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6. Kapitel.

Sokrates bringt den noch nicht zwanzigjährigen Glaukon davon ab, sich ohne die gehörige Vorbildung an der Staatsverwaltung zu betheiligen.

1. Glaukon, den Sohn des Ariston, konnte, als er noch nicht zwanzig Jahre alt in der Volksversammlung zu sprechen versuchte, weil er an der Spitze des Staates zu stehen wünschte, von allen seinen Freunden und Verwandten kein einziger davon abbringen, sich von der Rednerbühne herabziehen und auslachen zu lassen; S. meine Anmerk. zu Platon Protagoras Kap. 10, S. 23 (Univ.-Bibl. Nr. 1708). Sokrates aber, der ihm wegen des Charmides, des Sohnes des Glaukon, und wegen des Platon wohlgesinnt war, brachte ihn allein davon ab.

2. Als er nämlich mit ihm zusammentraf, hielt er ihn fest und sagte, um ihn zum Anhören geneigt zu machen, folgendes: Sage mir, Glaukon, beabsichtigst du, an die Spitze des Staates zu treten? – Allerdings, Sokrates. – In der That, dies ist auch das schönste, was es überhaupt geben kann, sagte Sokrates; denn wenn du dies Ziel erreichst, wirst du offenbar im Stande sein, sowohl dir selbst zu verschaffen, was du nur wünschest, als auch den Freunden zu nützen; du wirst dein väterlich Haus zu Ehren bringen, Mehrer deines Vaterlandes sein und selbst zuerst in der Stadt, dann in ganz Griechenland berühmt werden, vielleicht aber auch, wie Themistokles, unter den Barbaren, und wo du nur sein magst, wirst du aller Augen auf dich ziehen.

3. Als Glaukon dies hörte, wurde er etwas stolz und blieb gerne da.

Darauf sagte Sokrates: Ist nun nicht so viel klar, Glaukon, daß du, wenn du anders geehrt sein willst, dem Staate dienen mußt? – Allerdings. – Verschweige uns darum, bei den Göttern, nicht, womit du den Anfang machen wirst, um dem Staate Dienste zu erweisen. –

4. Als nun Glaukon schwieg, als ob er sich jetzt erst überlegte, womit er den Anfang machen sollte, fuhr Sokrates fort: Nun, willst du nicht, wie du das Haus deines Freundes zu heben damit beginnen würdest, ihn reicher zu machen, so auch beim Staat zuerst darauf dein Augenmerk richten, den Staatsschatz zu vermehren? – Ja wohl, sagte jener. –

5. Würde nun nicht der Staat reicher werden, wenn er mehr Einkünfte bekäme? – Natürlich, antwortete Glaukon. – So sage mir denn, woher hat jetzt der Staat seine Einkünfte und wie viele ungefähr? Denn jedenfalls hast du darüber nachgedacht, damit du die Einkünfte, welche etwa nicht ausreichend sind, ergiebiger machest, dagegen die, welche vernachlässigt werden, herbeischaffest. – Nein, beim Zeus, sagte Glaukon, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. –

6. Nun, wenn du dies versäumt hast, so nenne uns wenigstens die Ausgaben des Staates, denn offenbar denkst du daran, die unnöthigen von diesen zu streichen. – Beim Zeus, sagte jener, auch hierzu habe ich noch keine Zeit gehabt. – So werden wir denn wohl, sagte Sokrates, es noch etwas aufschieben müssen, den Staat reicher zu machen, denn wie wäre es möglich, ohne die Ausgaben und Einnahmen zu kennen, dafür zu sorgen? –

7. Aber, Sokrates, sagte Glaukon, man kann auch den Staat auf Kosten der Feinde reich machen. – Gewiß, beim Zeus, wenn man stärker ist als sie; ist man aber schwächer, dann kann man auch das, was man hat, noch obendrein einbüßen. – Du hast Recht. –

8. Muß also nicht der, welcher zu überlegen hat, gegen wen ein Krieg anzufangen ist, genau über die Macht des Staates und der Feinde unterrichtet sein, um, wenn die des Staates stärker ist, zum Kriege zu rathen, wenn sie aber schwächer als die der Feinde ist, davon abzurathen? – Ganz recht, antwortete Glaukon. –

9. So nenne uns also zuerst die Land- und Seemacht des Staates und dann die der Feinde. – Aber, beim Zeus, sagte Glaukon, ich kann sie dir doch nicht so aus dem Kopfe sagen! – Nun denn, wenn du es aufgeschrieben hast, so hole es; ich möchte es gar zu gerne hören. – Ja, beim Zeus, ich habe es auch noch nicht aufgeschrieben. –

10. So werden wir denn es auch noch fürs erste verschieben, über den Krieg Rath zu ertheilen, denn wahrscheinlich hast du dich wegen der Wichtigkeit dieser Dinge, da du erst anfängst, dem Staate vorzustehen, noch nicht daran gemacht. Aber um die Bewachung des Landes wenigstens hast du dich, wie ich weiß, bekümmert und weißt, wie viele Wachtposten erforderlich sind, und wie viele nicht, und wie viele Leute dazu ausreichend sind, und wie viele nicht, und die nothwendigsten Wachtposten wirst du rathen zu verstärken, die unnöthigen dagegen einzuziehen. –

11. Ich, beim Zeus, für meine Person, sagte Glaukon, würde alle einziehen, weil sie so schlecht auf ihrem Posten sind, daß alles aus dem Lande gestohlen wird. – Wenn man nun aber, sagte Sokrates, die Wachen ganz und gar einzöge, glaubst du dann nicht, daß es jedem beliebigen freistehen wird, zu rauben? Aber bist du selbst hingegangen und hast die Sache untersucht, oder woher weißt du, daß es mit der Bewachung so schlecht bestellt ist? – Ich vermuthe es, sagte Glaukon. – Wollen wir also auch hierüber nicht dann erst Rath ertheilen, wenn wir nicht mehr blos vermuthen, sondern es schon wissen? – Vielleicht wäre es so besser, sagte Glaukon. –

12. In die Silbergruben ferner, wie ich weiß, bist du nie gekommen; du wirst mir also auch nicht sagen können, warum die Einkünfte aus denselben gegen früher geringer sind. – Ich bin allerdings nie dagewesen. – Nun, es soll auch, sagte Sokrates, die Gegend sehr ungesund sein, so daß, wenn du hierüber deine Meinung abgeben mußt, dieser Umstand als Entschuldigung dienen kann. – Du spottest meiner, sagte Glaukon. –

13. Aber das wenigstens weiß ich, daß du es nicht versäumt, sondern darüber nachgedacht hast, wie lange das auf dem Felde wachsende Getreide hinreicht, die Stadt zu versorgen, und wie viel sie für das Jahr nöthig hat, damit es dir wenigstens niemals entgehe, wenn Mangel hieran in der Stadt sich zeigt, sondern du davon unterrichtet bist und du über das Nothwendige der Stadt einen Rath geben und ihr so helfen und sie retten kannst. – Da redest du mir, sagte Glaukon, von einer sehr großen Arbeit, wenn man sich auch um solche Dinge bekümmern sollte. –

14. Kann doch einer, sagte Sokrates, nicht einmal sein eigenes Haus gut verwalten, wenn er nicht genau weiß, was es nöthig hat und für alles sorgt und es ergänzt. Da nun aber die Stadt aus mehr denn zehntausend Häusern besteht, es aber sehr schwer ist, für so viele Häuser auf einmal zu sorgen, wie kommt es, daß du nicht ein einziges, z. B. das deines Oheims, zuerst emporzubringen versucht hast? Es bedarf desselben! Und wenn du dies zu Stande bringen kannst, dann kannst du es auch mit anderen versuchen. Kannst du aber einem einzigen nicht aufhelfen, wie würdest du vielen helfen können? Denn wenn einer ein einziges Talent Ungefähr 25 Klgr. nicht tragen kann, ist es da nicht offenbar, daß er auch nicht einmal daran denken darf, mehrere zu tragen? –

15. Ich für meine Person, sagte Glaukon, würde ja dem Hause meines Oheims ganz gerne aufhelfen, wenn er mir folgen wollte. – Wie? meinst du also, sagte Sokrates, alle Athener sammt deinem Oheim dahin bringen zu können, daß sie dir folgen, während du deinen Oheim nicht dahin bringen kannst, daß er dir folgt?

16. Hüte dich wohl, Glaukon, daß du nicht aus Begierde nach Ansehen zum Gegentheil gelangst; oder siehst du nicht, wie gefährlich es ist, das zu sagen und zu thun, was man nicht versteht? Denke einmal an andere, von denen du weißt, daß sie sagen und thun, was sie nicht verstehen, ob sie dir wegen solcher Dinge mehr Lob oder Tadel einzuernten und mehr bewundert oder mehr verspottet zu werden scheinen? –

17. Denke aber auch an die, welche das, was sie sagen und thun, auch verstehen, und ich bin fest überzeugt, du wirst finden, daß in allen Geschäften diejenigen Menschen, welche angesehen sind und bewundert werden, zu den am besten Unterrichteten, diejenigen dagegen, welche verrufen und verachtet sind, zu den Unwissendsten gehören.

18. Wenn du also im Staate angesehen sein und bewundert werden willst, so versuche es, vor allen Dingen durchzusetzen, daß du das verstehst, was du thun willst; denn wenn du hierin es deinen Mitbürgern zuvorthust und es dann unternimmst, Staatsangelegenheiten zu leiten, so würde ich mich nicht wundern, wenn du ganz leicht deinen Wunsch erreichen solltest.


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