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Ihr wollt die Geschichte vom Stern Orion hören? Gut, ich erzähle euch jetzt die Geschichte vom Stern Orion. Sie ist so alt wie die roten Glitzersteine, die tief im Geröll der Erde wuchern. Wenn man sie heraushebt aus der Finsternis und auf der blanken Haut trägt, an einer Kette um den Hals oder auch nur in einem Ring am Finger, und der Träger dieses Steines ist ein direkter Nachkomme aus dem Geschlecht unseres Urvaters Mitrapao, dann lösen die Steine sich auf und bluten.
Die rotleuchtenden Steine aus der Finsternis der Erde sind geronnene Blutstropfen. Das Blut hat Mitrapao vergossen, als er noch nicht der Stern Orion war, als er noch wie ein indianischer Mann herumging und seine Frau Itahua ihm eines Tages ein Stück vom Bein abhackte und ihn dann liegen ließ in seinem Blut.
Itahua war eine schöne junge Frau. Man sagte: Zupáy, der damals noch viel böser und mächtiger war als heute, hätte Itahua zu seiner Lust erschaffen, einen schwarzen Baumspecht zu einem Mädchen verwandelt und das Mädchen in einer Höhle unter dem Fluß zu seiner Frau gemacht.
Und weil Zupáy nur mit Mädchen schläft, die noch nicht geblutet haben, jagte er eines Tages, als die Wasser der großen Flüsse überliefen, das Mädchen, weil es jetzt blutete, wieder fort. Und aus einer Ringeltaube schuf er sich ein neues Mädchen.
Man sagt: Solch eine Verwandlung geschieht noch bis auf den heutigen Tag durch Zupáy. Und er kommt zu einem jeglichen Mädchen, das er aus einer anderen Gestalt zu dem neuen Wesen verwandelt hat, als ein Mann von weißer Hautfarbe, mit schwarzen Augen und einem dicken Bart unter der Nase. Und wenn er spricht, fliegt Speichel ihm aus dem Mund. Der Speichel spricht, nicht der Mund Zupáys. Hütet euch vor Zupáy!
Als Itahua aus der tiefen Bewußtlosigkeit erwachte, in die sie Zupáy versetzt hatte, um sich ihrer für immer zu entledigen, lag sie schon den vierten Tag im Weidengebüsch am Fluß. Und sie wäre eines elenden Todes gestorben, hätte Mitrapao sie nicht aufgefunden. Er hob sie auf und trug sie nach seiner Hütte, die im Feld unter einem sonderbaren Baum stand. Der Baum hatte zwei Wurzeln, aber nur eine Krone. Und die Hütte bewohnte Mitrapao zusammen mit seinem Bruder Chivanú. Der Bruder hatte nichts dagegen, daß Mitrapao das Mädchen aufnahm und zu seiner Frau machte.
Itahua stampfte den Mais, suchte Beeren und Baumohren im Busch, preßte den Saft der Lianen aus, gärte Chicha in den Gefäßen und bewachte das Feuer auf dem Herd.
Die beiden Brüder waren den ganzen Tag über, manchmal auch bis tief in die Nacht hinein, im Busch oder am Fluß und sorgten für Nahrung und Kleidung.
Sie jagten den Puma, den Hirsch und das Gürteltier, sie fingen Fische mit dem Netz und dem Speer und lockten die Schildkröten mit der Rohrflöte. Sie suchten Honig in den hohlen Bäumen und gruben Mandioka aus dem Feld. So weit ihre Augen sehen konnten und solange ihre Schritte nicht müde wurden von der Wanderung, gehörten der Wald und das Feld, die Lagune und der Fluß mit den bewegten und unbewegten Dingen ihnen.
Niemand hatte den Brüdern Mitrapao und Chivanú den Besitz zugesprochen, und sie besaßen keine Urkunden darüber. Es war aber auch kein anderer da, der solche Urkunden besessen hätte. Das Land und alles, was darauf wuchs und sich bewegte, war geworden durch den heiligen Atem Chimús.
Chimú ließ die Menschen gehen, wohin zu gehen sie Lust hatten. Er ließ sie wohnen, überall dort, wo sie glaubten, daß es gut sei, eine Hütte aufzuschlagen. Er ließ sie jagen, fischen und Pflanzen aus der Erde graben, soviel sie von jedem wollten, um sich daran satt zu essen.
Manchmal gingen die beiden Brüder zusammen auf die Jagd oder zum Fluß. Manchmal auch ging jeder für sich allein, ohne daß er dem anderen Rechenschaft darüber schuldig war, wie er die Zeit ausgenutzt hatte.
Vielleicht acht Monate schon war Itahua die Frau des Mitrapao. Es hüpfte ihr ein Kind im Leib. Darüber war keine Freude in ihr. Sie konnte aber auch nicht weinen. Der milde Tau der Tränen war ihrem Herzen versagt.
Eines Tages nun ging Itahua in den Wald, um Baumohren zu suchen, denn Mitrapao aß sie gern mit gesottenen Fischen zusammen. Als sie sich nach einer Weile im Wald umsah, bemerkte sie, daß ihr ein junger Tapir folgte. Sie wollte ihn vorübergehen lassen. Er aber blieb ruhig an ihrer Seite.
Nach einer Weile fragte Itahua den Tapir: »Wer bist du eigentlich, daß du neben mir herläufst wie ein Hund?«
»Ein Hund bin ich nicht, schöne Frau. Ein Hund liegt auf dem Bauch vor seinem Herrn. Ich aber bin gleich dem Herrn und frei. Mein Großvater hat mir den Namen Manchoa gegeben; damals, als ich noch kein Tapir war.«
»Auch wenn du kein Hund und nicht ein richtiger Tapir bist, so stört es mich doch, daß du mir nicht von der Seite weichen willst. Geh schnell weiter oder bleibe zurück!«
»Stört es dich wirklich, daß ich dir Gesellschaft leiste? Ach, wie könnte es dich stören?! Du bist schön anzusehen. Und das wollte ich dir gerade sagen. Aber du hörst ja gar nicht hin auf das, was ich dir sage. Noch niemals hat ein Mann dir solche schöne Sachen erzählt. Ich weiß es.«
»Erzähl ruhig weiter!« lachte jetzt die Frau. »Du weißt deine Worte gut zu setzen. Vielleicht werde ich auch einmal zuhören. Wenn es heute nicht sein kann … weshalb sollte es nicht morgen sein oder vielleicht übermorgen?« Jeden Tag von nun an, wenn Mitrapao und sein Bruder Chivanú zum Fischen gingen, machte sich die junge Frau einen Weg zum Wald. Einmal suchte sie Baumohren, ein anderes Mal Gewürzkräuter für den Maisbrei oder junge Eidechsen, deren Blut gut ist, den Chicha schnell gären zu machen.
Und immer, wenn Itahua das Haus ein Stück weit hinter sich hatte, war der Tapir Manchoa da und begleitete sie. Und sie hörte jetzt auch fleißig hin, was er ihr erzählte.
Seine Worte klangen so schön, wie noch nie ein Wort aus dem Munde ihres Mannes oder gar dem des Bruders ihr geklungen hatte. Und je mehr und öfter sie von diesen Worten hörte, um so weniger gefielen ihr dann die Worte und das Wesen Mitrapaos.
Ein Mond mochte vielleicht darüber vergangen sein, da sagte eines Abends, als die Frau wieder in die Hütte ihres Mannes zurückkehren wollte, der Tapir zu ihr:
»Weshalb läufst du immer noch in die Hütte, brummige Worte anzuhören? Geh nicht mehr hin! Bleibe jetzt bei mir! Wir laufen ein Stück in den Wald hinein, bis es ganz dunkel ist. Dann suchen wir uns unter den schönriechenden Sträuchern ein weiches Lager, wo wir die Nacht verweilen. Wenn die Zeit uns lang werden sollte, spielen wir miteinander Mann und Frau. In der Frühe gehen wir wieder weiter, bis wir in jenes Land kommen, das mir gehört. Dort werden wir in einem Haus aus grünem Glas wohnen, in dem Haus, wo ich wieder ein richtiger Mann sein werde, du meine Frau sein sollst und es bei mir gut haben wirst.«
»Wie kann ich so einfach von Mitrapao weglaufen? Wenn er es merkt, sich aufmacht und unsere Spur und dann uns findet, schlägt er uns mit der Axt tot, zuerst dich und dann mich. Ich will aber doch noch lange leben und schöne Worte hören. Auch wächst mir ein Kind im Leib.«
»Vor der Axt von Mitrapao brauchst du keine Angst zu haben. Die Axt werde ich verzaubern. Und das Kind, wenn es schon in deinem Leib hüpft, wird meine Großmutter still machen. Meine Großmutter ist eine Cuzé und weiß sehr wohl mit allen Geistern und geheimen Kräutern umzugehen. Du brauchst kein Kind von Mitrapao. Von dem Kind werden dir genau diese brummigen Worte in die Ohren schallen wie von dem Vater des Kindes. Oder hast du das Kind von Chivanú empfangen? Komm, Itahua!«
»Morgen … morgen … Geliebter! Ich werde im Wald sein, gleich wenn der Mittag vorüber ist. Dann magst du auf mich warten. Willst du das tun?«
»Gut …«, sagte der Tapir Manchoa, »ich werde auf dich warten. Und damit mir die Zeit nicht lang wird, werde ich mir eine schöne neue Melodie für dich ausdenken und ein Lied daraus flechten. Hast du solche Lieder schon gehört, Itahua?«
»Nein!« antwortete Itahua. »Mein Mann Mitrapao singt keine Lieder. Er pfeift nur auf seiner Rohrflöte nach, was der schwarze Vogel, der in der Agave sein Nest hat, ihm vorflötet. Ich freue mich darauf, ein neues Lied von dir zu hören. Und wenn es mir so schmecken wird wie Honig, wie geröstete Nüsse und wie die Leber von einem Rotfisch … dann darfst du auch um das Geheimnis meines Leibes wissen und dort dir nehmen, was und wie es dir gefällt. Bist du nun zufrieden mit mir, Manchoa?«
Der Tapir machte sich einen Knoten am linken Ohr und sagte: »Ich werde dich erinnern, wenn es soweit ist, daß ich die Geheimnisse deines Leibes fühlen und schmecken will.«
Und als die junge Frau ihn noch etwas fragen wollte, da war er mit einem Male verschwunden.
Am anderen Morgen sagte Mitrapao zu seiner Frau: »Mein Bruder geht heute zum Fluß Fische fangen. Er will die ganz großen Fische mit dem Speer stechen. Bei dieser Arbeit möchte er immer allein sein. Wir aber werden dafür in den Wald gehen. Ich bemerkte neulich, daß die Nüsse reif sind. Es sind viel Nüsse an den Bäumen. Du mußt mir schütteln helfen und auflesen. Dann werden wir für die Wochen des Winters Nüsse genüg im Haus haben.«
»Weshalb soll ich nicht mit dir gehen, Mann?! Ich habe mich schon immer darüber gewundert, daß ich allein im Haus bleiben muß, wenn du in den Wald gehst. Ich werde dir helfen, Nüsse schütteln und sammeln. Ich möchte aber auch die Axt mitnehmen; es ist im Haus kein Holz mehr für die Feuerstelle.«
»Gut, Frau, nehmen wir auch gleich die Axt mit. Wir müssen sie vorher aber noch schärfen. Und weil mein Bruder jetzt nicht da ist, mußt du mir helfen.«
Itahua hielt den Stein, und der Mann schärfte die Axt. Und jedesmal, wenn die Axt den Stein berührte, schrie sie: »Huuu … mein Leib! Huuuu … mein Leib!«
Es hörte sich so an, als schrie in der Ferne noch eine zweite Stimme mit. Sie klang, wie von einer ganz alten Frau gerufen.
»Hörst du nicht, Itahua, was die Axt jetzt zu mir spricht?« fragte Mitrapao seine Frau.
»Nein, Mann, ich höre nichts. Wie kann man auch denken, daß eine Axt Worte spricht, die ein Mensch versteht?!«
»Du hörst wirklich nicht, was die Axt zu mir spricht?« fragte Mitrapao noch einmal. »Eben sagt die Axt zu mir: Huuuu, ich arme Axt muß immer schneiden und verwunden … Was hat das wohl zu bedeuten, Frau?«
»Immer, wenn eine Axt geschärft wird, schreit sie laut. Aber nicht solche Worte, wie du sie hörst. Es sind andere Worte. Die Axt sagte soeben: Ich bin noch nicht scharf genug, ich kann noch nicht schneiden. Du mußt mich schärfer machen. Viel … viel schärfer noch …«
»Ich habe die Axt haarscharf gemacht. Die Axt kann das nicht gesagt haben, was du gehört haben willst.«
»Ich habe feinere Ohren als du. Nur was ich gesagt habe, das ist von der Axt ausgegangen. Tu also, was ich dir jetzt rate: Die Axt muß noch viel … viel schärfer werden!«
»Ach, Frau, du hörst, was keine anderen Ohren hören. Du bist keine kluge Frau, dann würdest du immer nur das hören, was auch der Mann hört.«
Darüber ärgerte Itahua sich sehr. Ihr Blut wurde schlecht von der Galle, die hineinfloß. Und sie schürte diesen Zorn noch mehr, als sie hinter Mitrapao herging und sah, daß eins von seinen Beinen ganz krumm war. Der Zorn verlangte nach dem Zauber, der von dem Tapir Manchoa ausgegangen war. Und der Zauber kam und verwirrte ihr Herz und ihr Denken.
Als sie endlich zu der Stelle kamen, wo viele reife Nüsse an den Bäumen hingen, stand dort auch eine hohle Espe, und es ging ein süßer Geruch von der Espe aus. Der Geruch schmeckte nach Honig.
Schnell wollte Mitrapao auf die Espe klettern und zuerst den Honig ausnehmen. Denn es schlichen schon die Tiere im Busch herum, die auch den Honig rochen und Lust verspürten, ihn zu schmecken.
Mitrapao steckte die Kalebasse in den Gürtel und setzte das eine Bein auf einen Astknoten, um das andere mit einem Schwung nachzuziehen und höher zu klettern.
Und jetzt machte der Zauber die Gedanken Itahuas schwarz. Sie packte die Axt mit beiden Händen und schlug zu. Die böse Tat, die Manchoa der Frau eingeredet hatte, war geschehen.
Mitrapao lag im Kraut. Sein linkes Bein war abgeschnitten und zuckte für sich allein im Blattwerk.
Als Itahua das abgeschlagene Bein und den Mann ansah, der in einer tiefen Bewußtlosigkeit neben dem Bein lag, machte sie sich auf und davon und suchte den Tapir. Sie wußte seinen Namen noch und rief: »Manchoa … mein Liebster … komm! Manchoa … komm!« Sie rief und lief rufend weiter.
Mitrapao erwachte nach einer Weile aus der Ohnmacht und glaubte, daß er jetzt sterben müsse. Aus dem Stumpf floß das Blut des Lebens in das Kraut hinunter. Und das abgehackte Bein sah mit seinem blutigen Gesicht sich nach der Sonne um. Die Sonne nahm das Blut auf und blutete den ganzen Himmel entlang.
Und als Mitrapao meinte, es sei jetzt schon zu Ende mit ihm, kam der gute Geist Amanoa des Weges. Er bückte sich zu dem Sterbenden herab und legte Blätter auf die Wunde, bis das Bluten aufhörte. Und er netzte den Mund des Verwundeten mit dem Saft der wilden Orange.
Endlich schlug Mitrapao die Augen wieder auf. Eine Träne glitzerte auf dem Lid. Die blies Amanoa mit seinem Atem an. Und sie hob sich von dem Lid empor, wurde ein Kolibri und flatterte.
»Kleiner Vogel«, sagte Mitrapao, »dort, wo aus zwei Wurzeln eine Yacarandá sich aufhebt und oben nur ein Baum ist, dort steht meine Hütte. Fliege hin und rufe dreimal meinen Namen in die Hütte hinein! Mein Bruder wird den Ruf aufnehmen. Führe meinen Bruder hierher!«
Der kleine bunte Vogel flog zu der Hütte. Er setzte sich auf die Schwelle und rief hinein: »Mitrapao … Mitrapao … Mitrapao!«
Der Bruder Chivanú kam aus der Hütte, sah den Vogel und hörte ihn rufen.
»Was willst du von meinem Bruder, kleiner Vogel? Mein Bruder ist im Wald und sammelt Nüsse mit Itahua.«
Der Vogel flatterte noch eine ganze Weile vor der Hütte herum und rief immer wieder: »Mitrapao … Mitrapao … Mitrapao!«
Chivanú verstand nicht, was der Vogel wollte. Er ging in die Hütte zurück und legte sich in die Hängematte. Er war müde vom Fischen und schlief bald ein.
Spät in der Nacht kam Itahua aus dem Wald zurück. Sie hatte den Tapir nicht gefunden. Von dem vielen und lauten Rufen tat ihr der Hals jetzt weh. Sie konnte nur noch heiser sprechen. Und das Kind im Leib stieß heftig mit den Füßen.
Itahua schürte das Feuer auf dem Herd, kochte einen Brei aus Mandioka und legte Fische auf den Rost, große rote Pyacuñas-Maónas, die Chivanú mit dem Speer gefangen hatte. Als die Mahlzeit bereitet war, weckte sie Chivanú.
Er fragte sogleich, als er die Augen aufmachte: »Wo ist mein Bruder? Du bist mit ihm in den Wald gegangen, und allein bist du zurückgekommen.«
»Mitrapao war einem Gürteltier auf der Spur. Er wollte es fangen, wenn der Mond hoch genug am Himmel steht. Noch ist der Mond nicht hoch genug. Willst du so lange warten mit dem Essen, bis Mitrapao zurück ist? Ich denke, wir essen ohne ihn.«
Chivanú aß den Brei und die Fische. Es wollte ihm aber nicht schmecken. Als er jedoch sah, wie gut die Frau es sich schmecken ließ, füllte schließlich auch er sich den Bauch voll, und es wurde ihm sehr schläfrig davon. Er legte sich in die Hängematte und schnarchte.
Mitrapao lag im Wald und schrie vor Schmerzen. Die Frau hörte die Schmerzensrufe. Sie rührte sich aber nicht. Sie dachte an den Tapir Manchoa und meinte: Ist er heute: nicht gekommen, wird er morgen kommen und mich holen.
Und um die gleiche Zeit dachte auch der Tapir an die Frau Itahua. Jedoch: er dachte nicht gut von ihr. Sie hatte dem Mitrapao nur ein Bein abgehackt; er wollte aber beide Beine haben. Nun mußte er sich mit dem einen begnügen. Er tauschte es gegen sein linkes Hinterbein ein, das er sich abbiß. Und als das abgebissene Bein schrie, fraß er es auf.
Mitten in der Nacht kam der kleine bunte Vogel wieder zu Mitrapao und sagte zu ihm: »Ich habe deinen Namen in die Hütte hineingerufen. Und es kam auch ein Mann aus der Hütte, heraus und sah mich an. Meine Worte aber verstand er nicht.«
»Nimm jetzt den Schnabel und steck ihn in meine Tasche hinein! Ich habe eine Rohrflöte in der Tasche. Mit dieser Flöte flieg wieder hin zu der Hütte und flöte so lange, bis mein Bruder herauskommt. Er kennt den Ton der Rohrflöte.«
Der Vogel nahm die Rohrflöte und flog zur Hütte. Er setzte sich auf das Dach und lockte.
Chivanú hörte die Lockrufe der Flöte. Die Rufe sagten ihm, daß der Bruder sich in einer großen Gefahr befand. Und nun wollte er schnell aus der Hängematte springen. Doch Itahua warf sich auf die Hängematte und auf Chivanú und hielt ihn fest. Sie schrie: »Geh nicht, Chivanú! Was jetzt oben auf dem Dach lockt, ist der Totenvogel. Ich bin eine Witwe geworden, und wenn das Kind kommt, hat es keinen Vater mehr.«
Der Vogel lockte die ganze Nacht. Itahua aber ließ den Bruder Mitrapaos nicht heraus aus der Hängematte. Er schmeckte ihren süßen Speichel, und das verwirrte seine Gedanken und nahm ihm die Kraft.
Am anderen Morgen, als Chivanú noch schlief, öffnete sich der Leib Itahuas, und das Kind schlüpfte heraus. Es war ganz schwarz und lang behaart. Sein Gesicht glich dem eines Tapirs. Und der eine Fuß war eines Menschen Fuß und der andere der eines Tapirs.
Als Chivanú das Kind sah, sagte er zu Itahua: »Du hast einen Unhold geboren. Das darf Mitrapao nie erfahren.« Und er nahm das mißgestaltete Kind Itahua von der Brust, tötete es vor ihren Augen und vergrub es im Wald, nahe dem Dorf der Ameisen.
Itahua schrie über den Mord an dem Kind bis in die späte Nacht hinein. Sie spielte aber nur so, als traure sie dem Kind nach. Sie spielte, um Chivanú Angst einzujagen.
Chivanú schlief schlecht in dieser Nacht. In aller Frühe schon stand er auf und sagte: »Jetzt geh' ich aber in den Wald, nach meinem Bruder suchen. Hat ihn ein Puma angefallen, werden die Knochen noch übriggeblieben sein; Die Knochen werde ich dann in die Erde vergraben.«
Itahua ließ ihn fortgehen. Sie glaubte, daß er von Mitrapao wirklich nur noch die Knochen finden würde. Und sie überlegte, was sie wohl sagen müsse, wenn der Bruder sich darum sorgte, wer Mitrapao im Wald getötet haben könnte.
Chivanú fand den Bruder nicht mehr im Wald, obwohl er bis zum Abend den Busch weit und breit nach einer Spur von seinem Bruder absuchte.
Mitrapao war aber auch nicht gestorben im Wald. Um Mitternacht hatte ihn der gute Geist Amanoa wieder aufgesucht. Er legte ein heilendes Mittel aus Zauberkräutern auf die Wunde, berührte den Stumpf mit seinem Bart und wartete, bis Mitrapao wieder so kräftig war, daß er sich von der Erde aufrichten konnte. Dann sagte er zu dem armen Mann:
»Ich habe den ganzen Wald nach deinem abgeschnittenen Bein abgesucht. Dein Bein ist fort. Allein nur der Tapir kann es gestohlen haben. Ich sah ihn laufen mit einem Menschenbein. Das Menschenbein hinterließ eine tiefe Spur. Stütze jetzt deinen Arm auf meine Schulter, Mitrapao! Eine Wurzel wird sich um den Beinstumpf herumranken. Wenn du den Stumpf mit der Wurzel wieder bewegen kannst, gehen wir von hier fort; aber nicht in deine alte Hütte zurück. Es ist nicht gut so, mit dieser Frau, die in der Brust eine schwarze Giftkröte sitzen hat, dort, wo die anderen Menschen ein Herz haben, noch weiter unter einem Dach zu wohnen. Es könnte geschehen, daß sie dir auch noch das zweite Bein abhackt.«
»Wohin willst du mich denn führen, Großvater? Und werde ich dort auch nicht so allein sein?«
»Dorthin werde ich dich führen, wo du die böse Frau bald vergessen wirst.«
Und als das Abendrot den Wald erleuchtete, führte ihn der gute Geist Amanoa in das Dorf Nabajó am Rio Gubaseta.
Auf dem Dorfplatz stand ein mächtiger Ombú. Und unter dem Ombú saß auf einer siebenmal im Kreis geringelten Schlange der Zauberpriester Chirichó und ließ auf einem getrockneten Schweinsfell seinen Kreisel brummen.
Ohne daß Mitrapao ein Wort gesagt hätte, las der Zauberpriester ihm den Spruch vor, den der Kreisel aus siebenmal siegen Figuren gezogen hatte.
Der Spruch verkündete: »Ehe du, Mitrapao, den Tapir nicht getötet hast, der dir das Bein gestohlen hat, ehe du ihn nicht gejagt und erschlagen hast, wirst du keine Ruhe finden. Hier nicht und dort nicht.«
»Ich bin aber noch zu schwach, den Tapir zu jagen, Schwager. Und das neue Bein, das Amanoa mir geschenkt hat, ist noch nicht richtig festgewachsen.«
»Du bist heute noch schwach und wirst auch morgen noch schwach sein. So lange wird deine Kraft brauchen zu wachsen, bis die Jahre herum sind. Für diese Zeit sollst du Nahrung und Wohnung in unserem Dorfe haben.«
Die Leute im Dorf Nabajó nährten sich nicht von den Tieren des Waldes und von den Fischen im Fluß. Ihre Nahrung wuchs auf den Feldern. Sie pflanzten Bananen und Zuckerrohr, Bohnen und Erdnüsse, Batatas, Papaya und Mandioka, Hirse, Zimtbäume und Mais. Das Feld war gut bewässert, die Früchte reiften schnell und das ganze Jahr über. Niemand im Dorf litt Hunger.
In der Mitte der Pflanzung stand eine kleine Rohrhütte auf einem verlassenen Ameisenhügel. In dieser Hütte wohnte Mitrapao. Der Kazike hatte ihn zum Wächter bestellt. Mitrapao gab Signale mit seiner Flöte, wenn die Wildschweine kamen und in den Äckern wühlen wollten. Und er rief die Leute des Dorfes zusammen, wenn der Himmel sich verfinsterte und die Schwärme der Heuschrecken die Pflanzung bedrohten.
Neun Jahre wohnte Mitrapao in der Rohrhütte auf dem Ameisenhügel. Es fehlte ihm nichts. Er hätte auch eine Frau haben können. Aber er dachte immer an Itahua.
Itahua ging jeden Tag in den Wald, um dem Tapir Manchoa zu begegnen. Sie lebte mit Chivanú zusammen, als wäre der jetzt ihr Mann. Auch hatte sie vier Kinder von ihm. Die Kinder gefielen ihr nicht. Und Chivanú gefiel ihr noch weniger als ehedem Mitrapao. Sie fand keine Ruhe bei den Kindern. Sie fand keine Ruhe bei dem Mann. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, mit dem Tapir Manchoa zu leben. Sie glaubte, daß der Tapir ein verzauberter König sei.
Als der Tapir Manchoa dachte, daß es jetzt an der Zeit sei, die Axt wieder springen zu lassen, gesellte er sich, wie von ungefähr, zu der Frau.
»Ach … du …«, sagte Itahua zu ihm, »so lange habe ich dich im Wald suchen müssen! Wo bist du die ganze Zeit über gewesen? Und wer hat deine Worte geschmeckt?«
»Die Eule hat es meiner Mutter verraten, daß ich dich habe heiraten wollen. Da wurde meine Mutter sehr böse und sperrte mich in das Totenhaus. Und wenn sie nicht gestorben wäre, säße ich noch heute im Totenhaus.«
Itahua glaubte, was ihr der Tapir vorlog. Sie rieb ihr Gesicht an seinem Gesicht und fragte ihn: »Gut, wenn deine Mutter jetzt tot ist, wann gehen wir nach deinem Land?«
»Wenn du die Axt wieder hast springen lassen. Mir fehlt noch ein zweites Bein. Erst, wenn ich das zweite Bein haben werde, nimmt der Geist die Verzauberung von mir. Und ich bin dann wieder der, welcher ich früher war.«
»Ich habe Chivanú inzwischen geheiratet. Chivanú hat Angst, mit der Axt in den Wald zu gehen.«
»Sage Chivanú: Im Wald steht ein Baum, den haben innen die Würmer schon ganz hohl gefressen. Aus diesem hohlen Baum kann man gut ein Kanu machen. Und wenn man mit einem Kanu auf dem Fluß fährt, sticht man mit dem Speer sieben Fische zugleich. Chivanú ist ein Fischfänger, es wird ihm gefallen, was du ihm sagst.«
»Ja, das wird Chivanú gefallen, wenn er sieben Fische zugleich mit dem Speer stechen kann. Ich werde ihn in den Wald locken, und die Axt soll wieder springen.«
»Du bist eine kluge Frau, Itahua! Es wird auch keine andere sein, die ich heirate«, sagte der Tapir und schenkte der Frau eine Kette aus roten Steinbeeren. Dazu legte er einen Ring aus Silber um das Handgelenk Itahuas. Der Ring war verzaubert.
Itahua hing sich die Kette um den Hals, ließ alle ihre Röcke fallen und tanzte dem Tapir etwas vor.
Das gefiel Manchoa sehr, und er sagte: Wenn der Mond hoch genug ist, wirst du mir den Tanz wiederholen. Also … bis Mitternacht, kleine, liebe Frau!« Und dann war von ihm nichts mehr zu sehen.
Chivanú hatte schon längst ein Mißtrauen gegen seine Frau, denn er konnte sich nicht erklären, weshalb Itahua immer in den Wald lief und doch nichts mitbrachte, weder Baumohren noch Beeren. Er wollte aber endlich dahinterkommen, was sie eigentlich im Wald so allein tat.
Als Itahua ihm nun erzählte, daß er ein Kanu haben müsse und daß im Wald ein Baum stünde, aus dem man gut ein Kanu machen könne, sagte der Mann zu ihr:
»Gewiß möchte ich ein Kanu haben. In den Wald können wir aber erst übermorgen gehen. Morgen muß ich zum Fluß. Ich habe sieben Fallen für die Rayas aufgestellt.«
»Gut antwortete die Frau. »Gehen wir morgen nicht in den Wald! Mir fällt ein, daß ich die Cuzé besuchen muß. Gehen wir übermorgen in den Wald! Übermorgen aber muß es sein, weil dann der Mond ganz hell und groß ist. Und Bäume soll man nur bei Vollmond fällen. So hielt es dein Bruder immer. Dein Bruder war mit den Geistern verbunden. Wahrscheinlich haben die Geister ihn damals auch geholt.«
Itahua dachte bei sich: Wenn Chivanú morgen zum Fluß geht, springe ich schnell in den Wald und sage dem Tapir Bescheid. Es wird ihm wohl nichts ausmachen, wenn die Axt erst übermorgen springt. Und so geschah es auch. Es waren an diesem Abend gerade neun Jahre herum seit dem Überfall auf Mitrapao. Und der Zauberer Chirichó sagte zu Mitrapao: »Der Ort, wo du künftig wohnen wirst, ist dir schon bestimmt von Amanoa. Geh deinen Weg! Du wirst ihn nicht verfehlen, wenn du die Spur verfolgst, die der Böse gegangen ist. Ein Fuß ist der eines Menschen, und die drei anderen Füße sind die eines Tapirs. Von diesem Tapir ist Itahua verzaubert.«
Mitrapao war noch keinen Tag gegangen, da fand er schon die Spur. Und er fragte die Spur: »Wie lange schon ist es her, daß dein Herr dich begangen hat?«
»Oh … es ist schon sehr lange her!« antwortete die Spur und machte einen Bogen.
Mitrapao ging weiter, und die Röhren einer Schlingpflanze gaben ihm zu trinken. Die Nüsse und Beeren stillten seinen Hunger, und der Gesang der Vögel machte ihm das Wandern leicht. Er verlor die Spur nicht aus seinen Augen.
Als die Spur wieder eine Biegung machte, fragte Mitrapao sie: »Ist dein Herr noch sehr weit von hier?«
»Ach nein!« antwortete die Spur. »Gar nicht mehr weit von hier. Wenn du noch drei Stunden gehst, triffst du meinen Herrn.«
»Gut …«, sagte Mitrapao, »dann werde ich deinen Herrn wohl bald finden.«
Mitrapao ging immer den Weg entlang und verfolgte mit seinen Augen die Spur. Plötzlich entdeckte er, daß neben dieser einen vierfüßigen Spur auch noch die einer Frau herlief. Und als er zu einem freien Platz im Wald kam, sagte er sich: Es sieht so aus, als hätte eine Frau hier getanzt. Und kein anderer Tanz ist es gewesen als der Hochzeitstanz.
Immer rund um den Ort herum, wo das vierbeinige Wesen mit seinem Hinterteil gesessen, Kot gemacht und Wasser gelassen hatte, lief die Tanzspur.
Nicht weit von den Tanzspuren fand Mitrapao eine kleine Kürbisflasche. Er sah sich die Flasche von allen Seiten an. Er erkannte das Figurenwerk sofort wieder, das er in eine Kalebasse geritzt hatte, damals, als er Itahua zu seiner Frau gemacht und ihr die Flasche als Zierrat um den Hals gebunden hatte. Es war die Zierflasche Itahuas und keiner anderen Frau.
Von dem langen Herumsuchen war Mitrapao müde geworden. Er setzte sich auf eine Baumwurzel. Und wenn er nicht Stimmen gehört hätte, vielleicht wäre er auch fest eingeschlafen. Die Stimmen kamen von einer Frau und von einem Tapir.
»Morgen, Liebster, werden wir die Axt springen lassen! Und das zweite Menschenbein wird dir zuwachsen.«
»Gut, lassen wir morgen die Axt springen; dann werde ich auch schnell wieder auf zwei Beinen springen und tanzen, so wie du.«
Es war der Tapir Manchoa, der also sprach. Er hob die Frau auf seinen breiten Rücken hinauf und trug sie ein Stück tiefer in den Busch hinein.
Jetzt wußte es Mitrapao ganz genau, daß es Itahua war, die von dem Tapir sich in den Busch tragen ließ, und daß sie inzwischen einen anderen Mann geheiratet hatte. Und daß sie jetzt damit umging, auch diesem Mann ein Bein abzuschlagen.
Mitrapao nahm daraufhin den Zauberkreisel, den ihm der Tiraqui des Dorfes zum Abschied geschenkt hatte, in die Hände und blies ihn an. Darauf ließ er den Kreisel an der Erde brummen und wünschte sich einen Speer.
Als der Kreisel ausgebrummt hatte, steckte in der Erde vor Mitrapao ein Speer mit einem Schaft aus Quebrachoholz und einer Spitze aus Feuerstein. Die Spitze war vergiftet mit Curare. Dieses Gift tötet Menschen und Vieh in einer Sekunde.
Mitrapao wog den Speer in der Hand. Er hatte gerade das richtige Gewicht. Jetzt wollte Mitrapao nur noch warten, bis der Tapir Manchoa wieder aus dem Gebüsch kam. Es kam aber ein Mann auf den Wurzelstubben zugelaufen, schoß einen Pfeil ab, und der Pfeil riß die hölzerne Stütze vom Beinstumpf Mitrapaos fort.
Als der Mann vor Mitrapao stand, schrie er: »Also, du bist es, den es nach dem Fleisch Itahuas hungert? Was willst du von Itahua? Itahua ist meine Frau.«
»Soll Itahua deine Frau sein und bleiben, Bruder! Soll sie auch dir das Bein abschlagen. Ich aber bin es nicht, den es nach Itahua verlangt. Verlangt nach Itahua hätte es mich vielleicht gestern noch. Heute nicht mehr.«
»Itahua lief in dieser Richtung durch den Wald. Wen anders sollte sie suchen als dich?«
»Itahua sucht nicht mich, Bruder. Sie hat mich nie gesucht. Sie hat im Wald immer nur den gesucht, den sie jetzt auch gefunden hat, was ich gesehen habe, du aber nicht wissen willst.«
»Wen hat Itahua gefunden, Bruder?«
»Wen anders könnte sie gefunden haben als den Tapir?!«
»Du liegst hier in deinem Elend auf der Erde und nimmst den Mund voll Unwahrheit? Wie könnte meine Frau Itahua einem Tapir nachlaufen und sich zu ihm legen?«
Und als Mitrapao bei seiner Behauptung blieb, gab es einen Streit zwischen den Brüdern. Der Streit war so heftig, daß sie aufeinander losschlugen. Der letzte Schlag traf Mitrapao und tötete ihn.
Das hatte Chivanú nicht gewollt. Er bückte sich zu dem Erschlagenen herab, um das Herz zu behorchen. In diesem Augenblick sah er jedoch, daß im Busch sich etwas bewegte. Er sah Itahua, und er sah auch den Tapir. Der Tapir spielte mit dem Haar Itahuas.
Da fuhr ein furchtbarer Schrei aus der Kehle Chivanús. Und sofort ließ der Tapir von Itahua ab. Er senkte böse den Kopf und kam auf Chivanú zugestürzt.
Chivanú riß den Zauberspeer aus der Erde, und der Speer durchbohrte das Herz des Tapirs.
Chivanú schnitt dem getöteten Tapir den Kopf ab und ließ das schwarze Blut in ein Krötenloch laufen. Dann richtete er sich auf und rief nach Itahua. Er rief, daß sie kommen möchte; sie hätte nichts zu befürchten.
Er rief und lockte wie mit einer Vogelstimme: »Komm, liebe Frau! Der Unhold, der dich verzaubert hat und dein Wesen so verwirrt, ist jetzt tot. Komm … Frau!«
Die Frau Itahua gab ihm aber keine Antwort. Sie lag im Busch auf der Erde und weinte. Und Chivanú dachte: Sie schämt sich noch; laß sie sich erst ausweinen.
Er machte ein Feuer aus Reisig, zerschnitt das Fleisch des Tapirs und röstete es auf dem Feuer. Als alle Stücke gut geröstet waren, lief er nach dem Busch, um seine Frau Itahua zu holen, auf daß sie teilhabe an der Mahlzeit.
Itahua sprang aus dem hohen Kraut heraus und entfloh. Und es folgten ihr auf der Flucht zwei Schatten, der des Tapirs und der Mitrapaos. Und es folgte den drei Schatten zuletzt Chivanú.
Sie jagten über die Felder und Ströme hin und kamen dem Abgrund der Erde immer näher und näher. Die Frau überflog zuerst den klaffenden Spalt. Die beiden Schatten folgten nach, und ganz zuletzt kam Chivanú angekeucht.
Viele Nächte lang dauerte die wilde Jagd. Der Abgrund wollte kein Ende nehmen.
Wer von uns Menschen gute Augen im Kopf hat, der kann diese wilde Jagd auch heute noch in den Lüften sehen. In jenen Nächten, wenn kein Mond am Himmel steht, Zupáy im Rohr die große Trommel Sancuty schlägt und die Ruhachúas nach Regen schreien.
Im Himmel aber fand die wilde Jagd ein Ende. Mitrapao wurde von dem guten Geist Amanoa in einen Stern verwandelt, in den Orion, den himmlischen Streiter mit einem Bein, umgeben von einem Gürtel aus zwölf Sternen.
Itahua aber wurde in den Stern Venus verwandelt. Und der Brudermörder mit seinem blutunterlaufenen Auge in den Stern Sirius. Beide stehen am Himmel dem Orion gegenüber und müssen ihn zur Strafe ewig ansehen.
Aus dem Tapir Manchoa aber wurde kein himmlischer Stern. Sein Licht leuchtet nur auf den Sümpfen, wo das Aas von Kröten und Schlangen unter dem Moder verfault und gärt.
Und wenn es in den Nächten vor einem Gewitter heraufklagt aus der sumpfigen Dunkelheit, mit einem Heulen, daß ihr euch die Ohren verstopfen möchtet … dann rührt sich das böse Gewissen des Tapirs Manchoa, das keine Ruhe finden kann. Denn der Tapir war wirklich ein verzauberter Mensch. Er war ein Sohn Zupáys aus dem Schoß der Cuzé Aji Cocá. Mit Hilfe Zupáys hat die Cuzé Aji Cocá auch unseren Stamm an die weißen Männer verraten. Und wißt ihr, was mit Aji Cocá geschah?
Dies ist aber das Ende der Geschichte vom Stern Orion, von der Venus und dem Sirius. Mehr gibt es nicht.