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5. Kapitel.

Sokrates ermahnt seine Freunde zur Selbstbeherrschung, der Grundlage aller Tugend.

1. Wenn aber auch die Selbstbeherrschung ein schöner und werthvoller Besitz für einen Mann ist, so wollen wir untersuchen, ob Sokrates zu derselben hinzuführen wußte, wenn er folgendes sprach:

Lieben Leute, wenn wir Krieg hätten und einen Mann wählen sollten, durch den wir am ehesten selbst gerettet würden und die Feinde bewältigten: würden wir wohl einen solchen wählen, von dem wir wüßten, daß er nicht Herr über seinen eigenen Bauch, den Wein, die Liebe, Mühsale oder Schlaf ist? Wie könnten wir von einem solchen hoffen, daß er entweder uns retten oder den Feinden überlegen sein könnte?

2. Und wenn wir am Ende unsers Lebens wären und jemand entweder Söhne zur Erziehung, oder unverheirathete Töchter zur Ueberwachung, oder Gelder zur Verwaltung anvertrauen wollten: würden wir wohl den unseres Vertrauens für werth halten, der sich selbst nicht zu beherrschen weiß? Würden wir einem Sklaven, der sich selbst nicht zu beherrschen weiß, unsere Heerden, unsere Vorrathskammern oder die Aufsicht über Feldarbeiten anvertrauen? Würden wir einen Diener und einen Einkäufer der Art auch nur unentgeltlich nehmen wollen?

3. Wenn wir nun einen, der sich nicht selbst beherrschen kann, nicht einmal zum Sklaven haben wollen, wie sollten wir uns billigerweise nicht selbst hüten, ein solcher zu werden? denn nicht so wie die Habsüchtigen, während sie andern Geld nehmen, sich selbst zu bereichern scheinen, ist der, welcher sich nicht selbst zu beherrschen weiß, während er den andern schädlich ist, sich selbst sehr nützlich, sondern er ist andern verderblich, sich selbst aber noch weit verderblicher, wenn anders es die größte Uebelthat ist, nicht nur seine Vermögensumstände, sondern auch seinen Leib und seine Seele zu zerrütten. –

4. Wer könnte ferner – in der Freundschaft z. B. – an einem Menschen Wohlgefallen finden, von dem er weiß, daß er an leckeren Speisen und am Wein größere Freude hat als an seinen Freunden, und daß er die Dirnen mehr liebt als seine Freunde? – Sollte also nicht jedermann in der Ueberzeugung, daß die Selbstbeherrschung die Grundlage der Tugend ist, diese zuerst in seiner Seele herstellen? Denn wer kann ohne sie etwas Gutes lernen oder gehörig sich darin üben?

5. Oder wer würde nicht, wenn er den Lüsten fröhnt, an Leib und Seele schimpflich zu Grunde gehen? – Ein freier Mann wahrlich, scheint mir, muß sehr wünschen, keinen solchen Sklaven zu bekommen; wer aber ein Sklave solcher Lüste sei, müsse auf den Knieen zu den Göttern flehen, gute Herren zu bekommen, denn nur auf diese Weise dürfte solch' ein Mensch gerettet werden.

6. Indem er so sprach, zeigte er, daß er sich selbst noch mehr durch Thaten als durch Worte beherrsche. Denn nicht blos den Reizungen der Sinnenlust widerstand er, sondern auch denen des Geldes, weil er glaubte, daß der, welcher sich von jedem Beliebigen bezahlen lasse, diesen zum Herrn über sich setze und sich in eine Knechtschaft, schimpflich wie irgend eine, begebe.


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