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6. Kapitel.

Gespräch mit Kritobulos Kritobulos kam schon I, 3, 8 vor; s. dort die Anm. über Wahl und Behandlung von Freunden.

1. Er schien mir aber auch hinsichtlich der Prüfung der Freunde, wie die sein müßten, welche man sich erwerbe, gute Lehren zu geben, indem er sagte: Sage mir, Kritobulos, wenn wir einen braven Freund gebrauchen sollten, wie müßten wir es wohl anstellen, darüber zu Rathe zu gehen? Müßten wir nicht in erster Linie einen Mann suchen der seinen Bauch, seinen Durst, seinen Geschlechtstrieb, seinen Schlaf und seine Trägheit beherrscht? Denn wer sich von diesen Dingen beherrschen läßt, dürfte wohl weder für sich, noch für seinen Freund das nöthige zu leisten im Stande sein. – Allerdings nicht, sagte Kritobulos. – Meinst du also nicht, daß wir einen, der von diesen Leidenschaften beherrscht wird, bei Seite lassen müssen? – Ganz sicher. –

2. Wenn einer ferner großen Aufwand macht und selbst nicht ausreicht, sondern immer seiner Mitmenschen bedarf, und wenn er etwas bekommt, es nicht zurückgeben kann, wenn er aber nichts bekommt, demjenigen, der ihm nichts giebt, feind wird, scheint dir dieser nicht ein lästiger Freund zu sein? – Allerdings. – Werden wir also nicht auch diesen bei Seite lassen müssen? – Gewiß, sagte Kritobulos. –

3. Ferner, wer sich Geld zu erwerben versteht, aber nie genug Geld bekommen kann, und mit dem deshalb schwer zu verkehren ist, der ferner nur am Bekommen seine Freude hat, aber nie zurückgeben will? – Mir scheint dieser noch schlimmer als jener zu sein. –

4. Wie aber? Wer aus Lust zum Gelderwerb sich zu nichts anderm Zeit nimmt, als woraus er selbst Gewinn ziehen kann? – Auch diesen müssen wir meiner Ansicht nach bei Seite lassen, denn sein Umgang dürfte keinem Menschen von Nutzen sein. – Und wer streitsüchtig ist und seinen Freunden viele zu Feinden machen will? – Auch diesen müssen wir meiden, beim Zeus. – Wenn nun einer keine von diesen Untugenden hätte, aber Wohlthaten sich erweisen läßt, ohne jemals an eine Erwiderung derselben zu denken? – Auch dieser wäre von keinem Nutzen. Aber welcher, Sokrates, würde es denn verdienen, von uns zum Freunde angenommen zu werden? –

5. Ich denke, einer, der im Gegensatz zu diesem seine leiblichen Begierden zu beherrschen weiß, redlich ist, zum Verkehr taugt und ehrliebend genug ist, im Wohlthun nicht denen nachzustehen, welche ihm Wohlthaten erweisen, mit einen: Worte, ein solcher, welcher denen, die mit ihm verkehren, wirklich von Nutzen ist. –

6. Wie könnten wir nun dieses ermitteln, Sokrates, ehe wir mit ihm verkehrten? – Wollen wir Bildhauer ausmitteln, so ziehen wir nicht aus ihren Reden Schlüsse, sondern von wem wir wissen, daß er seine bisherigen Bildsäulen gut ausgearbeitet hat, nur diesem trauen wir zu, daß er auch die übrigen gut machen werde. –

7. Auch von dem Manne also, sagte Kritobulos, meinst du, von welchem man sieht, daß er seinen früheren Freunden Gutes thut, sei klar, daß er auch den zukünftigen Gutes thun werde? – Glauben wir doch auch, versetzte Sokrates, daß einer, der mit seinen früheren Pferden gut umzugehen verstand, auch mit den andern gut fertig werden wird. –

8. Gut, sagte Kritobulos; wer uns aber der Freundschaft werth zu sein scheint, wie müssen wir den uns zum Freunde zu machen suchen? – Vor allen Dingen, sagte Sokrates, müssen wir auf die Andeutungen der Götter achten, ob sie uns rathen, ihn zu unserm Freunde zu machen. – Wie nun? wendete Kritobulos ein; wenn wir nun einen gefunden zu haben glauben, und auch die Götter nicht entgegen sind, kannst du sagen, wie wir auf diesen Jagd machen müssen? –

9. In der That, sagte Sokrates, nicht im Laufe, wie der Hase, auch nicht durch Täuschung, wie die Vögel, noch durch Gewalt, wie die Feinde, denn einen, der nicht will, zum Freunde zu erjagen ist schwierig, schwierig aber ist es auch, einen solchen festzuhalten, selbst wenn man ihn wie einen Sklaven in Fesseln legt, denn Leute, die man so behandelt, werden eher Feinde als Freunde. –

10. Wie aber werden Freunde aus ihnen? fragte Kritobulos. – Man sagt, erwiderte Sokrates, es gebe gewisse Zauberlieder, durch deren Vorsingen diejenigen, welche sie wissen, sich jeden, den sie nur wollen, zum Freunde machen können, wie es ja auch Liebesmittel gebe, durch deren Anwendung die, welche sie wissen, von allen geliebt werden, von welchen sie nur wollen. –

11. Woher nun aber könnten wir diese erfahren? – Was die Sirenen dem Odysseus vorsangen, hast du von Homer gehört. Der Anfang lautet ungefähr so:

Komm, besungner Odysseus, du großer Ruhm der Achaier! Nach der Uebersetzung von J. H. Voß (Homers Odyssee XII, 184). – Die Sirenen Σειρηνεσ, die jungfräulichen Töchter des Phorkys, nach späterer Sage des Acheloos und einer der Musen, bei Homer zwei, später drei, genannt Ligeia, Leukosia, Parthenope (oder Aglaopheme ), Molpe, Thelxiepeia. Bei Homer hausen sie zwischen der Insel der Kirke und der Skylla auf einem Eiland, wo sie auf einer blumigen Wiese sitzend, von den Gebeinen verwesender Männer umgeben, die Vorübergehenden durch ihren süßen Gesang bethören und zu sich locken: wer zu ihnen kommt, sieht nicht mehr Weib und Kind wieder. Sie wissen alles, was auf der ganzen Erde geschieht. Man stellte sie dar als große Vögel mit Frauenköpfen oder mit dem Oberleib einer Jungfrau und den Füßen von Vögeln mit und ohne Flügel. Später galten sie als Sängerinnen der Todtenklage und wurden daher oft als Gräberschmuck angebracht, oder als Symbole des Zaubers der Schönheit, der Beredtsamkeit und des Gesanges, weshalb man ihre Bilder auf den Gräbern von schönen Frauen und Mädchen und von Rednern und Dichtern sah, wie auf dem des Isokrates und Sophokles. Hielten nun, Sokrates, durch Vorsingen dieses Zauberliedes die Sirenen auch andere Menschen fest, daß sie, bezaubert, nicht wieder von ihnen weggingen? – Nein, sie sangen es nur denen, die ihre Ehre in der Tapferkeit suchten. –

12. Du meinst nun wohl, man müsse einem jeden solche Dinge vorsingen, deren Lob dem Hörenden nicht wie Spott vorkommen kann. Denn so würde man sich eher verhaßt machen und die Leute von sich wegtreiben, wenn man einen, der von sich weiß, daß er unansehnlich, häßlich und schwächlich ist, als schöngestaltet, groß und kräftig preisen wollte. Aber kennst du etwa noch andere Zauberlieder? –

13. Nein, ich hörte nur, daß Perikles deren viele gewußt hat, durch deren Vorsingung er sich die Liebe der Stadt erworben habe. – Wodurch bewirkte denn aber Themistokles, daß ihn die Stadt liebte? – Beim Zeus, nicht dadurch, daß er ihr Lieder vorsang, sondern dadurch, daß er sie durch herrliche Thaten bezauberte. – D.h. Perikles verdankte seinen Ruhm und sein Ansehen beim Volke größtentheils seiner bezaubernden Beredtsamkeit, dagegen wurde Themistokles der Liebling des Volkes nur durch Thaten. Daß damit Sokrates die Verdienste des Perikles nicht schmälern will, sieht man aus Symposion VIII, 39: »Du mußt einmal sehen, was Themistokles verstanden, daß es ihm gelang, Griechenland zu befreien; du mußt ferner sehen, was Perikles für Kenntnisse besessen, daß er für den besten Rathgeber des Vaterlandes galt; du mußt ferner auch betrachten, wie Solon sich vorbereitet, daß er dem Staate so herrliche Gesetze geben konnte.« Themistokles war also groß durch die That, Perikles durch Rath, Solon durch Weisheit. An unserer Stelle handelt es sich darum, den Uebergang zu gewinnen von den Worten zur That. Diese muß zu jenen hinzukommen, wenn man sich eines tüchtigen Mannes Freundschaft erwerben will.

14. Du scheinst mir, lieber Sokrates, zu sagen, daß wir, wenn wir uns einen braven Mann zum Freunde erwerben wollen, wir selbst in Wort und That brave Männer werden. – Du aber, sagte Sokrates, meintest wohl, es sei auch möglich, als schlechter Mann sich treffliche Freunde zu erwerben? –

15. Ich sah ja, sagte Kritobulos, daß schlechte Redekünstler mit ausgezeichneten Volksrednern befreundet waren, und daß Leute, die von Kriegskunst gar nichts verstehen, mit ganz tüchtigen Feldherren verkehrten. –

16. Hast du aber auch wohl, wovon wir reden, Leute gekannt, die, ohne selbst zu irgend etwas nütze zu sein, nützliche Freunde sich erwerben können? – Nein, beim Zeus, wahrhaftig nicht, sagte Kritobulos. Aber wenn es einerseits unmöglich ist, sich als ein schlechter Mann gute und brave Freunde zu erwerben, so möchte ich das nunmehr wissen, ob man auch, wenn man gut und brav geworden ist, ohne weiteres mit den Rechtschaffenen befreundet werden kann. –

17. Ich weiß, was dich irre macht, lieber Kritobulos. Du siehst oft, daß Männer, welche das Gute thun und das Böse fliehen, statt Freunde zu sein, mit einander in Streit leben und unfreundlicher unter einander verkehren als Leute, die gar nichts werth sind. –

18. Und nicht blos die einzelnen Menschen thun dies, sagte Kritobulos, sondern auch ganze Staaten, welche um das Schöne aufs Beste besorgt sind und das Böse sich am wenigsten zu Schulden kommen lassen, leben unter einander in Streit.

19. Und wenn ich hieran denke, verliere ich allen Muth, die Erwerbung von Freunden nur noch für möglich zu halten. Denn ich sehe nicht nur, daß die Schlechten nicht Freunde unter einander werden können: denn wie vermöchten undankbare, lieblose, habsüchtige, treulose oder unenthaltsame Menschen Freunde zu werden? Die Schlechten also scheinen mir jedenfalls mehr dazu geboren zu sein, Feinde als Freunde unter einander zu werden.

20. Andererseits stimmen nun aber auch, wie du sagst, die Guten und die Schlechten nicht zur Freundschaft zusammen, denn wie könnten diejenigen, welche das Böse thun, mit denjenigen, die es hassen, Freunde werden! Wenn nun aber auch diejenigen, welche sich der Tugend befleißigen, wegen des politischen Vorranges mit einander in Streit liegen und aus Neid sich hassen, welche Menschen sollen dann noch Freunde werden, und unter welchen ist dann noch Liebe und Treue zu finden? –

21. Es spielt dies, Nämlich Liebe und Haß lieber Kritobulos, sagte Sokrates, gewissermaßen bunt in einander, denn einerseits sind die Menschen von Natur zur Liebe geneigt, denn sie bedürfen nicht nur einander und haben Mitleid unter einander, sondern sie nützen auch einander, indem sie sich gegenseitig bei der Arbeit helfen, und in der Erkenntnis dieses fühlen sie sich gegenseitig zu Dank verpflichtet; andererseits aber sind sie auch von Natur zur Feindschaft geneigt, denn nicht nur, wenn sie dasselbe für schön und angenehm halten, streiten sie darum, sondern auch, wenn sie verschiedener Ansicht sind, streiten sie darum. Zur Feindschaft aber führen auch Streitsucht und Zorn, zum Groll die Habgier, und zum Haß führt der Neid.

22. Aber trotzdem dringt die Freundschaft durch alle diese Hindernisse hindurch und knüpft ihre Bande zwischen den Rechtschaffenen; denn um der Rechtschaffenheit willen wollen sie lieber ohne Mühe ein mäßiges Vermögen besitzen, als durch Krieg sich alles unterwerfen, und können, wenn sie hungern und dürsten, ohne einander zu kränken, Speise und Trank mit einander genießen, und wenn sie an dem Genusse des Schönen sich erfreuen, sich beherrschen, um denen nicht lästig zu werden, bei denen es sich am wenigsten ziemt.

23. Sie können aber auch Geld nicht nur, ohne einander zu übervortheilen, auf gerechte Weise mit einander besitzen, sondern sich auch damit unter einander aushelfen, können auch Streitigkeiten nicht nur, ohne einander zu kränken, sondern auch auf eine für beide Theile vorteilhafte Art beilegen, und den Zorn zügeln, damit er nicht so weit komme, daß es sie gereuen müßte. Den Neid endlich tilgen sie gänzlich unter sich aus, indem sie ihre eigenen Güter ihren Freunden zur Verfügung stellen, die der Freunde aber als die ihrigen betrachten.

24. Wie sollten also nun nicht die Rechtschaffenen auch das Ansehen im Staate ohne Eifersucht zu gegenseitigem Nutzen mit einander zu theilen bereit sein? Freilich diejenigen, welche in ihren Staaten Ehrenämter zu erlangen wünschen, damit sie Gelder veruntreuen, gegen Menschen Gewalt gebrauchen und ein üppiges Leben führen können, würden ungerechte und schlechte Menschen sein und mit keinem andern sich vertragen können.

25. Will aber einer im Staate geehrt sein, um selbst kein Unrecht erleiden zu müssen und seinen Freunden zu ihrem Rechte verhelfen zu können, und läßt er sich, wenn er ein Amt erhalten hat, das Wohl seiner Vaterstadt angelegen sein, warum sollte ein solcher mit einem andern seines Gleichen sich nicht vertragen können? Wird er denn in Verbindung mit den Rechtschaffenen seinen Freunden weniger nützen können, oder weniger fähig sein, das Wohl des Staates zu fördern, wenn er rechtschaffene Gehilfen hat?

26. Auch in den gymnischen Wettkämpfen ist es ja offenbar, daß, wenn es den Besten gestattet wäre, in Gemeinschaft gegen die Schlechten aufzutreten, in allen Wettkämpfen jene siegen und alle Preise bekommen würden. Dort freilich ist dies nicht gestattet. Bei den politischen Wettkämpfen aber, in denen die Rechtschaffenen die besten Kämpfer sind, ist es erlaubt, mit wem man will dem Staate Dienste zu leisten. Wie sollte es also da nicht nützlich sein, sich die Besten zu Freunden zu machen und den Staat so zu verwalten, daß man diese mehr zu Theilnehmern und Gehilfen der Geschäfte als zu Gegnern hat?

27. Ferner aber ist auch klar, daß auch ein Kriegführender Bundesgenossen nöthig haben wird und zwar um so mehr, wenn er Rechtschaffenen gegenübersteht. Und natürlich muß man denjenigen, welche Hilfe leisten wollen, Wohlthaten erweisen, damit sie die Lust nicht verlieren. Es ist aber weit vortheilhafter, den Rechtschaffenen gutes zu erweisen, da ihre Zahl geringer ist, als den Schlechteren, deren Zahl größer ist, denn die Schlechten bedürfen weit mehr Wohlthaten als die Rechtschaffenen.

28. Also nur gutes Muthes, Kritobulos! Bemühe dich rechtschaffen zu werden, und wenn du es geworden bist, suche Rechtschaffene zu erjagen. Vielleicht aber kann ich dir bei dieser Jagd etwas behilflich sein, weil ich mich auf die Liebe verstehe. D.h. auf die Kunst, Liebe oder Freundschaft zu stiften. Denn gewaltig bin ich bei Menschen, nach denen ich verlange, mit unwiderstehlichem Drange darauf aus, daß, wenn ich sie liebe, sie mich wieder lieben, wenn ich nach ihnen verlange, sie sich wieder nach mir sehnen, und wenn ich mit ihnen zusammenzusein wünsche, sie auch wieder mit mir zusammenzusein wünschen.

29. Und dies, sehe ich, wirst auch du nöthig haben, wenn du mit einem Freundschaft schließen willst. Verhehle es mir also nicht, wessen Freund du gerne werden möchtest; denn da ich mich befleißige, denen zu gefallen, die mir gefallen, so glaube ich in der Kunst, Menschen zu erjagen, nicht unerfahren zu sein. –

30. Wahrhaftig, Sokrates, sagte Kritobulos, nach diesen Kenntnissen sehne ich mich schon lange, zumal wenn dieselben mir zugleich bei denen, welche rechtschaffen dem Geiste nach, wie bei denen, welche schön dem Körper nach sind, Vorschub leisteten. –

31. Aber, versetzte Sokrates, das ist meiner Kunst nicht möglich, es dahin zu bringen, daß die Schönen Stand halten, wenn man ihnen mit den Händen nahe kommt; ich bin vielmehr überzeugt, daß die Menschen vor der Skylla nur deshalb fliehen, Dieses Meerungeheuer hatte der Sage nach an der sicilischen Meerenge der Charybdis gegenüber seinen Sitz und war den Schiffern sehr gefährlich. Vgl. Homer Odyssee XII, 73 ff. – Ueber die Sirenen s. Anm. 21. weil sie mit den Händen nach ihnen greift; den Sirenen dagegen, erzählt man, haben, weil sie keinem mit ihren Händen nahe kommen, sondern jedem ihre Zauberlieder aus der Ferne vorsangen, alle Stand gehalten und ganz ihrem Gesänge sich hingegeben. –

32. Ich will ihnen gewiß, sagte Kritobulos, mit den Händen nicht nahe kommen; lehre mich nur ein anderes Mittel, das zur Erwerbung von Freunden gut ist. – Wirst du also auch nicht mit deinem Munde ihrem nahe kommen? – Sei unbesorgt, sagte jener, auch mit dem Munde werde ich keinem zu nahe kommen, wenn er nicht schön ist. – Da sagst du nun gleich, Kritobulos, das Gegentheil von dem, was zutrifft. Denn die Schönen lassen sich dergleichen Dinge nicht gefallen, während die Häßlichen es zulassen, und sogar gern, weil sie glauben, ihres Geistes wegen für schön zu gelten. –

33. Verlaß dich darauf, sagte Kritobulos, daß ich nur die Schönen, die sich nicht küssen lassen, lieben, die Rechtschaffen aber doppelt lieb haben werde; lehre mich also getrost die Kunstgriffe, mit denen man die Freunde erjagen kann. – Wenn du nun also, Kritobulos, jemandes Freund werden willst, wirst du mir erlauben, dich bei ihm zu verklagen, daß du ihn hochschätzest und sein Freund zu werden wünschest? – Verklage mich immerhin, denn ich kenne keinen, der diejenigen haßte, welche ihn loben. –

34. Wenn ich dich aber weiter verklagte, daß du, weil du ihn hochschätzest, auch wohlwollend gegen ihn gesinnt seiest, würdest du da etwa glauben, daß ich dich verleumdet hätte? – Nein, im Gegentheil, sagte Kritobulos, ich hege selbst auch gegen diejenigen Wohlwollen, von denen ich glaube, daß sie gegen mich wohlgesinnt seien. –

35. Dies also, sagte Sokrates, werde ich denen, die du dir zu Freunden erwerben möchtest, sagen können. Wenn du mir aber noch gestatten wolltest, auch das von dir sagen zu dürfen, daß du sehr für deine Freunde besorgt seiest, daß du dich über nichts mehr freuest, als über werthe Freunde, daß du durch die rechtschaffenen Thaten deiner Freunde dir nicht minder geehrt vorkommst, als durch deine eigenen, und dich über ihr Wohlbefinden nicht minder freuest, als über dein eigenes, auch für ihr Wohlergehen zu arbeiten nicht nachlassen werdest, daß du endlich zu der Einsicht gelangt seiest, daß das ein trefflicher Mann sei, der seine Freunde im Wohlthun, seine Feinde im Schadenthun übertreffe, dann glaube ich dir auf der Jagd nach rechtschaffenen Freunden ein nützlicher Genosse zu sein. –

36. Wozu sagst du mir nun dies alles, als ob es nicht in deiner Macht stünde, über mich zu sagen, was du nur willst? – Nein, beim Zeus, dies ist nicht der Fall, wie ich einmal von Aspasia Aspasia, eine Tochter des Axiochos, aus Miletos, kam nach Athen und vereinigte in ihrem Hause die bedeutendsten Männer der Zeit, die sie durch eine seltene Vereinigung politischer Einsicht, wissenschaftlicher Begabung und weiblicher Anmuth zu fesseln wußte. Selbst Sokrates suchte ihren Umgang, und Platon läßt ihn die im Menexenos vorgetragene treffliche Leichenrede der Aspasia scherzweise in den Mund legen. Perikles verstieß seine Gattin und heirathete sie; von da ab schrieb man ihr wohl einen noch größeren politischen Einfluß zu, als sie wirklich hatte. Nach dem Tode des Perikles heirathete sie den Lysikles, einen Demagogen von geringer Herkunft, der durch sie zu bedeutendem Einflusse gelangte. S. Jacobs, Verm. Schr. IV, S. 849. – »Wenn übrigens Sokrates bei Xenophon und Platon ihrer wie seiner Lehrerin gedenkt, so ist das nur als Ironie gegen den Weisheitsruhm seiner Frau anzusehen. An unserer Stelle liegt es am Tage, daß es keiner Aspasia bedurfte, um einem Sokrates die hier folgende Lehre zu geben.« gehört habe. Sie meinte nämlich, die besten Freiwerberinnen seien zwar im Stande dadurch, daß sie wahrheitsgemäß die Vorzüge anpriesen, die Menschen zur Ehe zusammenzuführen; der Wahrheit zuwider aber wollen sie nicht loben, denn die, welche betrogen werden, hassen nicht nur einander, sondern auch die, welche für sie geworben haben, und auch ich habe mich überzeugt, daß es so richtig ist, und ich glaube nichts über dich zu deinem Lobe sagen zu dürfen, was der Wahrheit widerspräche. –

37. Da habe ich ja, sagte Kritobulos, an dir einen tüchtigen Freund. Wenn ich selbst mir Freunde erwerben kann, willst du mir helfen; wenn aber nicht, dann wärest du nicht gesonnen, zu meinem Vortheil etwas Erdichtetes zu sagen! – Auf welche Art, Kritobulos, versetzte Sokrates, scheine ich dir wohl mehr zu nützen? Wenn ich ein erdichtetes Lob über dich verbreite, oder wenn ich dich zu dem Vorsatze bringe, wirklich ein rechtschaffener Mann zu werden?

38. Wenn es dir aber noch nicht klar sein sollte, so sieh dir die Sache einmal auf folgende Weise an. Wenn ich dich einem Schiffskapitän zum Freunde machen wollte und in dieser Absicht gegen die Wahrheit dich lobte und dich als einen brauchbaren Steuermann hinstellte und jener mir Glauben schenkte und dir sein Schiff zum Steuern anvertraute, obwohl du es nicht verstehst: kannst du irgendwie hoffen, daß du nicht sammt dem Schiffe ins Verderben stürzen würdest? Oder wenn ich die ganze Stadt durch Lügen bereden würde, dir als einem geschickten Feldherren, Richter und Staatsmanne sich selbst anzuvertrauen: wie glaubst du wohl, daß es dir und der Stadt durch dich ergehen würde? Oder wenn ich einzelne Bürger durch falsche Vorspiegelungen bereden würde, dir als einem geschickten und sparsamen Haushalter die Verwaltung ihrer Angelegenheiten anzuvertrauen: würdest du nicht bei einer etwaigen Probe Schaden anrichten und dich zugleich lächerlich machen?

39. Ja, mein lieber Kritobulos, der kürzeste, sicherste und schönste Weg ist, in dem, worin du tüchtig erscheinen willst, auch in der That tüchtig zu werden. So viele Tugenden es auch in der Welt giebt, bei allen wirst du bei genauerer Betrachtung finden, daß sie durch Unterricht und Uebung gedeihen. Ich also, Kritobulos, bin der Meinung, daß wir es so machen müssen; bist du aber anderer Meinung, dann sage es mir. – Nein, Sokrates, ich müßte mich ja schämen, gegen dies Widerspruch zu erheben; denn ich könnte weder etwas Gutes noch Wahres vorbringen.


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