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29

Die Beamten im Polizeipräsidium hatten schwere Tage. Die Zeitungen brachten spaltenlange Artikel über die letzte Tragödie, die mit dem Roten Kreis in Verbindung stand. Es kamen Anfragen ans Parlament, und in Scotland Yard fanden Konferenzen hinter verschlossenen Türen statt.

Wer mit Parr zu tun hatte, verhielt sich reserviert, und er verstand sehr wohl, diese Anzeichen zu deuten. Fast jede Zeitung brachte eine vollständige Liste der Verbrechen des Roten Kreises, und alle Blätter geißelten die Tatsache, daß Inspektor Parr sämtliche Fälle behandelte.

Er bat um Urlaub, um Nachforschungen in Frankreich anzustellen, und während seiner Abwesenheit beschäftigte man sich mit der Wahl seines Nachfolgers. Sein einziger Freund war seltsamerweise Kommissar Morton, der Parrs Abteilung vorstand.

Morton trat auch energisch für ihn ein, wußte aber von Anfang an, daß er eine hoffnungslose Sache verfocht. Derrick Yale unterstützte ihn allerdings. Er kam nach Scotland Yard und erzählte die genauesten Einzelheiten, um seinen Kollegen zu entlasten.

»Allein die Tatsache, daß ich an Ort und Stelle war und den besonderen Auftrag hatte, Froyant zu beschützen, nimmt einen großen Teil der Verantwortung von Parr«, sagte er eindringlich.

Der Kommissar lehnte sich in seinen Stuhl zurück und kreuzte die Arme.

»Ich will Sie nicht verletzen, Mr. Yale«, erwiderte er offen, »aber offiziell existieren Sie nicht, und ich glaube nicht, daß ein Wort von Ihnen Mr. Parr in irgendeiner Weise hilft. Er hatte Gelegenheit genug, seine Tüchtigkeit zu zeigen, aber er hat diese Gelegenheit nicht benutzt.«

Als Yale sich entfernen wollte, bat ihn der Kommissar, noch ein paar Augenblicke zu bleiben.

»Über eine Sache könnten Sie uns Aufklärung geben«, fügte er hinzu. »Und zwar über den Mann, der James Beardmore erschoß. Sie erinnern sich doch noch an Sibly?«

Yale nickte und setzte sich wieder.

»Wer war in der Zelle, als Sie den Mann verhörten?«

»Ich selbst, Mr. Parr, und ein offizieller Stenograph.«

»Ein Mann oder eine Frau?«

»Ein Mann. Ich glaube sogar, er gehörte zu Ihrem Personal. Der Gefängniswärter kam ein- oder zweimal herein. Er brachte, während wir da waren, das Wasser, in dem man später das Gift fand.«

Der Kommissar öffnete einen Aktenumschlag und suchte ein Dokument heraus.

»Hier ist die Aussage des Gefängniswärters. Hören Sie zu:

›Der Gefangene saß auf seinem Bett. Mr. Parr saß ihm gegenüber, und Mr. Yale stand mit dem Rücken zur Zellentür, die offenstand, als ich eintrat. Ich ließ einen Blechbecher halb voll Wasser laufen, mußte ihn aber niedersetzen, um auf das Klingelzeichen einer anderen Zelle zu antworten. Meiner Meinung nach konnte mit dem Becher nichts geschehen, obgleich die Tür nach dem Hof offenstand. Als ich wiederkam, nahm Mr. Parr mir den Becher aus der Hand, stellte ihn auf ein Brett in der Nähe der Tür und befahl mir, weiter nicht zu stören.‹

Über den Stenographen ist nichts gesagt.«

»Ich glaube aber bestimmt, daß er Ihrem Büro angehörte.«

»Ich muß Parr noch einmal darüber fragen«, meinte der Kommissar.

Mr. Parr, der von Frankreich zurückgekehrt war, teilte ihnen auf telephonische Anfrage mit, daß er den Mann in der kleinen Stadt engagiert hatte. In der Verwirrung, die der Entdeckung von Siblys Ermordung folgte, hatte er nicht mehr daran gedacht, Nachforschungen über ihn anzustellen.

Yale blieb noch während des Telephongesprächs. Als Morton den Hörer niederlegte, machte er ein unzufriedenes Gesicht.

»Sie selbst können sich nicht mehr an den Mann erinnern?« fragte er den Detektiv.

Yale schüttelte den Kopf.

»Er saß neben Parr und kehrte mir fast dauernd den Rücken.«

Der Kommissar murmelte etwas von großer Nachlässigkeit.

»Es sollte mich nicht wundern, wenn der Stenograph ein Agent des Roten Kreises war. Es ist gar nicht wieder gutzumachen, daß man für diese wichtige Arbeit einen Mann nahm, dessen Personalien man später nicht feststellen kann. Parr hat vollständig versagt.« Er seufzte. »Ich habe ihn gern, er gehört noch zur alten Schule. Aber er muß gehen. Das ist bereits entschieden. Ich kann es Ihnen ruhig mitteilen, denn Parr weiß es schon. Aber es tut mir außerordentlich leid.«

*

Parr erledigte die Arbeit des Tages, als ob er sich der bevorstehenden großen Veränderung in seinem Leben gar nicht bewußt wäre. Als sein Nachfolger kam, um sich sein zukünftiges Büro anzusehen, war der Inspektor in bester Laune.

Eines Nachmittags traf er zufällig Jack Beardmore, der zu seinem Landsitz hinausfahren wollte. Das war notwendig, weil einige der Pachtverträge geändert werden mußten. Da er die Angelegenheit nicht in der Stadt erledigen konnte, entschloß er sich, eine Nacht in dem Hause zuzubringen, das so traurige Erinnerungen für ihn barg.

»Sie gehen also aufs Land?« fragte Parr nachdenklich. »Allein?«

»Ja. Aber vielleicht wollen Sie mitkommen, Mr. Parr?« fügte er eifrig hinzu. »Ich würde mich freuen, wenn Sie es möglich machen könnten.«

»Ich begleite Sie sehr gern. Seit dem Tode Ihres Vaters war ich nicht dort, und ich würde gern das ganze Grundstück noch einmal durchsuchen.«

Er bat um zwei weitere Tage Urlaub, den das Polizeipräsidium bereitwilligst gewährte.

Da Jack noch am selben Abend fahren wollte, ging der Inspektor nach Hause und packte eine kleine Ledertasche. Am Bahnhof trafen sich die beiden wieder. Weder das Wetter noch die Chausseen eigneten sich für eine lange Autofahrt, und Parr stimmte deshalb zu, daß die Fahrt im Zug am angenehmsten wäre.

Er ließ für Derrick Yale eine Mitteilung zurück, wohin er gefahren sei, und schloß sie mit den Worten:

 

»Es ist möglich, daß gewisse Umstände meine Anwesenheit in der Stadt erfordern. Bitte benachrichtigen Sie mich, wenn es notwendig ist.«


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