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XII.

Magdalene Bredenhofer stand vor dem Spiegel und setzte sich einen großen schwarzen Hut mit Federn auf; die nickten in ihr blasses Gesichtchen und gaben ihm einen eigentümlichen Reiz. Auf der Leipzigerstraße in einem eleganten Schaufenster hatten sie gestern den Hut gesehen; er war nicht billig, aber Richard bestand darauf, ihn zu kaufen.

Nun kam sie sich selbst hübsch in dem Hut vor; auch das weiße Wollkleid, noch von ihrer Mädchenzeit her, stand ihr gut. Nur rötere Wangen hätte sie haben müssen und ein glücklicheres Leuchten in den Augen. Sie neigte ihr Gesicht nah' an das Glas und betrachtete sich prüfend. Die dunklen Schatten unter den Augen, die leicht geröteten schweren Lider kamen von durchwachten Nächten, von heimlich vergossenen Tränen.

Die letzten vierzehn Tage hatte Lena wenig geschlafen. Nachts lag sie wach im Bett, die Hände auf der Brust gefaltet, mit weiten Augen ins Dunkel starrend. Sie dachte immer und immer nur an ihren Bruder. Das hatte sie nicht geglaubt, daß er ihr so zürnen würde; das hatte sie nicht gewollt! Wie ein Peitschenschlag hatte sie jedes seiner kalten Worte getroffen – hinter diesen Zeilen war nichts mehr von Liebe – nein, er hatte abgeschlossen mit ihr, er fand sie undankbar! Erst hatte sie die Tragweite seines Briefes gar nicht so begriffen; als Richard ihr denselben mit einem verlegenen Lachen in den Schoß schleuderte, hatte sie auch gelacht, im Trotz. Als die Mutter, der der Sohn ebenfalls geschrieben, diesen Brief nicht zeigen wollte, sondern nur bitterlich weinte, war sie ungeduldig geworden. Aber jetzt, mit jedem Tage mehr, empfand sie, was sie angerichtet hatte.

»Ich mache einen Strich unter die Vergangenheit«, hatte Langen geschrieben. »Möchtest du dein Glück finden, ich werde mich freuen, durch dritte davon zu hören. Direkt sind wir wohl fertig miteinander.«

»Aus«, sagte sich Lena und reckte die Hände im Dunkeln empor und weinte. Sie biß die Zähne zusammen, um nicht laut zu schluchzen – nur Richard nicht stören! Er wurde heftig, wenn er ihre Tränen sah, er wollte es nicht begreifen, warum sie sich so alterierte; allein in ihm sollte sie Genüge finden und nach nichts anderem fragen. Selbst für ihre Kunst hatte er nicht mehr das feurige Interesse; er dachte nur an sein Bild, sprach nur von seinem Bilde. Lena mochte kaum mehr singen, wozu auch? Sie brachte es ja doch zu nichts, selbst die Begleitstunden hatte sie nicht annehmen dürfen; nun war der Professor böse. Aus – alles aus!

Mit einem müden, gleichgültigen Blick wandte sich Lena vom Spiegel ab – wozu sich noch anstarren? In diesem weißen Kleide hatte sie als Mädchen oft gesungen und Beifall geerntet, stolze Hoffnungen, fröhliche Erwartungen hatten ihr darin die Brust geschwellt; jetzt hätte sie sich's vom Leibe reißen mögen. Sie hatte so gar keine Lust auszugehen; ob sie nun die fremde Signora kennen lernte, von der Doktor Reuter so viel Wesens machte, oder nicht. Könnte sie allein zu Hause bleiben, welche Wohltat!

Die Tür des Schlafzimmers klappte; Bredenhofer trat jetzt ein, den Hut schon auf dem Kopf, Spazierstöckchen und Handschuhe in der Hand.

»Bist du fertig, Schatz?« fragte er fröhlich. Ein Lächeln lag ihm auf den Lippen, er sah lustig und unternehmend aus. »Wie gut dir der Hut steht! Können wir nun gehen?«

»Könnte ich nicht lieber hier bleiben?« sagte Lena; ein unüberwindbarer Widerwille gegen Lust und fröhliche Menschen überkam sie.

»Oh!« Ein besorgter Blick des Mannes streifte die junge Frau. »Launen, Lena? Oder am Ende gar – ?« Er zog sie an sich. »Du bist in letzter Zeit so gereizt und ungleich, pimpelst oft,« setzte er angstvoll hinzu – »um Gottes willen, Lena, das wäre schrecklich, das könnten wir schlecht brauchen!« Er fuhr sich mit einer nervösen Bewegung durchs Haar.

»Oh nein, hab' keine Angst«, sagte sie kalt und trat zurück. Ein dunkles Rot stieg ihr über Stirn, Wangen und Hals. »Er versteht dich nicht,« flüsterte es mit Bitterkeit in ihrem Innern, »er hat keine Ahnung, daß du um den Bruder trauerst.«

»Ich kann ja auch mitgehen,« meinte sie tonlos, »es ist mir am Ende ganz egal.«

Auf der Straße bot er ihr den Arm. Schlank und elegant schritten ihre Gestalten dicht nebeneinander übers Trottoir. »Welch hübsches Paar!« sagte irgend jemand hinter ihnen; Lena hörte es, aber sie freute sich nicht mehr darüber.

Schon seit längerer Zeit hatte man auf Reuters Veranlassung mit Signora Perriccioni am dritten Orte zusammentreffen wollen; der Kunstmäzen war ganz begeistert von diesem neuesten Stern und wollte ihn durchaus mit seiner allerneuesten Entdeckung – Bredenhofer als Malergenie – bekannt machen. Draußen am Lehrter Bahnhof, in der Kunstausstellung, sollte man sich heute finden. Nicht um Bilder zu sehen, Gott bewahre! Die eigne Leistung beschäftigt einen doch immer mehr als fremde Leistungen; aber man wollte im Parke sitzen, den Tanzweisen der ungarischen Kapelle lauschen und sich beim Plätschern der Springbrunnen und dem Summen der vorüberflutenden Menschheit amüsant unterhalten.

»Du sollst sehen,« sagte Bredenhofer, »wir werden uns schon gut amüsieren. Ich bin schon jetzt fidel!«

In der Tat, man sah's ihm an, er wippte mit dem Stöckchen durch die Luft, und seine Augen blickten so klar und leuchtend in den reinblauen Septemberhimmel, wie sie es schon lange nicht getan.

»Zum Ausstellungspark!« rief er und hob seine Frau an der nächsten Straßenecke in eine Droschke.

»Wenn ich das Bild verkauft habe,« sagte er, »dann fahren wir öfter spazieren; ich sehe nicht ein, warum wir uns das nicht leisten sollen.«

Sie nickte ihm zu.

Guter Laune kamen sie im Ausstellungspark an, Reuter empfing sie schon dort. Er bot Lena den Arm und führte sie durchs Gedränge. »Kommen Sie nur! Die Perriccioni ist schon da.« Mit triumphierender Miene führte er sie auf einen Tisch zu, an dem eine Dame und ein Herr saßen. »Gestatten Sie, Signora: Meine lieben Berliner Freunde, Herr und Frau Richard Bredenhofer. Er, ausgezeichneter Maler, sie, eine kleine Nachtigall – Signora Perriccioni, unsere göttliche, unvergleichliche, berückende Diva! Und Signor Lavallo!«

Lena war sehr enttäuscht. Also das war die Perriccioni, von der Reuter schwärmte und die Zeitungen voll waren?! Eine rundliche, nicht mehr junge Person mit starken Hüften, eng zusammengeschnürter Taille und gelbem Teint; nur die Augen waren wunderbar. Die Sängerin empfing sie mit übersprudelnder Herzlichkeit, als begrüße sie eine langjährige Bekannte. Auch Signor Lavallo, der Begleiter der Perriccioni, tat das seine; er beugte sich über die Hand der jungen Frau und küßte sie.

Eine Unterhaltung war bald in Fluß. Lena mußte sich eingestehen, es plauderte sich gut mit den Italienern, die Signora hatte doch einen entschiedenen Reiz. Alles an ihr sprach, die Lippen, die Hände, die Augen, und wenn sie lachte, zeigte sie perlweiße, tadellose Zahnreihen. Sie war ein lustiger Vogel, frei, ohne frech zu sein; mit großer Grazie schlürfte sie ihr Eis und steckte ihre Zigarette an der Bredenhofers an. Die beiden schienen sich überhaupt gut zu verstehen; Lena hatte ihren Mann kaum je so gesehen, er war von einer übersprudelnden Heiterkeit, pfiff die Weisen des Orchesters leise nach und zeichnete auf den Rand des Musikprogramms die Karikaturen der vorüberwandelnden Menschen.

Reuter rieb sich die Hände, er fühlte sich stolz als Urheber dieser fröhlichen Zusammenkunft. »Ja, Künstlernaturen,« rief er, »Prosit – es lebe die Kunst!« Sie stießen mit ihren Kaffeegläsern an, die Signora klingelte mit ihrem Eislöffel.

»Bald mit etwas Besserem, prosit!« Bredenhofer führte sein Glas an den Löffel der Signora. »Wir werden nachher für edleren Stoff sorgen!«

»O,« sagte die Signora, »das gefällt mir. Wir werden nachher Sekt trinken; ich trinke Sekt sehr gern!«

Sie war von einer unglaublichen Naivität; und Deutsch sprach sie, es war erstaunlich!

Signor Lavallo verhielt sich ziemlich ruhig; er hatte einen schwermütigen Augenaufschlag und eine schlanke, durchsichtige Hand.

Lavallo hier – Lavallo dort! Die Perriccioni behandelte ihn wie ihren Sklaven, und doch hing sie an seinem Blick. Sprach er mit Lena, so folgte sie gespannt der Unterhaltung, wenn sie auch selbst, anscheinend interessiert, plauderte; endlich schien sie sich zu überzeugen, daß die junge Frau ungefährlich sei, sie widmete sich ganz Bredenhofer und Reuter und drehte dem andern Paar fast den Rücken.

»Sie sind auch Sängerin?« fragte Lavallo mit einem Augenaufschlag, als spräche er von dem schwersten Kummer der Welt. »Sie singen schön?«

»O, das weiß ich nicht – das heißt, ich –« Lena lächelte verwirrt, es widerstrebte ihr, zu sagen: »Ja, ich singe schön«, und doch hätte sie's um alles nicht verneinen mögen.

»Sie singen gewiß schön«, beharrte er. »Sie haben Augen, die von Musik reden. O,« wehrte er ab, »sagen Sie nichts, ich kenne das. Ich habe nicht umsonst viele Sängerinnen entdeckt. Fragen Sie Signora Perriccioni, was sie war, ehe ich sie fand –, gar nichts! Eine Sache, weiter nichts; jetzt ist sie eine Person.«

Lena sah ihn erstaunt an, er redete von der Signora als von seinem Werk.

Als erriete er ihre Gedanken, sagte er jetzt: »Das ist nun einmal so, die Künstlerin erntet die Lorbeeren und der Impresario wird vergessen. Bella, ist es nicht so?« Er legte vertraulich die Hand auf den Arm der Perriccioni; diese fuhr herum und sah ihm mit einem langen Blick in die Augen. Die beiden schienen sehr vertraut.

Nun wandte sich Lavallo wieder zu der jungen Frau. »Dieser alte Mann,« er nickte nach Reuter hin – »o, er ist ein Kunstkenner, ein weiser Mann! – Hat mir viel von Ihnen erzählt, Madame. Ich möchte Sie singen hören. Ich gehe von hier nach Petersburg, ich stelle eine Truppe zusammen, mit der ich dort konzertiere. In Petersburg, Moskau und allen großen Städten; auch in Warschau auf dem Wege dorthin. Ich brauche noch eine Junge, Schlanke, die Volksliedchen singt, deutsche, rührende Volksliedchen, bei denen die Leute weinen. Sie braucht nicht viel zu können; nur das muß sie haben, das« – er bückte sich wieder und küßte ihre Hand – »was Sie haben!«

Sie war halb erschrocken, halb geschmeichelt. »Aber Signora Perriccioni – nehmen Sie die doch mit«, stotterte sie.

Er lächelte schwermütig. »Sie hat für Monate eine, eine – sagen wir, »Abhaltung« in Deutschland; ich hole sie erst wieder, wenn sie genug hat. Sie singt auch keine Volkslieder, sie ist eine viel zu große Künstlerin. Was wollen Sie? Sie weiß viel, zu viel. Kleine Lieder kann nur singen, der eine weiße Seele hat, wie Sie, Madame!« Er sah sie zärtlich bewundernd und zugleich kühl und abwägend an mit seinen matten, traurigen Augen.

Lena fühlte eine entschiedene Sympathie für den Mann; er erschien ihr wie einer, der schon viele Enttäuschungen hinter sich hat.

»Wann kann ich Sie singen hören, Madame?« fragte wieder seine weiche, einschmeichelnde Stimme.

Sie sah unschlüssig in ihren Schoß und dann zu ihrem Mann hin; er beachtete sie nicht, so vertieft war er in die Unterhaltung mit der Signora, sie konnte sich nicht mit ihm in Einverständnis setzen. »Wenn Sie zu uns kommen wollen,« sagte sie halblaut und verlegen, »dann will ich Ihnen gern vorsingen. Bitte, besuchen Sie uns, Mein Mann wird sich freuen!«

»Dank, tausend Dank!« Er gebärdete sich wie einer, dem ein großer Gnadenakt zuteil geworden. Mit einer Devotion sondergleichen verneigte er sich vor ihr. »Ich werde kommen, es müßte denn die Erde vergehen!« Er legte die Hand aufs Herz: »Bei den Heiligen, ich schwöre es! Madame, singen Sie Volkslieder oder kleine Lieder, bei denen man weinen muß?«

Sie beachtete nicht, daß er sie prüfend taxierte. Ein liebliches Rot färbte ihre Wangen, es tat ihr wohl, daß sich jemand so warm für ihre Kunst interessierte. Sie hatte das so lange entbehrt. Mit hastigem Atem und einem begeisterten Blick in den Augen sprach sie von der Musik. Sie fragte ihn: »Kennen Sie dies, kennen Sie das?« Und wenn er's nicht kannte, so summte sie ihm die Melodie vor und sprach leise die Worte. Sie empfand mehr Freude als seit lange, lange.

Die da oben fiedelten und fiedelten! Und nun kam der Mond hervor, voll und silbern, beschämte das elektrische Licht, übergoß die braunen Musikanten und spiegelte sich blendend in jeder Perle des Springbrunnens.

»Zauberhaft«, sagte Bredenhofer. »Man kann die weite Pußta sehen und die braunen Gestalten darauf. Die Zigeuner fiedeln und klagen, das Feuer unterm rauchigen Kessel brennt, und die Sterne bleiben am Himmel stehen. Jetzt Tanzen und Jauchzen. Das Leben ist doch schön! Es lebe!«

»O ja«, flüsterte Lena und suchte unterm Tisch die Hand ihres Mannes. Sie hatte keinen Tropfen Wein im Glas gehabt, und doch war sie wie berauscht. Die Mondnacht und die Zauberklänge hatten das gemacht und das ganze wunderbare Entrücktsein vom alltäglichen Leben und dem Kummer der letzten Wochen.

Sie fuhr zusammen, die Signora hatte geniest. Jetzt sagte die: »Es wird kühl; morgen singe ich die Traviata. Ui Jegerl, i krieg an Schnupfen«, setzte sie plötzlich im unverfälschtesten Wienerisch hinzu.

Die anderen lachten, die kleine Gesellschaft erhob sich. Lavallo stürzte wie ein Unsinniger auf die Sängerin zu und hing ihr einen dicken kostbaren Schal um. Er zog sie am Arm eilig mit sich fort, immer bemüht, ihr mit seiner Gestalt den augenblicklich stärker wehenden Wind abzufangen.

»Da geht er hin,« sagte Reuter, »und schützt seine kostbare Pflanze vorm Nachttau. Ein Impresario, wie ihn sich keiner besser wünschen kann! Und dabei nicht herrisch. Die Perriccioni –« er näherte seinen Mund dem Ohr Bredenhofers und flüsterte; dann schloß er laut: »Sie sehen, er ist sehr bequem; er tritt vom Schauplatz ab und ist wieder da, wenn er gebraucht wird. Die Sache mit dem Fürsten dauert ja nicht lange, die Perriccioni ist ein Zugvogel, sie hält's selbst in höchsten Fesseln nicht aus.«

Sie waren am Ausgang angelangt. »Und nun mein Sekt?« fragte die Perriccioni und blinzelte mit ihren Kohlenaugen.

Auch Reuter war noch nicht für die Trennung, am allerwenigsten Bredenhofer. Er machte sich mit Grazie zum maitre de plaisir, winkte zwei Droschken heran und forderte die Gesellschaft auf, einzusteigen.

»Ich bitte die Herrschaften, meine Gäste zu sein. Es ist ein schöner Abend, und wir sind nur einmal jung! Sei vergnügt«, raunte er seiner Frau zu »Reuter sagt mir, mein Bild gefalle sehr; es ist so gut wie verkauft. Freue dich!«

Eine halbe Stunde später saßen sie in dem kleinen versteckten Weinrestaurant in der Nähe der Linden.

Die Perriccioni verstand zu trinken, und Appetit hatte sie – erstaunlich! Sie wurde ungemein drollig, überstürzte sich in Theatergeschichten, die sie mit Gesten und funkelnden Augen vortrug; dabei war sie nicht frivol, sondern von der ungezogenen Ausgelassenheit eines anmutigen Kindes. Man konnte ihr nicht böse sein, die ganze Person wurde jünger und reizender.

»Das ist das Genie«, flüsterte Reuter verzückt. Bredenhofer zog seinerseits auch alle Schleusen auf. Er sekundierte der Diva, er wurde ganz der sorglose lustige Mensch, als den Lena ihn kennen gelernt. Eine plötzliche Verliebtheit in ihren Mann überkam sie. Wie er dasaß, die schlanke Gestalt nachlässig hintenüber gelehnt, mit der weichen Hand die Haare zurückstreichend, jung, hübsch, sprühendes Leben in den Augen, auf dem schmalen Gesicht einen geistreichen Zug! Sie hätte ihn küssen mögen; sie zog ihren Stuhl näher an ihn heran.

Er nickte ihr zu, und dann legte er zärtlich den Arm um ihre Schultern. »Verzeihen die Herrschaften, sagte er in kläglichem Ton, »aber ich verhungere und verdurste hier!«

Sie sahen ihn erstaunt an.

»Ich halt's nicht mehr aus, ich muß meiner Frau einen Kuß geben,« fuhr er übermütig fort, »ich hab' sie zu lieb!«

»O ihr Glücklichen,« rief enthusiastisch der alte Reuter, »ihr Glücklichen, ihr habt euch lieb! O ihr, ihr! Alle Charitinnen euch hold – und Musen – und Amor, der lächelnde Knabe – und –« Er wurde von Bewegung übermannt. Beim dritten Glase Sekt stellte sich diese Bewegung regelmäßig ein.

Die Signora lachte laut auf und warf sich gegen Lavallo. Sie drückte ihm einen schallenden Kuß auf den Mund. »I muß dir a Busserl geben,« rief sie, »der Reuter is zu komisch! Weißt du noch, Lavallo, wie du mich aufgegabelt hast? Ein Waschermadel in Margareten, weiter nichts; nur einen Kattunfetzen auf dem Leib und Sonntags noch ein paar Ohrringel! Da hab' i auch glaubt, das Liebhaben macht's – macht glücklich – Diavolo!« Sie legte die gespreizten Finger an die Nase: »Pah!«

Lavallo blieb unverändert ernst, mit seinen schwermütigen Augen sah er die Signora an; es war ihm entschieden nicht angenehm, daß sie so aus der Schule plauderte. »Bella«, sagte er mahnend.

Sie lachte ihr schönes helles Lachen, das so sorglos von den Wänden widerhallte. Und dann sprachen sie italienisch miteinander, halblaut, blitzgeschwind.

Lena starrte mit großen Augen die Signora an – also ein Wiener Waschermadel, weiter nichts, daher auch das flüssige Deutsch! Und in den Berliner Zeitungen stand schon lange vor dem Eintreffen der Diva die romantische Geschichte eines verarmten altitalienischen Fürstengeschlechts, dessen einzig übriggebliebener Sproß jene Sängerin sei, die den Adelsnamen abgelegt, statt dessen aber den Adel des Genies auf der Stirn trage.

»Ja, Signor Lavallo versteht's,« lachte Reuter, »der kann eine groß machen!«

Lena wurde blaß und rot; wie ein Blitz schoß es ihr durchs Innere und erhellte alle dunklen Wünsche und Hoffnungen. Sie war wie geblendet. Wenn der Mann etwas für sie tun wollte! Er schien sich zu interessieren. Oh, sie wollte ihm vorsingen mit aller Kraft ihres Könnens und ihrer Seele! Wenn er sie mitnahm aus seine Tournee, sie zur großen Sängerin machte – wenn sie wiederkam, bekannt, gefeiert, glänzend honoriert! Oh, da würden die Verwandten andere Seiten aufziehen, und das pekuniäre, kleinliche Sorgen, das den Mut lähmt und den Hoffnungen die Flügel knickt, würde ein Ende haben! Sie sah verstohlen ihren Mann von der Seite an – was würde der sagen? Er mußte stolz, stolz auf sie sein, sich freuen.

Mit einem Seufzer kniff Lena die Augen zu; sie wollte nichts mehr sehen, die Perspektive der Zukunft erschien ihr zu glänzend und die Gegenwart plötzlich dunkler als dunkel. Ihr schwindelte; sie griff mit der Hand um sich und klammerte sich an die Tischkante.

»Fehlt Ihnen etwas, Frau Lena?«

» Oh, madame

»Um Gottes willen, Lena!«

Wie hinter einer dicken Wand hörte sie das Lachen der Signora ersterben, sie fühlte sich vom Arm ihres Mannes umfaßt – alles dunkel, alles dunkel – es stieg ihr ein Knäuel in den Hals, würgte sie und ließ sie nur zitternd und mühsam atmen.

»Oh« – sie holte stöhnend Atem. Jetzt sah sie wieder. Langsam wich die Angst, es wurde ihr besser.

»Hast du mich erschreckt, Lena!« Bredenhofer sah ihr mit einem eigentümlich unruhigen, forschenden Blick in das blasse Gesicht. »Trink einmal!« Er hielt ihr das Weinglas an den Mund.

»Ich danke, es geht mir wieder ganz gut!«

Es wollte doch keine rechte Fröhlichkeit mehr in Fluß kommen; die Diva gähnte, und Bredenhofer machte ein verstörtes Gesicht. Nur Reuter säuselte in seinem Enthusiasmus fort; es war ihm gar nicht nach Wunsch, daß die anderen schon aufbrachen.

Lena atmete erlöst, als ihr draußen die Nachtluft um die Schläfen wehte. An der Ecke der Linden trennte man sich.

»Also, Madame, ich werde von ihrer Erlaubnis Gebrauch machen«, flüsterte Lavallo bei seinem Handkuß. »Bald, sehr bald – o welcher Genuß, Sie zu hören!« Er legte die Hand auf die Brust, klappte die Augen melancholisch auf und zu und verbeugte sich tief und feierlich.

»Was wollte der Mensch?« fragte Bredenhofer seine Frau, als die perlende Lachsalve der Signora hinter den Bäumen verklungen war und auch Reuter sich verabschiedet hatte.

»Er will uns besuchen,« antwortete sie mit einem leichten Herzklopfen, »er will mich singen hören.«

»So«, sagte er gleichgültig, wippte mit dem Stöckchen und sah den breiten Mondstrahlen nach, die sich über Firste und Wände ergossen und in silbernem Strom übers Trottoir fluteten.

Seine Gleichgültigkeit war ihr unangenehm, mit Schmerz empfand sie's, er hatte nicht mehr die alte Teilnahme für ihre Kunst. »Jawohl,« beharrte sie mit einiger Gereiztheit, »er will mich singen hören, er zeigt eben großes Interesse. Vielleicht, daß er mich engagieren will für seine Tournee nach Rußland.« Mit gespannter Miene sah sie ihren Mann an – was würde er sagen?

Bredenhofer lachte laut auf. »Warum nicht gar? Haha, Unsinn!«

Sein Lachen beleidigte sie; sie antwortete nichts darauf, aber sie ging stumm und verstimmt an seinem Arm weiter. Ohne Glanz glitt ihr Blick über die einsame, nachtstille Straße und dann hinauf zum Himmel. Die Sterne konnten sich nicht geltend machen neben dem vollen, alles überstrahlenden Mondlicht, sie blinzelten und zitterten; aber da – da – der eine zuckte und wackelte, und nun schoß er wie ein goldener Funke hinab ins Bodenlose. Eine Sternschnuppe.

Lena drückte rasch die Hand aufs Herz – jetzt etwas wünschen, schnell einen großen heißen Wunsch, und er war erfüllt! Es fiel ihr nichts ein.

Da – der Stern war längst gefallen.


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