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Landgerichtsrat Langen war nie schlechter Laune, er hatte eigentlich immer dieselbe ruhige, gedrückte Freundlichkeit. Heute hatte er aber entschieden einen Zug von Gereiztheit um die Mundwinkel; die kleine Lora merkte das sofort, als der Vater vom Bureau nach Hause kam.
Sie hatte vor der Tür gestanden und auf ihn gelauert wie ein Hündchen auf seinen Herrn. Mit einem lauten Freudenruf stürzte sie ihm entgegen und hing sich an ihn. Seine Hand wurde von dem zarten Kinderhändchen gefaßt; er wußte selbst nicht, daß ihn sein Töchterchen führte, er wäre am eigenen Hause vorbei noch weiter die Straße hinuntergegangen.
»Vater,« sagte sie mit ihrer spitzen Kinderstimme, »bist du traurig? Meine Liese und mein Mäxchen waren heut auch traurig; Walter hat sie mit dem Stecken auf den Kopf gehauen, sie liegen im Puppenwagen und schlafen. Ich hab' ihnen das Lied von den »Englein« vorgesungen, da hörten sie auf zu weinen. Ich wünschte, Tante Lena käm' wieder! Die sang das so schön! Warum kommt Tante Lena nicht zu uns? Ich hab' sie lieb!«
Langens Hand zuckte in der seines Kindes; mit einem schmerzlichen Blick sah er in die groß und erwartungsvoll zu ihm aufgeschlagenen Augen. Solche Augen hatte Lena als Kind gehabt. Er nahm rasch das Mädchen auf den Arm und küßte es, aber er gab keine Antwort. Schweigend trat er ins Haus.
Da saß Amalie in der Veranda und lernte mit ihrem Jungen biblische Geschichte. Walter hatte einen etwas harten Kopf, auch war er zerstreut.
»Walter, so paß doch auf,« sagte die Mutter sanft, »es ist eine so wunderschöne Geschichte.« Sie standen bei der Ausweisung der Hagar. »Nun, weißt du denn nicht, was der fromme, heilige Abraham tat, Walter?«
Der Junge kippelte hin und her, er schnitt ein weinerliches Gesicht. »Ich weiß nicht«, stotterte er endlich. »Die anderen Jungens – spielen draußen – laß mich doch auch – ich – ich – laß mich auch!« Er heulte.
»Oh, du böser Junge«, sagte Frau Amalie, aber immer im gleichen sanften Ton; es war unpassend, sich bei der Heiligen Schrift zu erzürnen.
Lora war an den Tisch getreten; ohne Anstoß, die Hände gefaltet, sagte sie die ganze Geschichte her.
Amalie strahlte; Langen sah mit Befremden auf sein Kind. Das runde Gesichtchen war durch den Ernst, den es trug, merkwürdig schmal geworden, die Augen übernatürlich weit.
»O die arme Hagar«, schloß Lora jetzt, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich wünschte, ich hätte der Engel sein können, der ihr für den Israel was zu trinken brachte! Ich wünschte, ich wär' ein Engelchen!«
»Mein liebes Kind«, sagte Langen plötzlich und griff nach einer der langen, seidenweichen Locken; er drehte die goldige Strähne um den Finger und spielte mit ihr. Es war ihm, als müsse er die ganze kleine, leichte Gestalt an dieser goldigen Strähne festhalten. Eine unbestimmte Angst überkam ihn.
Als die Kinder fortsprangen, wandte er sich an seine Frau; es war das erstemal, daß er in ihre Erziehungsmethode hineinsprach. »Du solltest das Kind nicht geistig überanstrengen«, sagte er vorwurfsvoll. »Lora ist überreizt, sie spricht und singt nur von Engeln. Wo hinaus soll das? Mir ist bange um das Kind!« Er seufzte, setzte sich nieder und stützte den Kopf in die Hand.
Amalie sah ihn verständnislos an. »Was willst du denn? Sie ist ja kerngesund. Pastor Düringsfeld sagte neulich, als hier Nähverein war und Lora den Kuchen präsentierte: »Der Herr hat sich diese Blume recht zum Lobe hergerichtet!« Das machte mich sehr glücklich. Du solltest dich auch freuen!«
Er sah sie einen Augenblick ganz verstört am »Ich – ?! Wenn das Kind – ich – ich ertrüge es nicht«, murmelte er zwischen den Zähnen.
»Was du jetzt nur immer hast?« Frau Langen stieg nach und nach das Blut ins Gesicht. »Immer schlechter Laune und besonders heute! Es ist wirklich schrecklich! Ich bin froh, daß ich heute nachmittag Verein habe und am Abend Vorstandssitzung.«
»Schon wieder?«
»Bitte sehr, »schon wieder« ist nicht richtig; vor vierzehn Tagen das letztemal. Und was hab' ich denn sonst weiter? Ich habe ja weiter nichts auf der Welt«, setzte sie in selbstquälerischer Verbissenheit hinzu.
»Amalie, versündige dich nicht!« Er war auch rot geworden, nun stand er auf und ging über den Flur, die Treppe hinan, in sein Arbeitszimmer. Dort stand er lange am Fenster.
Vom Garten herauf tönten die Stimmen der Kinder. Walter tobte ausgelassen und sprang wie ein junges Böcklein; Lora hielt sich etwas abseits. Jetzt kam sie langsam, fast feierlich den Gartensteig herunter; sie hatte eine gelbe Blume in der Hand und trug die vor sich her, wie man ein Licht trägt. Um den Kopf hatte sie sich eine Ranke geschlungen, die buntgefärbten Weinblätter beschatteten ihr die Augen; ihr Kleidchen war weiß und lang und hing ihr bis auf die Füße. Steif, kerzengerade kam sie daher, drehte den Kopf nicht nach rechts noch links. Die kleine, feierliche Gestalt sah unheimlich aus im Sonnenschein.
Langen öffnete hastig das Fenster: »Lora, komm herauf!«
»Stör' mich nicht, Vater«, sagte sie, ohne eine Miene zu verändern.
»Komm sofort herauf! Komm gleich zu mir!« Angst und Ungeduld lag in den Worten.
Lora war diesen Ton beim Vater nicht gewöhnt, erschrocken ließ sie die gelbe Blume fallen; wenige Augenblicke später stand sie im Arbeitszimmer. Sie kam dem Vater so groß vor, im letzten halben Jahre merkwürdig gewachsen und in die Höhe geschossen.
»Was spieltest du eben?« fragte er.
»Totes Kind, Väterchen«, sagte sie ernsthaft. »Weißt du, ich war daß Kind, das ein Engelchen geworden ist und nun zu seinen Spielsachen geht, nachts, wenn alle Leute schlafen. Es trägt ein Licht in der Hand, damit es auch sehen kann. Denk' mal, wie Liese und Mäxchen sich gefreut hätten! Die liegen noch immer im Puppenwagen.«
»Mein Gott!« Langen schauderte bis in die tiefste Seele, woher hatte das Kind diese überspannten Ideen? »Wer hat dir denn das von dem – dem« – er konnte es nicht aussprechen von dem »toten«, er sagte nur: »von dem Kind erzählt? Die Mutter?«
»Ich weiß es nicht!« Die unschuldige Kinderstimme klang sehr vergnügt. »Ich hab' es geträumt, Väterchen. Ich träume immer so schön!«
»Versprich mir, Lora, du wirst das nie mehr spielen.« Er schloß sie erregt fest in die Arme.
Sie fragte nicht »warum«; sie sah ihn nur ganz groß und verwundert an.
Er ließ sie los, er tadelte sich selbst ob seiner Erregtheit – was spielen Kinder nicht alles?! Er war nervös, er wußte es wohl; heute morgen die Briefe aus Berlin, die er in seinem Bureau vorfand, hatten ihn ganz krank gemacht. Die Seinen adressierten immer ins Bureau, – Amalie war so wißbegierig, ihrer Ansicht nach durften Mann und Frau keinerlei Geheimnis voreinander haben; sie wartete mit dem Oeffnen nicht, bis er nach Hause kam.
Mit einem Seufzer ließ sich Langen am Schreibtisch nieder. Aus seiner Brusttasche nahm er die Briefe und legte sie vor sich hin; er mußte sie noch einmal lesen. Da war erst das Schreiben der Mutter. Sie klagte nicht; das tat sie schon Lena zuliebe nicht, und auch nicht, weil man ihr vorgeworfen hatte, sie habe die Heirat begünstigt. Aber eine gewisse Unruhe, eine sorgenvolle Unsicherheit sprachen sich zwischen den Zeilen aus.
Aber nun Lenas Brief! Nein, den wollte er zuletzt lesen, erst den ihres Mannes.
Die Röte des Unmuts überflog das Gesicht des Lesenden. Bredenhofer schrieb:
»Geehrter Herr Schwager!
Bei den Gesinnungen, die Sie uns, besonders mir gegenüber hegen, ist es mir sehr peinlich gewesen, bis jetzt von Ihnen etwas annehmen zu müssen. Diese Annahme war in der Tat von vornherein eine Uebereilung unsererseits, wir hätten bedenken sollen, daß nur ein Geschenk Wert hat, welches freudig, aus liebevollem Herzen gegeben wird. Wir konnten uns dessen bei dem Ihrigen nicht rühmen.
Es ist Lena sehr schmerzlich gewesen, Ihre Gegenwart bei unserer Hochzeit entbehren zu müssen; sie sah darin einen Mangel brüderlicher Liebe für sich und eine Mißachtung für mich. Sie hat schwer an dieser bitteren Enttäuschung zu tragen gehabt, aus Liebe zu mir hat sie sie jedoch überwunden. Jetzt ist meine liebe Frau mit mir glücklich, in die Lage gekommen zu sein, Ihre fernere Beisteuer zu unserem Haushalt dankend ablehnen zu können.
Ich bedaure nur, augenblicklich noch nicht imstande zu sein, Ihnen die gehabten Auslagen zurückzuerstatten; doch hoffe ich, auch dieses demnächst nachzuholen.
Mit dem Wunsche besten Wohlbefindens für Sie und Ihre Familie
ergebenst
Richard Bredenhofer.«
War der Mensch denn ganz verrückt, ganz verrückt? Langen faßte sich an den Kopf; der Brief war ja noch viel ungezogener, viel beleidigender, als er ihm anfänglich erschienen! Und so etwas sollte er sich bieten lassen, er, der so viel ältere, von dem unreifen, grünen Menschen?! Ein unbezwinglicher Zorn erfaßte ihn; er war selten heftig, aber nun ließ er die Hand schwer auf das Papier fallen, er hatte es am liebsten zerknäult, in kleine Fetzen zerrissen. Aber nein – das war ja der Brief eines Primaners, dem war nicht zuviel Wert beizulegen.
Wodurch mochten sie denn in die sogenannte »Lage« gekommen sein, seine Unterstützung so schnöde zurückzuweisen? Hatte der Onkel vielleicht seine milde Hand ausgetan?' Das war wohl nicht der Fall; die Mutter erwähnte doch gerade in ihrem heutigen Briefe, daß das Verhältnis der jungen Leute zu ihren Verwandten ein sehr kühles sei. Auch Lenas Brief brachte keine Aufklärung.
Er las den noch einmal aufmerksam. Sie war erregt gewesen beim Schreiben, man sah's an einigen zittrigen Haken und Schleifen und hier – hier unten in der Ecke mußten Tränen auf die Buchstaben gefallen sein, sie waren verschwommen und teilweise verlöscht. Der Bruder fühlte es, wie sie sich gequält hatte, so gemessen und kalt ihre Worte zu setzen.
»Ich habe dem Briefe meines Mannes nicht viel mehr beizufügen; ich bin gleich ihm hocherfreut, dich nicht mehr in Anspruch nehmen zu müssen.«
»Ich danke dir für deine Liebe«, hatte sie dann schreiben wollen, aber sorgfältig war's verändert: es hieß jetzt: »Ich danke dir für deine Bemühung, unseren Haushalt zu erleichtern«, und so weiter. Zum Schluß sagte sie kurz »Adieu« Es hatte den Anschein eines Lebewohls für immer. Das war die Stelle, welche Tränen halb verlöscht hatten.
Langen fühlte einen Grimm sondergleichen gegen den Menschen in sich aufsteigen, der dies alles veranlaßt hatte; aber zugleich auch einen Grimm, gegen Lena. Sie war charakterlos und bestimmbar. Er rief sich ihre Gestalt, ihr Wesen zurück, wie sie früher gewesen waren; dies zärtliche, schmiegsame Geschöpf hatte solche Zeilen geschrieben?!
Er schüttelte den Kopf und grübelte finster vor sich hin; es war ihm doch ein großer Schmerz. Er machte mit der Hand eine Bewegung durch die Luft, als weise er etwas weit, weit von sich. Er wollte sein Herz verhärten.
Und doch konnte er es nicht ändern, daß er im Geiste ihre leichte Mädchengestalt an seine Seite treten sah; er glaubte ihren Kuß zu fühlen, ihr bitterliches Schluchzen zu hören, wie damals auf dem Bahnhof beim Abschied, nach der häßlichen Szene mit Amalie. Sie war auch damals störrisch gewesen und er nachsichtig; er hatte sie leider zu sehr verwöhnt. Aber jetzt sollte das nicht mehr der Fall sein; nein!
Mit einem Ruck griff er nach der Feder.
»Eigensinnig – lieblos – undankbar – o Lena –!« Hatte er es laut gesprochen?
»An wen schreibst du?« fragte Loras Kinderstimme. Sie war dicht zu ihm herangekommen, stemmte den runden Ellenbogen auf den Tisch, legte das Köpfchen auf die Seite und sah ihn von unten herauf sehr ernst an. »An wen schreibst du?« wiederholte sie noch einmal; »an Tante Lena? Bist du ihr bös?«
Er nickte stumm.
»O sei ihr nicht bös – arme Tante Lena!?« Die Tränen standen ihr rasch in den Augen, wie vorhin bei der Erzählung von Hagar. Sie schüttelte den Kopf: »Du bist nicht bös? Da ist doch nix bös zu sein, Väterchen!« Dann lächelte sie, daß man die kleinen weißen Zähne blitzen sah, ihre Stimme klang sehnsüchtig zärtlich: »Tante Lena! Schreib' ihr, sie soll mich bald besuchen. Ich hab' sie lieb!«
»Ich hab' sie lieb«, sagte sie noch einmal, der Tür zutrippelnd.
»Lieb? Lieb gehabt«, sprach Langen leise, als sich die Tür hinter Lora geschlossen hatte. Dann ließ er den Kopf schwer auf die Brust sinken und die Feder aus der Hand fallen – er konnte Lena jetzt nicht schreiben, wie sie's verdiente.
Vor ihrem weiß umhangenen, gleich frischem Schnee leuchtenden Toilettentisch saß Amalie Langen. Sie kämmte ihr schönes Haar für die Nacht aus. Es sah gut aus, wie ihre weißen Arme aus den weiten Aermeln des Frisiermantels hervorblinkten und den Kamm durch die blonde Haarmasse führten.
Ihre Augen glänzten, ihr Gesicht trug einen weicheren Ausdruck als gewöhnlich. Sie hatte heute viel Gutes geschafft und trug in sich das Gefühl höchster Befriedigung. Sie war in der Vorstandssitzung des Vereins für »Allgemeine Mildtätigkeit« mit Akklamation zur stellvertretenden Präsidentin gewählt worden. Chefpräsidentin war die Frau Generalin von Bimmerstein, geborene Freiin von Weimersheimb, die erste Frau der Stadt; sie demnach also die zweite – welch ein Gefühl!
Jetzt war das blonde Haar in zwei dicke Zöpfe geflochten, Frau Amalie sah hübsch und jugendlich aus; da knarrte die Tür, und der Landgerichtsrat schob sich vorsichtig herein.
Er war blaß und ernst.
»Du bist noch auf?« fragte er erstaunt und heftete einen verwunderten Blick auf seine Frau; er hatte sie lange nicht so gesehen, meist lag sie schon im Bett, wenn er kam.
»Ja«, sagte sie und schlang sich die Zöpfe um den Kopf. Sie sah ihn an. »Was hast du eigentlich, Fritz? Den ganzen Tag gehst du verstört herum!«
»Ich –? Oh nichts, nichts!«
»Doch!« Sie stand auf und kam langsam näher auf ihn zu; ihre große Gestalt schob sich wie ein Bollwerk vor ihn, er sah ordentlich dürftig neben ihr aus. »Sage mir, was du hast«, wiederholte sie, halb gebieterisch, halb zärtlich. Die Erfolge des heutigen Tages hatten sie erregt und merkwürdig zugänglich gestimmt; auch kam die Neugier dazu.
Sie kam auf ihren Mann zu und legte den Kopf schwer an seine Schulter.
Er sah auf ihr blondes Haar, es glänzte und roch wohlgepflegt und wohlgebürstet. Darunter hob sich das hübsch geformte Ohr, und hinter dem blauen Bande der glatte, makellose Nacken.
»Fritz,« sagte sie leise, dadurch wurde ihre Stimme angenehmer, »sage mir doch, was du hast?« Sie lehnte sich schwerer an ihn; er mußte sich festhalten, um nicht unter der Last ihres vollen warmen Körpers zu taumeln.
»Ich – ich habe nichts, gar nichts!« Unwillkürlich seufzte er dabei, sie hob den Kopf und strich ihm übers Gesicht. »Laß nur, Amalie! Laß nur, ich habe wirklich nichts Besonderes – Briefe – ein paar dumme Briefe, das ist alles. Sprechen wir nicht mehr davon!«
»O doch!«, beharrte sie. »Warum willst du es mir nicht sagen?« Sie ließ nicht ab, zu streicheln, und sah ihm forschend ins Gesicht mit einem durch die Müdigkeit umflorten Blick ihrer kalten Augen. »Du hast Briefe bekommen? Natürlich aus Berlin, andre könnten dich nicht so verstimmen! Du hast von Lena gesprochen.«
»Wieso? Zu dir doch nicht!«
»Nein aber das Kind – Lora sagte –«
»Du hast das Kind ausgefragt? Amalie! Er sagte weiter nichts, aber er schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
Sie errötete tief, und mit diesem Erröten sah sie ganz so aus wie damals am Sonntag im Garten an der Wupper, als er sich über das Pulsen des Blutes unter ihrer reinen Haut freute. Er vergaß den Vorwurf.
»Sage mir was haben sie geschrieben?« bat sie. Seinen Arm um ihre Taille ziehend, veranlaßte sie ihn, mit ihr in der Stube auf und nieder zu schreiten. Ein paar Augenblicke sprachen sie nichts.
»Bist du böse?« fragte Amalie. »Sage mir, was du hast, ich will es wissen. Bitte!« Bei dem »bitte« spitzte sie die Lippen und küßte ihn; und nun noch einmal.
Er seufzte wieder aus tiefstem Herzensgründe; fast gegen seinen Willen entfuhr es ihm: »Ja, ich habe Briefe aus Berlin!«
»Zeige sie mir!«
Mechanisch griff er in die Brusttasche und reichte ihr die Briefe.
Hastig riß sie ihm die Papiere aus der Hand, trat dicht an ihren Toilettentisch und las beim flackernden Schein der Kerzen. Kein Zug in ihrem Gesicht verriet, was sie dachte, nur ihre Lippen kniffen sich dünn zusammen.
»Nun,« fragte sie endlich, ohne ihren Mann anzusehen, »hast du hierauf schon geantwortet?«
»Nein; ich war schon dabei, aber da« – er stockte. »Ich will mir's noch überlegen,« sagte er ausweichend, »man muß nicht in der ersten Hitze schreiben. Wenn ich's recht erwäge, muß ich bedenken, daß Lena falsch geleitet ist; da ist der Einfluß ihres Mannes – und sie sind beide ja noch jung, unbesonnen, impulsive Naturen«, setzte er entschuldigend hinzu.
»Unbesonnen, impulsiv?« Sie fuhr auf, durch ihre plötzliche heftige Bewegung flatterte ihr weiter Frisiermantel, die Kerzen verlöschten. Im lauen Halbdunkel der Sommernacht sah er ihr weißes Gesicht sich gegenüber und ihre scharfumrandeten glitzernden Augäpfel. »Wie kannst du? Wie darfst du – wie darfst du dir das gefallen lassen? Es ist unerhört!« Ihr klangloses Organ steigerte sich, sie faßte seine beiden Handgelenke. »Du – du hast mir nichts davon gesagt; du hast ihr Geld geschickt?!«
»Es war von meinem Gehalt«, sagte er gepreßt.
»Also abgespart?! Die Undankbare! Du bist zu gut gegen sie, immer zu gut gewesen. Aber diesmal, diesmal hat sie dich wirklich zu sehr gekränkt! Ich bin beleidigt in dir, ja, so beleidigt!« Amalie weinte. »Was habe ich schon um Lena erduldet?! Mich hast du gegen sie zurückgesetzt! Aber jetzt – jetzt!« – Sie neigte ihr Gesicht ganz nah gegen das seine, Tränen der Wut und der Eifersucht flossen über ihre Wangen; auch Mitleid war wohl dabei. »Jetzt mußt du ihr einen gehörigen Brief schreiben, gleich morgen; es wird ihr nur zum Besten dienen. Vielleicht, daß sie Umkehr hält in ihrem hochmütigen Sinn. Tu's, tu's!«
»Ich kann nicht,« stöhnte er, »sie ist doch meine Schwester. Ich habe sie so lieb gehabt!«
»Du armer Mann,« sagte sie plötzlich mit einer seltenen, ungewohnten Weichheit – »so viel Undank zu erfahren! Armer!
Da war's – Mitleid! Mitleid, das er so nötig brauchte, das er so sehr ersehnte!
Matt ließ er seinen Kopf an ihre Schulter sinken.
Am Morgen schrieb Landgerichtsrat Langen an seine Schwester einen Brief, der diese im Innersten treffen mußte; Bredenhofers tat er darin keinerlei Erwähnung, er schwieg ihn tot. Als er selbst sein Schreiben zur Post trug, stand er ein paar Momente in tiefem Sinnen vor dem Kasten, dann plötzlich – als verbrenne ihm der Brief die Finger – ließ er ihn hineinfallen.
»Aus«, sagte er traurig, als er mit hastigem Schritt von dannen ging.