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Parr riß das Handtuch von dem Gesicht des Detektivs. Yale öffnete die Augen und schaute sich um.
»Was ist denn los?« fragte er benommen.
Parr gab ihm keine Antwort, denn er war damit beschäftigt, die Handschellen zu öffnen. Es dauerte nicht lange, da warf er sie klirrend auf den Boden und hob dann Yale hoch. Jack löste inzwischen mit zitternden Händen die Fußfesseln.
Sie führten ihn zu einem Stuhle, und er fiel schwer hinein.
»Was ist geschehen?« fragte er.
»Das möchte ich auch gern wissen«, erwiderte Parr. »In welcher Richtung sind sie davongegangen?«
Der andere schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht, ich kann mich nicht erinnern. Ist die Tür verschlossen?«
Jack eilte hin. Sie war von innen verschlossen. Diesen Weg konnten sie also nicht genommen haben. Aber das Fenster stand offen. Parr schaute hinaus. Er stand vor einem steilen Abgrund von achtzig Fuß. Nirgends war eine Leiter oder ein anderes Hilfsmittel zu sehen, mit dessen Hilfe Yales Angreifer hätten entfliehen können.
»Ich weiß nicht, was geschehen ist«, sagte Yale, als er sich etwas erholt hatte. »Ich saß in diesem Stuhl, als plötzlich ein Tuch über mein Gesicht geworfen wurde. Dann packten mich zwei starke Arme, und bevor ich mich wehren oder schreien konnte, muß ich das Bewußtsein verloren haben.«
»Haben Sie mich rufen hören?«
Der Detektiv schüttelte den Kopf.
»Aber Mr. Yale«, rief Jack, »wir hörten doch ein Geräusch, und Mr. Parr fragte, ob alles in Ordnung wäre. Sie antworteten, daß Sie nur gestolpert wären.«
»Das war ich nicht. Ich weiß von dem Augenblick an nichts mehr, in dem das Tuch über mein Gesicht geworfen wurde.«
Der Inspektor stand noch am Fenster. Er zog es herunter und schob es wieder hoch. Dann schaute er auf das Fensterbrett, und als er sich umwandte, lag ein breites Lächeln auf seinem Gesicht.
»So geschickt ist selten ein Ding gedreht worden«, meinte er.
Jack fühlte, daß seine alte Antipathie gegen den Mann wieder erwachte.
»Ich finde es gar nicht besonders geschickt«, erwiderte er. »Sie haben Mr. Yale beinahe getötet.«
»Es ist trotzdem geschickt«, bestand Mr. Parr. »Ich will jetzt hinuntergehen und mit den Beamten sprechen, die unten in der Eingangshalle Posten gestanden haben.«
Aber die Leute hatten nichts zu berichten. Mit Ausnahme des Postboten hatte niemand das Gebäude betreten oder verlassen.
»Außer dem Postboten?« fragte Parr nachdenklich. »Aber selbstverständlich – der Postbote! Gut, Sergeant, Sie können Ihre Leute entlassen.«
Er fuhr im Lift hoch und ging wieder zu Yale.
»Das Geld ist allerdings weg«, sagte er. »Wir können nun nichts weiter tun, als dem Polizeipräsidium den Vorfall melden.«
Der Detektiv hatte sich wieder ziemlich erholt. Er saß vor seinem Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände.
»Diesmal bin ich der Schuldige«, sagte er, »und man kann Sie deshalb nicht tadeln, Parr. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie sie an das Fenster kamen, und wie sie mich erreichten, ohne ein Geräusch zu machen.«
»War Ihr Rücken dem Fenster zugekehrt?«
»Ja. An das Fenster habe ich gar nicht gedacht. Ich saß so, daß ich beide Türen beobachten konnte.«
»Also mit dem Rücken zum Kamin?«
»Von dort können sie nicht gekommen sein«, sagte Yale und schüttelte den Kopf. »So etwas Unerklärliches habe ich wirklich noch niemals erlebt.« Er stand langsam auf. »Ich muß es dem alten Froyant erzählen, und es wäre besser, Sie würden mitkommen, um mir Ihre moralische Unterstützung zu geben. Er wird wütend sein.«
Sie verließen das Büro gemeinsam. Yale schloß beide Türen zu und steckte die Schlüssel in die Tasche.
Mr. Froyant war in fieberhafter Wut und Aufregung.
»Sie haben mir versprochen, daß ich das Geld zurückerhalten würde«, brüllte er, »und jetzt kommen Sie mir mit einer solchen Geschichte! Betäubt worden und all solcher Quatsch! Wo waren Sie denn, Mr. Parr?«
»Nebenan«, entgegnete der Inspektor. »Und was Mr. Yale erzählt hat, stimmt.«
Plötzlich legte sich Froyants Zorn, und zwar so rasch, daß seine Ruhe nach dem Wutausbruch fast unheimlich wirkte.
»Gut, wir können nichts tun«, sagte er. »Der Rote Kreis hat sein Geld, das ist das Ende der Geschichte. Ich bin Ihnen sehr verbunden, Mr. Yale. Bitte, schicken Sie mir Ihre Rechnung.«
Mit diesen kurzen Worten entließ er sie. Unten auf der Straße wartete Jack auf sie.
»Das ist mir völlig unerklärlich«, sagte Parr. »Erst dachte ich, er würde einen Schlaganfall bekommen, und plötzlich ändert er sein Benehmen derart!«
Yale nickte langsam. Als Froyant plötzlich ruhig wurde, war ein schrecklicher Argwohn in ihm aufgetaucht.
»Nachdem ich Ihnen nun meine moralische Unterstützung geliehen habe«, sagte Parr fast vergnügt, »werden Sie mir jetzt den gleichen Dienst erweisen. Ich bin beim Polizeipräsidium nicht mehr ›persona grata‹. Kommen Sie mit, und erzählen Sie dem Kommissar, was vorgefallen ist.«
*
Derrick Yales Büro lag ruhig und verlassen da. Aber zehn Minuten, nachdem das Geräusch des Aufzugs verstummt war, wurde die Ruhe durch ein kurzes Klicken unterbrochen. Die Flügel des großen Wandschrankes, der in Yales Privatbüro stand, öffneten sich, und Thalia Drummond kam heraus. Sie schloß die Tür hinter sich und betrachtete das Zimmer einen Augenblick nachdenklich. Dann nahm sie einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür nach dem Gang, ging hinaus und verschloß sie wieder.
Sie klingelte nicht nach dem Lift. Am äußersten Ende des Ganges befand sich eine Treppe, die zu der Wohnung des Hausmeisters im obersten Stockwerk führte und nur von ihm benutzt wurde. Diese Treppe stieg sie hinunter, bis sie in den Hof kam, und dort verschwand sie bald im Gedränge der Angestellten, die um diese Zeit nach Hause gingen.