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Der Major von Streit hatte schon längere Zeit vor dem Tode Heinrichs von Nordenheim gekränkelt; die Folgen des Schreckens und der Aufregung jenes furchtbaren Abends waren für ihn verhängnißvoll. Von einem heftigen Fieber ergriffen, mußte er mehrere Tage das Bett hüten und als er sich von demselben wieder erhob, war er ein hinfälliger Greis geworden. Auch sein Geist hatte durch den schweren Schicksalsschlag gelitten. – Der alte, früher so lebensfrische Soldat saß Tage lang träumerisch mit der Bibel auf dem Schooß; er sprach nur wenig und wenn er es that, geschah es, um sich laut Selbstvorwürfe darüber zu machen, daß er den Tod des armen Heinrich verschuldet habe durch schnöden Wortbruch. Daß Heinrich gerade an jenem Abend ermordet worden, sei ein Fingerzeig Gottes. »Dein Wort soll sein ja, ja und nein, nein!« – Ein Ja sei ein Eid vor Gott und den habe er gebrochen, als er den Grafen an jenem Abend in der Hoffnung, daß Heinrich noch sein Schwiegersohn werden könne, veranlaßt habe, abzustehen von der versprochenen Verlobung, deshalb habe ihn Gott gestraft durch Heinrichs Ermordung.
Vergeblich mühte sich Elwine ihn zu beruhigen; er wies sie hart zurück. Um ihretwillen, – so herrschte er sie an, habe er einmal gesündigt, um einer thörichten Mädchengrille wegen habe er sein Wort gebrochen, sei er so hart von Gott gestraft worden. Aber nicht wieder solle ihn das Weinen und Flehen eines albernen Mädchens, nicht wieder die Ueberredung eines thörichten Jünglings abwendig machen von der Pflicht gegen seine Vorfahren und die Gebote Gottes. Lieber wolle er, wie Abraham, das eigene Kind zum Opferaltar führen, ehe er sich abermals der so furchtbar bestraften Sünde schuldig mache.
Dieser Gedanke war bei dem alten Herrn zur fixen Idee geworden, jeder Widerspruch reizte ihn zum heftigsten Zorn, und dieser rief dann jedes Mal höchst bedenkliche Krankheitserscheinungen hervor. Oft fürchtete Elwine für sein Leben, wenn ihm bei einem solchen Zornausbruch die Adern an der Stirn anschwollen, das Weiße in den Augen roth unterlief, und er dann vom Schwindel ergriffen, bewußtlos zusammensank. Der einsichtsvolle Hausarzt bat sie dringend, dafür zu sorgen, daß dem Kranken jede Erregung fern gehalten werde, denn ein plötzlicher Tod könne die Folge eines neuen Zornausbruches sein.
Auch Fritz Stern bestätigte den Ausspruch des Arztes nachdem er einmal seinen Oheim bei einem solchen Anfall beobachtet hatte. Er hatte es versucht, durch ruhiges, verständiges Zureden die Selbstvorwürfe des alten Herrn zu beschwichtigen, aber seine Worte riefen nur einen heftigen Zornausbruch hervor. Der Major fluchte dem früher so geliebten Neffen, der ihn zum Wortbruch verführt habe, er ballte die Fäuste und würde in blinder Wuth auf Fritz zugeschlagen haben, wenn er nicht bewußtlos zusammengebrochen wäre. Fritz vermied es seitdem, dem Oheim zu widersprechen, er hörte mit größter Geduld dessen Selbstvorwürfe an und auch Elwinen, der treuen Krankenpflegerin ihres Vaters, rieth er das Gleiche; er erwarb sich durch seine Nachgiebigkeit von Neuem die Liebe des kranken Mannes, der sich stets wohler und freier fühlte, wenn Fritz zu einem kurzen Besuch aus der Residenz nach Kabelwitz kam.
Auch Graf Sarentin war ein häufiger Gast im Schloß, er wurde von dem Major stets mit der größten Auszeichnung empfangen. Der Graf war der erste Fremde gewesen, den der alte Herr nach dem Verlassen der Krankenstube vor sich gelassen, nach dessen Besuch er sich, während er fiebernd im Bette lag, schmerzlich gesehnt hatte. Er streckte dem Grafen, als er ihn wieder sah, zum Gruße beide Hände entgegen.
»Verzeihen Sie, mein theurer Graf!« rief er. »Strafen Sie mich nicht durch Ihren Zorn. Gott hat mich ohnehin hart genug für meinen Wortbruch gezüchtigt. Aber noch ist es Zeit, Alles wieder gut zu machen. – Sagen Sie mir nur ein Wort, dann feiern wir heut noch Ihre Verlobung mit meiner Tochter!«
Dies Wort aber sprach der Graf nicht. Er erklärte, daß er die Hoffnung nicht aufgebe, sich, wenn auch nicht die Liebe Elwinens, doch deren Achtung zu erwerben. Nicht gezwungen solle sie ihm ihre Hand reichen, sondern freiwillig, dem Wunsche, nicht dem Befehle des Vaters folgend.
Elwine fühlte sich durch diese Entsagung des Grafen etwas beschämt. Sie hatte ihm Unrecht gethan, ihn oft und absichtlich gekränkt, dies vergalt er ihr jetzt durch seine edle Entsagung; sie zeigte sich deshalb freundlicher gegen ihn, hatte sie doch durch einen Zufall auch den Beweis erhalten, daß Sarentin, den sie für so hochmüthig, leichtfertig und herzlos hielt, ein tiefes Mitgefühl für die Leiden der Armuth hegte, daß er sie im Geheimen zu lindern versuchte, so weit er es konnte; sie war ungesehen und ohne daß er es ahnen konnte, Zeugin gewesen, wie er seine Wohlthaten spendete. Sie war empört über den ungerechten, entsetzlichen Verdacht, welchen Fritz Stern gegen den Grafen ausgesprochen hatte; um so mehr fühlte sie sich verpflichtet gegen ihn, den auch sie früher so sehr verkannt hatte, freundlicher zu sein. Zwar fühlte sie noch immer bei dem Gedanken, daß sie gezwungen werden könne, ihm die Hand zu reichen, ein Grauen. Der alte Abscheu gegen ihn erwachte dann von Neuem, aber sie machte sich selbst Vorwürfe darüber. Der, dem ihr ganzes Herz angehörte, den sie mit glühender Leidenschaft liebte, erwiderte diese Liebe nicht, Fritz fühlte nur die leidenschaftslose Zuneigung eines Bruders für sie. Er zeigte stets die gleiche, ruhige, liebevolle Freundlichkeit, nie ein wärmeres Gefühl. Fritz war für sie verloren für alle Zeit, das fühlte sie, sie konnte ihm nie etwas anderes sein, als eine liebende Schwester. Er selbst hatte ihr damals gerathen, nicht dem Fluche des Vaters zu trotzen, sondern Heinrichs Gattin zu werden. Sollte sie jetzt, wo das Leben des Vaters durch ihre Weigerung bedroht wurde, Fritz selbst hatte dies ja bestätigt, dem Grafen ihre Hand versagen, wenn er sie forderte und der Vater ihr das Jawort anbefahl?
Elwine bestand manchen schweren Seelenkampf in dieser traurigen Zeit, den schwersten aber, als nun wirklich die lange gefürchtete Entscheidung an sie herantrat. Was sie selbst, was Fritz Stern schon seit Wochen befürchtet, geschah. Der Graf, durch die milde Freundlichkeit, welche ihm Elwine seit Heinrich's Tode gezeigt hatte, ermuthigt, sprach gegen den Major die Hoffnung aus, daß seine Bewerbung bald günstiger als früher aufgenommen werden würde; mit diesen Worten aber erregte er die krankhafte Ungeduld des alten Herrn so sehr, daß dieser sofort seine Tochter rief und von ihr verlangte, sie solle im Augenblick sich entscheiden, ob sie seinen Wunsch erfüllen und die Gattin des Grafen werden wolle oder nicht.
Elwine erblaßte, sie zögerte mit der Antwort.
»Antworten Sie nicht, theures Fräulein,« sagte Graf Sarentin in edler Aufwallung ihre Hand ergreifend und sie zärtlich drückend, – »so glühend ich Sie liebe, so leidenschaftlich den Augenblick ersehne, der mir Ihr Jawort bringt, – so verzichte ich doch freudig auf mein Lebensglück, wenn ich dasselbe mit Ihrem Schmerz erkaufen soll. Nein, Elwine, antworten Sie nicht; – gestatten Sie mir nur, daß ich noch länger in Ihrer Nähe weilen darf. Vielleicht gelingt es mir doch, Ihre Abneigung zu beseitigen, Sie endlich zu überzeugen, daß Sie nicht unglücklich werden, wenn Sie mich beglücken!«
»Nichts da, keine Zögerung mehr!« rief der Major heftig erregt. »Die Sache hat schon viel zu lange gedauert. Entscheide Dich, Elwine! In diesem Augenblicke! Ja oder Nein! – Ich will endlich Gewißheit haben.« –
Elwine schaute zu Ihrem Vater auf. – Mit Entsetzen sah sie, wie die Adern auf seiner Stirn anschwollen, wie seine Hand krampfhaft sich zusammen ballte. Ihr »Nein« konnte ihn tödten, ein Wuthausbruch, heftiger als alle früheren, mußte der Vereitelung seiner sehnlichsten Wünsche folgen.
Noch immer zögerte sie, da hörte sie, wie er mit heiserer, gepreßter Stimme noch einmal sie anherrschte: »Entscheide Dich, – Ja oder Nein!« – Sie sah sein Auge sich röthen, sein Mund verzog sich in heftigen Zuckungen.
»Ja!« hauchte sie, dann sank sie halb ohnmächtig in die Arme des Grafen, der sie mit ehrfurchtsvoller Höflichkeit unterstützte, als sie einem Sessel zuwankte. Dies »Ja« Elwinens übte eine wahre Zauberkraft auf den Major aus; alle die bedenklichen Krankheitszeichen verschwanden so schnell sie gekommen, – kräftiger als seit langer Zeit richtete er sich in dem Lehnstuhl in die Höhe und jubelnd schlug er die Hände zusammen. »Dies Ja vergelte Dir Gott, mein Herzenskind!« rief er freudig. »Du giebst Deinem alten kranken Vater das Leben wieder. Komm an mein Herz und laß Dich segnen für dieses Wort!« –
Er umarmte mit tiefer Rührung seine Tochter, dann legte er ihre Hand in die des Grafen. »So seid Ihr denn verlobt vor Gott, meine theuren Kinder und meine Schuld ist gesühnt. Aber auch vor der Welt soll Eure Verlobung gefeiert werden durch ein Fest, so glänzend, wie es Schloß Kabelwitz noch nicht gesehen hat. Alle meine lieben Nachbarn sollen Zeugen meines Glückes sein!«
»Aber, Vater, wir haben Trauer« wendete Elwine ein.
»Keinen Widerspruch! Ich will es so,« – entgegnete der Major, in welchem sich der krankhafte Eigensinn von Neuem regte. »Wir haben heut Montag, am Donnerstag wird das Verlobungsfest gefeiert. Noch heut kannst Du die Einladungskarten schreiben, unser lieber Graf wird Dir dabei helfen. Der Fritz, der gute Junge, muß auch dabei sein; er muß auf den einen Tag seine Trauer vergessen. Und nun Alfons, mein Sohn, gieb Deiner Braut zu meiner Herzensfreude in meiner Gegenwart den ersten, den Verlobungskuß!« –
Der Graf gehorchte, er küßte Elwinen. Wie Feuer brannte dieser Kuß auf ihren Lippen, – der alte Abscheu gegen den Verhaßten erwachte plötzlich aufs Neue in ihr, sie war im Begriff, den Grafen heftig zurückzustoßen, aber ein Blick auf das glücklich lächelnde Gesicht ihres Vaters! Sie duldete den Kuß, dann aber entwand sie sich den Armen des Verlobten, ihr Schmerz löste sich in Thränen auf. – das Gesicht in den Händen verbergend, eilte sie nach ihrem Kämmerchen, um sich dort in der Einsamkeit auszuweinen.