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XVII

Zuerst wollte Yamacinto die große Hochzeitsfeier in seinem Hause abhalten. Das heißt: nicht in der Lehmhütte, wo weder ein Tisch noch Stühle vorhanden waren und kaum zehn erwachsene Personen Platz gehabt hätten, geschweige deren dreißig oder vierzig, sondern im Garten hinter dem Haus, unter den drei verkrüppelten Eukalypten und der großen Säulenkaktee, zwischen den hohen Distelstauden und den Brennesselgebüschen, auf dem harten Yanugragras, zwischen den schwarzen Schweinchen, einer dürren Ziege und einer Mula, die milzkrank war und Blut hustete.

Daran hatte die Verwandtschaft von Huacua Anstoß genommen. Sie sahen die Umgebung von Yamacintos Choza nicht als den für eine Hochzeitsfeier geeigneten Ort an. Sie wollten mehr Bäume haben, einen Rasen zum Tanzen und kein Viehzeug als Tischnachbarn. Es waren indianische Leute, die schon eine feste Anstellung bei einem Chacarero, auf einer Quinta oder als Ochsenknecht in der Holzfuhrenkolonne hatten. Sie fühlten sich schon als in die Zivilisation einbezogene Staatsbürger. Sie tranken im Alamacen des Criollo Moises Tijuca allabendlich ihren Guarapa und aßen dazu gesäuerte Bohnen mit Fisch.

Sie aßen und tranken allabendlich: das will besagen, sie waren nur dann Gäste im Boliche, wenn Moises Tijuca mit seinem Kramladen sich gerade auf einem Erholungsurlaub befand. Und das geschah alle drei Monate auf die Dauer von acht Tagen.

In diesen acht Tagen war der Laden um die Abendstunden natürlich überfüllt. In den Tagesstunden packte Moises die neueingetroffenen Waren aus, war um die Auffrischung der alten ehelichen Gemeinschaft mit der India Tampu-Toca besorgt und verschmähte auch nicht, das anzuknabbern, was ihm sonst noch auf die Leimrute lief. Diese Leimruten bestanden aus bunten Halstüchern, Glasketten und Zuckerstangen.

Hatte er solchermaßen den Urlaub angenehm verbracht, dann zog er wieder durch die weithin verstreuten Kolonistendörfer, mit vier jämmerlich mager aussehenden Pferden vor einem zwanzigfach mit Draht zusammengeflickten Wagen, verkaufte Mehl, Zucker, Yerba, Manisöl, Caramelos, Tabak und andere Kleinigkeiten und tauschte dafür Felle ein, Teekräuter für die Farmacia, Reiherfedern und Schildkrötengehäuse, gezähmte Papageien und altindianische Töpfereien … alles nach Gewicht und einer Preistafel, die der augenblicklichen Marktlage entsprach. Die Waage zeigte immer ein paar Gramm oder Pfund, je nachdem, weniger als das reelle Gewicht. Wenn jemand dahinterkam, hatte Moises »zufällig das kleine Gewicht aufzulegen vergessen«. Und wenn es soweit war, zu einem Krach zu kommen, bereinigte er die Schimpferei mit einem Päckchen Zigarillos oder einem echten silbernen Ring aus Aluminiumdraht.

Als Moises Tijuca von der Hochzeit hörte, lief er schnell zu Huacua hinüber und sagte ihm, daß man eine echt indianische Hochzeit nur in seinem Etablissement feiern könne. Es träfe sich überhaupt glänzend: er würde diesmal vierzehn Tage im Pueblo bleiben, denn nach der Hochzeit gäbe es gleich eine Kindstaufe; gewiß nicht bei dem jungen Brautpaar, aber bei ihm und der Doña Tampu-Toca.

Huacua überlegte sich die Sache einen ganzen Tag. Am Abend sprach er mit der Verwandtschaft darüber, am nächsten auch noch mit Yamacinto. Alle waren sie heftig dagegen, bei dem »dreckigen Criollo« diese heilige Handlung zu begehen. Zwischendurch mal hinübergehen, zum Süßwein oder Schnaps … das würde man vielleicht tun. Aber dort essen, dort tanzen, dort sich mit einem Mädchen oder einer Frau auf die Erde legen und vergnügen … nein!

Huacua mußte nun die Hochzeit an seiner Hütte veranstalten. Und das war so auch ganz in der Ordnung. Der Vater des Bräutigams ist nach dem indianischen Sittengesetz der Gastgeber. Weshalb er davon hatte abweichen wollen, das mag daran gelegen haben, daß auf dem Gras seines Gartens Baumrinde und Wurzeln des Macumastrauches zum Trocknen ausgebreitet lagen. Er ließ sie ein paar Tage weniger trocknen, und damit waren alle Schwierigkeiten behoben.

Mayahua hatte die vier Körbe Krebse abgeliefert und auf heißen Steinen lebend geröstet, dann die Schwänze durchstochen und immer ein Dutzend auf eine Bastschnur gereiht. Jetzt hingen die dreißig Schnüre in den Ästen des Yacarandá zum Nachtrocknen.

Auf den gleichen Steinen röstete Mayahua junge Mandiokawurzeln, schöpfte ein paar Löffel mit Honig gesüßten Reisbrei darüber und stapelte die Fladen in einem aus grünen Weidenruten geflochtenen Korb, deckte Blätter darüber und röstete auf den wieder heiß gemachten Steinen fingerlange Panzerwelse, während Amaquina, die Frau Huacuas, Dutzende von wilden Meerschweinchen am Spieß durch das offene Feuer zog und schwarz brannte. Nach den Meerschweinchen mußte der Spieß auch noch grüne Rohrdrosseln, dicke ebenholzdunkle Landfrösche und junge, noch nicht flügge Reiher in saftige Bratenstücke verwandeln.

Auch Cayrú, in seinem neuen rot und weiß gefleckten Hemd, hatte sich nützlich zu machen. Er half Huacua, die Grasfläche unter den Bäumen von Kot, Dornen und Steinen, Küchenabfällen und Drahtfetzen zu säubern. Sie gruben ein Ameisennest aus; jene fingergliedlangen, feuerroten Chucoruñas, die zwar nicht beißen, aber einen Saft verspritzen, der wie Phosphor sich tief in die Haut hineinätzt und einen bösen, wochenlang andauernden Hautausschlag verursacht.

Huacua fragte Cayrú: »Und wann gedenkst du Hochzeit zu machen? Es kommt heute abend auch meine Schwester Pacuyuc. Ich hätte ihr Töchterchen Huyraña gern für meinen Sohn als Frau gehabt. Aber das Gesetz … das Gesetz … Würde mein Sohn Huyraña heiraten und nach ein paar Jahren von der Regierung sich ein Stück Land auf der Reduktion kaufen wollen, dann verlangt der Staat von den Leuten, daß sie nach dem Gesetz geheiratet haben. Wer aber von uns hat die 25 Pesos, sie dem Gesetz auf den Tisch zu zählen? Und dann will das Gesetz auch noch haben, daß die Verwandtschaft zwischen Mann und Frau nicht so nahe ist.

Huyraña hat schon in der Baumwollernte gearbeitet. Und wenn ihr zwei beiden arbeiten geht, werdet ihr schnell Geld im Beutel haben und euch dafür ein Stück Land kaufen. Du mußt mit Huyraña heute nacht tanzen. Beim Tanzen fühlt man genau, was eine Frau wert ist. Keine Angst, sie wird dich nicht viel kosten. Zwei Schweinchen und ein Fell vom Guanako.«

Cayrú gab dem geschwätzigen Hochzeitsvater keine Antwort. Huacua ärgerte sich jedoch nicht über die Maulfaulheit Cayrús. Er ließ seine Zunge, die er mit einem Schluck Guarapa geölt hatte, lustig weiterflattern. Und schließlich, als er die Vorzüge aller seiner Gäste am heutigen Abend dem Jungen aufgezählt hatte, kam er mit dem großen Knalleffekt heraus. Er fragte Cayrú: »Wer, glaubst du wohl, wird außerdem noch unser Fest besuchen?«

»Der Pater?«

»Natürlich; der Pater fehlt noch auf der Liste. Er kommt aber nicht. Seine Pferdchen haben eine böse Hufkrankheit, und vom Wagen sind zwei Räder gebrochen. Weil diese kleine Hexe Llamicha noch nicht getauft ist, kann er auch nicht auf einer Mula hergeritten kommen. Und um auch noch meinen Sohn schnell vor der Hochzeit zu taufen, dafür ist es wohl schon zu spät geworden. Ja … wer aber, meinst du, kommt noch zu uns?«

»Der Bolichero?«

»Der Moises Tijuca ist kein Indio, mein Junge. Wir wollen heute unter uns bleiben.«

»Vielleicht kommt die Curandera?«

»Nachher, mein Sohn, nachher! Wenn die Hochzeit gewesen ist und die Kinderchen unruhig werden im Bauch von Llamicha. Kommt die Curandera vorher … das bringt Unglück.«

»Es wird dann wohl ein Indio aus dem Wald kommen …«

»Ein Choroti meinst du? Ein Schlangenfresser? Ein Drecktrinker? Ein Plattkopf? Huuuu!«

»Meine Mutter sagt: Auch wir stammen von den Choroti.«

»Gewiß … gewiß … Dein Vater war ein Choroti, aber kein Schlangenfresser mehr. Dein Vater war unser Nachbar. Und wenn die Pirañas ihn nicht abgeledert hätten, vielleicht wäre er einmal auch getauft worden und du dazu. Nein … dein Vater gehörte schon zu uns. Und deshalb bist du auch kein Choroti mehr und hast auch keinen Plattkopf.«

»Wo haben die Pirañas meinen Vater abgeledert?«

»Dort, wo deine Mutter immer steht und Krebse fängt. Du hättest ihr längst schon das Fangen abnehmen sollen. Aber jetzt bist du ja auf dem Hof der weißen Männer. Glaubst du, die weißen Männer würden zu uns kommen, heute abend?«

»Die weißen Männer werden nicht kommen.«

»Und weshalb werden sie nicht kommen, du Kluger?«

»Weiß will weiß, und Indio soll Indio bleiben. Das sagt man bei den weißen Männern auf dem Hof.«

»Und wenn sie doch herkommen?«

»Sie werden nicht kommen.«

»Und ich sage dir: Sie kommen. Und darüber freue ich mich. Wenn der Pater gekommen wäre, dann hätte ich mich nicht so gefreut. Und du mußt dich mitfreuen, daß die weißen Männer zu mir kommen.«

Cayrú blieb still und riß eine junge, mit langen Stacheln besetzte Agave aus der Erde. Huacua zog ihn am Arm und sagte: »Komm, wir werden jetzt den Chicha in Krüge umfüllen. Ein kleines Schlückchen, denke ich, dürfen wir im voraus trinken.«

An der Hinterwand der Lehmhütte standen zwei Tröge, roh ausgehöhlte Baumstämme. In diesen Trögen, wie man sie oft auf der Weide als Viehtränke sieht, schwamm eine schaumige, gelbe Brühe, die aus Mais, Chipablättern, alten, verrotteten Hirschfellen, Bitternüssen und Ampferwurzeln gegoren war und nach einem sauergewordenen Bier roch. Sie schöpften mit einer Kalebasse nur das Obere ab und füllten es in die bauchigen, mit zwei großen Henkeln versehenen Tonkrüge. Auf den Satz, der wie der Morast am Ufer des Flusses aussah und lebendig war von dem Gewimmel fingerlanger Maden, gossen sie »zum Nachgären« das schmierig-grüne Wasser aus einem Graben. Die gefüllten Tonkrüge mit dem Chicha blieben in einer schnurgeraden Reihe unter den Trögen stehen.

Cayrú tat seine Arbeit, als hätte er diese Hantierungen schon in einer jahrelangen Gewohnheit hinter sich. Trotzdem hatte er an diesem Tag hier im Busch manches erfahren, was ihm bisher im Wald oder auf dem Hof von Coßmanns noch nicht begegnet war.

Er machte zum erstenmal die Bekanntschaft mit der Schopfeule, die aufgeplustert vor ihrer Erdhöhle wie ein wildes Kaninchen hockte und mit dem Schnabel klapperte, um die Erdräuber zu verjagen, wenn sie Lust verspüren sollten, in das Nest zu schlüpfen und die Jungen zu fressen. Und als Cayrú gerade eine Distelstaude umlegte, sprang ihm eine Rieseneidechse über die Hand. Er wollte sie an dem geschuppten Schwanz festhalten. Der Schwanz brach sofort ab und zappelte noch zwischen den Fingern weiter. Die Korallenschlange kannte er bereits. Er tötete sie mit einem Stein geschickt zwischen Kopf und dem ersten, rotgelben Würfel des Leibes. Es hätte ein Unglück gegeben, würde sich jemand von der Hochzeitsgesellschaft auf den kalten, geringelten Schlangenleib gesetzt haben.

Die Schakús jedoch kannte Cayrú noch nicht. Er entdeckte ein Nest mit fünf Eiern unter einem rankenden Gebüsch. Als Huacua hinzukam, verschwanden alle fünf Eier sofort im Schlund des Indios. Sie waren schon angebrütet; gerade deshalb aber schmeckten sie ihm. Er sagte zu Cayrú: »Wenn du auch von diesen Eiern essen willst, sie machen die Leber stark, dann such dir schnell ein neues Nest. Ich denke: Wo eins ist, werden auch drei sein. Das dritte gehört wieder mir.«

Cayrú fand aber kein neues Nest mehr. Außerdem kamen schon die ersten Hochzeitsgäste. Seine Mutter rief ihn und erklärte ihm, wie er sich jetzt nützlich zu machen habe.

Alle zehn, zwanzig Minuten kam ein neuer Trupp Gäste. Indios im Feiertagsanzug. Die Männer in weißen Leinwandhosen, den Poncho in vier Zipfeln bis zu den Kniekehlen herunterhängend. Unter dem Poncho trugen einige noch ein blaues oder gelbes Baumwollhemd, die meisten aber nur ihre bronzene Haut. Um den Hals hingen Ketten aus Fischgräten, Papageienschnäbeln oder schwarzen Steinnüssen. Die Frauen kamen in weiten roten oder grünen Röcken, einem Jäckchen aus buntgefärbten Bastfransen, das die Arme aber nackt ließ. Die Arme waren von unten bis oben beladen mit Reifen aus Silberdraht oder geflochtenen bunten Lederriemen, an denen klappernde Muscheln und Fruchtschalen befestigt waren. Alle, ohne Unterschied, gingen barfuß. Manche Frauen trugen um die Knöchel die gleichen Klappern wie um den Oberarm. Auf dem Kopf hatten sie flache Hüte aus Reisstroh mit nach oben gebogenen Krempen. Als sie sich auf den Rasen setzten, ließen sie die Hüte in den Nacken herunterfallen.

Cayrú ging mit der Schildkrötenschale herum und bot die gerösteten Krebse an. Seine Mutter teilte kleine, steinharte, mit Honig gefüllte Galletas aus Maismehl aus.

Huacua war verschwunden. Er und sein Bruder Micabuña gingen dem Brautzug entgegen, der nicht eher den Festplatz betreten durfte, als bis alle geladenen Gäste versammelt waren und am Himmel das letzte Rot des Sonnenunterganges sich verwischt hatte.

Von dem dreimaligen Herumreichen der Krebse auf dem Rasenstück, wo sich schon mehr als dreißig Personen, Männer, Frauen und Kinder, versammelt hatten, waren Cayrú die Arme müde geworden. Er lehnte sich an einen Timbó, der an der einen Längsseite des Hauses stand, und überlegte, ob das wohl geschehen könnte, daß die weißen Männer von Guataña (so wurde der Rancho der Brüder Coßmann von den Indios genannt) zur Hochzeit herüberkämen. Würden sie wirklich kommen, dann müßte man Anne-Maries Vater fragen, ob es auf der Zuckerrohrplantage, wenn die Ernte ist, vielleicht noch eine Arbeit gäbe.

Cayrú hatte allerdings noch nie für Lohn im Zuckerrohr gearbeitet. Er wußte aber, wie man mit dem großen Hiebmesser, dem Machete, umzugehen hat. Und was Huacua oder Yamacinto schneiden können, wird man wohl auch noch bewältigen. Vielleicht sogar noch mehr, dachte Cayrú.

Er wollte jetzt noch ein Stück weiter denken, an Anne-Marie, und weshalb sie schon in der fünften Woche nicht mehr zur Insel herübergefahren war, und daß er ihr sagen möchte: In zwei Wochen wird auch das neue Kanu fertig sein … in diesem Augenblick des Nachdenkens rief ihn die Mutter wieder, und er mußte helfen, die Krüge mit dem Chicha herumzureichen.

Die Gäste hatten ihre Trinkkalebassen von Zuhause mitgebracht. Sie hielten diese becherähnlichen, aus den Fruchtschalen einer Kletterpflanze verfertigten Gefäße den Ausschenkern des alkoholschwachen Getränkes hin, mit glückzitternden Händen, als empfingen sie ein Wunderelexier. Sie tranken den Becher in einem Zuge leer, Männer, Frauen und Kinder, und ließen sich sofort den zweiten Becher bis zum Rande füllen.

Es war aber noch nicht jene Stimmung zu verspüren, die eine indianische Hochzeit zu jenem Rausch steigern kann, der einem Fremden als etwas Unfaßbares erscheint, als eine Orgie von gespensterhafter, mythischer Besessenheit.


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