Jakob Wassermann
Laudin und die Seinen
Jakob Wassermann

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47

Es war zwei Uhr nachts, als er heimkam. Er ging zuerst in die Bibliothek, machte Licht, öffnete ein Bücherpaket, das gebracht worden war, sah der Reihe nach die Titel der Bücher an, legte einige, die er lesen wollte, beiseite und stellte die andern ins Regal. Darauf räumte er bedachtsam Packpapier und Einbindschnur weg, kehrte mit einer Bürste den Tisch sauber und schickte sich an, in sein Schlafgemach zu gehen. Auf der Schwelle besann er sich, ging zurück, setzte sich auf eine Holzbank neben dem Ofen und zog die Stiefel aus, die über und über kotig waren, da er heute nicht in der Stadt drinnen, sondern das letzte Stück vor dem Haus, auf lehmigen, durchweichten Wegen, zu Fuß gegangen war. Zerstreut griff er nach einem der Bücher auf dem Lesetisch und erschrak zugleich; an seiner Hand war Kot von den Schuhen kleben geblieben, und im Greifen hatte er den weißen Umschlag des Buches befleckt.

Lange Zeit starrte er verstört auf den häßlichen braunen Fleck.

Auf Strümpfen ging er ins Schlafzimmer, schlüpfte in die Hausschuhe, wusch sich die Hände. Im Spiegel über dem Waschtisch gewahrte er sein Bild und sagte laut, doch in beiläufigem Ton: »Wie fahl du bist, Mann? was bist du so fahl?«

Er konnte sich nicht entschließen sich auszuziehen. Erst wanderte er hin und her, dann verließ er plötzlich das Zimmer und ging zu Pias Schlafzimmer hinüber. Aber er blieb vor der Tür stehen und lauschte. Er hatte die Klinke in der Hand und drückte sie nicht nieder. Er konnte nicht wissen, daß drinnen die Frau mit offenen Augen lag und daß sie mit überwachen Ohren seinen sich nähernden dumpfen Schritt vernommen hatte. Er konnte nicht wissen, daß sie wartete, Zähne zusammengebissen, die Finger in die Decke gekrampft, zitternd wie Gras, bevor es gemäht wird, wartete, daß sich die Tür auftue, wartete, wie sie nie zuvor im Leben gewartet hatte. Er konnte es unmöglich wissen. Er mußte glauben, daß sie schlief. Er hätte vielleicht ihr Warten gespürt, tagelanges Warten übrigens, wochenlanges, aufquellendes gleichsam, schmerz- und schmerzhafter gewordenes, aus der Schale, die die Dinge gezimmert, angstvoll hervorbrechendes, er hätte es vielleicht gespürt, sagen wir, wenn . . . Ja, wenn er nicht zufällig das Buch mit dem weißen Einband besudelt hätte.

So kehrte er wieder um.

Und draußen, auf der Stiege zum Oberstock, stand im weißen Nachtkleid, kerzengerade, traumwandlerisch horchend, in ihrer jungen Seele wesenlos und ahnungsschwer besorgt, Relly. Wie das? Wie kommt Relly mitten in der Nacht auf die Stiege? Was hat ihr den Schlaf genommen? Oder ist auch sie schlaflos gelegen, hat gewartet, bis der Schlüssel im Torschloß sich drehte und der Schritt des Vaters im Flur erschallte? Warum steht sie da, frierend und mit ängstlich großen Augen?

Nun, das ist Rellys Geheimnis.


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