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12. Kapitel.

Sokrates setzt dem Epigenes Sohn des Anthiphon aus Athen. die Wichtigkeit der körperlichen Uebungen in Bezug auf Leib und Seele auseinander.

1. Zu Epigenes aber, einem seiner Freunde, welcher, obwohl jung, einen schwachen Körper hatte, sagte er, als er ihn sah: Wie hast du doch die körperlichen Uebungen vernachlässigt, Epigenes! – Mit den körperlichen Uebungen habe ich mich allerdings nicht befaßt, Sokrates. – Die darfst du aber, sagte Sokrates, ebenso wenig vernachlässigen als diejenigen, die zu Olympia als Kämpfer auftreten wollen; oder scheint dir der Kampf um Leben und Tod, den die Athener bei der ersten Gelegenheit gegen die Feinde anstellen werden, eine Kleinigkeit zu sein?

2. Und doch gehen gar manche in den Kämpfen des Krieges infolge ihres vernachlässigten Körpers zu Grunde oder kommen nur mit Schimpf und Schande davon. Viele gerathen gerade deswegen lebend in Gefangenschaft und bleiben dann entweder, wenn es sich so trifft, ihr übriges Leben hindurch in der drückendsten Knechtschaft, oder bringen, nachdem sie in die schmerzlichste Noth gerathen sind und bisweilen für einen Preis, der nicht selten ihr Vermögen überstieg, sich losgekauft haben, die letzten Tage ihres Lebens in Mangel und Elend zu; viele ziehen sich auch Verachtung und Unehre zu, weil man glaubt, daß sie wegen der Schwächlichkeit ihres Körpers feig seien.

3. Oder hältst du etwa diese Strafen der Körpervernachlässigung für gering und glaubst, solche Dinge mit Leichtigkeit ertragen zu können? Und doch, denke ich, weit leichter und angenehmer als dieses sei das, was der aushalten muß, welcher für das Wohlbefinden seines Körpers sorgt. Oder hältst du es für gesunder und zu andern Dingen nützlicher, einen schwächlichen als einen kräftigen Körper zu haben? Oder achtest du die aus einem kräftigen Körper entspringenden Folgen gering?

4. Und doch geht denen, die ihren Körper gut ausgebildet haben, alles viel besser von Statten, als denen, welche ihn vernachlässigt haben; denn die körperlich gut gebildeten sind auch gesund und kräftig; und viele kehren vermöge dieser Beschaffenheit gesund aus den Kämpfen des Krieges zurück und sind allen Gefahren entgangen; viele helfen deshalb ihren Freunden und machen sich um ihr Vaterland verdient; werden deshalb einer dankbaren Anerkennung gewürdigt, erwerben sich großen Ruhm und erhalten die schönsten Ehrenbezeugungen und werden dadurch in den Stand gesetzt, die letzten Tage ihres Lebens angenehmer und schöner hinzubringen und ihren Kindern reichere Mittel zum Leben zu hinterlassen.

5. Deshalb solltest du doch nicht die Kriegsübungen, weil der Staat sie nicht von Staatswegen betreibt, für deine Person vernachlässigen, sondern vielmehr dich darauf legen; denn sei überzeugt, auch in keinem andern Kampfe, noch bei irgend einer andern Verrichtung wird es dir schaden, daß du besser deinen Körper gebildet hast, denn zu allem, was die Menschen treiben, ist der Körper nützlich, und bei allen Verrichtungen, zu denen man den Körper gebraucht, ist es sehr viel werth, einen möglichst kräftigen Körper zu haben.

6. Denn wer weiß nicht, daß selbst bei der Thätigkeit, bei der man glaubt, den Körper am wenigsten nöthig zu haben, beim Denken, nicht wenige blos darum in große Irrthümer verfallen, weil ihnen die Gesundheit ihres Körpers fehlt? Aber auch Vergeßlichkeit, Schwermuth, Verdrossenheit und Wahnsinn fallen bei vielen infolge ihres vernachlässigten Körpers dergestalt über das Denkvermögen her, daß ihnen sogar das, was sie wissen, verloren geht.

7. Diejenigen dagegen, welche einen kräftigen Körper haben, sind davor vollkommen sicher und haben nicht zu befürchten, daß ihnen wegen Schwächlichkeit des Körpers etwas der Art begegne, vielmehr muß ein gut gebildeter Körper gerade das Gegentheil von dem erzeugen, was die Folge eines schlecht gebildeten ist. Und was sollte nicht ein Mensch, der bei gutem Verstande ist, für die den erwähnten Uebeln entgegengesetzten Güter gern auf sich nehmen wollen?

8. Es ist aber auch eine Schande, aus eigener Vernachlässigung alt zu werden, ehe man sich in der vollen Schönheit und Kraft seines Körpers, deren er fähig ist, gesehen hat. Dieses kann man aber nicht sehen, wenn man sich körperlich vernachlässigt, denn von selbst pflegt es nicht zu kommen.


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