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13. Kapitel.

Sechs verschiedene, theils mahnende, theils strafende Aussprüche des Sokrates.

1. Als einmal einer darüber aufgebracht war, daß er einen gegrüßt habe, ohne daß ihm sein Gruß erwidert worden sei, sagte Sokrates: Es ist doch lächerlich, daß du, wenn du einem begegnet wärest, der eine schwächlichere Körperbildung hat, als du, nicht zornig wärest; daß du nun aber einem begegnet bist, der eine ungebildetere Seele hat, darüber willst du dich ärgern? –

2. Als ein anderer darüber klagte, daß ihm das Essen nicht schmecke, sagte er: Akumenos Arzt und Freund des Sokrates. weiß dagegen ein gutes Mittel. – Was für eins? fragte jener. – Man soll das Essen sein lassen, antwortete Sokrates; denn wenn man es aufgebe, werde einem das Essen trefflicher schmecken, billiger sein und besser bekommen. –

3. Als ein anderer einmal klagte, daß sein Trinkwasser warm sei, sagte Sokrates: Dann brauchst du ja nicht erst zu warten, wenn du ein warmes Bad nehmen willst. – Nein, sagte jener, zum Baden ist es zu kalt. – Ist es denn auch deinen Sklaven nicht recht, es trinken oder darin baden zu müssen? – Nein, beim Zeus, sagte jener, ich habe mich vielmehr schon oft darüber gewundert, wie gern sie es zu diesen beiden Zwecken gebrauchen. – Ist denn aber, fragte Sokrates, das Wasser zum Trinken bei dir wärmer, oder das im Tempel des Asklepios? Dieser befand sich auf dem Wege vom Theater nach der Akropolis und stand mit einer Quelle in Verbindung, aus welcher Kranke zu trinken pflegten. – Das im Tempel des Asklepios, sagte jener. – Und welches von beiden ist zum Baden kälter, das bei dir, oder das im Tempel des Amphiaraoss Der Tempel des Amphiaraos lag bei Oropos in Böotien, bei dem sich ebenfalls eine Heilquelle befand. – Das im Tempel des Amphiaraos, sagte jener. – So erwäge denn, sagte Sokrates, daß du Gefahr läufst, unzufriedener zu sein, als Sklaven und Kranke. –

4. Als einer einen Diener hart züchtigte, fragte Sokrates, warum er auf denselben erzürnt sei. – Weil, sagte jener, er der größte Fresser und dabei der größte Faulpelz und, obwohl sehr geldgierig, doch dabei so faul ist. – Hast du wohl schon, sagte Sokrates, darüber nachgedacht, wer von euch beiden die meisten Hiebe verdient, du oder dein Diener? –

5. Als sich einmal einer vor der Reise nach Olympia fürchtete, fragte ihn Sokrates: Warum fürchtest du dich vor der Reise? Gehst du nicht auch zu Hause den ganzen Tag spazieren, und wirst du nicht auch, wenn du dahin spazieren gehst, ebenso gut wie hier nach dem Gehen frühstücken, dann wieder gehen, dann zu Abend essen und dich zur Ruhe legen? Weißt du nicht, daß du, wenn du die Spaziergänge, welche du in fünf oder sechs Tagen machst, an einander reihst, mit Leichtigkeit von Athen nach Olympia gelangen würdest? Es ist aber angenehmer, um einen Tag früher aufzubrechen als zu spät zu kommen, denn genöthigt zu sein, die Tagereisen über das Maß auszudehnen, ist unangenehm, während eine Tagereise mehr zu machen, eine große Erleichterung gewahrt. Es ist also bester, mit dem Aufbruche als mit der Reise zu eilen. –

6. Als ein anderer einmal klagte, daß er nach Zurücklegung eines langen Weges müde geworden sei, fragte ihn Sokrates, ob er auch etwas getragen habe. – Nichts weiter, sagte jener, als nur meinen Mantel. – Machtest du den Weg allein, oder war noch ein Diener dabei? Ja, der war dabei. – Folgte der leer, oder trug er etwas? – Er trug meine Decken und das andere Gepäck. – Und wie, fragte Sokrates, ist der bei der Reise davongekommen? – Nun, nach meinem Bedünken besser als ich. – Wie nun, wenn du hättest das tragen müssen, was jener trug, wäre es wohl dir ergangen? – Schlecht, beim Zeus, oder vielmehr, ich wäre nicht im Stande gewesen, es zu tragen. – Geziemt es sich wohl, sagte Sokrates, für einen Mann, der gymnastisch gebildet ist, so sehr hinter einem Sklaven in der Ertragung von Strapazen zurückzubleiben?


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