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»Es handelt sich um meine Schwester Karoline,« begann Lanz; »aber ich will der Reihe nach erzählen, und da muß ich mit dem Hartmannshof und mit dem Ehepaar Hartmann anfangen.
»Draußen in Kottingbrunn, nicht im Ort selbst, sondern an der Straße ins Gebirge, liegt ein Anwesen, ein Landhaus mit etwas Grund und Boden, das einem gewissen Hartmann gehört hat und der Hartmannshof heißt. Es war ein Erbgut von Hartmanns Eltern. Er hatte aus dem politischen Zusammenbruch und der Geldentwertung durch einige glückliche Geschäfte auch ein mäßiges Vermögen gerettet. Vor dem Krieg war er eine Art ländlicher Baumeister gewesen; er hatte Häuserreparaturen gemacht und neue Dachstühle aufgesetzt, aber die Beschäftigung hatte er aufgegeben und bekleidete dafür mehrere Ämter bei der Gemeinde, zum Beispiel war er Brandinspektor und Sachverständiger bei Schätzungen. Er war seit Jahren kränklich.
»Mit seiner Frau, sie heißt Brigitte, hatte er sich nie recht gut vertragen. Zu offenem Zwist war es aber nicht gekommen. Sie ist eine Städterin; vor ihrer Heirat war sie Gouvernante; sie hat sich immer für was Besseres gehalten als die andern dortigen Frauen. Doch scheint sie eine tüchtige Hausfrau gewesen zu sein, eine von denen, die ordentlich hinter den Sachen her sind, bei denen nichts unter den Tisch fällt. Hartmann war bereits ein Mann über die Vierzig und hatte neun Jahre mit der Frau gehaust, sie hatte auch Kinder, zwei Buben, sechs und acht Jahre alt, als eine dumpfe Unzufriedenheit, oder wie soll mans nennen, zum Ausbruch bei ihm kam. Oft trieb er sich ziellos in der Gegend herum, vernachlässigte seine Obliegenheiten und vermochte bei keiner Arbeit auszuharren. Das Alleinsein mit der Frau vermied er, und es hat sich dann gezeigt, daß er während all der Zeit einem einzigen Gedanken nachhing, der langsam zum Plan ausreifte. Eines Tages trat er vor die Frau hin und schlug ihr vor, sie sollten auseinandergehen.
»Die Frau konnte nicht fassen, was in ihm vorging. Er war ein simpler Mensch nach ihrer Meinung. Das war er auch wirklich, aber nicht ganz so, wie sie es glaubte. Sie hielt ihn nebstbei für heimlich; sie schrieb ihm was Verstohlenes zu, und nach allen Schilderungen kann ich mir nichts anderes denken, als daß eine besondere Empfindlichkeit ihm angehaftet haben muß, die ihn hinterhältig scheinen ließ, wenigstens in Brigittes Augen. Sie war fest überzeugt, daß er einen bestimmten Anlaß hatte, wenn er die Scheidung verlangte, und sie verlegte sich eifrig aufs Spionieren, um ihn bei der Untreue zu erwischen, die sie nach ihrer Gesinnung voraussetzte. Aber die Mühe war umsonst. Sie gab auch schließlich die Hoffnung auf, und dadurch wurde ihr der Mann nur um so rätselhafter, ja sie erklärte ihn geradezu für verrückt. Indessen verging kein Tag, an dem er nicht von der Trennung redete; er sagte, sein jetziges Leben sei ihm unerträglich, er wolle es ändern, er wolle die Freiheit haben.
»Die Frau wollte sich Ruhe verschaffen, und weil sie dachte, er werde auf eine solche Bedingung nicht eingehen, sagte sie endlich: Gut, ich laß mich von dir scheiden, aber zuvor mußt du mir den Hartmannshof verschreiben. Er stutzt; er weiß nichts zu antworten; am Tag darauf sagt er: ich will mirs überlegen, überlegt eine Woche lang, kommt wieder, sucht sie von der Forderung abzubringen oder eine Teilung des Besitzes zu erreichen, sie aber will sich nicht einmal damit begnügen, die Verschreibung auf dem Scheidungsakt zu erhalten, wie es doch üblich ist; nein, sie erklärt: zuerst das Haus, hernach können wir weiterreden. Da ging Hartmann mit ihr zum Notar und aufs Grundbuchamt und ließ ihr das Haus zuschreiben.
»Als das geschehen war, fährt sie in die Stadt und wendet sich an einen Advokaten. Hartmann denkt: nun ist alles auf dem besten Weg; aber er war groß im Irrtum. Mit Hilfe des Advokaten beginnt die Frau ein kniffliches Spiel; lauter Hinhalterei und Vertröstung; zuletzt kommt sie mit einer neuen Forderung, sie will auch zweihundert Millionen für sich und die Kinder. Von dem Anwesen allein kann ich mit den Kindern nicht leben, sagt sie, ich brauch Geld dazu. Es ist die glatte Erpressung, und Hartmann weiß auch darauf nichts zu antworten; es graut ihm nur; die Habgier des Weibes reißt alle Bande zwischen ihm und ihr entzwei, so hat er es später selbst ausgedrückt, und es bleibt nur die Verachtung. Er hat bloß noch einen Wunsch, nämlich, die Kette loszuwerden. Besitz und Eigentum sind ihm ganz gleichgültig, wenn er dafür sein eigenes Leben wieder bekommt, und so verlegt er sich gar nicht erst auf Einspruch und Kampf und tut der Frau auch diesmal den Willen.
»In der darauf folgenden Zeit machte Brigitte, genau wie nach der Hausverschreibung, dieselben heuchlerischen Anstalten, ihr Versprechen zu erfüllen; und da lernte nun Hartmann meine Schwester Karoline kennen. Wir haben da draußen eine Tante, eine Steuerdirektorswitwe, die schlecht und recht von ihrer Pension lebt; bei der war sie den Winter über zu Gast. Ihre Gesundheit war angegriffen; sie hatte ein paar Jahre in einem Nähsalon gearbeitet und war mit der Lunge nicht ganz in Ordnung. Ich will Karoline nicht rühmen; sie ist nicht eben hübsch, war auch zu der Zeit schon ein wenig verblüht, aber gut ist sie; und mitleidig; und Verstand hat sie ebenfalls. Es war noch keine Woche verflossen, seit sie einander zum erstenmal gesehen, da waren sie schon wie unzertrennlich; Hartmann faßte Vertrauen zu Karoline; sie hatte die Kraft oder die Gabe, sein niedergedrücktes Gemüt aufzurichten und ihm frische Zuversicht einzuflößen. Aber, wie gesagt, seine Natur war schon schwer erschüttert; nun kamen diese Erregungen dazu; es war auch ein feuchtkalter Winter; Hartmann wurde ernstlich krank, und zwar an einem Tag, wo Brigitte wieder einmal in die Stadt gefahren war, um mit dem Advokaten zu verhandeln. Die Buben hatte sie mitgenommen. Am selben Tag war auch die Magd weggelaufen; mit der hatte sie Streit gehabt. Hartmann war allein und lag im Fieber. Mit Mühe verständigt er einen Nachbarn und bittet ihn, das Fräulein Lanz zu benachrichtigen; da und da wohne sie. Karoline kommt. Sie ruft den Arzt. Sie pflegt ihn. Vier Tage lang verläßt sie sein Bett nicht für zehn Minuten. Es war eine Lungenentzündung. Man kann behaupten, daß sie ihn aus den Krallen des Todes gerissen hat. Die Krise war bereits vorüber, das Fieber im Sinken, da erscheint Brigitte. Mit einem Blick überschaut sie die Situation. Zunächst befiehlt sie Karoline, das Haus zu verlassen; mein Haus, sagt sie. Dann überschüttet sie Hartmann mit Hohn; aha, du Lügner, du Komödiant, schreit sie, hab ich dich endlich, bin ich dir endlich auf die Schliche gekommen, und hetzt sich in immer größere Wut hinein, weil es ihr vielleicht auch ganz angenehm ist, daß sie sich einmal gründlich austoben kann. Bis jetzt hätte sie sich von ihm an der Nase herumziehen lassen, berserkert sie, um der Kinder willen hätte sie gute Miene zum bösen Spiel gemacht, sei manchmal auch dumm genug gewesen, an seine Unschuld zu glauben; nun aber, da der Schwindel zutage gekommen, könne von Scheidung überhaupt nicht mehr die Rede sein, und das wolle sie nur gleich dem Advokaten mitteilen.
»Dabei blieb es. Hartmann wußte, daß nichts mehr zu hoffen war; er kannte sie. Er wußte jetzt auch, daß ihr Sinn immer der gleiche gewesen war. Sie hatte ihn einfach betrogen. Eine Woche später, er fühlte sich schon genesen, stand er eines Nachts auf, setzte sich an den Tisch und schrieb ein Testament nieder, darin er alles Geld, das er noch besaß und das in guten Papieren in einer hiesigen Bank lag, nach Abzug des gebotenen Pflichtteils für die Kinder, seiner Freundin Karoline Lanz vermachte. Es waren im ganzen hundertfünfzig Millionen Kronen. Die Summe hat er Karoline vor seinem Tod genannt. Gut; er unterfertigt das Schriftstück, legt es in eine Lade des alten Sekretärs, sperrt zu und hat damit das Gefühl, daß er für Karoline gesorgt hat. Es gibt offenbar solche Geisteszustände, die sich bei einem Dokument beruhigen. Drei oder vier Tage danach packt er seine Habseligkeiten in einen Handkoffer, wartet, bis es Abend wird, und geht fort. Auf dem Bahnhof steht Karoline, und sie reisen zusammen ab.
»Sie ließen sich in Steyr nieder. Hartmann hatte von früher her noch Beziehungen dort. Er fand eine Stellung in einer Kunsttischlerei. Er führte die Bücher und schrieb Rechnungen. Bei den Arbeitern wurde er so beliebt, daß sie ihn zum Vertrauensmann wählten. Er verdiente soviel wie er und Karoline brauchten. Sie lebten in einer kleinen Wohnung am Rand der Stadt. Zu Ende des Jahres bekam Karoline ein Kind. Er war so glücklich mit ihr wie keinen Tag seines Lebens zuvor, aber man konnte es nur an seinem Aug und seinem Tun bemerken, denn er war noch viel schweigsamer geworden. Alle Arbeit ging ihm leicht von der Hand. Ich hab ihn in jener Zeit gesehen. Oft schaute er Karoline an wie wenn er ihr dafür danken wollte, daß sie ihm begegnet war. Ich glaube, kein trüber Hauch wäre mehr in ihm gewesen, hätte er die Vergangenheit mit der ersten Frau ganz vergessen können. Aber das konnte er nicht. Wir machten einen Spaziergang zusammen, als ich bei ihnen draußen war, und da sagte er mir: Früher hab ich oft an den Tod gedacht, hab ihn mir sogar gewünscht manchmal; jetzt will ich bloß leben, und jeder Tag wird mir zu kurz. Das war auch leider die Ursache, daß ihm das Testament gänzlich aus dem Sinn kam, das er im Hartmannshof zurückgelassen hatte. Es ist ihm auch nicht eingefallen, es zu erneuern; leicht hätte er durch eine zweite Abfassung meine Schwester und das Kind sicherstellen können; da stünde sie jetzt anders da.
»Aber damit ich nicht zu weitschweifig werde: eines Abends kommt er aus der Fabrik mit einem Schüttelfrost nach Hause, legt sich zu Bett und verliert gleich die Besinnung. Erst mitten in der Nacht erlangt er sie für einige Minuten wieder. In den paar Minuten würgt ihn die Angst, er könnte nicht Zeit genug haben, Karoline die Sache mit dem Testament zu erklären. Bis jetzt hatte er es nicht über sich gebracht, hatte es in seinem Sinn von Tag zu Tag verschoben, so widerwärtig war ihm jede Erinnerung an den vormaligen Zustand, so groß die Abneigung, an den Tod und das Ende seines Glücks zu denken. Er konnte ihr aber doch noch alles sagen, auch wie groß die ihr zugedachte Summe war, und den Schlüssel zum Sekretär gab er ihr noch, dann fiel er wieder in die Kissen, und zwölf Stunden später ist er gestorben.
»Ich will nicht schildern, wie meiner Schwester zumut war. Das kann man sich ja denken. Brigitte wurde natürlich von Hartmanns Ableben benachrichtigt; sie kam in großer Eile, raffte alle Habe des Toten zusammen, Kleider, Wäsche, Schuhe, Uhr und Ring, ohne daß Karoline in ihrem Trübsinn sich dagegen wehrte, und fuhr in derselben Eile wieder weg; das Begräbnis wartete sie gar nicht ab. Als sich Karoline von der ersten Verzweiflung erholt hatte, sie war unterdes mit ihrem Kind zu mir hereingezogen, ich hatte zufällig eine Mansardenkammer frei, meine Schlafkammer, da sag ich ihr: du mußt nach Kottingbrunn und das Testament holen. Es war ein Sonntag, vor vierzehn Tagen, da fuhr sie mit ihrem Kind auf dem Arm hinaus. Ich wollte sie begleiten, aber das schlug sie aus. Ich muß allein gehn, sagte sie. Sie kommt also hin und begehrt die Frau zu sprechen. An der Haustür stehn die zwei Buben und gaffen sie an. Nach einer Weile erscheint Brigitte. Meine Schwester bringt ihr Anliegen vor. Die Frau mustert sie von oben bis unten, schaut das Kind an, das auf Karolines Arm schläft, und sagt kalt: Bitte sehr, steht Ihnen nichts im Weg, gehn Sie nur hinauf und holen Sie sich den Wisch selber; wenn er drin war in der Lade, wird er wohl noch drin sein. Karoline geht die Stiege hinauf, die Frau hüstelnd hinterher. Sie kommen in die Stube, Karoline legt das Kind aufs Bett, sucht den Schlüssel hervor und will die Schublade aufsperren. Aber es erweist sich, daß die Lade gar nicht zugesperrt ist. Es liegt ein kleiner Stapel Papiere drin; Karoline nimmt ihn heraus und wendet Blatt für Blatt um. Lauter Quittungen, ein paar Briefe, ein paar Aufrisse zu Bauarbeiten, aber kein Testament. Die andern Laden waren leer, sie hatten auch keine Schlösser.
»Karoline schaut die Frau an; die schaut Karoline an. Keine spricht ein Wort. Karoline hält sich an dem alten Sekretär fest, weil ihr die Beine zittern; alles Blut strömt ihr zum Herzen, denn sie wußte, daß nun auf sie und ihr Kind das Elend wartete. Brigitte hat die nackten Arme verschränkt; sie hat vorher Teig geknetet, und die Haut ist weiß von Mehlstaub. Um ihren dünnen Mund liegt ein verkniffenes Lächeln, als ob sie sagen wollte: beweis mir etwas; was kannst du mir beweisen?
»Und so ist Karoline wieder fortgegangen. Und das ist es, was sich abgespielt hat. Und nun frag ich, Herr Doktor: gibt es kein Mittel, die Frau zu zwingen, das Testament herauszugeben? Bedenken Sie, wie meine Schwester dran ist. Sie weiß nicht aus noch ein mit ihrem Wurm. An Körper und Seele ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Arbeiten, davon ist nicht einmal die Rede. Und ich, ich muß froh sein, wenn ich die Miete und das Brot bezahlen kann und ein bißchen Milch für das Kind. Was soll man tun? Hier ist doch ein klares Recht, Herr Doktor, und ein himmelschreiendes Unrecht. Was kann man da tun?«