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2. Kapitel.

Sokrates ermahnt seinen Sohn Lamprokles Sokrates hatte zwei Frauen gehabt, Xanthippe und Myrto. Die erstere hatte ihm den Lamprokles, die letztere den Sophroniskos und Menexenos geboren. zur Dankbarkeit und Achtung gegen seine Mutter.

1. Als Sokrates einmal bemerkte, daß sein ältester Sohn Lamprokles gegen seine Mutter Wie Xanthippe wegen ihrer Zanksucht sprichwörtlich geworden ist, ist geradezu unbegreiflich. Xenophon berichtet nur (Symposion II, 10) von ihrer Heftigkeit. Von sonstigen Untugenden der Xanthippe erzählen Xenophon, Platon und andere Sokratiker nichts. Erst spätere Schriftsteller erzählen von ihr viele schmähliche Züge und Anekdoten, die man etwa mit grundlosem Weibergeklatsch vergleichen kann. Sie war eine liebende Mutter und für die Ihrigen aufrichtig besorgt. – Was A. Gellius (I, 17) berichtet, scheint mir zum allermindesten lächerlich zu sein. Ich setze die Stelle im Original hierher: Xanthippe, Socratis philosophi uxor, morosa admodum fuisse fertur et iurgiosa: irarumque et molestiarum muliebrium per diem perque noctem satagebat. Has eius intemperies in maritum Alcibiades demiratus interrogavit Socratem, quaenam ratio esset, cur mulierem tam acerbam domo non exigeret. Quoniam, inquit Socrates, cum illiam domi talem perpetior, insuesco et exerceor, ut ceterorum quoque foris petulantiam et iniuriam facilius feram. aufgebracht war, sagte er: Sage mir, mein Sohn, kennst du wohl Menschen, die undankbar heißen? – Ja wohl. – Hast du wohl darauf geachtet, was diejenigen, die man so nennt, thun? – Allerdings. Die, welche Wohlthaten empfangen haben und sie nicht vergelten, obgleich sie können, nennt man undankbar. – Scheint es dir also nicht, daß man die Undankbaren zu den Ungerechten rechnet? – Allerdings. –

2. Hast du auch aber schon einmal darüber nachgedacht, ob vielleicht die Undankbarkeit nur den Freunden, den Feinden gegenüber aber nicht ungerecht ist, wie man ja auch den Verkauf von Menschen nur dann für ein Unrecht hält, wenn man ihn mit Freunden, nicht aber, wenn man ihn mit Feinden vornimmt? – Allerdings habe ich darüber nachgedacht, sagte Lamprokles, und mir scheint, daß einer, möge er Wohlthaten empfangen haben, von wem er wolle, sei es von einem Freunde oder einem Feinde, ungerecht handelt, wenn er nicht Dank dafür abzustatten sucht. –

3. Ist demnach nicht, sagte Sokrates, wenn dies sich so verhält, die Undankbarkeit eine ganz offenbare Ungerechtigkeit? – Gewiß. – Dürfte also nicht einer um so ungerechter sein, je größer die Wohlthaten sind, die er empfangen hat, und nicht Dank dafür abstattet? – Allerdings. – Könnten wir aber wohl irgend einen finden, der von einem größere Wohlthaten empfangen hätte, als die Kinder von ihren Eltern? Denn die Eltern haben ihnen, als sie noch nicht da waren, das Dasein gegeben und ihnen den Anblick so vieles Schönen und ihnen den Mitgenuß derjenigen Güter gewährt, welche die Götter den Menschen darbieten: Schätze, die uns dergestalt über alles gehen, daß wir alle nichts so sehr fliehen, als sie meiden zu müssen, ja daß auch die Staaten auf die größten Verbrechen den Tod als Strafe gesetzt haben, weil sie durch die Androhung keines größeren Uebels dem Unrecht steuern zu können glauben.

4. Und du bildest dir doch gewiß nicht ein, daß die Menschen blos um der Wollust willen Kinder zeugen, denn von Mitteln, davon loszukommen, sind ja die Straßen und die Freudenhäuser voll. Es ist aber auch offenbar, daß wir überlegen, von welchen Frauen wir wohl die kräftigsten Kinder bekommen werden und mit diesen verbinden wir uns dann zur Zeugung von Kindern.

5. Und der Mann verpflichtet sich hierbei zur Ernährung seiner Gattin und schafft für die Kinder, welche geboren werden sollen, im voraus alles an, was er nur für ihr Leben dienlich erachtet, und zwar so reichlich als er nur kann; Sache der Frau aber ist es, nach der Empfängnis diese Bürde unter Beschwerden und Lebensgefahr zu tragen und ihr mitzutheilen von der Nahrung, durch die sie auch selbst genährt wird, und das Kind, wenn sie es unter vielen Beschwerden ausgetragen und geboren hat, zu ernähren und zu pflegen, und zwar ohne daß sie vorher irgend eine Wohlthat von ihm empfangen hat, ohne daß das Kind weiß, von wem es solche Wohlthaten empfängt, ja ohne daß dasselbe zu verstehen geben kann, woran es ihm fehlt. Nein, selbst sucht sie herauszubekommen, was ihm nützlich und angenehm ist, und ihm das Nöthige herbeizuschaffen, und nährt es lange Zeit, ohne sich Tag und Nacht Ruhe zu gönnen und ohne zu wissen, welchen Dank sie einmal dafür bekommen wird.

6. Und die Eltern begnügen sich nicht mit der bloßen Leibespflege der Kinder, sondern wenn sie groß genug scheinen, um etwas zu lernen, unterweisen sie dieselben nicht nur in dem, was sie selbst fürs Leben nützliches wissen, sondern lassen sie auch darin unterrichten, wenn sie glauben, daß ein anderer es besser lehren kann, und schicken dieselben zu einem Solchen in die Schule, ohne die Kosten zu scheuen, und sorgen auf alle mögliche Weise dafür, daß ihre Kinder so tüchtig als möglich werden. –

7. Aber wahrhaftig, sagte Lamprokles, wenn sie auch dies alles gethan hat und noch viel mehr als dieses, so dürfte doch niemand ihre bösen Launen ertragen können. – Glaubst du, daß die Wildheit eines Thieres schwerer zu ertragen sei oder die einer Mutter? – Ich für meine Person glaube, die einer Mutter, wenigstens einer solchen, wie sie eine ist. – Hat sie dich wohl schon einmal gebissen oder mit Füßen getreten, dergleichen von Thieren schon vielen widerfahren ist? –

8. Aber, beim Zeus, sie sagt einem Dinge, die man nicht ums ganze Leben hören möchte. – Wie oft, sagte Sokrates, hast du sie durch dein Geschrei und deine Unarten verdrießlich gemacht von Klein auf und ihr Tag und Nacht zu schaffen gemacht? Wie viel Kummer hast du ihr verursacht, wenn du krank warst? – Aber niemals habe ich ihr etwas gesagt oder gethan, dessen sie sich hätte schämen müssen. –

9. Wie aber? Scheint dir das, was sie dir sagt, schwerer anzuhören, als den Schauspielern die schmählichsten Dinge, die sie sich gegenseitig in den Tragödien sagen? – Nun diese, meine ich, können das leicht hinnehmen, da sie ja glauben, daß weder der Schimpfende schimpft, um zu beleidigen, noch der Drohende droht, um etwas Böses zu thun. – Und du bist doch wohl, sagte Sokrates, überzeugt, daß deine Mutter, was sie dir auch immer sagen mag, nicht nur dabei nichts Böses im Sinne hat, sondern sogar dir Gutes wünscht, so viel wie keinem andern, und du zürnst ihr trotzdem? Oder meinst du wirklich, deine Mutter meine es böse mit dir? –

10. Nein, wahrhaftig, das glaube ich nicht. – Und diese, die es gut mit dir im Sinne hat, und wenn du krank bist, so gut als möglich dafür sorgt, daß du wieder gesund werdest und daß dir nichts fehle, und die noch überdies dir alles Gute von den Göttern herabfleht und es nicht an Gelübden fehlen läßt, soll böse sein? Ich meinestheils glaube, wenn du eine solche Mutter nicht ertragen kannst, kannst du das Gute auch nicht ertragen.

11. Sage mir, glaubst du wohl, daß es Leute giebt, denen man Achtung erweist? θεραπευειν nicht δειν θεραπευεν, habe ich übersetzt. S. Breitenbach z. d. St. Oder hast du dirs vorgenommen, dich um keines Menschen Beifall zu bemühen und keinem zu gehorchen, weder einem Feldherrn noch sonst einem, der ein Amt hat? – Ja, beim Zeus, ich glaube es. –

12. Wirst du also auch nicht deinem Nachbarn gefallen wollen, damit er dir nicht nur, wenn du es nöthig hast, Feuer gebe, sondern dir auch zur Erringung des Guten behilflich sei, und wenn dich ein Unfall treffen sollte, wohlwollend dir aus der Nähe zur Hilfe komme? – O ja. – Ferner, ein Reisegefährte zu Wasser oder zu Lande, oder wenn du sonst mit einem zusammenträfest, würde es dir einerlei sein, ob er dein Freund oder dein Feind wäre, oder glaubst du dich auch um das Wohlwollen dieser bemühen zu müssen? – Ja wohl. –

13. Um diese also willst du dich bekümmern, deine Mutter aber, die dich am meisten von allen liebt, glaubst du nicht ehren zu müssen? Weißt du nicht, daß sogar der Staat sich weder um jede andere Undankbarkeit bekümmert noch sie bestraft, sondern es ungestraft hingehen läßt, wenn die, welche Wohlthaten empfangen haben, keinen Dank dafür abstatten, wenn aber einer seine Eltern nicht ehrt, so zieht er ihn zur Verantwortung und läßt ihn nicht zur Archontenwürde kommen, weil er annimmt, daß weder die Opfer für das Wohl des Staates auf gehörige Weise verrichtet werden würden, wenn ein solcher sie verrichte, noch sonst etwas recht und nach Gebühr von diesem vollbracht werden könnte. Ein Solonisches Gesetz bestimmte, wer sich um die Würde eines Archon bewerbe, über den sollte festgestellt werden, ob er sich auch keine schlechte Behandlung seiner Eltern habe zu Schulden kommen lassen, ob er sie namentlich nicht geschlagen oder der Ernährung und sonstigen Erhaltung derselben sich entzogen habe. Wurde er überführt, so durfte er nicht als Redner im Senat und in der Volksversammlung auftreten, ja nicht einmal auf dem Markt und andern öffentlichen Orten sich sehen lassen. That er dies, dann traf ihn Gefängnisstrafe. Ja sogar, beim Zeus, wenn einer versäumt, die Grabhügel der gestorbenen Eltern zu pflegen, auch dies zieht der Staat bei den Prüfungen der Archonten in Betracht.

14. Du also, mein Sohn, wenn du vernünftig bist, wirst die Götter um Verzeihung bitten, wenn du in irgend einer Hinsicht deiner Mutter die Achtung versagt hast, damit nicht auch diese dich für undankbar halten und die Lust, dir Wohlthaten zu erweisen, verlieren; vor den Menschen aber wirst du dich in Acht nehmen müssen, daß sie dich nicht alle verachten, wenn sie merken, daß du deine Eltern verachtest, und du dann von deinen Freunden verlassen einsam dastehest. Denn wenn sie von dir glauben, daß du gegen deine Eltern undankbar seiest, so würde wohl keiner erwarten, für Wohlthaten, die er dir erweisen würde, Dank zu ernten.


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