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XVIII.

Sechs Monate waren seit der Verhaftung des Grafen Sarentin vergangen. Doctor Fritz Stern saß mit seiner jungen Frau – seit 14 Tagen war er mit Elwine verheirathet – und mit seinem Schwiegervater, der wieder recht frisch und wohl aussah, beim Mittagstisch, als der Jäger Franz, welcher seinem Herrn in die Stadt gefolgt war, den Polizeirath Richter meldete.

Der Polizeirath folgte der Meldung auf dem Fuße; als er in das Zimmer trat, bemerkte Fritz sofort, daß er der Ueberbringer einer ernsten, vielleicht traurigen Nachricht sei, denn dem freundlichen Lachen des dicken Herrn fehlte jenes behagliche, gemüthliche Lächeln, welches es sonst immer trug, wenn der Polizeirath in den Kreis einer ihm lieben Familie trat.

»Nehmen Sie Platz, lieber Herr Polizeirath und theilen Sie unser einfaches Mahl,« so begrüßte Elwine herzlich den Gast; der aber lehnte die Einladung ab: er komme nur auf kurze Zeit, um den Freunden eine wichtige Mittheilung zu machen. »Wünsche nicht, daß Sie durch falsche Gerüchte, oder gar durch die Zeitungen erfahren, was Sie doch wissen müssen. Ist ein trauriger Fall; aber doch vielleicht recht glücklich! Telegraphische Depesche: Graf Sarentin ist todt, Schließer hat ihn vor einer Stunde entseelt im Gefängnisse gefunden. Wahrscheinlich Gift, woher er es bekommen, weiß Niemand. Gestern ließ er mich zu sich ins Gefängniß rufen, nachdem er so lange trotz aller der gegen ihn aufgehäuften Beweise hartnäckig geleugnet hatte. Legte mir ein umfassendes Geständniß ab, nachdem ich ihm versprochen, bis heute darüber zu schweigen und heute ist er todt! Sein letztes Wort, als wir schieden, war gestern: Theilen Sie Fräulein Elwine von Streit mit, was ich Ihnen gesagt; versprechen Sie mir das, Herr Polizeirath; sie wenigstens soll mich nicht für schlechter halten, als ich bin! Hab's ihm versprochen und komme um Wort zu halten, obgleich Fräulein Elwine kein Fräulein mehr, sondern Frau Doctor Stern; aber das wußte er nicht.« –

»Also er hat gestanden?« fragte Fritz Stern mit tiefem Ernst, – die Todesnachricht hatte ihn erschüttert. – Wenn er auch den Tod des Mörders nicht betrauern konnte, fühlte er doch ein gewisses Mitleid für diesen. –

»Er hat gestanden. Er hat den Mord begangen und den Raub und dennoch war er kein Raubmörder: – Was er mir erzählte war sicher die Wahrheit. Er sprach im Angesicht des Todes, den er sich zu geben entschlossen war, seine letzten Worte waren gewissermaßen sein Testament. Hören Sie was er mir erzählte: –

Graf Sarentin war, nachdem er vom Major das Versprechen erhalten hatte, am Abend solle seine Verlobung gefeiert werden, mit der Büchse, welche er sich vom Jäger Franz hatte geben lassen, in den Wald gegangen, um vielleicht zum Zeitvertreib irgend ein Wild aufzujagen. Er war nach manchen Kreuz- und Querzügen zu dem Fußweg gekommen; dort auf der Waldlichtung begegnete ihm Heinrich von Nordenheim. –

Der Graf freute sich des Zusammentreffens, er hoffte, Heinrich werde wohl den Groll über den letzten Streit vergessen haben, er grüßte deshalb freundlich in der Absicht, eine Versöhnung herbeizuführen. Heinrich aber erwiederte den Gruß gar nicht, sondern stehen bleibend und sich mit der Reitpeitsche, die er trug, nachlässig die Stiefel klopfend, sagte er höhnisch: – »Sieh da, Graf Sarentin! – Waren Sie vielleicht schon heut auf dem Wege nach Nordenheim, um vor unserem Zusammentreffen mit den Waffen in der Hand Ihren Ehrenwortschein einzulösen? – Den Weg dahin können Sie sich sparen, – ich habe das Papier bei mir und es steht Ihnen gegen baare Zahlung zu Dienst.«

Der Graf fühlte sich durch diesen bitteren Hohn aufs Neue beleidigt, aber er suchte seinen Aerger zu unterdrücken, denn er bedurfte der Schonung des Barons, da er ganz außer Stande war, seine Schuld am festgesetzten Tage zu zahlen. Schon drängten ihn andere Gläubiger, er hatte nirgends mehr Kredit, – in der Macht Heinrichs lag es, ihn zu entehren, er durfte diesen daher nicht aufbringen. Mit erzwungener Freundlichkeit erwiederte er: – »Sie sind grausam, Herr Baron von Nordenheim. – Ich bitte Sie dringend darum, schonen Sie mich. Ich bin außer Stande, den festgesetzten Tag innezuhalten, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, in kürzester Frist werde ich meinen Schein einlösen.«

»Ihr Ehrenwort?« rief der Baron höhnisch. – »Was ist wohl das Ehrenwort eines Menschen werth, der eben erklärt hat, daß er einen Ehrenschein nicht einlösen, also sein Ehrenwort nicht halten kann?«

Dieser neuen Beleidigung war die Geduld des Grafen nicht gewachsen, zornig erwiederte er: »Sie werden mir für dies Wort Genugthuung geben!«

»Genugthuung Ihnen? Heute Morgen noch hätte ich sie Ihnen gegeben, jetzt aber, nachdem Sie mir erklärt haben, daß Sie Ihren Ehrenschein nicht einlösen können, daß Sie also ein Ehrloser sind, nicht. Burschen Ihres Gelichters schlägt man, aber man schlägt sich nicht mit ihnen.«

Er erhob die Reitpeitsche und er würde sie gebraucht haben, aber der Graf trat einen Schritt zurück; in wildem Jähzorn über die Beleidigung riß er die Büchse in die Höhe und im nächsten Augenblick sank der Baron, durchs Herz geschossen, zu seinen Füßen nieder. –

Die That war vollbracht! – Er beugte sich zu dem Baron herab, das brechende Auge sagte ihm, daß der Tod augenblicklich erfolgt sei. –

Sinnend stand der Graf an der Leiche; er bereute die That nicht, hatte er doch nur den entehrenden Schlag abgewehrt, aber was sollte er thun? – Sollte er fliehen? Er hatte kein Geld, alle seine Lebenshoffnungen waren auf die Vermählung mit Elwine von Streit gebaut, er war verloren, wenn dieselbe nicht zu Stande kam. Sollte er sie jetzt plötzlich selbst aufgeben durch feige Flucht? – Seine That hatte keine Zeugen gehabt, wer also sollte als Ankläger gegen ihn auftreten? – Nein, er war entschlossen nicht zu fliehen. – Da aber fiel ihm plötzlich ein, daß der Baron in seiner Brieftasche den Ehrenwortschein trug, daß dieser bei ihm gefunden werden würde. – Er war entehrt, wenn dies geschah, denn einzulösen vermochte er den Schein nicht! – Er dachte nicht länger nach, fast instinctiv zog er aus der Brusttasche des Todten die Brieftafel, er öffnete sie, da lag sein Schein und neben demselben eine hohe Geldsumme in Banknoten und Kassenanweisungen, eine Summe, so groß wie er sie etwa bedurfte, um seinen hartherzigsten Gläubiger zu befriedigen. – Die Verführung war zu groß, er konnte nicht widerstehen, er nahm das Geld und seinen Schein aus der Brieftafel und indem er es that, stieg ihm plötzlich ein leuchtender Gedanke auf. Dieser Raub sollte seine Rettung vor jedem Verdacht werden. Wenn die Leiche gefunden werde und beraubt sei, dann werde sicher Niemand auf den Gedanken kommen, daß Graf Sarentin der Mörder sei. Als eine Pflicht der Selbsterhaltung erschien ihm der Diebstahl; aber er durfte dann auch nicht bei der Brieftasche stehen bleiben, auch die Geldbörse mußte er sich aneignen. Er that es, den Inhalt derselben schüttete er sich, ohne ihn anzusehen, in die Tasche, dann nahm er die geleerte Börse und Brieftasche und versteckte sie in einem Brombeergestrüpp, daran, daß ein Raubmörder auch Uhr und Ringe nicht verschonen würde, dachte er nicht, wohl aber daran, daß die abgeschossene Büchse ihn im Schloß verrathen könne, deshalb ging er etwas abseits vom Wege, hinter einem Haselbusch lud er die Büchse. – Da fiel ihm ein, daß doch vielleicht ein Verdacht auf ihn fallen, daß eine Haussuchung bei ihm stattfinden könne. Das Geld konnte ihn nicht verrathen, wer vermochte es wohl, den Goldstücken, Thalern und Papierscheinen anzusehen, in wessen Tasche sie früher gewesen waren, verrätherisch aber konnte der Ehrenschein werden; er zerriß ihn in ganz kleine Stücke, die er einzeln vom Winde fortwehen ließ, während er schnell in der Richtung nach Schloß Kabelwitz ging. Noch hatte er den Ausgang des Waldes nicht erreicht, als er sich erinnerte, daß es gefährlich sein könne, wenn man ihn von Kabelwitz her kommen sehe, er machte deshalb einen weiten Umweg und von einer anderen Seite her betrat er den Schloßhof.

Er glaubte sich jetzt sicher, trotzdem aber war er doch nicht Herr seiner Aufregung, diese übermannte ihn mehrmals während seines Gesprächs mit dem Major und erst nach mehreren Stunden war er soweit gefaßt, daß er sicher war sich nicht zu verrathen.

Am nächsten Morgen hörte er, der Mörder des Barons, ein berüchtigter Wilddieb, sei gefangen ins Schloß gebracht worden, da regte sich sein Gewissen; aber die Selbstsucht beschwichtigte es. – Er konnte jetzt, wo der Verdacht einen anderen traf, der offenbar die Leiche gefunden und sie beraubt hatte, ganz sicher vor der Entdeckung sein. – Wenn Wildmichel unschuldig im Verdacht des Mordes stand, hatte er doch den Raub begangen und sonst manches vielleicht unentdeckte Verbrechen. Mit diesem Scheingrund beruhigte er sich, er that seinem Gewissen nur dadurch Genüge, daß er Wildmichels Frau und Kinder heimlich unterstützte. Die ganze Schwere seiner That wurde ihm erst in dem Augenblicke klar, als er als Raubmörder bei dem Fest im Schloß Kabelwitz verhaftet wurde; durch hartnäckiges Leugnen hoffte er sich zu retten, als aber Beweisstück auf Beweisstück ihm vorgelegt, als der Tag für die Schwurgerichts-Sitzung angesetzt wurde und sein Vertheidiger selbst ihm sagte, daß er keine Hoffnung für ihn habe, da brach seine Zuversicht zusammen, da entschloß er sich, ein Geständniß zu machen und sich dann den Tod zu geben. –

»Es ist geschehen«, – so schloß der Polizeirath sein Erzählung. »Gehen Sie mit dem Unglücklichen nicht zu strenge ins Gericht; ich wenigstens freue mich, daß seiner Familie die Schmach, ihn auf dem Zuchthaus enden zu sehen, erspart worden ist. Er wäre gewiß als Raubmörder verurtheilt worden, weder Richter noch Geschworene würden ihm geglaubt haben, und doch ist sein letztes Geständniß sicherlich wahr.« –

Ende.

 

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Druck von R. Gensch in Berlin.

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