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I

Cayrú war der Sohn einer India, die am Fluß in einer der üblichen tütenspitzen Rohrhütten hauste, Krebse fing und sie an die Kolonisten, eine halbe Tagereise landeinwärts, verkaufte. Das Krebsfischen hatte sie von ihrem Mann erlernt, der, als er achtzehn Jahre alt war, Mayahua geheiratet und sich gerade diese Stelle am Alto Paraná zum Krebsfang ausgesucht hatte, weil sie ihm ergiebig genug erschien, von dem Erlös der Beute eine Familie zu ernähren.

Er hatte Glück mit seiner »guten Witterung« gehabt, denn der Fluß machte hier eine scharfe Biegung. Eine tiefe Bucht schnitt sich in das steinige Geröll des Ufers ein, und zwischen den Steinen des fast nie bewegten Wassers siedelten die Krebse in einem Reich, das unermeßlich schien. Die Bai hätte man eher für einen Binnensee ansehen können als für einen Teil des Flusses. Es war ein Gewässer für sich, das sich da gleichsam hineingestohlen hatte zwischen die üppige Wirrnis des Urwaldes und das schon kultivierte Areal der Pflanzungen.

Das Bambusrohr wuchs an den drei dem Wald zugekehrten Rändern bis zu jener Höhe empor, wo die starren Wipfel der Fächerpalmen begannen. Und auf dem wie ein dunkler Feueropal schimmernden Spiegel der Flut breiteten sich in oft Wagenradgröße die Blätter jener Wasserrose aus, die der Besucher botanischer Gärten als »Victoria regia« kennt; hier aber, in der urdämonischen Landschaft aller Wurzelanfänge, nennt man sie Tuja téta, was so viel heißt wie Augen des Mondes.

Wenn der feuchtheiße Wind des unteren Paraná aus den Mondaugen den mehlweißen Blütenstaub hochwirbelt und ihn über das Wasser streut, als wolle er aus dem ihm unsympathischen feuerfarbenen Kristall ein weißes Porzellanbecken machen oder ein Schneefeld, um sich darin abzukühlen, dann ist auch bei den Krebsen die Zeit gekommen, sich zu paaren. Oft sind in dem schlammigen Wurzelgrund die Liebesspiele von solch einer leidenschaftlichen Heftigkeit, daß sich armdicke Schaumkringel auf der Oberfläche des Wassers bilden und die großen, schweren Blätter der Tuja téta hin- und herschaukeln.

Daß es auch einmal einer von den Gringos mit dem Krebsfischen versuchen und ihm womöglich die Fangstellen, für die er kein Patent besaß und keine Steuern zahlte, streitig machen könnte … solche Furcht bedrückte den Indio nicht.

Es war eine äußerst mühevolle Arbeit. Der richtige Dreh, die Krebse heraufzulocken, mußte wohl verstanden sein. Es hing nicht allein von der Geschicklichkeit der Hände ab, eine gute Beute zu machen, vielmehr von der Kenntnis des unterirdischen Lebens und Treibens dieser das Tageslicht scheuenden Wesen.

Außer von den Krebsen wurde der Fluß auch noch von den Pirañas bevölkert. Was es mit diesem blutgierigen Raubzeug auf sich hat, das erfuhr, abschreckend für alle die weißen Männer, die aus der fernen Fremde in dieses Land gereist waren, um aus dem Urwald Maisfelder und Zuckerrohrplantagen zu machen, Baumwolle, Tabak, Mandioka, Erdnüsse, Yerba und Orangen zu kultivieren, der Kolonist Coßmann.

Friedrich Coßmann, ein blonder, bärenstarker sauerländischer Bauernsohn, dessen Rancho, Baumwollfeld und Zuckerrohrplantage dem Fluß am nächsten lagen, sprang eines Abends, als das Thermometer immer noch auf vierundvierzig Grad Celsius stand, ins Wasser, um sich »einmal und endlich von Grund auf abzukühlen«. Er schwamm, ohne sich erst in den seichten Tümpeln des Ufers an die Kühle langsam zu gewöhnen, sofort der Mitte des Stromes zu, um bei dieser Gelegenheit, so war es ihm nämlich urplötzlich in den Sinn gekommen, die schmale, wie ein morscher Baumstamm auf der riesigen Wasserfläche schaukelnde Insel zu besichtigen.

Als sich Coßmann aber kaum hundert Meter vom Ufer entfernt hatte, hörte er es plötzlich hinter sich rufen. Es war eine menschliche Stimme, eine heisere und sich oft überschreiende. Ärgerlich drehte er den Kopf herum. Auf der Barranca stand ein Indio und schrie und schlug Räder mit seinen langen, nackten Armen durch die Luft. Aus der Heftigkeit der Bewegungen war so viel zu entnehmen, daß der Schwimmer schleunigst wieder umkehren solle.

Der Kolonist glaubte zunächst, daß der Indio ihm das Schwimmen in diesem Teil des Wassers verbieten wolle, vielleicht der irgendwo aufgestellten Krebsreusen wegen, obwohl die Krebse doch nur in der Bucht zwischen den Steinen hockten und auf eine ganz andere als die in Europa übliche Art gefangen wurden. Das wußte Coßmann allerdings noch nicht.

Er sagte sich aber, als die Rufe immer stärker und die winkenden Bewegungen des Mannes am Ufer immer dringender wurden: Nun erst recht, du schorfiger Speckjäger! Und er schwamm weiter.

Die Mißachtung der indianischen Menschen hatte ihren Grund nicht in dem Wesen dieses Mannes, sondern er hatte sie angenommen, wie vieles, das hier unter den Weißen und Criollos landesüblich war und seiner Natur eigentlich nicht entsprach, denn man konnte ihn durchaus einen menschlichen Menschen nennen.

Er hörte das unbändige Geschnarr des Wassergeflügels herüberschallen. Er sah, hochgetürmt wie eine Backsteinmauer, die vielfache Schnur der Flamingos und Sattelstörche auf den der Insel vorgelagerten Sandbänken. Er vernahm Rufe, die dem hellen Lachen eines Kindes glichen, und noch viele andere Stimmen suchten den Eingang nicht nur zu seinem Ohr, sondern auch zu seinem Blut, erschütterten es mit sonderbaren, unerklärlichen, noch nie vernommenen Klängen. Das Schreien von der Barranca her brach nicht ab. Die Insel auf der Mitte des Stromes schien dem Schwimmer schon so nahe, daß es nur noch weniger Armstöße bedurfte, um sie zu erreichen. Sie glich jetzt auch nicht mehr einem treibenden morschen Baumstamm. Sie schien Coßmann vielmehr ein riesiges Stück Land zu sein, fruchtbar, von einer tropischen Wirrnis bewuchert und von einem unermeßlichen Genist der buntscheckigsten Wasservögel bewohnt.

Mit einem Male aber verspürte Coßmann einen heftigen, reißenden Schmerz im rechten Bein und dann kurz hintereinander noch ein zweites und drittes Mal. Schließlich riß dieses furchtbare Zerren schon an der Schulter und am rechten Unterarm herum, und es schien dem Schwimmer so, als flösse ihm von der Insel her, im Unterstrom, ein ätzendes Gift zu, das sich durch das Fleisch bis in das Mark hineinfraß.

Als er die linke Hand aus dem Wasser zog und eine Sekunde lang hochhob, sah er, daß sie heftig blutete, wie von einem tiefen Messerschnitt verletzt. Und erst jetzt wurde es ihm bewußt, weshalb der Indio auf der Barranca sich in eine so ungeheuere und ungewöhnliche Erregung gebracht hatte, immer noch zwischen den stachligen Gebüschen stand, brüllte und die Arme dazu bewegte, als müsse er sie aus den Gelenken herauskugeln und von sich schleudern.

Nicht zum Bewußtsein kam Coßmann aber, welches Geschehnis ihm diese jetzt ganz infam schmerzenden Wunden beigebracht hatte.

Das plötzliche Herumwerfen des Körpers geschah instinktiv. Die schnellen wuchtigen Stöße dem Ufer zu waren wie die Bewegung von Schrauben, die ihre schaufelnde Kraft aus einem Motor beziehen, den man auf die höchste Tourenzahl gebracht hat. In der Spur des Schaumes tanzten rote Kreise. Das Gesicht des Schwimmers verzerrte sich. Der Schmerz war mittlerweile so wahnsinnig reißend geworden, daß die Nerven auf weitere Bisse nicht mehr reagierten.

Als Coßmann endlich wieder festen Boden unter sich verspürte, auf die Böschung kroch und nun in aller Deutlichkeit sah, was im Wasser mit ihm geschehen war, klappte ihm der Unterkiefer herunter, und um seine Schläfen legten sich Härten wie von einem klammernden Eisen. Aus tiefen Bißwunden an Oberschenkel, Wade, Schulter und Arm rieselte Blut. Eine von diesen blindwütig zubeißenden Bestien hatte sich so fest und tief in das Fleisch hineingefressen, daß sie noch am Schulterblatt hing, als Coßmann sich schon im Kraut herumwälzte und das Blut zu stillen versuchte. Die Kühle der lappigen Blätter linderte ein wenig die Schmerzen.

Der Indio kam mit den aufgespaltenen Schäften einer nur hier heimischen Binsenart gelaufen und preßte sie, zugleich mit dem braunen, nach Knoblauch riechenden Saft der Ampferschnecke, dem Mann auf die Wunde und band sie mit einer aus Grashalmen gedrehten Schnur fest.

Der goldrote, kaum dreißig Zentimeter lange und aus stahlgrauen, von einem schwarzen Querstreifen halbierten Glotzaugen schielende Fisch zappelte im Kraut und schnappte mit heftig auf- und niederfliegenden Kiemen nach Luft.

Der Indio grub mit der Fußspitze einen Stein aus der Erde, bückte sich und zermalmte den Kopf des Fisches, begleitet von Flüchen, die der Kolonist, obwohl er die Sprache der Guarani ziemlich beherrschte, dennoch nicht verstand. Es war eine fürchterliche Verwünschung der bösen Geister, als deren Träger dem Indio der Piraña ganz allgemein gilt.

Danach war der Indio dem Kolonisten Coßmann, der den rechten Arm nicht bewegen konnte, beim Ankleiden behilflich, nahm ihn huckepack und transportierte ihn so den halbstündigen Weg nach dem Rancho.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr Coßmann, daß die Fische Pirañas heißen, die gierigsten Blutsäufer der Welt sind und in zehn Minuten aus einem Menschen oder Stück Vieh ein Gerippe machen können, so blank, als hätten die schwarzen Geier die Knochen von einem Stück Aas benagt und die Sonne es gebleicht.

»Glück hast du aber doch noch gehabt, Patrón, daß jetzt gerade Laichzeit ist und die große Masse der Pirañas weiter oben, in der Riachueles, steht und die Eier abstößt. Nur wenige sind hier im Fluß zurückgeblieben, die uralten Männer und die unfruchtbaren Frauen, die Lahmen und die Blinden, die Verfluchten und Verdammten. Wenn du in vier Wochen aber noch einmal Lust verspüren solltest, in dieses Wasser hier zu springen, dann schwimmst du keine dreißig Meter weit vom Ufer weg, dann bist du bei zwanzig schon gewesen und treibst im Schilf als ein Ding herum, nicht mehr wert als die abgestorbenen Wurzeln der Camaritas und Espinillen.«

Der Indio bekam im Rancho eine echte dunkelgrüne Caña ausgeschenkt, und dazu gab man ihm noch ein Säckchen Maismehl zum Mit-nach-Hause-Nehmen.

Man fragte ihn auch nach diesem und jenem, nicht bloß aus dem Bestreben heraus, sich freundlich zu zeigen. Man interessierte sich für das sonderbare Wesen dieses Mannes, der sich so unbeholfen benahm wie ein Wassertier auf dem Land. Er schien den Leuten von einer anderen Rasse zu sein, als jene Indios sie darstellen, die auf dem Hof häufig als Tagelöhner arbeiten. Seine Augen waren dunkler und von einer noch tieferen Unergründlichkeit. Auch war er von Gestalt schlanker und höher gewachsen. Er sprach die Sprache dieses Landes zwar nicht flüssig und immer vermengt mit Brocken von dem Idiom der Guarani, doch rollten ihm die Worte klar aus dem großen weißen Tiergebiß, und aus der scharfen Akzentuierung konnte man sich den Stolz deuten, der das innere Wesen dieses Mannes spannte, um als »verachteter Wilder« so zu erscheinen, daß man ihn ansehen mußte wie einen wundervoll gewachsenen Baum oder wie ein Tier – mit allen Fasern des Leibes dieser Landschaft verbunden.

Der Kolonist, gepflegt und betreut von Frau und Bruder, lag vierzehn Tage lang ausgestreckt auf dem Feldbett. Die tiefen Bißwunden verheilten gut unter dem Verband der sonderbar riechenden Binsenschäfte, die der Indio, jeden Tag frisch aus dem Sumpf gebrochen, mit seinem Sohn Cayrú herüberschickte, manchmal auch eine Mandel Krebse dazu oder einen langen, fünfpfundigen Blaufisch, dessen Fleisch dem Salm vergleichbar ist.

Sein Leben lang behielt Friedrich Coßmann ansehnliche Narben von den Bissen der Pirañas zurück, als sei er in die Kreissäge hineingeraten. Und es fiel ihm nicht mehr ein, im offenen Fluß zu baden, selbst an solchen Abenden nicht, an denen ihm das Wasser aus der Haut herauskochte und das Thermometer achtundvierzig Grad anzeigte. Er wußte jetzt für alle Zeiten, was man von den Pirañas zu halten hat und wie man ihnen aus dem Wege geht.

Der Indio aber, dem es noch näher hätte liegen müssen, sich nicht bewußt in die Gefahr zu begeben, sollte es eines Tages, bei vollem Bewußtsein und lebendigem, Leibe, zehn Minuten lang erleben, daß es ein gräßlicher Tod ist, von den Pirañas zerfetzt und zerrissen zu werden.

Es geschah, daß er an jener Stelle, wo der Fluß die Biegung nach der Bai macht, Krebse fischte, auf einem der glitschigen Steine ausrutschte, sich das linke Bein und dazu auch noch einen Arm brach und somit in dem morastigen Wasser keine Schwimmbewegungen machen konnte. Die Schlingwurzeln klammerten sich um seinen Hals. Die Rayas bohrten ihre Schwanzstacheln in seine Augen hinein. Die Zähne zerbissen Wurzeln, Fische, Frösche. Auf der vom Mehl der Mondaugen bestäubten Flut beulten sich Blasen; als sie zerplatzten, mit einem Geräusch, als gurgele die Schildkröte im Schilf, hatten sie purpurrote Ränder.

Das geschah, als das Söhnchen Cayrú neun Jahre alt war und im Blumengarten des Kolonisten Coßmann mit dem um zwei Jahre jüngeren Töchterchen der weißen Leute spielte.

Das geschah, als die Mutter des Cayrú mit ihren beiden Krebskörben über Land war und erst mit dem Beginn der Nacht heimkehrte. Nach drei Tagen vergeblichen Suchens erfuhr sie schließlich, daß aus einem rüstigen, fleißigen, ruhigen und für die Familie besorgten Mann die Pirañas ein Gerippe zurechtgemacht hatten, das die Wellen des Flusses mit Abscheu in die Bai hinüberspülten.

An der Muschelkette, die dem Skelett um den Halswirbel hing und die von den Pirañas nicht berührt worden war, erkannte die India das Gewesene ihres Mannes. Sie nahm die Kette an sich, trocknete sie in der Sonne, rieb sie mit dem Saft der Sumpfzwiebel ab und hing sie sich um. Sie sah das feuerdunkle Wasser der Bai vor sich und zählte die Steine, die aus dem Schilfgewirr herausragten. Sie hörte die grüne Rohrelster rufen; es war das Signal, das dem verunglückten Mann immer angezeigt hatte, wenn es Zeit zum Fischen war. Sie hörte aus dem Wald die Stimme ihres Sohnes, von dessen Gesicht sie den Trost ablas, daß der Mann sich nicht mit allen Wurzeln von der Erde gelöst hatte.

Nach acht Tagen war die Trauer ihrem Blut entwichen. Die Morgensonne machte auch ihr Gesicht wieder hell wie das der Bäume und Sträucher und die Stimmen der Vögel. Es war wie das eisige Lächeln auf einer bronzenen peruanischen Maske.

Sie hockte jetzt jeden Morgen auf den Steinen und fischte die Krebse mit der gleichen Geschicklichkeit, wie der Verstorbene die Beute aus dem Wasser geholt hatte. Am späten Vormittag schleppte sie den Fang über Land und verkaufte ihn in den Dörfern.


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