht. Die Königskerzen brannten in einem hellrötlichen Feuer und wiegten sich auf ihren hohen Stielen. Der Wind kam vom Fluß herübergetänzelt und trieb den süßlichen Geruch der Wasserhyazinthen vor sich her. Fern, von der Insel herüber, schrie der Tapir. Von einer mächtigen Algorobe lösten sich zwei schwarze Schatten und brausten flach über das Rohr hinweg. Es waren Wildgänse, die sich von der Anwesenheit der hier versammelten Menschen in ihrem Schlaf gestört fühlten.

»Aber natürlich darf man rauchen!« flüsterte Heinrich Coßmann, als er Feuer schlug und sein Bruder ihm in den Arm fiel.

»Unser Schwarzer riecht es gern, wenn man raucht«, bestätigte Pedro und drehte sich auch eine Zigarre.

»Und man darf auch einen Schluck nehmen?« gluckerte Yamacinto mit seiner ewig heiseren Stimme und schielte nach dem Krug mit der Chicha.

Friedrich Coßmann fragte: »Weshalb solche Angst und Eile? Die Chicha hier ist allein für euch bestimmt, und man wird nichts mit nach Hause nehmen.« Er gab Cayrú einen Wink, und der schon als Mundschenk erprobte junge Bursche reichte die große Amphore herum.

Sie saßen nun schon über eine Stunde. Im Flüsterton unterhielten sich die Brüder Coßmann, während die beiden Indios und die Peone unentwegt nach der schwarzen Wand starrten.

Plötzlich zerriß ein zischendes Fauchen die Luft, und wie aus der Erde heraufgewachsen, nur vier, fünf Schritte von dem quietschenden Schweinchen entfernt, hockte die schwarze Bestie im Kraut. Man sah deutlich die hochgeworfene Rute, sie stand wie ein dünner Stamm steil in die Luft.

Heinrich Coßmann hätte jetzt am liebsten die Büchse an die Backe gerissen und abgedrückt. In einer besseren Stellung konnte er die Raubkatze gar nicht vor sich haben, die Kugel, abgeschossen, hätte sich mitten in das Hirn hineingedreht.

Alle sahen sie jetzt mit weitaufgerissenen Augen dorthin, wo aus einem schwarzen Ball zwei kleine grüne Lichter funkelten. Jeder von den Leuten verspürte, wie ihm das Blut durch die Adern jagte. Nur Huacua saß da wie ein Stück Wurzel und überlegte, ob er jetzt schon oder erst nach getaner Arbeit eine neue Ladung Koka in die Backe schieben sollte. Er entschied sich für einen sofortigen Wechsel, spuckte die ausgelaugten Blätter, die nur noch Brei waren, zum Himmel empor, sorgfältig in drei Portionen eingeteilt. Er bezweckte damit, die Luft von den Ausdünstungen der bösen Geister frei zu machen. Er brachte das frische Kokabündel in der linken Backentasche unter und dachte bei sich: »Links … das macht in der Nacht, wenn man mit Weißen zusammensitzt, das Blut ruhiger …«

Cayrú hätte sich schneuzen müssen, aber er unterdrückte es eine ganze Weile, bis es ihn so quälte, daß er sich auf den Bauch legen und das Gesicht im Kraut vergraben mußte. Yamacinto versetzte ihm einen Fußtritt als Zeichen, daß er liegenbleiben solle.

Es war eine Spannung, die furchtbar an den Nerven riß und zerrte … dieses Warten auf den Moment, in dem der Puma den Sprung machen würde. Einen Lidschlag lang glaubte Heinrich Coßmann auch etwas durch die Luft sausen zu sehen. Es war jedoch nur eine Störung im Sehnerv.

Den wirklichen Sprung, mit dem der Räuber durch die Luft jagte, hat vielleicht niemand von den Leuten genau verfolgen können. Sie hörten nur den kurzen gellenden Schrei des Schweinchens und dann das Brechen der Knochen, das Reißen der Haut und des Fleisches.

Das mochte vier, fünf Sekunden gedauert haben. Dann löste Huacua sich von seinem Sitz auf dem Baumstamm, wickelte ein Schaffell um den linken Arm und schob sich, mit der Klinge in der Rechten, langsam vor. Mit den nackten Füßen bohrte er kleine Steinchen aus der Erde und stieß sie gegen den mit der Beute beschäftigten Puma. Der wollte sich in seiner Mahlzeit um keinen Preis stören lassen und fauchte und zischte, als wolle er damit einen eingewurzelten Baum umblasen. In den Hüften sich wiegend wie ein kreolischer Tänzer, wenn ein Tango ihn lockt, stieß Huacua jetzt ganze Erdklumpen gegen die Raubkatze. Das Fauchen verstärkte sich. Der Kopf flog ein paarmal hoch, und die Lichter brannten hellauf. Der Indio aber ließ nicht ab, das Tier zu reizen, bis es den Kopf hin und her warf, mit den Hinterpfoten die Erde aufwühlte und sich zum Sprung duckte. Diesmal dauerte es nicht so lange wie vorhin, als das Schweinchen das Objekt war.

Ein Gebrüll zerriß die Luft, so daß Heinrich Coßmann emporfuhr, nach der Büchse griff und losknallen wollte. Pedro hielt ihn zurück und flüsterte: »Paciencia, Patrón! Paciencia!«

Den linken, von dem Fell geschützten Arm weit vorgestreckt, fing Huacua die anspringende Katze auf, und das Messer grub sich tief in die Bauchhöhle des fauchenden und knurrenden Angreifers. Ein Riß nach vorn, und halbaufgeschlitzt, mit den Vorderpranken fest in das Schaffell verkrallt, hing der Puma am Arm des unerschrockenen Indios. Der holte aus, und der zweite Stoß durchbohrte das Herz der Bestie. Drei Sekunden dauerte das Verröcheln.

Kaum war es verhallt, da brach im Wald ein wüstes Gebrüll los. Die Papageien kreischten, als wollten sie allen Bewohnern des Waldes kundtun, daß es in der Welt einen Unhold weniger gab. Die Luft wurde rundum immer dicker von den Geräuschen, die sich jetzt losließen, als hätte das Dasein des Pumas sie bisher daran gehindert, sich bemerkbar zu machen.

Die Nerven der beiden Weißen waren so überanstrengt, daß Friedrich wie auch Heinrich Coßmann nach der Amphore griffen und die Chicha in den trockenen Mund laufen ließen.

Die Beute dieser ungewöhnlichen Nacht lag vor den Augen aller auf der Erde. Im Nu waren die beiden Eckzähne herausgebrochen. Lächelnd steckte Huacua sie in die kleine Tasche seines Gürtels, wischte das Messer an dem dunklen Fell ab, wehrte die sich ihm entgegenstreckenden Hände des Patróns ab und sagte: »Bueno, man wird jetzt wieder ruhig schlafen die Nacht …«


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