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11

Thalia war sofort von Mr. Brabazon eingestellt worden. Der Mann im Auto besaß anscheinend außergewöhnlichen Einfluß.

Sie hatte geglaubt, er würde ihre Dienste gleich in Anspruch nehmen, aber sie war beinahe schon einen vollen Monat bei Brabazon, als sie eine Nachricht von ihm erhielt. Sie fand den Brief eines Morgens auf ihrem Pult. Er übermittelte ohne weitere Einleitung sofort die Aufträge.

 

»Machen Sie die Bekanntschaft Marls und finden Sie heraus, warum er so große Macht über Brabazon besitzt. Teilen Sie mir die Höhe seines Guthabens mit und benachrichtigen Sie mich, sobald er sein Konto schließt. Lassen Sie mich auch wissen, ob Parr oder Derrick Yale in der Bank waren. Drahten Sie Johnson, 23 Mildred Street, City.«

 

Sie handelte gewissenhaft nach diesen Instruktionen, obwohl sie Mr. Marl erst nach einigen Tagen sah.

Derrick Yale kam nur einmal in die Bank. Sie hatte ihn schon früher gesehen, als er bei den Beardmores zu Besuch war, und außerdem kannte sie das Bild des berühmten Detektivs aus Zeitungen.

Über den Zweck seines Besuches konnte sie nichts erfahren, aber von ihrem kleinen Büro aus konnte sie sehen, daß er sich mit einem Schalterbeamten unterhielt. Sie benachrichtigte den Roten Kreis sofort.

Inspektor Parr erschien jedoch nicht. Ebensowenig sah sie etwas von Jack Beardmore. Sie wollte auch nicht zuviel an ihn denken, denn das war wenig angenehm.

*

Mr. Marl saß John Brabazon in dem eleganten Büro gegenüber. Das gute Leben hatte ihn etwas korpulent gemacht; er atmete geräuschvoll und faltete die Hände über der Weste.

»Mein lieber Marl«, sagte der Bankier sanft, beinahe liebkosend, »manchmal setzen Sie mich auf eine Geduldsprobe. Ich will nicht von den Ansprüchen reden, die Sie an meine Mittel stellen.«

Der große, dicke Mann lächelte.

»Ich gebe Ihnen doch Deckung, Brab – vorzügliche Deckung sogar! Das können Sie doch wirklich nicht bestreiten!«

Mr. Brabazons weiße Finger trommelten eine Melodie auf dem Rande des Schreibtisches.

»Sie kommen immer mit den unmöglichsten Vorschlägen zu mir, und bis jetzt bin ich immer dumm genug gewesen, sie zu finanzieren. Das muß ein Ende haben. Sie brauchen keine Hilfe. Ihr Guthaben bei meiner Bank beträgt allein fast hunderttausend Pfund.«

Marl warf einen Blick nach der Tür und neigte sich dann vor.

»Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen«, sagte er leise, »eine Geschichte von einem jungen Beamten, der nicht einen Penny besaß, und der die Witwe des Bankiers Seller heiratete. Sie war alt genug, um seine Mutter zu sein, und sie starb plötzlich – in der Schweiz. Sie stürzte in einen Abgrund. Ich photographierte damals gerade die wunderbare Gebirgslandschaft! Habe ich Ihnen das Bild von dem Unglücksfall schon einmal gezeigt? Sie sind auch darauf, obgleich Sie dem Untersuchungsrichter sagten, Sie wären zu der Zeit meilenweit von dem Ort entfernt gewesen.«

Mr. Brabazon schaute auf den Schreibtisch. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel.

»Außerdem können Sie es erschwingen«, fuhr Marl etwas lauter fort. »Sie wollen eine neue eheliche Verbindung eingehen – so sagt man doch?«

Der Bankier runzelte die Stirne und sah auf.

»Was meinen Sie?«

Mr. Marl schlug mit der Hand auf das Knie und schien sich ungeheuer zu amüsieren.

»Welche Bewandtnis hat es mit der Person, die Sie neulich am Steyne Square trafen – in einem geschlossenen Wagen? Leugnen Sie es nicht! Ich habe Sie beobachtet. Es war ein hübsches, kleines Auto.«

Zum erstenmal zeigte sich jetzt Erregung in Brabazons Zügen. Sein Gesicht wurde fahl und verzerrte sich, und seine Augen schienen noch tiefer in ihre Höhlen zurückzusinken.

»Sie sollen das Darlehen haben«, sagte er mühsam.

Mr. Marl nickte zufrieden.

Gleich darauf klopfte es, und auf Brabazons »Herein« kam Thalia Drummond ins Zimmer. Sie brachte ihrem Chef die Niederschrift eines Telephongesprächs.

Mr. Marl sah sie bewundernd an. Sie hatte eine blendendweiße, zarte Hautfarbe, Lippen so rot wie Mohn, und Haar wie gereiftes Korn. Mund, Nase und Stirn waren von vollendeter Form, nur der entschlossene Zug um das Kinn störte ihn, denn er liebte sanfte, fügsame Frauen.

Als sich Thalia nach einer kurzen, leisen Unterredung mit Brabazon wieder entfernte, seufzte Mr. Marl.

»Wie eine Königin!« sagte er. »Ich habe sie schon irgendwo gesehen. Wie heißt sie?«

»Thalia Drummond.«

»Ach, war sie nicht früher bei Froyant? Sie sind wohl selbst ein bißchen in sie vergafft, was?«

»Ich habe nicht die Gewohnheit, mich in meine Angestellten zu vergaffen. Miß Drummond ist sehr tüchtig, und mehr verlange ich von meinem Personal nicht.«

Marl stand lächelnd auf.

»Morgen früh sprechen wir noch über die andere Sache. Wollen wir sagen um elf?«

»Schön. Auf Wiedersehen«, erwiderte der Bankier, reichte ihm aber nicht die Hand.

Sobald sich die Tür hinter dem Besucher geschlossen hatte, nahm Mr. Brabazon eine einfache, weiße Karte aus dem Schreibtisch, tauchte die Feder in rote Tinte und zeichnete einen kleinen Kreis. Darunter schrieb er:

 

»Felix Marl hat unsere Unterredung am Steyne Square beobachtet. Er wohnt 79, Marisburg Place.«

 

Die Karte steckte er in einen Umschlag und adressierte ihn an »Mr. Johnson, 23 Mildred Street, City.«


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