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Der Schießstand, welchen der Baron von Nordenheim für sich und die zahlreichen Gäste, die von der Residenz A** aus sein gastfreies Haus besuchten, hatte einrichten lassen, lag am äußersten Ende des Schloßgartens, da wo dieser an die große Sortauer Heide, einen weit ausgedehnten, theils zu Nordenheim, theils zu Kabelwitz, theils zu dem Rittergut Sortau gehörenden Kiefernwald stieß. Nur eine Lyciumhecke, welche an vielen Stellen durchbrochen war, trennte den Schloßgarten von der Heide. Unmittelbar hinter dem eleganten, kleinen Pavillon, den der Baron zum Schutz der Pistolenschützen gegen den Regen hatte errichten lassen, befand sich eine breite Oeffnung in der Lyciumhecke. Die Landleute der Umgegend benutzten sie, wenn sie von Kabelwitz nach Dorf Nordenheim wanderten; es war ihnen früher durch den sehr humanen Geheimrath Stern gestattet worden, den näheren durch den Schloßgarten führenden Fußweg einzuschlagen, und auch der Baron hatte bisher dagegen noch nichts gethan, obgleich es ihm nicht angenehm war, daß Bauern und Tagelöhner vorbeikamen, wenn er mit seinen Gästen Schießübungen hielt.
Als der Baron mit dem Rittmeister und bald darauf der Lieutenant Waltner mit dem Doctor Stern und dem Grafen Sarentin in den Pavillon traten, fanden sie hier schon Alles zu ihrem Empfange vorbereitet.
Auf einem Tischchen standen fünf Tassen mit rauchendem Kaffee, auf einem andern Tisch fünf Gläser und daneben auf dem Fußboden der bekannte Eiskübel mit den Weinflaschen darin, der von den Bedienten auf einem näheren Wege nach dem Schießstand gebracht worden war, falls etwa einer oder der andere der Herren den Wein dem Kaffee vorziehen sollte.
»Vortrefflich!« rief der Baron erfreut, als er die Flaschen im Eiskübel sah; »mein alter Anselm ist wirklich ein Juwel, er erräth meine Gedanken, ehe ich sie noch ausgesprochen habe. Bedienen Sie sich meine Herren, – da ist Kaffee für die des edlen Weines Müden; ich aber will Wein! Im göttlichen Rebensaft liegt das glückliche Vergessen alles irdischen Kummers! Stoßen Sie mit mir an auf das Vergessen, Herr Rittmeister!
»Ich danke Ihnen,« erwiderte der Rittmeister ernst abwehrend, »ich ziehe den Kaffee vor. »Ich trinke keinen Wein mehr!«
»Dann thue ich es für Sie!« sagte der Baron, der zwei Gläser gefüllt hatte, sie jetzt nach einander schnell leerte, und wieder vollfüllte.«
»Heinrich, ich bitte Dich, laß den Wein, thu es mir zu Gefallen!« flüsterte der Doctor Stern seinem Bruder bittend zu, dieser aber wies die Mahnung unwirsch zurück.
»Laß mich zufrieden, Du unausstehlicher Mäßigkeitsapostel! Dir zum Trotze trinke ich jetzt zwei Gläser statt des einen!« und wieder leerte er die beiden Gläser unmittelbar nach einander. Die Wirkung zeigte sich bald, sein Gesicht glühte in dunkler Röthe, seine Augen funkelten in einem unheimlichen Feuer. Er war nicht betrunken, aber in einer fieberhaften Aufregung.
»Damit ist's genug, dies Glas soll das Letzte gewesen sein,« rief er, das geleerte Glas in das Gebüsch werfend.
»Jetzt zum Pistolenschießen! Ich will Dir beweisen, daß daß ich nicht zu viel getrunken habe und so sicher ziele, als hätte ich nie ein Glas Wein gesehen. Die Pistolen, Anselm!«
Der alte, weißhaarige Diener, der im Hintergrund des Pavillons der Befehle seines Herrn gewärtig gestanden hatte, brachte den Pistolenkasten, in welchem zwei neue, sehr elegante Pistolen lagen. Der Baron lud sie mit sicherer Hand. Fast ohne zu zielen schoß er die eine ab und die Kugel traf die dreißig Schritt entfernte Scheibe im Centrum.
»Nun, habe ich etwa zu viel getrunken?« fragte der Baron triumphirend. Wer von den Herren hat den Muth, mir auf 20 Schritte einen Thaler hinzuhalten! Ich wette 100 Friedrichsd'or, daß ich ihn zwischen Daum und Zeigefinger fortschieße!«
Keiner der Herren antwortete.
»Hat keiner der Herren den Muth? Wie wär's, Graf Sarentin, ich wette 100 Friedrichsd'or gegen Einen?«
»Ich danke Ihnen, Baron Nordenheim; so sehr ich auch Ihre Geschicklichkeit bewundere, würde ich doch nicht 1 gegen 10,000 eine solche Wette eingehen. Die Möglichkeit, eine Hand zu verlieren, kann nicht durch Geld aufgewogen werden.«
»Verdammte Feigheit!« rief der Baron ärgerlich. Graf Sarentin aber schien das beleidigende Wort gar nicht gehört zu haben; er hatte sich umgewendet und eine der Kaffeetassen genommen, jetzt klirrte er mit dem silbernen Löffel beim Umrühren gegen dieselbe.
»Sie gehen zu weit, Herr Baron!« rief der Rittmeister mit ernster Entschiedenheit. »Sie vergessen die Rücksichten, welche Sie uns, Ihren Gästen schuldig sind und ich muß Sie um eine Erklärung darüber bitten, was Sie mit dem Worte ›verdammte Feigheit‹ gemeint haben. Wollen Sie etwa damit sagen, derjenige sei ein Feigling, der Ihnen nicht einen Thaler zur Zielscheibe hinhalten will? Dann befinde ich mich in diesem Falle, denn ich stimme dem Grafen Sarentin in seiner Weigerung und in dem Grunde für dieselbe durchaus bei.«
»Auch ich!« sagte der Lieutenant von Waltner mit lallender Stimme. Der gute Lieutenant hatte dem Beispiele seines Wirthes folgend noch ein paar Gläser von dem eiskalten Rheinwein getrunken.
Der Baron biß sich auf die Lippen; er zögerte einen Augenblick mit der Antwort; aber er besaß trotz der Aufregung, in der er sich befand, doch noch so viel Besonnenheit, um zu fühlen, daß er dem Rittmeister eine Genugthuung schuldig sei. Er ärgerte sich über sich selbst, daß er zu einer Entschuldigung gezwungen war, aber er sprach sie aus, indem er sagte: »Meine Aeußerung war unüberlegt, ich nehme sie zurück. Ich habe weder Sie, Herr Rittmeister, noch den Herrn Lieutenant von Waltner beleidigen wollen.«
Der Rittmeister verbeugte sich mit kalter, förmlicher Höflichkeit, er erinnerte sich des eben beendigten Gesprächs und war gar nicht mit der Entschuldigung des Barons, welche für den Grafen Sarentin doppelt beleidigend sein mußte, zufrieden; dieser aber schien von den gewechselten Worten nichts gehört zu haben, er war aus dem Pavillon getreten und musterte mit seinem Augenkneifer einen wüst aussehenden, mit einem zerlumpten blauen Kittel bekleideten Menschen, der den Waldweg entlang gekommen, durch die Oeffnung der Lyciumhecke geschritten und eben im Begriff war, an dem Pavillon vorüber durch den Schloßgarten zu gehen.
Auch der Baron sah den Menschen, der es nicht einmal der Mühe werth hielt, ihn, den Schloßherrn zu grüßen, sondern den zerknitterten schwarzen Hut auf dem Kopf behielt; er war ohnehin ärgerlich und sein Zorn wurde dadurch noch mehr erregt.
»Kann der Kerl nicht grüßen? Was hast Du hier im Schloßgarten zu suchen?« so rief er wüthend.
Der so barsch Angeredete blieb stehen. Den Hut nahm er nicht ab, ja er drückte ihn noch tiefer über die schwarzen Locken, die ihm wild über die Stirn herabhingen. Ein böser Blick aus den dunkeln, von struppigen, schwarzen Brauen beschatteten Augen traf den Baron und die Antwort: »Der Weg ist vom seligen Herrn Geheimrath freigegeben und bis heut noch nicht verboten worden. Zu grüßen brauch ich nicht!« wurde so trotzig gegeben, daß sie fast einer Aufforderung zum Streite glich.
»Stolz liebe ich den Spanier!« sagte Graf Sarentin höhnisch. »Sie haben recht respectvolle Bauern, Herr Baron.«
»Ich bin kein Bauer und brauche vor keinem Menschen in der Welt Respect zu haben!« entgegnete der Verspottete zornig.
Der Baron war aus der Laube getreten, er hatte die Reitpeitsche, welche er meist bei sich trug, wenn er im Garten spazierte, ergriffen, aber er fühlte sich von der festen Hand seines Bruders zurückgehalten; dieser flüsterte ihm ins Ohr: »Heinrich, mir zu Liebe laß den Menschen seine Wege gehen, er hat wirklich ein Recht dazu. Schlage ihn nicht, er würde sich rächen, er ist zu Allem fähig. Kennst Du denn den Wildmichel nicht mehr?«
Die schon zum Schlage erhobene Reitpeitsche sank herab.
»Wahrhaftig, der Wildmichel in höchsteigener Person, ich hätte ihn nicht wieder erkannt!« sagte der Baron, indem er neugierig die mächtige Gestalt des drohend vor ihm Stehenden musterte. – »Schöner bist Du nicht geworden, Michel, in den Jahren, da ich Dich nicht gesehen und Deinem zerfetzten Kittel nach scheinst Du derselbe Lump geblieben zu sein, der Du warst, als ich damals fort ging.«
Michel, der, als er die erhobene Reitpeitsche des Barons gesehen hatte, mit geballten Fäusten einen Schritt vorgetreten war, ließ jetzt, als er sah, daß ihn nicht mehr die Gefahr eines Schlages bedrohe, die Arme sinken. Mürrisch zur Erde blickend, antwortete er: »Was geht Sie mein Kittel an, – Sie geben mir doch keinen Pfennig, um einen Flicken zu kaufen.«
»Wer weiß, Michel, – vielleicht doch! – Willst Du Dir einen Thaler verdienen?«
»Verdienen?«
»Ja, redlich und mit leichter Arbeit verdienen?«
Michels düstere Züge hellten sich ein wenig auf, als er neugierig sagte: »Wahrhaftig, das wäre! – Was soll ich thun? Ich bin zu jedem redlichen Stück Arbeit bereit!«
»Nur zu redlichen?« fragte der Baron spottend. »Ich denke, der Zuchthausdirector von Sondheim wird Dir bezeugen, daß Du im Geldverdienen nicht gar zu wählerisch bist.«
Michel schaute mit einem wüthenden Blick den Baron an, aber er verbiß seinen Zorn, – winkte ihm doch ein leichter Verdienst, den er nicht durch eine scharfe Entgegnung verlieren wollte. Er schwieg, der Baron aber fuhr fort.
»Schau Dir die Scheibe dort an, Michel, sie ist dreißig Schritt entfernt; ich habe soeben in's Schwarze geschossen und jetzt den Herren eine Wette angeboten, daß ich ihnen auf die gleiche Entfernung einen Thaler zwischen Daumen und Zeigefinger fortschießen will; sie weigern sich aber, den Thaler zu halten. Willst Du es thun, Michel? Der Thaler ist Dein, ich mag ihn treffen oder fehlen.«
»Sei vernünftig, Heinrich!« fiel Doctor Stern dem Bruder ins Wort. »Niemand bezweifelt die Untrüglichkeit Deines Schusses, weshalb sie durch ein so gefährliches Spiel beweisen? – Wenn durch einen Zufall der Schuß mißlingt, zerschmetterst Du die Hand eines Menschen.«
»Was liegt daran?« entgegnete der Baron verächtlich – »Der Kerl wird bald mit einer Hand so gut stehlen, wie vorher mit beiden!«
Michel schaute den Baron mit einem bösen Blick an. – »Das Wort will ich Ihnen gedenken!« rief er aus. »Behalten Sie Ihren Thaler, ich diene Ihnen nicht als Zielscheibe.«
»Nicht? Nun ich denke, wenn Du noch der verwegene Kerl bist, der Du früher warst, wirst Du es doch thun. –Hier Michel, ich lege noch einen Thaler zu, Du bekommst, ich mag treffen oder nicht, zwei Thaler und außerdem Fünfhundert Thaler, wenn ich Dich verletze, so daß auch nur ein Tropfen Blut fließt. – Hier ist das Geld, schau's Dir an, Michel, es ist leicht zu verdienen.«
Der Baron zog bei diesen Worten eine seidene Geldbörse hervor; als er sie öffnete, um zwei harte Thaler heraus zu nehmen, blitzten zwischen den Silbermünzen auch mehrere Goldstücke hervor. Dann nahm er aus der Brusttasche eine Brieftafel und aus dieser einen Fünfhundertthalerschein, den er auf den kleinen Tisch im Pavillon legte und mit einer Tasse beschwerte, damit ihn der Wind nicht fortwehen könne.
»Dies ist Dein Schmerzensgeld, falls ich Dich verletze,« – sagte er lachend, – »fünfhundert Thaler in einem guten Scheine! – Zeig', daß Du Muth hast, Michel! – Ja oder Nein?«
Michel hatte mit einem seltsam gierigen Blick die schwere Geldbörse und die mit Werthpapieren gefüllte Brieftafel angeschaut. – So vieles Geld hatte er noch niemals beisammen gesehn, es erschien ihm wie ein unerschöpflicher Schatz. – Jetzt blickte er überlegend zu Boden. Der Vorschlag des Barons erschien verführerisch. – Zwei Thaler! – Wie leicht waren sie zu verdienen! Und wenn nun der Baron selbst fehlte, dann winkte ihm der Besitz von fünfhundert Thalern, eines Reichthums, auf den er nie zu hoffen gewagt hatte. Fünfhundert Thaler! – Mit dieser für ihn so ungeheuren Summe konnte er ein tüchtiges Stück Land kaufen! Wenn er so viel besaß, war alle Noth für ihn zu Ende. – Ging selbst ein Finger bei dem Schuß verloren, was hatte solch klein Unglück zu bedeuten gegenüber der glänzenden Aussicht auf den Besitz von fünfhundert Thalern! Er hatte dann nicht mehr nöthig, sich der steten Gefahr auszusetzen, als Wild- und Holzdieb ergriffen und auf das Zuchthaus geschickt zu werden, er konnte ruhig und sicher mit Weib und Kindern in seinem Häuschen von dem Ertrage seines Feldes leben!
Die Verführung war zu groß, er konnte nicht widerstehen. – »Geben Sie den Thaler her, Herr Baron, ich halte ihn!« – rief er aus.
»So ist's recht, Michel!« – entgegnete der Baron erfreut. – »Du bist doch ein braver, muthiger Kerl. – Hier ist der Thaler. Stell Dich dort neben die Scheibe hin und halte das Geldstück mit ausgestrecktem Arm zwischen Daumen und Zeigefinger! – Nun, Ihr Herren, jetzt gilt die Wette! Fünfhundert Thaler ist der Preis. Wer wettet?« –
Er erhielt keine Antwort. – »Will Niemand wetten?« fragte er ärgerlich.
»Halten Sie die Wette mit 100 gegen 1 aufrecht?« lautete die Gegenfrage des Grafen Sarentin.
»Daß ich ein Thor wäre! Wenn Sie den Thaler selbst gehalten hätten, Graf, – dann würde ich 100 gegen 1 gewettet haben, – jetzt aber denke ich nicht daran. Gleich gegen gleich. Gilt die Wette, Graf?«
»Nein, ich danke Ihnen. Sie sind ein zu guter Schütz, als daß ich mich auf eine solche Wette einlassen könnte. Ueberdies befinde ich mich im Augenblick nicht in der Lage, fünfhundert Thaler riskiren zu können.«
»Bah, was thut das? Wir schreiben es, wenn ich gewinne, zu dem Uebrigen. Sie wissen ja, daß ich hier in der Brieftafel ein schönes Andenken an Sie herumtrage.«
»Es wäre vielleicht zarter gewesen, wenn Sie mich daran jetzt nicht erinnert hätten!« entgegnete der Graf ärgerlich. »Jedenfalls will ich meine Schuld nicht vergrößern. Ich wette nicht.«
»Sie wollen nicht? Ich dächte, Ihr Risico wäre doch wohl ein geringes! Es wird Sie wohl wenig kümmern, o Ihre Schuld etwas größer oder kleiner ist.«
»Sie werden beleidigend, Herr Baron. Wenn ich auch Rücksicht nehme auf die Aufregung, in welcher Sie sich augenblicklich befinden, kann ich mich doch weiteren beleidigenden Bemerkungen, vor denen ich als Ihr Gast geschützt sein sollte, nicht aussetzen. Ich verlasse Sie, um nach Schloß Kabelwitz zurückzukehren. Morgen werde ich mir erlauben, Ihnen meinen Besuch zu machen, und dann mit Ihnen über unsere geschäftlichen Angelegenheiten weiter sprechen. Leben Sie wohl, meine Herren!«
Der Graf verbeugte sich nach diesen Worten mit vornehmer Höflichkeit gegen den Baron und den Doctor Stern; dem Rittmeister und dem Lieutenant schüttelte er zum Abschied die Hand, dann nahm er seinen Hut und mit langsamen Schritten verließ er zögernd den Pavillon. Er hoffte vielleicht, daß der Baron ihn zurückhalten, irgend ein Wort der Entschuldigung sagen werde; dies aber geschah nicht, der Baron rief ihm im Gegentheil höhnisch nach: »Gehen Sie nur, mein Herr Graf Sarentin! Eins aber merken Sie sich, wenn Sie etwa morgen mich nur deshalb mit Ihrem Besuch beehren wollen, um etwa meine Nachsicht in Anspruch zu nehmen, dann sparen Sie sich die Mühe. Ich bestehe auf meinem Schein! Shylok war nicht hartherziger als ich!«
Graf Sarentin blieb stehen, als er die höhnenden Worte hörte. Sein sonst so bleiches Gesicht glühte in dunkler Röthe.
Er wendete sich zu dem Baron, seine Stimme zitterte, als er tief erregt erwiderte: »Sie werden mir für diese neue Beleidigung Genugthuung geben, Herr Baron von Nordenheim!«
»Mit ganz besonderem Vergnügen, Herr Graf von Sarentin!« entgegnete der Baron lachend. »Ich stehe Ihnen zu Diensten mit jeder Waffe, welche Sie wählen mögen, nur nicht mit der Pronlongation eines gewissen, kleinen unangenehmen Papieres, welches ich hier in der Brieftasche bei mir trage. Ich erwarte mit Sehnsucht für morgen Ihren Besuch oder auch Ihre weiteren Bestimmungen; bis dahin sage ich Ihnen gern Lebewohl.«
Ohne eine Antwort zu geben, entfernte sich der Graf; er schlug den ihm wohl bekannten Weg durch die Heide nach Schloß Kabelwitz ein.
»Gott sei Dank, daß der unangenehme Mensch fort ist, jetzt wollen wir erst recht vergnügt sein!« sagte der Baron, fröhlich zu seinen übrigen Gästen wendend, aber er fand bei diesen kein freundliches Entgegenkommen; sein Bruder blickte ihn ernst und vorwurfsvoll an und der Rittmeister machte ebenfalls ein recht finsteres Gesicht, nur der Lieutenant von Waltner lachte in weinseliger Laune, ihm hatte der Streit, den er kaum gehört, nicht die Freude an dem trefflichen Rheinwein verdorben.
Verdrießlich über die mißlaunigen Gesichter, welche er um sich sah, wendete sich der Baron von seinen Gästen. »Paß jetzt auf, Michel,« rief er diesem zu, der auf weitere Anordnungen wartend, neben der Scheibe stand, »das Spiel soll beginnen. Nimm den Thaler zwischen Daumen und Zeigefinger und strecke dann den Arm von Dir. So ist's recht! Du darfst den Thaler nicht festhalten, nur ganz leicht muß er zwischen beiden Fingern schweben. Ist's so?«
»Ja.«
»Nun, meine Herren, wer wettet? Vielleicht Sie, Lieutenant von Waltner?«
Der gute Lieutenant, der in der besten Stimmung von der Welt war, wollte eben, um dem Baron gefällig zu sein, seine Einwilligung aussprechen, als für ihn der Rittmeister das Wort nahm und sehr ernst erwiderte:
»Weder Lieutenant von Waltner, noch ich werden auf eine so freventliche Wette eingehen. Sie haben heut schon Unheil genug angerichtet, Herr Baron. Geben Sie jetzt der Vernunft Gehör. Zeigen Sie uns Ihre Geschicklichkeit an der Scheibe, aber nicht durch einen Schuß, der jenen armen Menschen dort für sein ganzes Leben unglücklich machen kann!«
»Auch ich bitte Dich, Heinrich, sei vernünftig!« fügte der Doctor Stern freundlich hinzu.
»Ihr Mißtraut meiner festen Hand, Ihr glaubt vielleicht gar, ich sei betrunken und könne nicht sicher zielen? Ich will Euch das Gegentheil beweisen und da Niemand wetten will, schieße ich zu meinem Vergnügen dem Michel den Thaler aus den Fingern. Hältst Du den Thaler ganz lose, Michel?«
»Ja.«
»Jetzt steh fest. Rühr' kein Glied!«
»Herr Baron! Heinrich!« riefen der Rittmeister und der Doctor Stern warnend, aber der Baron achtete nicht auf sie; er hatte ein Pistol ergriffen, schon zielte er und im nächsten Augenblick knallte der Schuß.
»Gewonnen!« jubelte der Baron, und richtig, da stand Michel noch immer mit ausgestrecktem Arm und erhobener Hand, aber der Thaler zwischen Daumen und Zeigefinger fehlte, die Kugel hatte ihn fortgerissen, ohne Michels Finger zu verletzen.
»Du hast prächtig still gehalten und sollst einen Thaler extra bekommen, Michel«, sagte der Baron, der durch den glücklichen Schuß wieder die beste Laune erhalten hatte; »jetzt aber müssen wir den Thaler suchen, den will ich mir zum Andenken aufheben.«
Michel, der halb im Traume noch immer den Arm ausgestreckt hielt, ließ diesen mit einem Seufzer sinken; er erwachte plötzlich, nachdem er sich schon in dem Besitz eines Reichthums von 500 Thalern geträumt hatte, zu der traurigen Wirklichkeit. Als er sah, daß der Baron den Fünfhundertthalerschein unter der Tasse fortnahm und ihn in seine Brieftasche legte, hatte er ein eigenthümliches Gefühl. Hatte er doch diesen Schein schon als sein Eigenthum betrachtet und jetzt nahm ihn der reiche Mann wieder an sich und mit ihm alle die frohen Aussichten auf eine sorgenlose Zukunft. Mit begehrlichem Blick schaute Michel nach der Brieftasche und als diese in des Barons Brusttasche verschwand, seufzte er noch einmal tief auf. Gab es denn wirklich keine Möglichkeit, in den Besitz dieser fünfhundert Thaler zu zu kommen, die er schon als sein Eigenthum betrachtet hatte? Er erinnerte sich plötzlich eines alten Mannes, der im Zuchthaus von Sondheim sein Arbeitergenosse gewesen war, der hatte vor vielen Jahren einen reichen Edelmann ermordet und ihm auch eine Brieftafel mit Geldscheinen geraubt. Der Alte hatte ihm die Geschichte wohl zwanzig Mal erzählt und dabei niemals Reue über die That, wohl aber darüber ausgesprochen, daß er sie so schlecht ausgenutzt habe, daß er thöricht genug gewesen sei, ein Messer, das später an ihm zum Verräther wurde, am Orte des Mordes der zurückzulassen und daß er endlich von vielen Verhören ermüdet, die That eingestanden habe. Seltsam, daß er gerade jetzt an den Alten, der in Sondheim eine lebenswierige Zuchthausstrafe abbüßte, denken mußte!
Michel hätte wohl noch länger geträumt; aber er sah jetzt schon den Baron und dessen Gäste neben sich und er mußte wohl oder übel der Aufforderung, mit nach dem getroffenen Thaler zu suchen, folgen. Er that es mürrisch und widerwillig. Hatte er etwa deshalb, um ein Paar Thaler zu verdienen, sich zur Zielscheibe des übermüthigen Edelmannes hergegeben? Er betrachtete den Baron als den Räuber eines Glückes, welches ihm jetzt entrissen war. Für immer? Nein nicht für immer! Diese fünfhundert Thaler waren sein Eigenthum, er mußte sie wieder haben um jeden Preis.
Der Thaler war nicht leicht zu finden. Lange suchten ihn der Baron und seine Gäste im hohen Grase, endlich entdeckte ihn Michels scharfes Auge.
Das Geldstück ging von Hand zu Hand. Es gab den besten Beweis von des Barons Schützenkunst. Die Kugel hatte es gerade im Mittelpunkt getroffen und dort einen Theil des Wappens eingedrückt.
»Was meinen Sie zu dem Schuß, Herr Rittmeister?« fragte der Baron, triumphirend auf den Thaler deutend.
»Es war ein Meisterschuß!« entgegnete der Rittmeister kalt. »Den Schuß bewundere ich, nicht aber das freventliche Spiel, welches Sie getrieben haben, als sie einem Menschen zumutheten, Ihnen als Scheibe zu dienen. – Der glückliche Erfolg entschuldigt Sie nicht. Ich habe zu meinem Bedauern heute, sowohl durch Ihre früheren Mittheilungen, wie durch Ihr späteres Verhalten die Ueberzeugung gewonnen, daß unsere Gefühle und Anschauungen zu verschieden sind, um ein ferneres Freundschaftsverhältniß für beide Theile angenehm zu machen; ich sage Ihnen deshalb Lebewohl, Herr Baron, – wir werden uns nicht wiedersehen.«
Befremdet und sehr betreten schaute der Baron den Rittmeister an. Er hegte für diesen eine große Hochachtung, der kalte und förmliche Abschied kränkte ihn deshalb tief. – »Wollen Sie mich wirklich verlassen, alter Freund?« fragte er betrübt.
»Ich muß es zu meinem Bedauern. – Erinnern Sie sich der Worte, welche ich gebrauchte, als Sie mir einige Mittheilungen über Ihr Verhältniß zum Grafen Sarentin machten?«
»Ja.«
»Dann werden Sie sich auch erinnern, wie ich über ein Duell mit diesem und über andere Pläne, welche Sie in Beziehung auf den Grafen hegen, denke. Wenn Sie die Absicht haben, auf alle diese Pläne zu verzichten, den Grafen um Entschuldigung zu bitten und dadurch ein Duell unmöglich zu machen, bleibe ich mit Freuden bei Ihnen und erbiete mich, Ihren Streit so auszugleichen, daß beide Theile zufrieden sein können.«
»Nun und nimmermehr!« rief der Baron ergrimmt.
»Leben Sie wohl, Herr Baron! Herr Lieutenant von Waltner, Sie haben gewiß die Güte, mir zu folgen!« Ohne noch ein Wort hinzuzufügen entfernte sich der Rittmeister, dem der Lieutenant, nachdem er sich mit größter Höflichkeit empfohlen hatte, folgte.
Der Baron stand finster sinnend, den Blick zu Boden gesenkt, er hob ihn erst, als er die Hand seines Bruders auf seiner Schulter fühlte. »Willst auch Du mich etwa verlassen, Fritz, wie jene Beiden? so fragte er bitter.
»Nein, Heinrich, aber ich will Dich bitten, daß Du dem Rittmeister nacheilst und ihn besänftigst, um Dir einen treuen Freund zu erhalten. Ich weiß nicht, was zwischen Euch vorgegangen ist, aber ich weiß, daß der Rittmeister nicht ohne Grund so hart gegen Dich sein konnte.«
»Mag er laufen!« entgegnete der Baron unwirsch. »Er ist nicht besser, als alle die Andern. Ich kann ohne ihn leben. Bleib Du mir nur treu, Fritz, um keinen anderen Menschen in der Welt kümmere ich mich. Und doch thut es mir leid, daß ich den Rittmeister verloren habe! Ich will den zerbeulten Thaler hier als Andenken an den heutigen bösen Nachmittag behalten. Hier, Michel, hast Du dafür einen anderen Thaler und noch zwei dazu; jetzt aber mach, daß Du fortkommst und laß Dich nicht wieder im Schloßgarten sehen!«
Michel nahm das Geld ohne zu danken; er lichtete nicht einmal den schmutzigen Hut und als der Baron mit seinem Bruder sich entfernte, schaute er ihm mit einem Blick voll grimmigen Hasses nach.