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25

Parr mußte ungefähr fünfzig Jahre alt sein, und Jack rechnete sich schnell aus, wie alt diese wundervolle Großmutter sein konnte, die noch solches Interesse für Verbrechen zeigte und das Haus so musterhaft in Ordnung hielt.

»Sie muß eine seltene alte Dame sein«, meinte er. »Sicherlich würde sie sich auch für den Roten Kreis interessieren.«

»Interessieren?« lachte Mr. Parr. »Wenn Mutter mit meinen Vollmachten hinter dieser Bande her wäre, säßen die Kerle heute abend noch hinter Schloß und Riegel! Aber es ist nun einmal nicht so«, fügte er nach einem kleinen Zögern hinzu.

Während der Unterhaltung hatte Jack das Gefühl, daß Unordnung im Zimmer herrschte, obwohl er sich nicht darüber klar werden konnte, was eigentlich diesen Eindruck hervorrief. Aber er konnte nicht lange seinen eigenen Gedanken nachhängen, da Mr. Parr sehr gesprächig war. Er teilte Jack sogar die unangenehmen Dinge mit, die ihm der Kommissar gesagt hatte.

»Natürlich ist man im Polizeipräsidium sehr bestürzt, daß die Verbrechen kein Ende nehmen«, erzählte er. »Seit fünfzig Jahren haben wir nichts Ähnliches erlebt. Der Rote Kreis ist der erste wirklich organisierende Verbrecher. Die gewöhnlichen Banden sind meist nur lose Organisationen und können nicht lange arbeiten. Der Rote Kreis ist aber anscheinend ein Mann, der niemand vertraut. Er kann nicht verraten werden, weil einfach niemand in der Lage ist, ihn zu verraten. Nicht einmal die unbedeutenden Mitglieder der Bande können sich gegenseitig verraten, weil sie sich gar nicht kennen.«

Er sprach noch weiter über interessante Fälle, die er bearbeitet hatte, und es war halb zwölf, als sich Jack unter nochmaliger Entschuldigung verabschiedete.

»Ich bringe Sie bis an die Tür. Ihr Wagen wartet doch noch?«

»Nein, ich bin mit einer Taxe gekommen.«

»So? Ich dachte, es stände ein Wagen vor der Tür. Hier in der Nachbarschaft gibt es keine Wagenbesitzer. Dann wird es wahrscheinlich das Auto eines Arztes sein.«

Er öffnete die Tür, und wie er gesagt hatte, stand wirklich ein Wagen am Gehsteig.

»Ich glaube, den habe ich schon gesehen«, meinte der Inspektor und ging einen Schritt vorwärts.

Im gleichen Augenblick leuchtete in dem dunklen Innern des Autos eine Flamme auf, und es folgte ein ohrenbetäubender Knall. Parr taumelte in Jacks Arme und glitt auf den Boden, während der Wagen in rasendem Tempo die Straße entlangfegte. Seine Lichter brannten nicht, und er verschwand gerade um die nächste Ecke, als die ersten Haustüren von erschreckten Bewohnern geöffnet wurden.

Ein Polizist kam herbei. Er und Jack hoben den Detektiv auf und trugen ihn ins Eßzimmer. Glücklicherweise hatte sich die Tante schon zur Ruhe begeben und auch anscheinend nichts gehört.

Der Inspektor öffnete die Augen und blinzelte.

»Das war eine schlimme Geschichte«, meinte er. Sein Gesicht zuckte. Er befühlte vorsichtig seine Weste und zog dann ein flaches Bleistück hervor. »Ich bin froh, daß er nicht einen Selbstladerevolver benutzte.« Er grinste, als er Jacks erstauntes Gesicht sah. »Der Herr vom Roten Kreis gehört zu den dreien, die eine kugelfeste Weste tragen. Ich bin der zweite, und Thalia Drummond ist die dritte, wie ich herausgebracht habe.«

Eine Zeitlang schwieg er.

»Wollen Sie Derrick Yale anrufen?« sagte er dann. »Ich glaube, er wird überrascht sein.«

Eine halbe Stunde später kam Derrick Yale, und zwar in solcher Eile, als ob er den Anzug über das Pyjama gezogen hätte. Er hörte gespannt Parrs Erzählung an.

»Ich möchte nicht unhöflich sein, Inspektor«, sagte er dann lachend, »aber ich dachte wirklich nicht, daß man Sie erschießen wollte.«

»Danke schön«, entgegnete Parr und legte vorsichtig ein Stück Watte auf die Quetschwunde.

»Ich will Sie damit nicht herabsetzen, aber ich hätte eine so direkte Herausforderung der Polizei von diesen Leuten am wenigsten erwartet.« Seine Stirn lag in tiefen Falten. »Ich kann es tatsächlich nicht verstehen«, sagte er mehr zu sich selbst. »Ich wundere mich, warum sie es wissen wollte. Ich spreche von Thalia Drummond. Sie fragte mich heute früh nach Ihrer Adresse. Soviel ich weiß, steht Ihr Name weder im Telephon- noch im Adreßbuch.«

»Was haben Sie geantwortet?«

»Ich gab ihr einen ausweichenden Bescheid, aber eben fällt mir ein, daß sie ja in meinem eigenen Adressenverzeichnis nachsehen konnte. Sie hätte die Adresse doch leicht finden können, ohne fragen zu müssen. Möchte nur wissen, warum sie das nicht getan hat.«

Jack seufzte.

»Sie meinen doch nicht etwa, daß Miß Drummond geschossen hat? Das ist doch lächerlich! Ach, ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Sie ist schlecht, und sie hat gestohlen. Aber das macht sie doch noch nicht zu einer Mörderin!«

»Sie haben recht«, erwiderte Yale nach einer Weile. »Ich bin ungerecht gegen das Mädchen. – Übrigens wollte ich Sie an und für sich heute abend noch sprechen, Parr.« Er nahm eine Karte aus seiner Brieftasche und legte sie vor den Inspektor auf den Tisch. »Was denken Sie über diese Unverschämtheit?«

»Wann haben Sie die bekommen?«

»Sie lag in meinem Briefkasten, aber komischerweise sah ich sie erst, als ich vor einer halben Stunde nach einem Auto fortstürzte.«

Die Karte trug den üblichen Roten Kreis, und darin standen die Worte:

 

»Sie arbeiten für die unterliegende Partei. Arbeiten Sie für uns, und der zehnfache Verdienst ist Ihnen sicher. Setzen Sie aber Ihre jetzige Tätigkeit gegen uns fort, so sterben Sie am vierten des nächsten Monats.«

 

»Dann haben Sie noch ungefähr zehn Tage Zeit«, sagte Parr ernst. Plötzlich wich die Farbe aus seinem Gesicht. »Zehn Tage«, murmelte er vor sich hin.

»Selbstverständlich nehme ich nicht die geringste Notiz von dieser Drohung«, erwiderte Derrick Yale. »Aber nach der unangenehmen Erfahrung in meinem eigenen Büro muß ich zugeben, daß die Leute übernatürliche Kräfte besitzen.«

»Haben Sie schon Pläne gemacht?« fragte Parr. »Wo würden Sie denn unter gewöhnlichen Umständen am vierten des nächsten Monats sein?«

»Merkwürdig, daß Sie danach fragen. Ich hatte mir vorgenommen, nach Deal zum Fischen zu fahren. Ein Freund hat mir ein Motorboot geliehen, und ich hatte die Absicht, die Nacht im Kanal zu verbringen. Tatsächlich habe ich schon Vorbereitungen getroffen, um an diesem Tage abzureisen.«

»Sie können sämtliche Vorkehrungen treffen, die Sie wollen«, erklärte Parr mit Nachdruck. »Aber Sie reisen nicht allein. Und nun können Sie alle gehen. Ein Glück, daß meine Tante nicht aufgewacht, und daß Mutter nicht da ist!«

Bei den letzten Worten wandte er sich an Jack, und der junge Mann lächelte verständnisvoll.


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