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»Die Herrschaften würden ersucht, abends spät nich mehr Musik zu machen«, meldete Grete mit ziemlich impertinenter Miene. Sie hatte eben das Frühstück auf den Tisch gesetzt und stand nun in der Tür, den einen Arm in die Seite gestemmt, mit der andern Hand wohlgefällig die Schürze streichend; das war ihre beliebte Stellung.
Draußen ein grauer Morgen, vielmehr schon Vormittag; kein Sonnenstrahl tänzelte über den Frühstückstisch, die rosa Decke sah fahl aus in der farblosen Beleuchtung. Die Blumen am Fenster ließen die Köpfchen hängen, sie waren noch nicht gegossen. Auf dem Teppich unterm Flügel lag der Veilchenstrauß, ein welker Klumpen.
»Was ist los?« fragte Bredenhofer.
»Na, die Herrschaften möchten nich Musik machen«, wiederholte Grete. »Um sieben haben sie mir schon rausgeklingelt unten von Rentiers. Er und sie sind schon alt und die Tochter is nervenschwach. Was en anständiges Haus is, da darf doch nach zehne nich so'n Radau mehr sein«, setzte sie hinzu und verschwand.
»Also »Radau« – so so!« Der junge Mann lachte nervös. »Das ist ja sehr schmeichelhaft für uns! Dein herrlicher Gesang – Radau! Es ist toll.«
Lena streichelte ihn: »Aergere dich nicht, Richard – heute nicht, am ersten Morgen, heute nicht!«
Einen Augenblick ließ er sich ihre Liebkosung gefallen, dann schob er die Tasse zurück und sprang auf: »Ich lasse mir das nicht bieten, ich gehe zu den Leuten hinunter; ich kann in meinem Hause machen, was ich will! Ich – da klingelt es, vielleicht haben sie sich wieder zu beklagen. Um Gottes willen, doch nicht etwa schon Besuch?«
Lena errötete, sie hatte draußen die Stimme der Mutter erkannt.
Es wurde geklopft.
»Herein!«
Auf der Schwelle stand Frau Langen; sie lächelte, hatte dabei Tränen in den Augen und streckte die Arme nach ihrer Tochter aus. Als sie Lena umhalste, hatten sich glücklich die Tränen gelockert, sie flossen ihr über die Wangen.
Lena machte ein bestürztes Gesicht – was war denn hier zu weinen? Mit einer gewissen Befangenheit half sie der Mutter ablegen.
Der junge Ehemann trat unschlüssig im Zimmer umher. Er fühlte sich ungemütlich, bei diesen Tränen gar nicht am Platz; auch eine Erkältung steckte ihm in den Gliedern, kalt rieselte es ihm den Rücken herunter, und im Halse spürte er Brennen. Jetzt mußte er niesen und nun husten.
»Um Gottes willen, Richard!« sagte Frau Langen erschrocken; es war das erstemal heute, daß sie den Schwiegersohn direkt anredete. »Nimm dich nur in Acht! Du bist nicht allzu fest; wie schrecklich für Lena, wenn du gleich krank würdest!«
»Warum soll ich denn krank werden?« Bredenhofers Stimme klang ungeduldig. »Liebe Mama, gerade um diese Jahreszeit haben sehr viele Menschen den Schnupfen. Uebrigens, wenn ich krank würde, wäre es Lenas schönste Pflicht, mich zu pflegen.« Das letzte sagte er herausfordernd, er ärgerte sich über seine Schwiegermutter.
»Ach Gott, die Sorgen!« seufzte diese.
Wenige Augenblicke herrschte nun Schweigen. Der junge Mann trommelte nervös auf die Fensterscheiben, die junge Frau sah von einem zum andern, eine gewisse Unruhe hatte sich auch ihrer bemächtigt.
Die Stube sah wenig nach Freude aus.
»Wie hübsch die alten Möbel sich hier ausnehmen!« meinte Frau Langen endlich, aber sie sagte es in einem vorwurfsvollen Ton. »Ihr hättet eigentlich das Sofa nicht beziehen zu lassen brauchen, es war noch ganz gut. Aber wie ihr wollt; junge Leute haben eben ihre eigenen Ansichten. Möchtet ihr auf diesem Sofa so glückliche Stunden verbringen, wie dein verstorbener Vater und ich sie darauf verlebten, Lena!« Sie wischte sich die Augen. »Meine liebe Tochter, möchtest du glücklich, recht glücklich werden!«
Lena umarmte die Mutter; auch sie war bewegt. Ihr war heut merkwürdig weich zu Sinn, ihr Herz klopfte erregt, und ohne Grund stiegen ihr ab und zu Tränen in die Augen; sie fühlte sich auf einmal so wichtig, so verantwortungsvoll, und sie konnte sich einer gewissen Schwere, die auf ihr lag, nicht erwehren. Trauerte sie um entschwundene Mädchentage? Sie waren doch nicht alle so grau gewesen, wie sie gestern abend gewähnt.
»So, nun wollen wir einmal in deine Küche gehen,« sagte Frau Langen, »du mußt dich doch ein bißchen kümmern.«
»Ach, Lena braucht sich nicht um die Küche zu kümmern!« Bredenhofer trommelte stärker auf die Scheiben. »Dafür ist ja das Mädchen da. Ich will nicht, daß Lena mit erhitzten Backen am Kochherd steht oder sich sonst abrackert, das fördert nichts, schadet nur ihrer Stimme. Wenn sie erst eine berühmte Sängerin ist, bringt ihr ein einziger Liederabend tausendmal mehr ein als ihr ganzes Wirtschaften im Hause. Und wenn ich mit meinem Buch »Robert Schumann« zu Ende bin, halte ich Lena noch ein zweites Mädchen; oder wir ziehen vielleicht in ein Hotel, dann ist sie den Hausstand ganz los.«
»Robert Schumann?« Lena spitzte die Ohren. »Wie schön, oh, du schreibst über meinen Liebling! Davon wußte ich ja gar nichts!« Sie klatschte in die Hände. »Robert Schumann, Robert Schumann! Wann hast du angefangen, bist du schon weit?«
»N–ein, noch nicht! Es fiel mir gestern abend ein, als du sangst. Aber den Gedanken zu fassen ist die Hauptsache, die Ausführung kommt von selbst; besonders, wenn man eine solche Schumann-Interpretin zur Seite hat!« Er sah sie zärtlich an, kam vom Fenster auf sie zu und legte den Arm um ihre Taille. »Meine Lena, du sollst alles haben, was dein Herz begehrt, wenn ich nur erst –«
»Wenn, wenn«, unterbrach ihn die Schwiegermutter. »Ja, mein lieber Sohn, da werdet ihr aber sehr viel Geld brauchen, wenn Lena sich nicht um den Hausstand kümmert. Man kann auch dem besten Mädchen nicht alles überlassen, und eure sieht etwas unbescheiden aus; ich hätte sie nicht gemietet, ich sagte es ja auch, aber junge Leute muß man gewähren lassen! Nur um eins möchte ich dich bitten, Lenachen, schreibe bald an deinen Bruder. Fritz wird doch sehr herdenken, und er benimmt sich so prächtig, so opferfreudig; ihr dürft das nie vergessen, Kinder!«
Bredenhofer räusperte sich ungeduldig, eine heftige Entgegnung wegen der Opferfreudigkeit des Schwagers schwebte ihm auf den Lippen. Er suchte Lenas Blick; sie hielt die Augen gesenkt, ein gedankenvoller, wie ihm schien, wehmütiger Zug spielte um ihren Mund. »Gewiß, Mama,« sagte er hastig, »Lena mag schreiben, meinetwegen gleich jetzt. Da Lena den Bruder so über alles zu stellen scheint, bin ich gewiß der letzte, der ihr in dieser Beziehung etwas in den Weg legt.« Ein bittres Lächeln trat auf sein Gesicht und ein leises Vibrieren in seine Stimme: »Da ich Lena ja auch so wenig bieten kann, ist es ganz klug, wenn sie sich an den Bruder hält.«
»Verständig, sehr verständig von dir, mein lieber Sohn«, sagte Frau Langen. Sie war ganz erleichtert und der frohen Hoffnung voll, doch nach und nach ein gutes Verhältnis zwischen ihren Kindern herzustellen. Seit sich in der letzten Zeit so viel Widerwärtiges durch Lenas Verlobung zugetragen, war der Sohn entschieden in ihrer Liebe aufgerückt.
»Ja, Fritz ist ein außerordentlicher Mensch«, nickte sie. »Es freut mich sehr, daß du das einsiehst, lieber Richard!«
Lena sah rasch auf, ihr Mann hatte eine unwillkürliche Bewegung gemacht; sie faßte nach seiner Hand, sie hatte die Bitterkeit, das Vibrieren in seinem Ton wohl herausgehört. Es war unglaublich von der Mutter, dies peinliche Thema zu berühren! »Mutter,« sie hob den Kopf mit einem gewissen Trotz, »ich glaube kaum, daß ich heut zum Schreiben an Fritz komme. Es hat ja auch gar keine Eile!«
»Aber, Lena!« Frau Langen fiel aus allen Himmeln. »Dein Herz treibt dich nicht dazu?«
»Schreibe nur, schreibe!« Bredenhofer zog die Hand aus der seiner Frau und fuhr sich durchs Haar.
Nun war auch der Mutter der gereizte Ton ausgefallen, sie wollte begütigen und wußte doch nicht recht, wie. Verdutzt sah sie von der Tochter auf den Schwiegersohn, vom Schwiegersohn auf die Tochter.
Die Klingel fuhr wie eine Erlösung dazwischen.
»Besuch?« Frau Langen griff rasch nach ihren Sachen. »Da will ich nicht stören!« Sie machte Miene, durch die andre Tür zu verschwinden. Das war gewiß jemand von der Familie, von Allensteins! Sie hatte nicht Lust, mit denen zusammenzutreffen, das Verhältnis war doch etwas gespannt.
»Mutter, bleibe doch!« Lena hing sich an sie und ließ sie nicht fort; ihr graute plötzlich vor der Schwägerin, es war ihr eine Stütze, die Mutter neben sich zu haben.
Bredenhofer war zur Tür geeilt; eben riß Grete sie auf in der ihr eigentümlichen forschen Manier: »Frau Doktor Allenstein!«
Susanne rauschte über die Schwelle, sehr elegant gekleidet, einen mächtigen Blumenstrauß vor sich her streckend. »Ich gratuliere, ich gratuliere,« sagte sie mit forciert fröhlicher Stimme, »alles Gute im neuen Heim! Liebe Lena« – sie küßte die junge Frau flüchtig auf die Wange – »lieber Richard!«
»Susanne, wie reizend von dir! Liebe Susi!« Er küßte die Schwester mit besonderer Zärtlichkeit.
»Ich wollte doch euer erster Besuch sein, drum – ah!« Frau Allenstein hatte die Schwiegermutter erblickt, sie versank in eine förmliche Verbeugung – »Gnädige Frau!«
Ebenso steif grüßte Frau Langen wieder; wie unangenehm, nicht einmal eine Viertelstunde mit der Tochter allein sein zu können!
Lena hatte die Mutter kaum je so zurückhaltend gesehen; sie hatte keine Ahnung, daß gestern, nachdem sie mit Richard die Hochzeitstafel verlassen, noch manche anzügliche Bemerkung gefallen war. Das Verhältnis der Familien war entschieden nicht gebessert. Ihr wurde heiß und kalt; im Augenblick fiel ihr auch gar nichts ein, was sie hätte sagen können, nicht das geringste Harmlose. So sagte sie nur: »Bitte, Susanne, nimm Platz!« Sie selbst setzte sich steif hin.
Frau Langen und Frau Allenstein hatten auf dem Sofa Platz genommen; sie waren beide nicht umfangreich, so dünn jedoch auch nicht, daß solche Lücke zwischen ihnen zu sein brauchte.
»Ist Ihnen der gestrige Tag gut bekommen, gnädige Frau?« fragte Susanne und kniff dann die Lippen zusammen, als fürchte sie, schon zu verbindlich gewesen zu sein.
»Danke, ebenfalls leidlich.«
»Das freut mich.«
Sie neigten stumm die Köpfe gegeneinander.
Das war ja eine reizende Unterhaltung! Vor Lenas Augen wurde es dunkel. Sie hätte aufspringen, der Schwägerin den Strauß aus den Händen reißen und vor die Füße werfen mögen.
Als hätte Frau Allenstein diese Gedanken erraten, so wendete sie sich jetzt ganz an den Bruder: »Mein lieber Richard, nimm diese Blumen als Zeichen meiner Wünsche! Du weißt, wie ich's mit dir meine.« Ihre Stimme wurde merkwürdig weich, und ihre Augen glänzten feucht. »Mein geliebter Richard, möchtest du immer glücklich sein, möchte jede Enttäuschung dir erspart bleiben!« Von einem Seufzer begleitet, klangen diese Worte ahnungsschwer.
Lena und ihre Mutter wechselten rasch einen Blick. Frau Langens feines Gesicht rötete sich vor Unmut, sie war in der Tochter Seele hinein beleidigt. Sie erhob sich plötzlich. »Es ist jetzt wirklich Zeit, daß ich gehe!«
Bredenhofer hielt sie nicht zurück, auch Lena nicht; diese ungemütliche, geschraubte Situation war wirklich kaum zu ertragen. Sie gab der Mutter das Geleit; draußen im Korridor flüsterte Frau Langen: »Diese unangenehme, gräßliche Frau! Adieu mein liebes, liebes Kind, Gott behüte dich!« Sie küßte die Tochter wiederholt; und schon im Hinausgehen: »Ich mag wirklich nicht wiederkommen, wenn die Allenstein da ist; laß mich's lieber vorher wissen. Adieu, mein Kind!« Wieder ein Kuß, und dann war sie fort.
Lena stand einen Augenblick im dunklen Gang und besann sich. Der mitleidsvolle Ton der Mutter hatte ihr wohl getan und weh zugleich. War sie denn bemitleidenswert? Nicht glücklich, glücklich über alle Maßen? Sie rieb sich mit zwei Fingern die Stirn; die kleine böse Falte mußte weg, die sich da einnisten wollte. Langsam trat sie in die Stube zurück.
Da saß jetzt Richard neben der Schwester auf dem Sofa, hatte den rechten Arm um sie gelegt, den linken streckte er nach Lena aus. »Komm, meine Geliebte, meine süße Frau!«
Susanne lächelte und drohte mit dem Finger: »Ei, ei, so verliebt!«
Sollte das malitiös sein? Lena, die gern, ach so gern dem Ruf ihres Mannes folgen wollte, hielt sich zurück. »Laß nur, Richard«, sagte sie mit einer angenommenen Gleichgültigkeit, die ihr nicht stand. Vor der da die zärtlichsten Gefühle bloßlegen? Nein!
Bredenhofer schien die Verstimmung seiner Frau weiter nicht zu bemerken, er beschäftigte sich angelegentlich mit der Schwester. Jetzt, an diesem großen Wendepunkt seines Lebens, fühlte er doch, wie fest das Band war, das ihn mit ihr verknüpfte. Es war ihm so natürlich, sie an seinem Glück teilnehmen zu lassen.
»Hat er denn ganz vergessen, was vorangegangen ist?« fragte sich Lena mit Bitterkeit.
»Nun muß Susanne aber unser ganzes Heim sehen«, rief der Ahnungslose fröhlich. »Herzchen,« er nickte seiner jungen Frau zu, »zeige Susanne deinen Wäscheschrank und deine Küchengeheimnisse, sie kann dir manchen guten Rat geben. Liebe Susi, hier ist unser Wohnzimmer, und siehst du, hier« – er führte die Schwester am Arm ins Nebenzimmer, seine Stimme verklang hinter der Tür.
Langsam folgte Lena; sie hatte gar keine Lust der Schwägerin alles zu zeigen.
Richtig, da hatte doch Richard wirklich schon den Schrank im Eßzimmer aufgerissen und zerrte die Gedecke und das Leinenzeug hervor! Er strahlte vor Freude, und Frau Allenstein stand dabei, das langgestielte Lorgnon vor die Augen haltend. »Ist das nicht reizend? Findest du nicht, daß wir alles sehr schön haben?« fragte er sie jeden Augenblick.
»Oh ja, oh ja,« nickte Frau Allenstein, »sehr nett! Liebe Lena, wirst du dich denn aber hier zurechtfinden? Du hast dich doch nie mit dergleichen beschäftigt. Na, so viel ist's ja nicht! Wißt ihr aber, Kinder, was euch noch not tut? Ihr habt nur ein Gedeck zu zwölf Personen; wenn ihr auch keine Gesellschaften geben werdet, das ist doch zu wenig. Erlaube, liebe Lena« – sie wendete sich mit wohlwollender Miene zu der jungen Frau »daß ich dir noch eins von mir zur Verfügung stelle. Und zweimal Bettwäsche kannst du auch noch bekommen. Kind, Kind, zerknittere doch die Servietten nicht so – halt!« Sie legte ihre Hand auf Lenas Ann.
Diese hatte mit zuckenden Fingern das blaue Band, mit dem ein Stoß Servietten zusammengebunden war, auf- und zugeknüpft.
»O Susi, du bist zu gut. Aber findest du denn nicht, daß wir alles sehr reichlich haben?« setzte er fast angstvoll hinzu.
Man sah's Frau Allenstein an, sie wollte nicht verletzen; es war ihr peinlich. »Oh, es genügt vorderhand vollkommen«, sagte sie ausweichend.
Richards strahlende Miene hatte sich umzogen, seine Stimme klang herabgedrückt: »Ja, du hast recht, man versteht's eben nicht.« Er sah Lena an, ihr glanzloser Blick fiel ihm auf. »Ist dir etwas, mein süßes Liebchen? Entschuldige, Susanne« – er schob die Schwester beiseite – »aber Lena ist müde. Bist du müde, Lena, mein Engel?«
»Wovon?« fragte sie mit blassen Lippen. »Ich bitte, Susanne, komm weiter!«
Sie öffnete die Tür zum dritten Zimmer.
»Hier schlafen wir, und da geht es auf den Korridor zur Küche.«
Sie gingen weiter; Frau Allenstein war entschieden guter Stimmung, die wieder vorbrechende Innigkeit des Bruders stimmte sie weich.
Lena zeigte alles; mit einer müden Gleichgültigkeit zog sie jeden Schub auf und stieß ihn wieder zu. Das interessierte sie alles so herzlich wenig, und sie mußte doch so tun; am liebsten hätte sie sich da auf den Küchenschemel gesetzt, auf dem jetzt Grete saß und Kartoffeln schälte, und hätte geweint wie ein Kind.
Das undefinierbare Parfüm, das Frau Allenstein an sich hatte, reizte ihr die Nerven. Wie ihr Mann, ihr Richard, mit der Schwester sprach! Das machte sie ganz krank. Immer fügte er sich deren energischer Meinung mit einer Geschmeidigkeit, die ihr mißfiel. Als Frau Allenstein das Mädchen unterwies, die Kartoffeln nicht zu dick zu schälen, fuhr auch der junge Hausherr Gretchen an.
Das Mädchen machte ein impertinentes Gesicht und suchte mit Lena einen Blick zu wechseln. Das gelang ihr nicht; mit offenen Augen, ohne zu sehen, ging jene umher.
Endlich entschloß sich Susanne zum Abschied; da sie in der Theorie eine vorzügliche Hausfrau war und jetzt, am Schlusse der Saison, nicht mehr täglich Gesellschaften in Aussicht hatte, versprach sie, recht oft zu kommen, um Lena hilfreich zur Seite zu sein. Im Eifer, dem Bruder beizustehen, vergaß sie ganz die eigene schwache Konstitution. Sie umarmte den Bruder und küßte auch Lena.
Ihr Schritt verhallte auf der Treppe. Richard hielt noch die Korridortür offen und sah ihr nach.
»Lena, mein Liebling,« er breitete die Arnie nach ihr aus, »endlich sind wir wieder allein!«
Sie wich ihm aus und ging vor ihm her in die Stube. Er ihr nach – was hatte sie?
Da kauerte sie auf dem drehbaren Stuhl vor ihrem Flügel, hatte die Ellbogen auf die Klaviatur gestemmt, daß die mißhandelten Tasten dumpf wimmerten, und drückte das Gesicht in die Hände.
Im Augenblick war er bei ihr, in überströmender Zärtlichkeit rief er ihren Namen; er war zu Tode erschrocken.
Wie ein Kind, das sich fürchtet, umklammerte sie ihn jetzt und versteckte ihr Gesicht an seinem Halse. »Oh, ich mag sie gar nicht,« schluchzte sie, »ich mag sie gar nicht! Wie soll das werden? Sie macht mich krank, sie lähmt mich; ich fühle, wie sie mir hier inwendig alles knickt.« Sie schluchzte stärker.
»Oh, meine Lena, mein Liebling!« Er küßte ihr die Hände und streichelte ihr die Löckchen. »Was willst du denn? Was soll ich tun, was willst du?«
»Und du hörst so auf sie – meinen Wäscheschrank kramt sie durch, sie tut, als ob sie hier zu kommandieren hätte – du läßt dir alles gefallen. Da war Amalie noch viel besser!«
»Lena«, sagte er streng und erschrak doch Zugleich über seinen eignen Ton; der war auch übel angebracht.
Bleich stand sie auf, ihre Tränen waren versiegt. »Da siehst du's schon, sie tritt zwischen mich und dich!«
»Das wäre!« Er starrte sie fassungslos an. »Lena, Unsinn! Sei wieder gut und lieb zu mir – o sieh mich an!«
Sie drehte ihm den Rücken; er sollte nicht sehen, wie es in ihrem Gesicht zuckte und kämpfte, sie schämte sich, daß die Tränen wiederkamen.
»Lena!«
Keine Antwort.
Ihre starren Augen bohrten sich in den einen gleichgültigen Fleck auf der Diele ein – was mochte das für ein Fleck sein? Wie war er entstanden, dunkel und rund? Fett, Tinte?
Hinter ihrem Rücken raschelte es. Nun sah sie sich doch um, es war wie Stöhnen an ihr Ohr gedrungen. Ihr Mann saß auf dem Klavierstuhl, auf dem sie eben gesessen; auch er hatte das Gesicht in die Hände gelegt. Er war traurig. Ein heißes Angstgefühl durchschoß sie – was hatte sie getan, zürnte er?
»O Richard, sei mir nicht böse!« Weinend fiel sie ihm um den Hals. »O sei mir gut!«
»Ich bin es – Geliebte, Einzige!«
»Kannst du mir verzeihen?«
»Verzeih du mir!«
»Ach, Richard, es war so schrecklich – Susanne, Susanne!« – Sie zitterte und schmiegte sich fester an ihn.
»Ja, du hast recht! Ich werde es Susanne sagen, einmischen darf sie sich nicht. Kein Mensch darf sich einmischen.« Seine Stimme steigerte sich in Trotz. »Wir brauchen nichts von der Welt, mögen sie alle bleiben! Nur du und ich.«
Sie küßte ihn.
»Bist du glücklich, Lena?«
»Unbeschreiblich, unsagbar! Du auch?«
»Ueber alle Maßen!«
Ihre zarten Lippen preßten sich auf die seinen in einem langen, nicht endenwollenden Kuß.
Er umschlang sie fest mit beiden Armen: »Du bist mein Himmel, meine Seligkeit! Liebst du mich?«
»Bis in den Tod!« –
Kein Laut weiter. Sie sahen sich nicht um.
»Bis in den Tod«, flüsterte er und hielt sein junges Weib ans Herz gepreßt.
»Bis in den Tod«, flüsterte sie mit lächelnden Lippen und schauerte doch dabei; wie mit kalter Hand war's ihr übers Gesicht gestrichen.