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IX

Meine Mutter erzählte mir, daß ein fremder Mann, der in unser Land gekommen war, eines Tages einen kleinen Affen gefangen hatte und ihn mit nach Hause nahm, damit die Frau des Mannes, die oft so allein und traurig war, sich daran erfreue.

Die Frau, man nannte sie Bondia, freute sich sehr über den jungen Affen. Sie gab ihm zu essen und spielte mit ihm. Sie lehrte ihn viele Dinge verrichten, bis er ganz zahm war. Und mit der Zeit war er auch schon so zahm geworden, daß man ihn ruhig allein im Hause lassen konnte.

Eines Tages nun nahm der Mann die Frau mit auf das Feld und ließ den jungen Affen allein im Haus.

Der Affe saß vor der Tür. Und als er bemerkte, daß die beiden Leute schon ein ganzes Stück weit fort waren, ging er in die Stube, warf schnell seinen braunen Haarpelz ab und band sich eine weiße Schürze vor. Er nahm Mehl aus der Schüssel und machte auch sein Gesicht ganz weiß, denn er wollte so aussehen wie die Frau Bondia.

Er ging zu der mächtigen Feuerstelle in der Ecke und schürte die glimmenden Holzkohlen so lange, bis sie rot und gelb wurden und Funken sprühten. Schön war das Funkenspiel anzusehen.

Auf dieses sprühende Feuer setzte der kleine Affe einen Topf mit Ziegenmilch, schüttete Hirse hinein und Zucker und rührte einen Brei. Solch einen, von dem immer die beiden Leute aßen, ihm aber nie etwas abgegeben hatten.

Die Leute sagten: Wozu braucht ein dummer Affe Hirsebrei zu essend! Der Brei ist süß, und Süßigkeiten sind nicht für Tiere, sie bekommen nur Leibschmerzen davon.

Man gab dem kleinen Affen dafür aber Spinnen und Heuschrecken zu fressen und alles, was sich sonst noch an Eßbarem in den Sträuchern und im Gras bewegte.

Der kleine Affe löffelte den Hirsebrei, es schmeckte ihm, und kein Körnlein blieb übrig in der Schüssel.

Dann holte er sich einen Schluck Wein aus der Kalebasse heraus, trank bedächtig noch einen zweiten Schluck und strich sich über den Bauch. Der Bauch war voll und prall wie ein Kürbis.

Darauf band der kleine Affe die Schürze wieder ab, wischte sich das Mehl aus dem Gesicht und fuhr schnell in seinen alten Haarpelz zurück.

Als die beiden Leute vom Feld zurückkamen, müde und verstaubt, saß der kleine Affe auf der Schwelle des Hauses und tat so, als ob er schliefe. Und als man ihn rief, wollte er zuerst die Augen nicht aufmachen.

Die Leute hatten ihm vom Feld zum Abendbrot eine Grille und einen Laubfrosch mitgebracht. Weil er den Bauch aber schon so voll der süßen Hirse hatte, sagte er, daß er keinen Hunger habe. Und das glaubten ihm auch die Leute.

Als nun die Frau Bondia nach dem Milchtopf griff, war er leer. Und als sie nach der Hirse griff, war nicht ein Korn mehr in dem Beutel. Und als sie nach dem Feuer sah, war aus der feuerlohen Kohle ein Häufchen Asche geworden.

Die beiden Leute suchten das ganze Haus ab; sie konnten aber nicht die geringste Spur von den verschwundenen Sachen finden. Sie entdeckten auch nicht den Mann, der sich einen Brei aus der Hirse gekocht hatte. Sie überlegten lange, wer der Dieb wohl gewesen sein könnte. Auf den kleinen Affen hatten sie keinen Verdacht. Denn wie hätte ein Affe am Feuer stehen können und sich einen süßen Hirsebrei kochen?!

Der kleine Affe saß noch immer vor der Tür und unterhielt sich mit der Fledermaus. Sie war so lieb wie eine kleine Schwester zu ihm und erzählte Neuigkeiten aus dem Wald. Sie sagte zu ihm: »Im Mangobaum, weißt du, riecht es nach Honig; es muß ein großes Bienennest in dem hohlen Baum sein. Weshalb kletterst du nicht hinauf und holst dir den Honig, du Dummer? Wenn du ihn dir nicht holst … bald werden die Ameisen da sein und sich vergnügen.«

Der kleine Affe antwortete der Fledermaus, daß er schon satt und nun auch viel zu müde sei, um noch auf einen so hohen Baum zu klettern und nach Honig zu suchen. Er verschwieg der Fledermaus, aber, daß er das Klettern nicht mehr verstand. Denn er schämte sich, daß er es verlernt hatte, hier, bei den Leuten.

Da flog die Schwester Fledermaus wieder davon und verriet einem Wiesel das Nest im Honigbaum.

Die beiden Leute waren müde von der Feldarbeit und hungrig nach Hause gekommen. Und jetzt waren sie ganz benommen von dem Geschehnis, daß ein Fremder sich in das Haus geschlichen hatte und die Milch und die Hirse vertan. Sie waren böse, daß sie den Dieb nicht gefunden und abgestraft hatten.

Nun war ihnen der Hunger vergangen, und sie wollten sich schlafen legen. Und der kleine Affe sollte auch schlafen gehen. Sie hießen ihn schnell in den Korb klettern, der gleich neben der Tür stand.

Der kleine Affe konnte die ganze Nacht nicht schlafen, so sehr drückte die süße Hirse ihm den Bauch, weil er diese Speise nicht gewohnt war und wunders geglaubt hatte, wie wohl man sich fühlen würde, wenn man den Bauch voll hat mit Hirsebrei. So, wie der Mann und seine Frau Bondia sich wohl fühlten, wenn sie Hirsebrei gegessen hatten.

Als am andern Tag die beiden Leute wieder auf das Feld hinaus mußten, weil das Unkraut überhandnahm und die Batatas und Manis auffressen wollte, riefen sie die Tochter der Leute aus dem Nachbarhaus und baten sie, sich in der Hütte gut zu verstecken und nach dem Dieb auszuschauen. Und wenn er sich wieder heimlich hereinschleichen sollte, am Herd stehen und einen Brei kochen, müsse sie ein Signal auf der Rohrflöte geben. Vor dem kleinen Affen aber brauche sie keine Angst zu haben, denn er sei gar kein richtiger Affe. Wie kann er ein Affe sein und es gern haben, wenn man ihm das Kinn streichelt?!

Da kam die Tochter Chimaña aus dem Nachbarhaus und versteckte sich hinter den Maissäcken. Sie hielt die Rohrflöte in der Hand und wartete auf den Dieb.

Daß Chimaña sich hinter den Säcken versteckt hatte, war dem kleinen Affen verborgen geblieben. Denn er saß seit dem frühen Morgen in der hellen Sonne und schüttelte die Läuse aus seinem Pelz.

Als die beiden Leute wieder ein ganzes Stück weit fort waren, ging der kleine Affe in die Hütte, kroch aus seinem Pelz heraus, hängte ihn an einen Balken, band sich die weiße Schürze vor, mehlte das Gesicht schneeweiß und goß in den großen Topf Ziegenmilch hinein. In die Milch schüttete er, als sie kochte, diesmal Mandioka und rührte auf dem Feuer einen Brei.

Da sprang Chimaña hinter den Säcken hervor und packte den kleinen Affen. Sie rangen und balgten eine ganze Weile miteinander. Sie kratzten und bissen sich.

Schließlich war der kleine Affe ganz matt geworden, und er sagte zu Chimaña: »Laß mich schnell los, damit ich wieder in meine Haut zurückschlüpfen kann! Auch gefällt es mir hier nicht mehr. Ich werde wieder zurück zu meinen Brüdern gehen.«

»Nein, du!« sagte darauf das Mädchen. »Jetzt erst recht bleibst du hier, denn du gefällst mir. Du sollst mein Mann werden. Du bist anders als alle die anderen Männer, die da wollen, daß sie mir gefallen.«

»Ach du … wie könnte ich dein Mann werden?! Das hast du dir nicht gut überlegt«, antwortete der kleine Affe dem Mädchen, das ihn noch immer nicht loslassen wollte.

»Ich will aber, daß du und kein anderer mein Mann wirst. Du allein nur gefällst mir.«

»Siehst du denn nicht, wie klein ich bin? Du bist so groß. Und wenn ich dein Mann bin, wirst du mich immer schlagen und böse zu mir sein.« Und darauf weinte er, der kleine Affe.

»Wie kannst du sagen, daß eine Frau den Mann, den sie gern hat, schlägt?! Du wirst es gut bei mir haben. Du wirst mit mir spielen, den ganzen lieben Tag. Du wirst mir schöne Lieder vorsingen. Und ich werde dir immer einen süßen Brei kochen. Das Holz zum Feuer werde ich spalten, und du wirst dich ausruhen. Das Unkraut auf dem Felde werde ich jäten, und du darfst derweile Vögel und Schmetterlinge fangen, soviel du willst. Und anstatt in einem häßlichen Korb, der in der Tür steht, wo es zieht und hineinregnet, wirst du bei mir in der Hängematte schlafen. Und immer werde ich dir das Kinn streicheln. So wie jetzt. Es gefällt dir doch?«

Sie fuhr mit den Fingerspitzen durch sein Gesicht, streichelte ihm das Kinn und kraulte ihm die empfindlichste Stelle hinter dem Ohr. »Gefällt es dir?«

Es gefiel dem kleinen Affen. Und er sagte darauf zu dem Mädchen: »Gut, wenn es durchaus dein Wille ist, muß ich wohl schon dein Mann werden. Du mußt es mir aber versprechen, daß deine Hand immer so lieb zu mir sein wird wie jetzt.«

Als das Mädchen Chimaña ihm auch das versprach, ihm die Hand schüttelte und auch noch einmal das Kinn streichelte, riß er schnell seinen alten Haarpelz vom Balken herunter und warf ihn ins Feuer.

Da fragte ihn das weiße Mädchen: »Hast du auch einen schönen Namen, dich zu rufen? Ich heiße Chimaña. Wie aber soll ich dich jetzt rufen? Oder hast du keinen Namen? Gut, dann werde ich einen schönen Namen aussuchen und ihn dir geben.«

»Die Leute hier im Haus nennen mich Miriquita. So will ich bei dir aber nicht heißen. Meine Mutter im Wald rief mich Chucuchu. Ich möchte, daß auch du mich so rufst, wie meine Mutter im Wald mich gerufen hat«, antwortete der kleine Affe.

Da gab Chimaña ihm einen Kuß und sagte: »Ja … du! Chucuchu … das ist wirklich ein schöner Name, niemand von unseren Leuten wird so gerufen. Komm, Chucuchu!«

Das Mädchen Chimaña ging mit dem kleinen Affen nicht nach Hause. Sie hatte Furcht, daß man sie auslachen würde, käme sie mit einem kleinen Affen daher, der ihr Mann sein sollte. Sie wußte aber im Wald eine Höhle, die hatte früher einmal der Puma bewohnt. Den Puma hatten die Brüder des Mädchens getötet. Die Höhle war jetzt unbewohnt. Und in dieser Wohnung machten Chimaña und Chucuchu es sich so bequem, wie sie es nicht einmal in der Hütte des Kaziken vermocht hätten. Die Hütte des Kaziken war die schönste im ganzen Dorf.

Nur acht Tage lang behandelte das Mädchen Chimaña den kleinen Chucuchu mit Sanftmut. Sie kochte ihm einen süßen Hirsebrei und briet ihm auf dem Feuer Hirschleber, die Zunge vom Ameisenbär, Gürteltierschwänze, kleine blaue Fische und junge Papageien aus dem Nest.

Jedoch von der zweiten Woche ab mußte Chucuchu im Wald Holz suchen gehen, es vor der Tür spalten und neben der Feuerstelle aufschichten. Von der Lagune mußte er Wasser holen, und das war ein weiter Weg. Mit dem schweren Stein mußte er Mais zu einem staubfeinen Mehl mahlen und in der Kalebasse den Teig für die Tortillas rühren, während Chimaña auf einem weichen Lager sich breitmachte und auf die Vögel hörte, die draußen in den Büschen des Oleanders und in den Zimtbäumen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein sangen.

Als Chucuchu auch einmal ein paar Minuten lang stillsitzen und zuhören wollte, denn es sang gerade seine Freundin, die Corochiré, da warf Chimaña ihm die hölzernen Sandalen an den Kopf. Und als er nicht genug Baumwurzeln zerkleinert hatte, schlug sie mit einer Dornenrute auf ihn ein. Und als er vor Müdigkeit am Herd einschlief, preßte sie sein Gesicht in die Glut und wollte ihn ersticken. Er konnte sich aber noch schnell hochreißen.

Der kleine Affe sagte jetzt zu Chimaña, daß er sofort zum Ameisenstrauch laufen müsse, um sich das Gesicht zu kühlen. Und als sie ihn darauf losließ, denn es tat ihr jetzt leid, daß sie sich so vergessen hatte, und er hinauslief, rief sie ihm nach, daß er sich nicht weiter von der Tür entfernen dürfe als zehn Schritte. Liefe er weiter, würde ihn der Silberlöwe fressen.

Chucuchu schlüpfte schnell durch den Zaun und suchte nach dem Weg, den der Tapir immer ging, wenn es ihn nach dem kühlen Wasser im Fluß dürstete. Den Tapir, der ein Verwandter seiner Mutter war, wollte er bitten, ihm den Weg zu den Brüdern zu zeigen.

Als der Tapir das Gesicht des kleinen Affen befühlte, die Brandwunden bemerkte und dann auch sah, daß Chucuchu kein Haar am Leibe hatte, weinte er vor Mitleid und zeigte ihm den Weg zu den Brüdern. Es war der Weg immer geradeaus. Er riß ein großes dichtes Spinngewebe vom Baum, warf es dem kleinen Affen über und sagte zu ihm: »Schwager, es wird sehr kalt werden heute nacht!«

Chucuchu ging den Weg, den der Tapir ihm gewiesen hatte. Er brach sich auch noch einen Stock vom Gebüsch, hinkte umher und versuchte, seine frühere Gangart auf allen vieren wieder herauszubekommen. Es dauerte aber bis Mitternacht, ehe es ihm gelang, richtig auf allen vieren zu gehen.

Als er plötzlich hinter sich rufen hörte, war es ihm gerade geglückt, die Bewegung zu finden, sich auf einen Baum hinaufzuschwingen. Hurtig sprang er von Ast zu Ast, bis er die Wipfelspitze erreicht hatte.

Hoch oben vom Baum herunter sah er das Mädchen Chimaña, und er hörte, daß sie seinen Namen dem Wind zurief. Der Wind aber nahm den Ruf nicht auf; er schlief unten im Gebüsch und träumte vom Regen. Und er bat den Regen, daß er die Tropfen bald fliegen lassen möchte. Und der Regen im Traum antwortete ihm: »Bald, Schwager, werde ich fliegen.«

Chimaña rief und rief und lief um den Baum im Kreise herum. Und als sie sich endlich ein Stück vom Baum entfernt hatte, da sprang der kleine Affe zu einem anderen Baum hinüber und von diesem wiederum zu einem anderen, bis ein breiter Fluß ihm den Weg abschnitt.

Inzwischen war der Wind aufgewacht, er trieb den Regen vor sich her und wehte von der anderen Uferseite des Flusses die langen, dünnen Zweige der Weiden herüber.

An solch einen schaukelnden Zweig klammerte Chucuchu sich fest, und der Zweig wehte ihn mit der nächsten Bewegung des Windes zum anderen Ufer.

Jenseits des Flusses begann auch schon das Reich der Affen. Und Chucuchu suchte dort so lange umher, bis er seine Brüder fand, die ihn aber nicht erkannten. Erst als er seine Mutter fand … erkannte die ihn schon von weitem. Sie hockte vor der Tür und webte an einem neuen Pelz, den sie sich überwerfen wollte, denn der alte war schon grau und arg verschlissen.

Als sie ihren Sohn Chucuchu aber sah, den in dem dünnen Mantel aus Spinngewebe sehr fror, und bemerkte, daß er nicht mehr wie ein Affe, sondern wie ein häßlicher Bicho aussah, gab sie ihm den neuen Pelz. Er war von dunkelroter Farbe, wie die reifen Beeren vom Strauch Ucurú, und hatte eine schneeweiße Halskrause.

In diesem Pelz nahm Chucuchu wieder sein altes Wesen und alle die früheren Gewohnheiten an, die er bei den weißen Leuten verlernt hatte. Und er hütete sich hinfort davor, noch einmal von einem weißen Mann eingefangen zu werden.

Das Mädchen Chimaña aber läuft noch immer im Wald herum und ruft den kleinen Chucuchu. Sie ruft ihn mit all den lieben Worten, die sie ihm ins Ohr geflüstert hatte, damals, als er bei ihr in der Hängematte lag und sie ihm das Kinn streicheln mußte und er ihren Mund schmeckte.

Das ist die Geschichte von dem kleinen Affen Chucuchu, so wie die Mutter sie mir erzählt hat. Und mehr weiß ich nicht.


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