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VIII.

Eine warme feuchte Dämmerung schwebt nieder. Die Tage sind schon bedeutend länger geworden; es ist noch nicht Frühling, aber man ahnt ihn.

Es riecht nach Erde, nach treibender Kraft. Ein sehnsüchtiger Hauch ist in der Luft.

Nun ist es dunkler. –

Hinter dem Botanischen Garten, in der einsamen Elsholzstraße, rollte ein Coupé und hielt vor dem großen vierstöckigen Haus, das mit vielen Fenstern und Balkonen in den Garten hineinsieht.

Ein Herr öffnete den Schlag. Mit einem Sprung, leichtfüßig wie ein Knabe, war er auf dem Boden; die Dame, die nun folgte, hob er fast aufs Trottoir, ihre Füße berührten einen Augenblick nicht die Erde, sie lachte und strebte aus seinen Armen nieder.

Es waren Bredenhofer und Lena, und heute war ihr Hochzeitstag.

Der Portier machte höchst eigenhändig die Haustür auf und grinste das junge Paar an. Hinter dem verhängten Fensterchen der Kellerwohnung lauerte die neugierige Portierfrau, und die halbwüchsige Tochter reckte sich über ihre Schulter.

»Verdammt dünne«, sagte das Mädel und zuckte die Achseln.

»Ne, komplett is se jrade nich,« meinte die Mutter, »aberst janz niedlich; det weiße Kleid läßt ihr jut!«

»Nu ebent!« Mit neidischen Augen musterte die bleichsüchtige Kellerpflanze das Brautkleid.

Bredenhofer nickte den Leuten zu – wie freundlich waren doch alle Menschen! – und drückte dem Mann ein paar Mark in die Hand.

»Da, Herr Portier, machen Sie sich einen vergnügten Abend!«

Ueberrascht schmunzelnd steckte dieser das Geld ein: »Wir werden auf Ihr Wohl trinken. Sie und die junge Frau sollen leben!«

Die Portierfrau klinkte die Tür auf und knixte: »Ich jratuliere die Herrschaften vielmals!« Bredenhofer schüttelte dem Weib die glitschige, seifenfeuchte Hand. Aus der Kellerwohnung kam Brodem, Wäschedunst und Kleinkindergeschrei. Er zog Lena rasch weiter.

»Wie nett diese einfachen Menschen waren«, sagte er fröhlich, als sie miteinander, Arm in Arm, die Treppen hinaufstiegen.

»So herzlich! O Lena, ich bin zu glücklich!«

Er zog sie näher an sich und küßte sie.

»Hast du ihm viel gegeben?« fragte sie mit einer gewissen Aengstlichkeit. »Du weißt doch, wir müssen sparen!«

»Du Närrchen!« Sein Lachen hallte so laut im Treppenhaus wieder, daß sie ihm die Hand auf den Mund legte. »Die paar Pfennige, die spielen doch keine Rolle! Das wäre traurig, wenn wir so rechnen müßten; das wäre ja nicht zum Aushalten! Wie kommst du auf den Unsinn?«

»Weil – weil Mutter gestern sagte, wir verständen beide nicht viel von Geld, und ich müßte sparen; und da wollte ich gleich anfangen!«

»Aber doch nicht so! Haha, du meine einzig geliebte, kluge, dumme, kleine Frau!« Er legte den Arm um ihre seine Taille und hob die schlanke Gestalt von Stufe zu Stufe. »So trag' ich dich mein ganzes Leben. Du sollst nichts merken von dem, was unten auf der Erde ist; das laß meine Sorge sein!« –

Nun waren sie oben, hoch oben im vierten Stock.

»Du bist so außer Atem, Richard«, sagte die junge Frau.

»Das macht die Freude. O du mein Glück!« Er legte beide Hände um ihre schmalen, weichen Wangen und vertiefte sich ganz in ihren Blick. »Was in diesen braunen Sternen doch alles glüht, so viel Liebe für mich und der Funke des Genies! Ja, ich glaube an dich! Du wirst eine große Künstlerin werden, wir werden glücklich sein, so glücklich, daß uns alle beneiden. Ich fliege mit dir auf, wir streben zu den höchsten Höhen. Sie werden noch an uns glauben, unsere Freundschaft suchen – alle, die jetzt so wenig von uns wissen wollen!«

»Oh, laß sie«, bat sie und schauerte fröstelnd zusammen; ein kalter Zug kam von unten die Treppe herauf und wehte ihren weißen Schleier zur Seite.

Sie standen noch immer vor ihrer Tür; das Schild mit »Richard Bredenhofer« blinkte freundlich im Gaslicht. Oben über dem Eingang hingen ein grünes Tannengewinde und eine Papptafel mit großen bunten Buchstaben: »Herzlich Willkommen!«

»Das hat gewiß Mutter getan«, sagte Lena mit einem feuchten Schimmer in den Augen.

»Etwas Geschmackloseres habe ich allerdings noch nicht gesehen«, lächelte Richard. »Ein paar Groschen mehr, und man hatte etwas weniger Schönheitbeleidigendes; in so etwas muß man nicht sparen. Ich muß Schönheit um mich haben; darum führe ich dich jetzt auch heim, heim, in mein, in unser Heim!« Er lachte in sich hinein vor innerer Glückseligkeit, seine Augen suchten immer und immer wieder Lenas Blick. »Du bist nicht so heiter, Geliebte, wie ich es wünschte – ist dir etwas?«

»Mich friert«, sagte sie leise.

»O ich!« Er schlug sich vor die Stirn und riß dann an der Klingel. »Dich so lange hier stehen zu lassen!« Zärtlich legte er den Arm um ihre Schultern und versuchte mit seinem Frackzipfel den Zug abzufangen. »Man denkt eben, es ist schon Frühling, und doch ist's noch Winter. Wahrhaftig, es ist kühl!« Er nieste und hustete dann. »Scheußlich, wie leicht ich mich erkälte.«

Frierend, in Frack und Hochzeitskleid, standen sie vor der Tür. Bredenhofer riß noch einmal an der Klingel. Endlich drinnen eilige Schritte.

»Ich hatte die Herrschaft noch nicht erwartet«, entschuldigte das Mädchen sich. »Ich mußte noch was 'raufholen, un bei die ollen Treppen –!«

»Tritt ein, Geliebte!« sagte Bredenhofer und stieß die nächste Stubentür auf.

Eine warme, durchduftete Luft empfing sie. Auf dem Tisch Blumen, an den Fenstern Blumen – Tulpen, Krokus, Hyazinthen und Maiglocken. Da stand Lenas Flügel, er war geöffnet, auf der Klaviatur lag ein Veilchenstrauß.

Noch brannte kein Licht im Zimmer, hier oben war's länger hell; das war der Vorzug der vier Treppen, keinen über sich, nur den Himmel, und der war hier so nah. Er sandte noch genug Helligkeit in die Stube. Lena umfing mit einem Blick den ganzen traulichen Raum, die Blumen dufteten ihr entgegen, süß, fast betäubend; die Bangigkeit, die sie heute den ganzen Tag empfunden, die ahnungsvolle Schwere, die in der letzten Zeit mehr und mehr sich wie ein Schleier über ihre Freude gebreitet hatte, verschwanden mit einem Schlag.

Das war ihr Heim, das sie mit dem teilen sollte, den sie sich so teuer erkämpft! Was sie auch alle sagten, es würde doch gehn; sie würden so glücklich werden, so glücklich, wie vordem noch kein Mensch gewesen war!

Die Mutter hatte heute Ströme von Tränen vergossen, auch sie selbst hatte weinen müssen; nun kamen ihr die Tränen kindisch, lächerlich vor – ging sie nicht dem Glück entgegen?

Mit einem Jubellaut warf sie sich Richard an die Brust, und dann riß sie sich los, lief im Zimmer umher, rückte an den Möbeln, roch an den Blumen, nahm die Veilchen von der Klaviatur und küßte sie und stand dann mitten in der Stube, in ihrem weißen Kleid, schlank und unbeweglich wie eine Statue.

Sie war doch wie im Traum; sie fühlte nicht mehr, daß sie wirklich lebte. Zauberisch schnell schoß die Vergangenheit an ihr vorüber, aber der Himmel, unter dem sie bisher gewandelt, zeigte nur Grau. Jetzt, jetzt erst tat er sich blau vor ihr auf, in köstlicher satter Farbe, und auf dem leuchtenden Blau stand in leuchtenden Buchstaben:

»Die Kunst und die Liebe!«

Ja, so sollte es sein, die Liebe und die Kunst in einem vereint – o doppelt selig!

Sie eilte auf den Gatten zu und umschloß ihn mit ihren Armen. Sie hatte so gar nichts mehr von scheuer Mädchenhaftigkeit an sich; sie war ganz Weib.

»Ich liebe dich, ich liebe dich«, sagte sie mit glühenden Wangen.

Ungeschickt vor Erregung, mit zitternden Fingern, löste er ihr den Kranz aus dem Haar – die braunen widerspenstigen Kräusel hatten sich zwischen die Myrten geschlungen – und nun steckte er ihr auch den Schleier ab. »So, nun geh und tu all den Staat von dir! Geh, geh, ich mag dich keinen Augenblick entbehren!«

Sie hüpfte fort, und er stand am Fenster, mit großen Augen in die Dämmerung blickend und drehte den Kranz zwischen den Fingern. Was war das für ein gräßlicher Tag heute gewesen! Ihre weinende Mutter, seine weinende Schwester – in der Kirche hatte sich Frau Allenstein vor hysterischem Schluchzen gar nicht fassen können – Langens waren nicht erschienen, der Landgerichtsrat hatte Unabkömmlichkeit im Amt vorgeschützt. Onkel Hermann war vollständig verstummt, und Tante Hannchen hatte heimlich einen wohlgemeinten, aber scheußlich gestickten Haussegen geschickt. Das Hochzeitsmahl im engsten Kreise war wie ein Leichenschmaus gewesen; Frau Langen hatte ihre Tochter fortwährend wehmütig angesehen und Frau Allenstein dem Bruder wie zum ewigen Abschied unter'm Tisch die Hand gedrückt. Nach und nach war eine angeknitterte, graue Stimmung über alle gekommen; selbst Allenstein, der der Braut bis dahin allerhand Angenehmes gesagt hatte, ließ nach. Er saß gelangweilt da, die Augen dick vom Trinken, den Schnurrbart verdrießlich herunterhängend, er war jetzt durchaus nicht der schöne Mann.

Ein Glück, daß sich Doktor Reuter endlich erhoben hatte – er war der einzige Fremde – und das Glück des jungen Paares pries.

»Kinder,« sagte er, ergriffen von dem eigenen Enthusiasmus, »Kinder, ihr seid auserwählte Sterbliche! Der Himmel der Kunst blaut über euch, ihr dürft darunter Hand in Hand wandeln. Ihr liebt euch! Seid glücklich, seid glücklich! O diese Jugend, diese Jugend!«

Reuter war so gerührt, er mußte das Taschentuch an die Augen führen.

Richard und Lena sahen sich mit einem langen Blick an und faßten sich an den Händen. Ein Schleier war plötzlich vor ihnen zerrissen, die graue Stimmung verflogen, die ganze selige Gewißheit des Besitzes kam über sie. Bredenhofer sah ungeduldig nach der Uhr, es verlangte ihn, mit seinem jungen Weib allein zu sein; und als sie sich nun endlich zurückziehen konnten, taten sie es beide mit einer gewissen Hast, herzlicher von Reuter Abschied nehmend, als von den Ihrigen.

»Der liebenswürdige Mann!« Richard sagte es laut vor sich hin mit einer aufrichtigen Dankbarkeit, dann drehte er sich hastig um, sein Ohr hatte den leisen Schritt der Geliebten aufgefangen. Da stand sie vor ihm, der weiche Morgenrock, mit dem sie das Hochzeitskleid vertauscht hatte, gab ihren schlanken Gliedern mehr Fülle; sie hatte so etwas Frauenhaftes in Gestalt und Haltung, und echt frauenhaft war's, wie sie jetzt sagte: »Gefall' ich dir so?«

Seine Blicke leuchteten entzückt auf, er stieß einen leisen Koseruf aus und warf sich vor ihr nieder, mit beiden Armen ihren Leib umfangend. Das Gesicht drückte er in die Falten ihres Rocks; so lag er stumm, ohne sich zu rühren, das Uebermaß des Glücks raubte ihm die Sprache.

Auch Lena sagte nichts; sie hob das Gesicht zum grauen, immer lichtloser und lichtloser werdenden Nachthimmel, ein Schauer von Empfindungen jagte durch ihre Seele. Im Ueberströmen des Gefühls kamen ihr Tränen in die Augen; Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, heilige Gelübde bewegten sie tief. Ob sie glücklich werden würden? Gewiß, gewiß!

Da – oben am Himmel stand ein Stern! Noch war er einsam, aber nun zog ein zweiter auf, jetzt funkelten und glitzerten sie gemeinsam.

»Richard«, flüsterte Lena mit fast erstickter Stimme und beugte den Kopf zu ihm herab, »sieh auf, da oben sind wir! Wir stehen hoch und lächeln auf die Welt herunter, sie kann uns nichts anhaben. Sieh nur, sieh!« Sie hob den Finger und deutete hinauf; sein Blick folgte ihrer Weisung.

Im Zimmer war's dunkel, nur das helle Frauengesicht schimmerte in weichen Umrissen.

»Du mein Stern, du mein Glück, mein alles – du mein – mein –« Er konnte keine Ausdrücke mehr finden. Er sprang auf und stand mit ihr, Seite an Seite gepreßt, am Fenster.

Hinter dem schweigenden Park viele, viele Lichter in der Stadt und Kuppeln und Kirchtürme; unter dem dunklen Nachthimmel eine noch dunklere Wolke von Nebel, Rauch und Dunst über den Dächern. In den Straßen mochte es hasten und sich drängen, im Staub wühlen und im Kot treten – hier war es still. Man war so weit ab, so hoch erhoben über das Getriebe. Wie Vögel im sicheren Nest, so barg man sich hier im poetischen Winkel. Blumen dufteten, man hatte den Lenz im Zimmer – und im Herzen? Oh, da war es ewiger Frühling!

»Lena,« sagte er, »fühlst du, wie das Köstliche vom Himmel auf uns niedersinkt? Das ist Inspiration. Jetzt weiß ich's, die Zeit ist da, in der ich nun wirklich etwas schaffen werde, etwas, was mich selbst voll befriedigt und so die anderen auch. Dir wird es ebenso gehen. Bis jetzt war alles Stückwerk; aber nun – nun kommt's! Und wenn wir dann geschafft und gearbeitet haben, dann wollen wir hier ausruhen, Arm in Arm. Nichts Störendes soll in unseren Frieden dringen, kein Ton unsere Schönheitsharmonie verwirren. Sieh mal, drüben die alten Bäume – siehst du, siehst du, wie silbrig ihre Rinde durchs Dunkel schimmert? Stehen sie nicht wie Wächter und hüten unser Glück? Oh, wir Glücklichen!«

»Ja, wir Glücklichen!«

Sie standen, sich umschlungen haltend.

Jetzt knarrte die Tür, das Mädchen kam mit der Lampe. Grete, eine echte Berlinerin, blinzelte nach dem Paar am Fenster – waren die verliebt! Das war gar nicht so ohne. Grete diente mit Vorliebe bei jungen Ehepaaren, die noch von nichts wußten, die nichts im Kopf hatten als ihre Liebelei. Nach dem ersten Jahr kündigte sie meistens; dann fing man an, ihr auf die Finger zu sehen, und Grete liebte das nicht, sie war ein zu selbständiger Charakter.

Sie setzte die Lampe auf den Tisch und räusperte sich stark; die beiden am Fenster fuhren auseinander.

»Oh!« sagte Lena und wurde rot bis hinter die Ohren. »Ist es schon so spät?« Ihr war, als sei sie zu Hause von der Mutter bei etwas Unrechtem ertappt worden. Dann, sich besinnend, empfand sie die ganze Bedeutung ihrer jungen Frauenwürde. »Bringen Sie uns den Tee. Und dann können Sie bald zu Bett gehen, wir brauchen Sie nicht mehr.«

»Das glaub' ich,« dachte Grete beim Hinausschlüpfen, »die wollen mich gern los sein! Na, vor neune in die Klappe kriechen, das sollte mir einfallen! Ich gehe bei Portiers.«

»Ein nettes Mädchen«, meinte Richard, als die Tür sich geschlossen hatte. »Allerliebst anzusehen. Und dann der sympathische Name! Ich werde sie immer »Gretchen« nennen.« Er war heute in der Stimmung, alles reizend zu finden.

»Du bist ja noch im Frack«, rief Lena plötzlich. Sie lachte hell auf, faßte ihren Mann an den Schultern und drehte ihn um die eigene Achse wie einen Kreisel. »Frack – Lackschuh – und an den Knien weiße Flecke! Du hast den Boden abgerutscht! Haha!« Sie war ausgelassen, schüttelte die Haare, daß sie ihr wild ums Gesicht flogen, und sprang umher wie ein Kind.

Er schlug scherzend nach ihr. Sie rannten sich um den Tisch nach, durch die Stube, sie entwischte zur Tür hinaus, er ihr nach; im Schlafzimmer fing er sie endlich und erstickte sie fast mit seinen Küssen. Unter tausend Possen half sie ihm aus dem Frack und in ein bequemes Hausjöppchen von braunem Sammet; sie fand das entzückend, schmeichelnd rieb sie ihre Wange daran und streichelte die schon etwas abgeschabten Aermel.

»Du mußt zu Hause immer Sammetröcke tragen«, sagte sie, »sie stehen dir zu gut!«

»Das kann ich nicht mehr.« Er wurde ernster. »Dazu reichen unsere Mittel nicht.«

»Dann ist es doch wahr, was sie sagen; wir werden schlecht auskommen?« In plötzlicher Angst schlang sie die Hände ineinander, daß die Fingergelenke knackten. »Liebe Zeit, wenn das wahr wäre! Ach, hättest du dem Portier vorhin nicht so unnötig viel Geld gegeben!« Sie war blutrot geworden.

Jetzt war es an ihm, sie auszulachen. Er fand sie entzückend unpraktisch. Solche Bagatelle!

»Wenn's dir so gut gefällt, bestelle ich mir gleich morgen einen neuen Sammetrock. Du hast recht, warum soll man nicht tragen, was einem steht?«

Zufrieden hing sie sich an seinen Arm. »So, nun wollen wir einmal unsere ganze Wohnung besehen!«

Die drei Zimmer und der leere Raum, den er als Atelier benutzen wollte, wären rasch zu besichtigen gewesen; sie brauchten lange Zeit dazu. So im Eignen zu wandeln, zu wissen: das ist alles mein, »unser«, hat einen ganz besonderen Reiz. Lena traf manch alte Bekannte. Die Mutter hatte ihr mitgegeben, was sie entbehren konnte. Da war der Tisch, an dem das Kind die Schularbeiten gemacht; da der Schrank, in dem geheimnisvolle Weihnachts- und Geburtstagsgaben aufbewahrt gewesen; und hier der Sessel, auf dem der große Bruder oft gesessen und die kleine Schwester aus dem Knie gehalten.

»Mein Bruder!« sagte Lena plötzlich und fuhr mit der Hand über das Polster.

Richard sah sie etwas verwundert an; sie stand da, den Kopf gesenkt, in wehmütiges Sinnen verloren, und starrte auf den alten Sessel. Das Blut stieg dem jungen Mann zu Kopf, er hatte in der letzten Zeit zu viel Unangenehmes durch den Schwager erfahren. Er hatte sich von ihm ausfragen, behandeln lassen müssen wie ein Schuljunge; all' seine Verhältnisse mußte er klarlegen, sein Soll und Haben auf den Pfennig vorrechnen. Als ob das Leben mit Lena bei einer gewissen Sparsamkeit etwa kostspieliger sein würde wie das, welches er als Junggeselle geführt? Unsinn! Eine Frau spart immer, und als Junggeselle hat man so viele Verpflichtungen.

Langens Briefe waren auf die Dauer immer weniger freundlich geworden; mit Aerger hatte der Bräutigam sie gelesen und zerknittert. Was half's ihm, daß der Landgerichtsrat sich verpflichtete, jährlich eine kleine Summe zum Haushalt beizusteuern; er nannte das sein Hochzeitsgeschenk für die Schwester. Ohne die paar hundert Mark würde es auch noch gehen! Lena wollte sich gerührt bedanken, der Bräutigam hatte es ihr untersagt und dem Schwager selbst seinen Dank abgestattet, kühl, ohne jede Freudigkeit, das Schreiben wie eine lästige Pflicht behandelnd. Langen hatte zur Hochzeit abgeschrieben. Ausflüchte, nichts wie Ausflüchte, er wollte eben nicht!

»Lena,« sagte Richard vorwurfsvoll, »es wundert mich, daß du jetzt gerade an deinen Bruder denkst, jetzt, wo alle deine Gedanken nur bei mir sein sollten!«

Als Antwort streichelte sie wieder über das Polster und legte die gefalteten Hände auf die Lehne.

»Lena!« Heftig riß er ihre Hände von dort herab und ihre Gestalt an sich. »Du sollst keinen anderen Gedanken haben als mich, hörst du?«

Sie lachte ihm ins Gesicht.

»Nein, lache nicht,« er stampfte mit dem Fuß auf und preßte sie noch heftiger in die Arme, »es ist mir kein Spaß. Mir gehörst du, mir allein, und daß du jetzt an jemand anders denken kannst, verletzt mich; noch dazu an deinen Bruder, der uns so schnöde behandelt hat!«

»Richard, er war früher so gut zu mir und –«

»Ach früher!« Er gab sie hastig frei. »Da ist doch wirklich meine Schwester besser. Heftig ist sie, aber das liegt in ihrer Nervosität, und zehnmal leichter ist's zu ertragen als diese scheinheilige Ruhe und das väterliche Getue von dem Herrn Landgerichtsrat!«

Lena war rot geworden, nun wurde sie blaß. Sie fuhr auf: »Sei nur still von deiner Schwester! Kein Wort von ihr, ich kann es nicht ertragen. Ich will es nicht ertragen! Wie hat sie mich behandelt die ganze Zeit! Und heute – tat sie nicht, als gingst du ins Verderben? Oh, ich hab's wohl gemerkt, wie sie dir immer die Hand drückte. Wenn ich nicht so glücklich wäre, ich möchte weinen!« Ihre Lippen zuckten.

Betroffen sah er sie an: »Lena!« Und dann von plötzlicher Reue ersaßt: »Geliebte, wir hätten uns beinah gezankt! Heute – das wäre schrecklich!«

»Oh nein!« Sie lachte schon wieder.

»Geh, du Stein des Anstoßes!« Sie gab dem alten Sessel einen kleinen Puff; ihre Wangen wurden nach und nach wieder rosig. »Ich denke an nichts weiter, nur an dich – dich – dich! Und jetzt komm, laß Wohnung Wohnung sein und Menschen Menschen! Komm zum Tee; Mutter hat uns so schönen Kuchen dazu gebacken, du glaubst gar nicht, wie gut Mütter eigentlich ist. Sie wird mich doch sehr vermissen!«

»Schon wieder andere, immer andere!« Er lachte, doch war ein bißchen Verdrießlichkeit im Lachen.

In der Wohnstube hatte Grete den Tisch mit einer schönen rosa Serviette gedeckt; diese war ein Geschenk von Frau Allenstein, sie hatte bestimmt, daß dieselbe bei der ersten Mahlzeit prangen sollte. »Damit dein ganzes künftiges Leben rosig angestrahlt sei, mein lieber Richard«, hatte sie gesagt.

Bredenhofer mußte mit einer gewissen Rührung an die Schwester denken. »Sieh mal, wie nett von Susanne!« sagte er.

Lena erwiderte nichts darauf, beinahe hätte sie die Tasse zu voll gegossen; wehe, wenn die übergelaufen wäre auf die schöne rosa Decke!

Nun saßen sie eng aneinander geschmiegt auf dem Sofa. Die Lampe brannte mild, die Blumen am Fenster dufteten stärker; eine wohlige Behaglichkeit schlich auf leisen Sohlen durch die Stube. Tief unten von der einsamen Straße drang kein Laut herauf – die Welt lag wirklich weit.

Sie streichelten sich die glühenden Wangen und sahen sich tief in die schwimmenden Augen; immer wieder suchten und fanden sich ihre Lippen. Der Tee machte sie heiß, und das junge Blut, das in ihren Adern pochte, noch heißer. Sie redeten nicht viel Vernünftiges mehr, ein ungeheures Glücksgefühl wuchs und wuchs. Lenas Haar war verwirrt; in seligem Ueberschwang sprang sie auf und lief ans Klavier. Sie mußte sich ausjubeln.

Ihre Stimme war etwas belegt und von der Erregung unsicher, aber ein geheimnisvolles Etwas, eine intensive Gefühlswärme durchzitterte jeden Ton. Nach und nach sang sie sich frei. Sie hatte nie besser gesungen, sie fühlte das und berauschte sich an der Musik.

Wie magnetisch angezogen kam Bredenhofer vom Sofa her; er rückte einen Stuhl dicht neben Lena und sah ihr unverwandt ins Gesicht.

Sie sang weiter und weiter. Ihre Nasenflügel zitterten, ihre Gesichtsfarbe wurde tiefer, ein glänzendes Leuchten brach aus ihren Augen. Die Wände der Stube hallten wider.

Endlich ließ sie, tief atmend, die Hände von den Tasten sinken. Langsam glitt er vom Stuhl auf den Boden zu ihren Füßen.

»Du singst herrlich,« flüsterte er, »und du bist mein, mein!«

»Ja«, sagte sie leise.


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