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13

Im »Moulin Gris« waren die Tische schon gedeckt, aber noch leer, denn es waren noch zwei Stunden bis zur Essenszeit, und der Fünfuhrtee war in diesem Lokal unbekannt.

Miß Drummond und Miß Macroy stiegen eine enge Treppe hinauf und gingen in ein anderes Speisezimmer in der ersten Etage. Ein junger Mann erhob sich und kam ihnen entgegen. Sein stark mit Brillantine eingeriebenes Haar war aus der Stirn zurückgekämmt, und er war modisch gekleidet.

Ein schwacher Geruch von Origan, eine weiche große Hand, helle unbewegliche Augen – das waren die ersten Eindrücke, die Thalia von ihm hatte.

»Nehmen Sie Platz, Miß Drummond«, sagte er vergnügt. »Kellner, bringen Sie den Tee! Ich habe schon viel über Sie gehört, Miß Drummond. Mein Name ist Barnet.«

»Flush Barnet«, erwiderte Thalia.

Er schien erstaunt, aber nicht unangenehm berührt zu sein.

»Sie kennen mich?«

»Sie weiß alles«, erklärte Miß Macroy. »Sie kennt auch Marl, heute abend speist sie mit ihm.«

Barnet schaute erst die eine, dann die andere scharf an.

»Hast du ihr etwas gesagt?« fragte er drohend.

»Du brauchst ihr nichts zu sagen«, erwiderte Milly unbekümmert. »Sie weiß alles!«

»Hast du es ihr gesagt?« wiederholte er.

»Über Marl? Nein. Ich dachte, das würdest du tun.«

Der Kellner brachte den Tee und unterbrach die Unterhaltung.

»Ich bin ein Mensch, der frei von der Leber weg spricht«, sagte Flush Barnet, als der Mann wieder gegangen war. »Ich habe Sie eingeladen, Miß Drummond, um geschäftlich mit Ihnen zu reden. Und Sie müssen von vornherein wissen, daß ich nicht zu den kleinen Dieben gehöre, die von der Hand in den Mund leben. Ich habe Leute hinter mir, die jeden Betrag auf den Tisch legen, wenn das Geschäft gut ist. Aber Sie verderben es, Thalia.«

»So? Inwiefern denn?«

Mr. Barnet lächelte.

»Wie lange glauben Sie wohl, daß Sie existieren werden, wenn Sie Geld aus Umschlägen entfernen und dafür Papier hineinlegen? Wenn es sich mein Freund Brabazon nicht in den Kopf gesetzt hätte, daß der Betrug auf der Post geschehen ist, wäre schon längst die Kriminalpolizei in Ihrem Büro. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: mein Freund Brabazon. Nun hören Sie einmal zu.« Er neigte sich über den Tisch und sprach leiser. »Milly und ich bearbeiten die Bank schon seit zwei Monaten. Man kann dort viel Geld machen, nicht mit Brabazon selbst, aber mit seinen Kunden. Und der Mann mit dem größten Guthaben ist Marl.«

»Da irren Sie sich«, erklärte Thalia ruhig, »mit Marls Guthaben könnte man nicht ein Bohnenbeet kaufen.«

Er starrte sie ungläubig an, runzelte die Stirn und wandte sich dann heftig an Milly.

»Du sagtest mir, daß er beinahe hunderttausend Pfund –«

»Das stimmt auch«, erwiderte Milly.

»Es stimmte bis heute«, fuhr Thalia fort. »Aber heute nachmittag ging Mr. Brabazon weg – ich glaube, er war bei der Bank von England, denn die Banknoten waren alle neu. Ich sah sie auf seinem Schreibtisch liegen. Er sagte mir, daß er Marls Konto schließe, da er ihn nicht mehr zum Kunden haben wolle. Dann nahm er das Geld und ging zu Marl, wie ich annehme; denn kurz vor Geschäftsschluß kam er zurück und übergab mir Marls Scheck.

›Ich habe dieses Konto erledigt, Miß Drummond‹, sagte er. ›Ich glaube kaum, daß uns dieser Erpresser noch weiter stören wird.‹«

»Wußte er, daß Marl Sie zum Essen eingeladen hatte?« fragte Milly.

Thalia schüttelte den Kopf.

»War es ein großer Betrag?« erkundigte sich Barnet.

»Zweiundsechzigtausend.«

»Und das hat er jetzt in seinem Haus?« Barnets Gesicht rötete sich vor Aufregung. »Zweiundsechzigtausend! Hast du gehört, Milly? Und Sie speisen heute abend mit ihm? Wie denken Sie denn darüber?«

Sie begegnete seinem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Was soll ich denn darüber denken?«

»Eine solche Gelegenheit finden Sie im ganzen Leben nicht wieder! Sie gehen in sein Haus – Sie sind doch nicht abgeneigt, ihn ein wenig an der Nase herumzuführen?«

Sie gab keine Antwort.

»Ich kenne das Haus«, fuhr Barnet fort. »Er hat drei männliche Bediente, aber sie gehen immer aus, wenn er Damenbesuch hat.«

»Er bewirtet mich nicht zu Hause.«

»Wie wäre es denn mit einem kleinen Souper nach dem Theater? Wenn er es Ihnen anbietet, sagen Sie ja.«

»Was soll ich denn tun? Ihn berauben? Ihm einen Revolver unter die Nase halten und sagen: Geld oder Leben, mein Freund?«

»Seien Sie doch nicht albern.« Barnet verlor plötzlich die Haltung des eleganten Kavaliers. »Sie sollen weiter nichts tun als soupieren und weggehen. Heitern Sie ihn auf, bringen Sie ihn zum Lachen. Sie brauchen sich nicht zu fürchten, ich bin bald nach Ihnen da, falls er ungemütlich werden sollte.«

Thalia spielte mit dem Teelöffel und schaute dabei auf die Tischdecke.

»Und wenn er seine Dienstboten nicht wegschickt?«

»Darauf können Sie sich verlassen. Heiliger Moses! So eine herrliche Gelegenheit hat es noch nie gegeben! Also, machen Sie mit?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Die Sache ist zu groß für mich. Vielleicht haben Sie recht, daß ich bald hereinfalle, aber die kleinen Diebstähle sind nun eben einmal meine Stärke.«

»Ach was, Sie sind verrückt! Jetzt können Sie doch einmal etwas ernten! Sie sind der Polizei nicht bekannt, und Sie stehen nicht im grellsten Lampenlicht wie ich. Sind Sie einverstanden?«

Schließlich stimmte Thalia zu.


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