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Die Vorbereitungen für die Konkurserklärung der Firma Brabazon dauerten über eine Woche. Nach dieser Zeit verließ Thalia die Bank. In ihrer Handtasche befand sich ein Wochengehalt, und sie hatte kaum Aussichten auf eine baldige neue Anstellung.
»Was denken Sie von ihr?« fragte Parr Derrick Yale.
»Sie ist mir ein Rätsel. Und je mehr ich über sie nachdenke, desto geheimnisvoller erscheint sie mir. Milly Macroy sagt, sie hätte kleinere Diebstähle begangen, seitdem sie bei der Bank angestellt war, aber dafür liegen keine Beweise vor. Der einzige, der uns den Beweis dafür liefern könnte, ist unser abwesender Freund Brabazon. Warum haben Sie sie eigentlich nicht als Zeugin bei der Verhandlung gegen Barnet laden lassen?«
»Es hätte in diesem Fall doch nur Barnets Wort gegen das ihre gestanden«, erwiderte der Inspektor skeptisch. »Außerdem war die Sache gegen Barnet so klar, daß ich keine anderen Beweise als meine eigenen Augen brauchte.«
Yale runzelte nachdenklich die Stirne.
»Ich möchte nur wissen –« sagte er, als ob er zu sich selbst spräche.
»Was denn?«
»Ob dieses Mädchen uns nicht etwas mehr Auskunft über den Roten Kreis geben könnte. Ich habe eigentlich die Absicht, sie bei mir anzustellen.«
Parr murmelte etwas vor sich hin.
»Ich weiß, daß Sie mich für verrückt halten, aber hinter meiner Verrücktheit steckt eine gewisse Methode. In meinem Büro gibt es nichts zu stehlen. Sie wäre dauernd unter meiner Beobachtung, und ich könnte sicherlich herausbringen, ob sie mit dem Roten Kreis in Verbindung steht. Außerdem interessiert sie mich.«
»Warum haben Sie ihr die Hand gereicht?« fragte Parr neugierig.
Yale lachte.
»Weil sie mich eben interessiert. Ich wollte einen psychischen Eindruck von ihr gewinnen, denn ich habe das Gefühl, daß eine dunkle, geheimnisvolle Macht ihr Leben beeinflußt. Das Mädchen arbeitet nicht selbständig. Hinter ihr steht –«
»Der Rote Kreis?« meinte Parr ironisch.
»Leicht möglich«, erwiderte Yale ernst. »Wir werden sehen.«
Noch am selben Nachmittag besuchte er Thalia in ihrer Wohnung. Ihr Mädchen führte ihn in einen hübschen, kleinen Salon. Einen Augenblick später erschien sie selbst und begrüßte den Detektiv lächelnd.
»Nun, Mr. Yale, sind Sie hergekommen, um mich zu warnen?«
»Das gerade nicht. Aber ich wollte Ihnen eine Stellung anbieten.«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Brauchen Sie eine Gehilfin?« fragte sie spöttisch. »Oder denken Sie an das Sprichwort ›Mit Speck fängt man Mäuse?‹ Oder wollen Sie mich vielleicht bessern? Es gibt nämlich viele Leute, die das tun möchten.«
Sie setzte sich auf den Klaviersessel und hielt die Hände auf den Rücken. Er wußte genau, daß sie ihn verhöhnte.
»Warum stehlen Sie, Miß Drummond?«
»Weil es meine zweite Natur ist«, erwiderte sie, ohne zu zögern. »Warum sollte Kleptomanie auch nur auf die besitzende Klasse beschränkt sein?«
»Gibt es Ihnen eine gewisse Genugtuung? Ich frage Sie nicht aus Neugier, sondern aus psychologischen Gründen.«
»Ich habe die Genugtuung, ein sehr gemütliches Heim zu besitzen«, entgegnete sie und wies mit einer kleinen Geste auf ihre Umgebung. »Ich habe ein gutes Mädchen und werde voraussichtlich nicht verhungern. Das gibt mir natürlich große Befriedigung. Aber erzählen Sie einmal von der Stellung. Soll ich Polizeibeamtin werden?«
»Nein«, erwiderte er lächelnd, »aber ich brauche eine Sekretärin, auf die ich mich unbedingt verlassen kann. Meine Arbeit wächst dauernd, und meine Korrespondenz ist schon so groß, daß ich sie nicht mehr allein bewältigen kann. Ich muß allerdings bemerken, daß Sie in meinem Büro wenig Gelegenheit finden werden, Ihrem Lieblingslaster nachzugehen«, fügte er vergnügt hinzu. »Aber dieses Risiko will ich auf mich nehmen.«
Sie dachte einen Augenblick nach.
»Wenn Sie das Risiko übernehmen wollen, werde ich es auch tun. Wo ist Ihr Büro?«
Er gab ihr die Adresse.
»Morgen früh um zehn bin ich bei Ihnen. Schließen Sie Ihr Scheckbuch und das Kleingeld ein.«
Ein merkwürdiges Mädchen, dachte er, als er in die Stadt zurückkehrte.
*
Am nächsten Morgen wurde Parr in das Haus Mr. Froyants gerufen, wo er Derrick Yale bereits vorfand.
Die Jagd nach dem Roten Kreis hatte sich zu einem Duell zwischen diesen beiden so verschiedenen Männern entwickelt, obwohl sie gut miteinander standen. In Pressekreisen war es ein offenes Geheimnis, daß Parrs bevorstehender Untergang weniger den Verbrechen des Roten Kreises als der übermenschlichen Tüchtigkeit des inoffiziellen Detektivs zuzuschreiben war. Yale tat allerdings sein Bestes, um diese Ansichten zu zerstreuen, aber es nützte nicht viel.
Froyant war geizig und kannte Yales hohe Honorarforderungen. Aber trotzdem stellte er ihn sofort an, denn sein Glaube an die Polizei war schwer erschüttert.
»Mr. Froyant hat sich entschlossen zu zahlen.« Mit diesen Worten wurde der Inspektor begrüßt.
»Selbstverständlich zahle ich!« fuhr Mr. Froyant auf.
Es schien Parr, als ob der Mann in den letzten Tagen um zehn Jahre gealtert wäre. Sein Gesicht war noch blasser und schmaler geworden.
»Wenn das Polizeipräsidium erlaubt, daß diese Bande achtbare Bürger bedroht, und nicht einmal ihr Leben beschützen kann, bleibt einem doch nichts anderes übrig, als zu zahlen? Mein Freund Pindle erhielt eine ähnliche Drohung, und er hat auch gezahlt. Ich kann diese Unruhe nicht länger ertragen.«
Er raste wie wahnsinnig in der Bibliothek auf und ab.
»Mr. Froyant wird zahlen«, sagte Derrick Yale langsam. »Aber ich glaube, daß der Rote Kreis diesmal etwas zuviel gewagt hat.«
»Was meinen Sie?« fragte Parr.
»Haben Sie den Brief da?« wandte sich Yale an Froyant.
Dieser zog wütend eine Schublade auf und schleuderte die bekannte Karte auf den Tisch.
»Wann ist sie angekommen?« erkundigte sich Parr, als er sie aufnahm.
»Heute früh mit der ersten Post.«
Parr las die Worte, die inmitten des Kreises standen.
»Am Freitag nachmittag um halb vier kommen wir in das Büro von Mr. Derrick Yale und holen das Geld. Die Banknoten dürfen nicht in Serien lauten. Sollten sie nicht bereitliegen, so sterben Sie noch in derselben Nacht.«
Dreimal las der Inspektor die kurze Mitteilung, dann seufzte er.
»Das vereinfacht die Sache sehr«, meinte er. »Selbstverständlich kommen sie nicht –«
»Ich glaube, sie kommen doch«, unterbrach ihn Yale ruhig. »Aber ich werde sie erwarten. Und es wäre mir lieb, Mr. Parr, wenn Sie auch in der Nähe wären.«
»Selbstverständlich. Aber ich glaube nicht, daß sie kommen werden.«
»Ich kann Ihnen nicht zustimmen. Es fehlt dem Führer des Roten Kreises sicherlich nicht an Mut. Außerdem«, er senkte die Stimme etwas, »finden Sie eine alte Bekannte in meinem Büro.«
Parr warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.
»Drummond?« fragte er.
Yale nickte.
»Sie haben sie angestellt?«
»Ich sagte Ihnen schon, daß sie mich interessiert. Und ich bin davon überzeugt, daß sie bei der Lösung dieses Geheimnisses eine große Hilfe sein wird.«