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Der berühmte Gesangprofessor Dämel lag in seinem Musikzimmer auf dem Ruhebett, dem einzigen Polstermöbel in diesem geheiligten Raum. Er hatte eben Stunde erteilt an ein paar recht talentlose Amerikanerinnen; die eine knautschte zwischen den Zähnen, man hörte überhaupt nichts; die andre riß den Hals auf und blökte falsche Töne in die Welt, daß dem Hörer grauste. »Aber die Kunst geht nach Brot,« pflegte der berühmte Mann zu sagen.« Jetzt war er sehr angegriffen und wollte nicht gestört sein. Die Jalousien vor den Fenstern waren geschlossen, draußen brütete die Sommersonne. Er schloß behaglich die Augen.
Da – ein Klingeln! Unwirsch fuhr er auf; wenn auch draußen stand: Sprechstunde von vier bis fünf Uhr, er wollte doch nicht gestört sein.
»Nicht zu sprechen«, hörte er draußen das Mädchen sagen und gleich darauf eine weiche Stimme, im Tone der Enttäuschung: »Ach, nun bin ich schon zum zweitenmal vergebens hier! Bitte, zeigen Sie Herrn Professor wenigstens meine Karte!«
Diese weiche verschleierte Stimme klang so musikalisch – wo tat er sie doch nur gleich hin? Dämel rieb sich die Stirn. Da kam auch schon das Mädchen. Er las: »Magdalena Bredenhofer«, darunter war mit Bleistift: »Lena Langen, frühere Schülerin«.
Vor des Professors Gedächtnis stand sofort das schlanke Mädchen mit den übergroßen Augen und dem Lockengewirr; vor einem halben Jahre war sie aus der Gesangsklasse ausgeschieden, hatte sich verheiratet, anscheinend eine sehr gute Partie gemacht. Dämel kannte die Verwandten des Mannes; die Allensteins waren elegante Leute, viel in Gesellschaft. Was wollte die kleine Langen? Ah, jedenfalls Privatstunden nehmen, à dreißig Mark.
»Ich lasse die Dame bitten!« Er erhob sich geschmeidig, trat vor den Spiegel und ordnete seinen schön gepflegten Bart.
»Herr Professor!«
Er fuhr herum; auf der Schwelle diese überzarte Frauengestalt im dunklen Kleid, war das Lena Langen? Er hatte sie sich als Frau anders vorgestellt.
»Ah, gnädige Frau, ich freue mich sehr, ich freue mich herzlich, Sie wiederzusehen! Bitte, bitte, nehmen Sie Platz!«
Lena murmelte etwas.
»Oh – vergessen?! Wie können Sie so etwas denken? Eine so hoch talentierte Schülerin vergißt man nie«, beeiferte er sich zu versichern. »Was macht die Musik, la bella voce?«
»Ich danke.«
Die junge Frau war entschieden schüchtern; warum nur? Man mußte ihr entgegenkommen. »Also der Gesang blüht; wohl die große Freude Ihres Herrn Gemahls? Ja, ja, kann ich mir denken. Schön, solch kleine Nachtigall für immer eingefangen zu haben. Eigentlich jammerschade, daß er Sie uns, der Kunst, entzogen hat! Das geht gar nicht, Sie müssen die Musik wieder aufnehmen!«
Lenas schmales Gesicht erglühte, die Anerkennung des Professors belebte sie; sie sprach freier. »Das ist's ja eben, Herr Professor, ich – ich möchte, ich muß meinen Gesang –« Sie stockte nun doch wieder.
Er half ihr weiter mit einem jovialen Lächeln und ermutigenden Ton. »Das ist recht, das ist brav; freut mich sehr, daß Sie zu mir kommen, gnädige Frau! Wer hat denn auch solches Interesse an Ihnen, wie Ihr alter Lehrer?!«
»Das dachte ich auch«, sagte sie mit einem hoffnungsvollen Blick. »Und glauben Sie denn wirklich, Herr Professor, daß es sich lohnt, daß es mir gelingen wird?«
»Ohne Zweifel,« versicherte er eifrig, »bei dieser musikalischen Begabung, der süßen Stimme und der poetischen Auffassung! Sie wissen, wieviel ich immer von Ihnen gehalten habe!«
»Ach ja, ja.« Sie errötete und griff nach seiner Hand. »Lieber Herr Professor, entschuldigen Sie nur, daß ich Sie damit behellige, aber ich wußte wirklich nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Sie können mir helfen!«
Wie komisch das klang! Dämel wurde unsicher – die junge Frau saß da wie eine Bittende; das war wirklich eine ganz merkwürdige Art, so um Stunden nachzusuchen, die man teuer bezahlte. Was wollte sie eigentlich? Er faßte sie scharf ins Auge. Ihr Kleid war geschmackvoll, aber sehr einfach, der Saum rund herum staubig, die Schuhe auch ganz grau; gefahren war sie keinesfalls. Unruhig hob und senkte sie die Lider, um ihren Mund hatte sich ein Fältchen eingegraben. Jetzt seufzte sie.
»Womit kann ich Ihnen dienen?« fragte er um eine Nuance kälter.
Ihre Lider zitterten, dann hob sie den Blick und sah ihn traurig an. »Ich muß meine Musik verwerten,« sagte sie leise, »würden Sie nicht die große Güte haben, mich zu empfehlen? Ach, Sie können mir gewiß Konzertengagements verschaffen; ich würde auch gegen bescheidenes Honorar in kleinen Städten singen. Ich weiß, Sie haben immer so viel an der Hand.«
»Ich? Gar nicht; nein, da irren Sie wirklich, Frau – Frau Bredenhofer, nicht wahr? Es werden fast gar keine Anfragen an mich gerichtet; zu dergleichen habe ich in der Tat auch gar keine Zeit. Aber ich will Ihnen einen guten Rat geben, gehen Sie zu einem Konzertagenten; es ist doch das Metier dieser Leute, Engagements zu vermitteln. Hier« – er zog sein Notizbuch hervor und schrieb flüchtig die Adresse nieder: »Bär, Konzertagentur, Schöneberger Ufer 4«.
»Ach, danke sehr.« Sie ergriff wohl den Zettel, aber sie steckte ihn nicht ein, ihre Hand bebte. »Diese Leute verlangen so viel Prozente und schon eine vorherige Anzahlung – das kann ich nicht, Herr Professor!« Ihre großen Augen sahen ihn mit einem bangen Blick an. Er konnte nicht umhin, zu finden, daß sie schöne Augen hatte, eigentlich das einzig Bemerkenswerte in dem schmalen Gesicht; sie hatten einen feuchten Glanz, das dunkle Braun der Iris zeigte goldige Lichter und schwamm in bläulichem Weiß. Und einen hübschen Mund hatte sie auch, nur die Lippen zu blaß und die Winkel herabgezogen. Sie schien mit Tränen zu kämpfen.
»Armes Ding!« Dämel strich sich den Bart und ließ einen langen Blick über die zarte Frauengestalt gleiten – nicht viel dran, aber anmutig! »Kindchen,« sagte er in dem Ton, halb gutmütig, halb spöttisch, den Lena vom Konservatorium her noch genau im Ohr hatte, »Kindchen, Sie wissen doch, mit Ihrer zarten Stimme ist nicht viel zu machen.«
»Aber, Herr Professor, Sie sagten doch vorhin noch –«
»Was, was? In der Tat, ganz richtig, ganz richtig! Ich widerrufe nichts, Ihr Talent ist unleugbar, aber nicht für den Konzertsaal! Fürs Haus, fürs Haus – da liegt der Schwerpunkt. Im intimen Kreis reizend, jedoch für den Konzertsaal –!« »Sie müssen sich doch selbst erinnern, in der Philharmonie verflatterte Ihr Ton zu gar nichts. Viele sind berufen, wenige auserwählt. Der Geist ist willig, aber die Stimme ist schwach! Haha!«
In Lenas Augen schwammen große Tränen. »Wenn Sie mir dann doch wenigstens Stunden,« stotterte sie, »Stunden – verschaffen – könnten!« Daran hatte sie nie gedacht; Stundengeben, der Verderb für den Künstler, Herabwürdigung seines Talents – nun schien es ihr der Rettungsanker!. Sie klammerte sich daran. »Wenn Sie mir wenigstens einige Stunden zuweisen könnten! Wenn Sie doch die Güte hätten, Herr Professor!«
»Hm!« Dämel besaß eine gewisse Weichmütigkeit jungen Frauen gegenüber. Er entsann sich, die kleine Langen hatte gut Klavier gespielt; es mußte nicht unangenehm sein, in den Privatstunden, in denen man unmusikalische Misses drillte, auf diese schlanken Fingerchen zu blicken. Sie mochte denn an einigen Vormittagen begleiten; der bisherige Begleiter paßte ohnehin nicht mehr, er erlaubte sich in letzter Zeit eine eigne musikalische Meinung.
»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen«, sagte der berühmte Mann. Lena horchte auf.
»An drei Vormittagen der Woche gebe ich Privatstunden im Hause, von neun bis eins; wenn Sie wollen, können Sie die Begleitung übernehmen. Monatliches Honorar: Zweiundsiebzig, sagen wir rund siebzig Mark. Sind Sie damit einverstanden?«
Ob sie das war! Lena fühlte eine große Freude, dankbar ergriff sie die Hand des Professors: »Gern, gern!« Der vergrämte Zug um ihre Mundwinkel war verschwunden, sie sah reizend aus mit dem zarten Rot aus den Wangen.
Der berühmte Mann tätschelte die kleine Hand und schmunzelte, da war er billig weggekommen! –
Wie beschwingt eilte Lena über die Straße. Der Weg bis zu ihrer Wohnung war weit, sie beachtete das gar nicht. Was würde Richard sagen? Mußte er sich nicht freuen, wenn sie etwas zur Wirtschaft beisteuerte? Siebzig Mark, welch große Summe! Sie machte einen kleinen Sprung über den Rinnstein, und dann kaufte sie der Frau, die an der Ecke stand, einen Rosenstrauß ab. Die Blüten waren schon welk vom Sonnenbrand, ihr dunkles Rot schwärzlich, aber sie dufteten noch. Lena drückte sie sorgfältig an sich, die sollte Richard haben; und dann eilte sie weiter, den Blick zu dem tiefblauen Sommerhimmel erhoben.
Bredenhofer hatte gar keine Ahnung, daß seine Frau zu ihrem früheren Lehrer gegangen war; er hätte das nie gelitten. Man sollte Lena suchen, anbieten durfte sie sich nicht.
Er saß in seinem sogenannten Atelier vor der Staffelei und pinselte an einem Bildchen. Er benutzte dazu eine Eifelskizze, die er im vorigen Herbst flüchtig aufs Papier geworfen hatte, in Gerolstein, einen Tag vor seiner Abreise; einen Tag vor dem verhängnisvollen Zusammentreffen mit Lena im Eisenbahnzug. Er hatte die grotesken Felszinken der kolossalen Basaltblöcke, die sich gegenüber von seinem Fenster, jenseits am Ufer der Kyll, erhoben, im Abendschein sich röten sehen; ihr melancholisches Grau hatte sich mit Himmelsrosen geschmückt, ihre schroffe Nacktheit schien verklärt, von einer weichen Wehmut übergossen. Der Anblick hatte ihn gepackt, begeistert; mit eiligen Fingern hatte er nach seinem Skizzenbuch gegriffen, Stift und Pinsel waren übers Papier geflogen. Aber es war schon spät, der Glanz erlosch; er mußte das Buch schließen.
Jetzt saß er und quälte sich; er konnte die Farben nicht mehr finden. Wenn er die Augen schloß, sah er's ganz deutlich, dieses tote Grau, dieses lebensvolle Rot; er atmete den eigentümlich herben Duft der Eifellust und fühlte wieder die ganze Poesie, die ihn damals ergriffen. Oeffnete er die Augen, so war alles hin, verschwunden wie Zauberspuk. Die Farben auf seiner Palette taugten alle nichts; das Grau war schmutzig, und das Rot schrie. Er stöhnte, er schwitzte.
Die Wände des Ateliers, mit seinen Studien und Entwürfen behangen, grinsten ihn langweilig an; durch das halbgeöffnete Fenster kam eine schwüle, trockne Sommerluft und raschelte in den unbeschriebenen Blättern auf dem Schreibtisch.
Der junge Mann faßte nach seinem Kopf, der Schädel brannte ihm; gleich über der Wohnung war der Bodenraum. Da stach die Sonne ungehindert durch die Luken, und das Schieferdach prallte vor Glut. Ja, es war nicht alles schön!
Bredenhofer seufzte, ließ den Pinsel aus der Hand sinken und lehnte sich müde zurück.
Im Frühjahr war's besser gewesen; er wußte selbst nicht, wie es kam, aber nun mehrten sich die Sorgen von Tag zu Tag – oder sah er sie nur klarer? Merkwürdig, daß sie nie auskamen, und sie sparten so! Lena war so anspruchslos und er selbst? Er brauchte doch gar nichts für sich. Abends mal eine Flasche Wein, das war ihm durchaus nötig, sowohl zur Nachtruhe als zu der Anregung, ohne die er nichts schaffen konnte. Und wofür gaben sie denn sonst noch Geld aus? Ach, da waren so viele kleine Dinge, die neben den großen Ausgaben, wie Miete, Steuer, Kleidung, Mädchenlohn herliefen. Den Doktor hatte man auch gebraucht; vier Wochen hatte sich der junge Ehemann mit der garstigen Erkältung von seinem Hochzeitstag her herumgeschlagen.
Es muß wohl sein, daß man alle Mißstände nicht so empfindet, wenn man im ersten Taumel der Liebe ist. Bredenhofer und Lena hatten gelacht, weil Onkel Hermann hartnäckig schwieg, und ihn einen alten eigensinnigen Junggesellen genannt, der schon klein beigeben würde. Mit Leichtsinn hatten sie sich über Langens kühler und kühler werdende Briefe hinweggetäuscht; zuletzt schrieb er gar nicht mehr an Lena, nur durch die Mutter hörten sie noch von ihm.
Und Allensteins? Die junge Frau hatte sich gegen jede Bevormundung entschieden gewehrt, und der Gatte ihr beigestanden. Susanne war verletzt und zog sich zurück. Das war immerhin schmerzlich für Bredenhofer und aufreibend dazu. Er hatte Szenen mit der Schwester seiner Frau wegen und doch von dieser keinen Dank; und Szenen mit Lena, Susannes wegen, und von der auch keinen Dank.
Die einzige, mit der sie sich standen, war die Mutter. Aber diese konnte es auch nie lassen, ihren Besorgnissen Ausdruck zu geben und um die Entfremdung zwischen ihren Kindern zu jammern. Das war auf die Dauer zum Nervöswerden. Der junge Mann konnte es nicht ertragen; er war sehr artig gegen die Schwiegermutter, aber er ging meist fort oder zog sich in sein Atelier zurück, wenn Frau Langen zu Besuch kam. Als ob die das nicht gemerkt und sich bei Lena empfindlich darüber geäußert hätte.
Und dazu die pekuniären Sorgen! Als Junggeselle war Bredenhofer so flink in die Tasche gefahren! Es hatten sich immer hilfreiche Beutel gefunden, Onkel Hermann war besonders generös; jetzt stand ihm kein Mensch mehr bei, jetzt, wo er es viel nötiger gehabt hätte! Weiß Gott, die Proletarier hatten's besser, die brauchten nicht den Schein zu wahren.
Der junge Mann sah blaß und abgespannt aus, seine Augen waren müde, und das Haar klebte ihm in feuchten Ringeln an den Schläfen. Mit Unlust griff er wieder zum Pinsel, er gähnte dabei. In dieser gewittrigen Sommerluft hatte er eine Schwere in den Gliedern, eine bleierne Müdigkeit, die ihn lähmte. Er überlegte sich's, ob er ausgehen sollte oder nicht; er mußte dann die vier Treppen doch wieder herauf. Appetit hatte er gar nicht mehr, er aß eigentlich nur, weil Lenas große Augen immer so flehentlich auf seinen Teller sahen. Diese Blicke konnten direkt eine Qual sein, er fühlte dann eine nicht zu unterdrückende Gereiztheit gegen seine Frau in sich aufsteigen. Und er liebte sie doch! Ja, sicherlich! War sie nicht bei ihm, hatte er eine Unruhe, bis sie da war – wo blieb sie, was trieb sie? Saß sie bei ihm, so kam es ihn mitunter an, er mußte sie tadeln, reizen, von Dingen mit ihr sprechen, die ihr unangenehm waren. Sie brausten beide auf, sie bekamen rote Köpfe – und dann, wie süß war die Versöhnung! Langweilig, wer sich immer vertrug!
Er überhörte das Klopfen an der Tür; was er dachte, wußte er selbst nicht, grau und schwer, in unerquicklichem Durcheinander wogte ihm alles im Kopf.
Jetzt klopfte es wieder.
»Herein!«
Doktor Reuters liebenswürdiges Gesicht schaute ins Atelier. »Ah, mein junger Freund, dachte schon. Sie wären auch nicht zu Hause; habe vier-, fünfmal geklopft!«
»Verzeihen Sie!« Bredenhofer sprang auf.
»So fleißig?« Reuter trat an die Staffelei und betrachtete das Bild. Er ging dicht heran und dann wieder zurück, hielt die hohle Hand vors Auge und prüfte mit Kennermiene. »Wo haben Sie denn das her? Bei Gott, gar nicht übel!«
Der Künstlerstolz regte sich in Bredenhofer, er glaubte entschiedene Bewunderung aus Reuters Worten herauszuhören. Sein müdes Gesicht belebte sich. »Die Felsen von Gerolstein bei Sonnenuntergang«, erklärte er. »Sie wissen, ich war vergangenen Herbst dort, um Studien zu machen; die Eifel ist noch nicht überflutet von eifrigen Touristen. Jetzt denke ich über den Titel des Bildes nach, es muß etwas Sinnvolles darunter; diese grauen vorsintflutlichen Blöcke mit dem verklärenden Schein sind gewissermaßen symbolisch aufzufassen.«
Doktor Reuter spitzte die Ohren. »Sind Sie bald mit dem Bild fertig?« fragte er.
»Fertig? O nein!« Bredenhofer trat zurück und legte den Kopf betrachtend auf die Seite. »Hätte ich nur Farben, Farben!« Im Eifer kam er heran und tupfte auf die frische Malerei. »Sehen Sie hier dies Rot, das muß ganz anders wirken und glühen! Und in den Felsspalten gefangene Sonnenstrahlen, die das gähnende Dunkel der Klüfte magisch durchleuchten! Hierher müssen ein paar wundervolle Reflexlichter, und hier, sehen Sie wohl? Da ist es schon ganz lichtlos, das graue Gestein wirkt vollständig abgestorben, während sich noch am Himmel ein leuchtendes Farbenspiel entfaltet.«
»Ein sehr schönes Bild,« sagte Reuter, »in der Tat, außerordentlich wirkungsvoll!«
»Ja!« Bredenhofer sah mit begeisterten Augen auf sein Werk, er hatte rote Backen bekommen und lächelte. »Ich male vielleicht noch einen einsamen Vogel, der aus gähnend dunkler Felsenspalte sich emporschwingt und sich gleich der suchenden Seele im Flammenschein des Himmels verliert; seine ausgebreiteten Schwingen sind von einer Glorie umsäumt. Denken Sie sich, wie das wirken wird!«
»Wundervoll, wundervoll!« Doktor Reuter war ganz enthusiasmiert, »Sie sind ein Poet!« Er umarmte den jungen Mann. »Wissen Sie was, lieber Freund? Dies Bild müssen Sie ausstellen, unzweifelhaft, unbedingt; Sie haben Ruhm und Ehre davon!«
»Das sagen Sie so – ausstellen – ja ausstellen,« meinte Bredenhofer, »das wäre wohl das Richtige. Aber bei den Kunsthändlern ist so schwer anzukommen, ich mag es nicht wieder umsonst versuchen. Sie nehmen nur berühmte Namen,« setzte er mit Bitterkeit hinzu.
»Oho, das wäre!« Reuter strahlte vor Wohlwollen, er schlug sich auf die Brust. »Wofür wäre denn unsereiner da mit seinen Konnexionen? Noch schöner! Man hat sein Leben lang den Mäcen gespielt, und da sollte einem nicht mal ein Urteil zugetraut werden? Ich sage, das Bild ist gut, sehr gut« Diese Stimmung, diese Beleuchtung! Jeder Kunsthändler nimmt's, und Käufer werden sich finden – na, ich sage Ihnen, mehr als einer!« Er legte dem Beglückten bedeutungsvoll die Hand auf die Schulter: »Sie werden sich dieser Stunde noch erinnern und der Worte, die ich zu Ihnen gesprochen habe. Passen Sie auf, mit diesem Bilde betreten Sie die Leiter, die immer höher und höher führt! Ja, mein lieber junger Freund!«
Ueber Bredenhofers Gesicht lief ein freudiges Rot und ließ die etwas spitz gewordenen Züge wieder voll erscheinen. Seine Gestalt hob sich unwillkürlich, und nun breitete er die Arme aus und warf sich Reuter an die Brust. »Ich danke Ihnen«, sagte er mit knabenhafter Heftigkeit. »Ja, es wird gelingen, es muß gelingen!« Seine Augen strahlten, seine Stimme bekam einen klangvolleren Ton. »Ich weiß es genau, es gelingt, und dann – ade Quälerei und Pfennigfuchserei! Lena soll es gut haben, und ich selbst« – er sah mit einer gewissen Scheu auf seine gelben durchsichtigen Hände – »werde wieder der Alte! Wissen Sie« – er nahm Reuter vertraulich unter den Arm und wanderte mit ihm auf und nieder – »wenn man's nicht gewohnt ist, ist das Sparen verdammt schwer. Es bekommt einem nicht!«
Der alte Mann mit dem jünglingsfrischen Gesicht sah den jungen Mann mit dem merkwürdig – »alten Zug« konnte man nicht sagen, aber – »müden Zug« besorgt von der Seite an. »Was haben Sie, Bredenhofer?« fragte er herzlich. »Sie haben so eine liebe, reizende Frau, Sie stecken beide voll von Talenten, eigentlich sind Sie ein ganz ideales Paar, und es drückt Sie doch was?«
»Lieber, verehrter Herr Doktor, Sie haben mir eine große Wohltat erwiesen, mir ist, als hätte ich einen Verjüngungstrank im Leibe. La la – lalala!« Leise trällernd stellte er sich wieder vor sein Bild. »Diese Reise nach Gerolstein hat mir doch Glück gebracht, viel Glück!« Er lachte. »Wo nur Lena stecken mag? Die wird Augen machen! Ich sage es ihr nicht gleich.«
»Bitte, grüßen Sie Ihre liebe Frau vielmals!« Reuter legte die Hand aufs Herz und blickte enthusiastisch nach oben. »Süßes, bezauberndes Frauchen! Adieu, adieu, junger Meister, also das Bild fertiggemacht und dann – das Weitere übernehme ich!«
Sie schüttelten sich die Hände. Mit einem Lächeln sagte Reuter noch: »Ich bin sehr eilig, habe noch ein paar Atelierbesuche versprochen, und dann hole ich die Perriccioni – Sie wissen, den neuesten italienischen Opernstern, gastiert augenblicklich hier – zu einer Spazierfahrt ab. Ich soll den Cicerone unseres Berlins machen. Ich sage Ihnen, hinreißendes Persönchen!« Er küßte entzückt seine Fingerspitzen. Reuter tänzelte in der Stube auf und nieder, man sah, wie ihn die Unruhe packte.
»Die muß ja sehr schön sein«, sagte Bredenhofer zerstreut.
»Also, auf Wiedersehen, grüßen Sie Frau Lena!
Er war gegangen, Bredenhofer allein in seinem Atelier. Ein stärkerer Windhauch kam durchs Fenster und wehte die losen Blätter vom Schreibtisch auf die Erde. Bredenhofer raffte sie auf und warf sie achtlos auf ihren früheren Platz – wozu brauchte er die Zettel noch?! Nun hatte er's bald nicht mehr nötig, für fünfundzwanzig Mark kleine Artikel in Tageszeitungen zu schreiben und zu zittern, ob sie überhaupt angenommen würden! Mit einer raschen Wendung drehte er sich ganz seinem Bilde zu und stand nun da, regungslos, es unverwandt mit liebevollem Blick betrachtend. Das war also die erste Staffel auf der Leiter des Ruhms!
Ein lange nicht mehr gekanntes Wohlgefühl erfaßte ihn, eine Lust, zu jauchzen und über die Stränge zu schlagen. Und zugleich ein fieberhafter Tätigkeitstrieb, ein Drang, fertig zu werden, der Welt das vollkommene Werk zu zeigen.
Er fing an zu malen und malte, ohne nur einmal prüfend innezuhalten und mit kritischem Blick seine Arbeit zu mustern; er malte mit klopfenden Pulsen und einem abgezirkelten Rot auf den Backenknochen.
Der glückliche Ausdruck blieb auf seinem Gesicht, leise pfeifend arbeitete er weiter. Der Schweiß perlte ihm auf der Stirn und lief langsam an der bleichen Schläfe nieder; er merkte es nicht.
Vorsichtig wurde die Tür geöffnet, und Lenas erhitztes Gesicht unter dem breitrandigen Strohhut guckte herein. Sie lächelte schelmisch, auf den Lippen brannte ihr das wichtige Ereignis, am liebsten hätte sie's ihm gleich laut entgegengeschrien. Sie drückte die Blumen an den Mund, als müsse sie ihn so verschließen.
Er arbeitete, ohne aufzusehen. Dabei war die Beleuchtung nicht mehr günstig, ein gewitterkündender gelblicher Schein gab falsche Reflexlichter.
»Richard!«
Er hörte sie nicht. Mutwillige Grübchen vertieften sich in ihren Wangen, sie nahm den Rosenstrauß und schleuderte ihn im Bogen. Er traf die Staffelei, prallte gegen das Bild und fiel dann zur Erde; die einzelnen Rosen lösten sich und lagen entblättert.
Bredenhofer war mit einem lauten Ruf zusammengefahren; man sah's ihm an, wie er sich erschreckt hatte. Jetzt war er unwillig.
»O Richard, sei nicht böse!« Lena rannte auf ihn zu und umschlang ihn mit beiden Armen. »Ich habe dich nicht erschrecken wollen, nur mit Rosen aus deiner Träumerei wecken. Sei nicht so ärgerlich! Hör' nur, hör' nur!« Sie küßte ihn mit ihren warmen Lippen. »Ich bringe was Gutes mit, rate!«
»Was denn?« Er sah sie freundlich an und streichelte sie, dann aber wandte er sich wieder seinem Bilde zu. Die Rosen lagen unbeachtet am Boden, jetzt zertrat er sogar eine.
Lena bückte sich und sammelte sie langsam auf. »Die armen Dinger«, sagte sie leise.
Ein paar Minuten vergingen, in denen er eifrig malte; die junge Frau hielt es nun doch nicht länger mehr aus. Sie platzte heraus: »Ich war bei Dämel, dem berühmten Professor, meinem früheren Lehrer, ich habe ihn gebeten, er soll mir Engagements verschaffen oder Stunden. Nun soll ich bei ihm begleiten, drei Vormittage in der Woche; und denke, Richard, ich bekomme siebzig Mark den Monat dafür! Siebzig Mark! Ist das nicht wundervoll? So viel Geld! Ich bin ganz glücklich!« Sie schlug die Hände zusammen und drehte sich wie ein Kind auf dem Absatz. Plötzlich hielt sie inne. »Aber was machst du denn für ein Gesicht, Richard? Bist du böse, weil ich heimlich gegangen bin?
Er hatte eine finstere Falte auf der Stirn und war dunkelrot. »Wie konntest du?« Zornig stampfte er auf den Boden. »Was denkst du, was fällt dir ein? Siebzig Mark den Monat – für solch ein Lumpengeld!! Und wären's hunderte, ich würde es nie zugeben! Deine zarte Brust am Klavier zusammendrücken, wie eine Maschine die Noten abhaspeln, deine Kunst herabwürdigen, dich mir halbe Tage entziehen – nein, nein! Kind« – er lachte hell auf und griff nach ihrer Hand – »das schlage dir nur aus dem Sinn!«
Sie senkte den Kopf tiefer, und tiefer. Nein, das Los des Begleiters war ihr eigentlich immer grauenhaft erschienen; nun hatte sie sich aber einmal in den Gedanken hineingesponnen. Die Aussicht, zu verdienen, sich selbst aufzuopfern, war ihr mit jeder Minute beglückender erschienen.
Sie wurde blaß. »Wir brauchen aber doch Geld.«
»Närrchen!« Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie neben sich vor das Bild. »Sieh dir das mal an! Eben war Reuter hier. Das hier wird etwas; er sagt: ein Meisterwerk! Es kommt auf die Ausstellung, wir verkaufen es, und du wirst wohl begreifen, daß mir um siebzig Mark meine Frau keinen einzigen Vormittag feil ist. Nein, mein Herz, und wenn uns auch dieses Glück nicht blühte, daß du, du, armseligen Stümpern dich anpassen sollst, das würde ich nie zugeben! Ich liebe dich viel zu sehr!«
»Aber ich wollte doch so gern –«
Er achtete gar nicht auf ihren Einwand. »Lena freue dich, freue dich mit mir!« Er hob sie mit beiden Armen ein wenig in die Höhe; sie machte sich schwer; es gelang ihm nicht recht. »Nun haben die pekuniären Sorgen bald ein Ende, und auch die anderen« – er lachte übermütig – »pah! Wir haben dann deinen Bruder nicht mehr nötig; daß wir was von ihm annehmen, drückt mich schon lange. Mutter braucht auch nicht mehr zu jammern. Sie können mir alle im Mondschein begegnen!«
Lena sah das Bild wie durch einen Flor, sie konnte sich nicht freuen, sie war so sehr enttäuscht. Er hatte kein einziges Wort der Anerkennung für sie; der Weg zum Professor war nicht so leicht gewesen.
Mit einem wehen Gefühl im Herzen machte sie sich frei und trat an das gardinenlose Fenster. Draußen schwefeliges Licht, am Himmel dunkle Wolkenballen.
»Gefällt dir mein Bild nicht? Du sagst ja kein Wort«, sprach Bredenhofer vor der Staffelei. »Ich finde das sehr merkwürdig von dir«, setzte er nach einer Pause gereizt hinzu.
Sie wandte den Kopf halb nach ihm, der Ausdruck seines Gesichtes gefiel ihr nicht – das war Eitelkeit! Sie bemerkte es zum erstenmal. Nun gerade nicht!
Wie beklommen die Luft war, so schwer wie Blei! Angelegentlich starrte sie durchs Fenster. Die Welt so trüb, so erlösungsbang! Und es kam kein Donner, kein befreiender Blitzstrahl. Die dumpfe Luft brütete weiter und weiter.
Lena stand da, die Hände ineinandergepreßt; sie sah sehr blaß aus in dem fahlgelben Licht. Langsam, unabweislich überkroch sie ein häßliches Gefühl, ein Gefühl, das schmerzte und das Herz zusammenschaudern ließ.
Sie empfand das Gefühl in seiner ganzen trostlosen Traurigkeit. – – – Nicht glücklich – – – –?! Wer hatte das gesagt? Lena schreckte zusammen, aus ihren Augen fielen heiße Tropfen auf ihre verschlungenen Hände.
»Wie fatal!« Bredenhofer sprang von der Staffelei auf und warf ärgerlich Pinsel und Palette hin. »Alle Beleuchtung ist fort! Es regnet!«