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1. So oft aber von den Teilnehmern eines Gastmahls die einen wenig, die andern viel Zukost mitbrachten, befahl Sokrates dem Sklaven, das Wenige entweder in die Gesammtmasse zu stellen, oder jedem seine Portion auszutheilen. Diejenigen nun, welche viel mitgebracht hatten, schämten sich nicht nur nicht zu nehmen von dem, was zum gemeinschaftlichen Gebrauche vorgesetzt wurde, sondern auch das Ihrige nicht ebenfalls vorzusetzen. Sie stellten also auch das Ihrige in die Gesammtmasse, und da sie nichts voraushatten vor denen, welche wenig gebracht hatten, so ließen sie davon ab, viel für Zukost auszugeben.–
2. Als Sokrates einmal bemerkte, daß einer von den Tischgenossen das Brot liegen ließ und nur Fleisch aß, sagte er, da gerade die Rede von gewissen Namen war: Könnten wir wohl sagen, Freunde, warum gewisse Menschen Fleischfresser heißen? Denn es essen ja doch alle zum Brot Fleisch, wenn etwas da ist; aber deswegen, denke ich, werden sie doch nicht Fleischfresser genannt. – Allerdings nicht, sagte einer von den Anwesenden. –
3. Doch wie, sagte Sokrates, wenn einer blos das Fleisch ohne Brot ißt, nicht der Leibesübungen, sondern des Genusses wegen, scheint der ein Fleischfresser zu sein oder nicht? – Kaum, sagte jener, möchte sonst ein anderer einer sein. – Und ein anderer von den Anwesenden sagte: Wer nun zu wenig Brot viel Fleisch ißt? – Mir für meine Person, antwortete Sokrates, scheint es, daß auch dieser mit Recht ein Fleischfresser genannt werden dürfte, und wenn andere Menschen zu den Göttern um ein gutes Erntejahr stehen, so wird er natürlich um ein gutes Fleischjahr beten. –
4. Bei diesen Worten des Sokrates merkte der junge Mann, daß dies auf ihn gehe, und hörte zwar nicht auf, Fleisch zu essen, nahm aber Brot dazu. Dies bemerkte Sokrates und sagte: Gebt auf diesen Acht, die ihr in seiner Nähe sitzt, ob er das Brot wie Fleisch, oder das Fleisch wie Brot ißt. –
5. Als er aber einmal einen andern Tischgenossen sah, der immer zu einem Bissen Brot verschiedene Arten Fleisch aß, sagte er: Könnte es wohl eine kostspieligere Zubereitung, oder vielmehr Verfälschung der Speisen geben, als die ist, welche derjenige treibt, welcher viele Speisen zugleich ißt und zu gleicher Zeit viele Leckerbissen in den Mund nimmt? Denn wer noch mehr Speisen unter einander mischt als die Köche, macht sie kostspieliger, wer aber unter einander mischt, was jene nicht unter einander mischen als nicht zu einander passend, der macht, wenn anders jene richtig verfahren, einen Fehler und die Kunst jener zu nichte.
6. Und wie sollte es nicht lächerlich sein, sich die geschicktesten Köche zu halten und, ohne selbst auch nur auf diese Kunst sich zu legen, das, was von jenen zubereitet wird, umzuändern? Aber auch noch etwas anders begegnet dem, welcher gewöhnt ist, zugleich vieles auf ein Mal zu essen. Wenn nämlich nicht viele Speisen da sind, möchte ihm etwas zu fehlen scheinen, wenn ihn nach dem Gewohnten verlangt; wer aber dagegen gewöhnt ist, je einem Bissen Brot je eine Zukost zur Begleitung zu geben, der kann, wenn nicht viele Gerichte da sind, sich ohne Beschwerde mit dem einen begnügen.
7. Er sagte aber auch, daß in der Sprache der Athener das Wort » sich wohl sein lassen« ( εΰωχετσδ) » essen« heiße. Das Wörtchen » wohl« (εΰ) sei aber in dem Sinne hinzugesetzt, daß man das esse, was weder die Seele noch den Leib belästige, noch schwer aufzufinden sei. Daher schrieb er auch das » sich wohl sein lassen« den mäßig Lebenden zu.