Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

» Uff!« stöhnte der Polizeirath, sich den Schweiß von der Stirn wischend. »Schwer Stück Arbeit! Hast uns warm gemacht, Wildmichel! Wie zum Kuckuck kommst Du denn hierher?«

Wildmichel antwortete nicht, statt seiner aber sagte der Sergeant, der mit geschäftiger Hand die Kleider des Gefesselten untersucht und die Feile gefunden hatte: »Sehen Sie, Herr Polizeirath, der Bursche hat eine Feile, die hat ihm jedenfalls der alte Kerl in Kabelwitz zugesteckt. Die Beiden werden den armen Hans ermordet haben, sonst könnte der Hallunke jetzt nicht hier sein.«

»Woher hast Du die Feile, Wildmichel?« fragte der Polizeirath mit unveränderter Ruhe. »Hat sie Dir der alte Mann, Dein Verwandter zugesteckt?«

»Die hatte ich schon in der Tasche, als Sie mich nach Kabelwitz führten,« erwiderte Wildmichel. »Der Sergeant hat nur schlecht nachgesucht, sonst müßte er sie gefunden haben.«

»Unverschämter Lügner!« schrie der in seiner Amtsehre verletzte Sergeant. »Nichts hatte er in der Tasche, nicht ein Brodkrümel, das ich nicht gefunden hätte.«

»Still, Sergeant!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«

»Und der Hans? Was hast Du mit dem gemacht?«

Wildmichel konnte ein höhnisches Lächeln trotz seiner traurigen Lage nicht unterdrücken: »Ein schöner Wächter. Wenn er nicht aufgewacht ist, schnarcht er noch!« sagte er spöttisch.

»Dachte ich's doch. War unverzeihliche Thorheit! Schläfriger Bauerbursch Wache bei solchem raffinirten Kerl. Zum Glück gut abgegangen. Haben ihn wieder und wollen ihn nicht sobald loslassen. – Wollen nun mal sehen, was unser Wildmichel hier eigentlich im Moos gesucht hat. Vielleicht botanisirt? Denke werden guten Fund machen. Nachsuchen, Sergeant!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath!«

Der Sergeant hätte des Befehls nicht bedurft, schon streifte sein rastloses Auge forschend über die ganze Mooshülle ringsumher, um zu schauen, wie weit sie wohl in ihrem natürlichen Zustand und wie weit sie aufgewühlt worden sei; er sah, daß nur an einer kleinen Stelle am Fuße der Kiefer, dort, wo Wildmichel geknieet hatte, eine menschliche Hand thätig gewesen war, dort begann der Sergeant seine Nachsuchung, die augenblicklich von Erfolg gekrönt war. Er hob vorsichtig die Moosdecke auf, unter derselben lagen eine goldene Uhr nebst Kette, eine Busennadel, ein Siegel- und ein Demantring. – Fritz Stern erkannte alle diese Gegenstände sofort als das Eigenthum seines ermordeten Bruders; ein tiefer Schmerz durchzuckte ihn, als er sie sah und sich sagte, daß sie wahrscheinlich die verhängnißvolle Ursache zum Tode des Unglücklichen gewesen seien, daß ihr Glanz wohl den Mörder zu seiner That gereizt haben möge. – Er mußte sich abwenden, er vermochte die unglückseligen Kleinodien nicht länger anzuschauen.

Der Sergeant überreichte die Goldsachen dem Polizeirath. »Weiter suchen,« befahl dieser, »fehlen noch Geldbörse und Brieftasche.«

Rastlos suchte der Sergeant weiter. Er kehrte die ganze Moosdecke weit in der Runde um, aber die Arbeit war vergeblich, denn von einer Brieftasche und Geldbörse fand sich keine Spur. Es wäre Thorheit gewesen weiter zu forschen, im ganzen Wald konnte man doch nicht die Moosdecke umdrehen und hier waren die beiden gesuchten Gegenstände nicht versteckt.

Der Polizeirath winkte dem Sergeanten, daß er aufhören möge, dann wendete er sich an den Gefangenen. »Wo ist die Brieftasche und die Geldbörse, Wildmichel?« fragte er mit dem ihm eigenthümlich freundlichen Tone. »Du siehst, das Leugnen nützt Dir nichts mehr. Sag es mir! Du kannst jetzt nur noch durch ein offenes Geständniß Dein Schicksal verbessern.«

»Was gehen mich die Geldbörse und Brieftasche an. Ich weiß nichts davon.« erwiederte Michel mürrisch.

»Woher hast Du die Uhr, die Ringe, die Busennadel?«

»Ich habe sie im Wald gefunden.«

»So? Nun wo die lagen, wird wohl auch die Börse und die Brieftasche gewesen sein. Verschlimmere nicht Dein Schicksal durch hartnäckiges Leugnen.«

»Lassen Sie mich ungeschoren!« entgegnete Michel grob. »Sie glauben mir ja doch nicht, was ich Ihnen sage, da antworte ich Ihnen lieber gar nicht mehr!«

Und dabei blieb er. Wie freundlich ihn auch der Polizeirath, der in einem solchen Falle recht zusammenhängend, fließend und eindringlich sprechen konnte, bat, er ließ sich nicht mehr bewegen, ein Wort zu erwiedern.

Gegen solchen Starrsinn war nicht anzukämpfen, dies erkannte der erfahrungsreiche Polizei-Beamte, er verzichtete daher darauf, von Michel etwas Weiteres zu erfahren. »Sein Trotz muß erst durch eine längere, einsame Haft gebrochen werden,« sagte er flüsternd zu Fritz Stern, »heut jedes Verhör resultatlos. Wird hartnäckig schweigen. Kenne diese Sorte. Fürchten sich durch jedes Wort zu verrathen. Nichts mehr mit ihm aufzustellen, wenn nicht vielleicht Anblick des Orts, wo Mord vollbracht, ihn erschüttert. Müssen ihn mitnehmen. Sergeant!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath!«

»Gefangener begleitet uns. Füße losschnüren; aber Drahtseil um Arm legen und aufpassen!«

»Der soll nicht wieder fortlaufen, dafür stehe ich,« entgegnete der Sergeant, indem er den Befehl seines Vorgesetzten befolgte. Wildmichel ließ sich willenlos die Füße losschnüren und die Arme festbinden; er stand gehorsam auf, als der Sergeant es ihm befahl; aber er sprach kein Wort, er hatte sich offenbar vorgenommen, seine Peiniger durch das tiefste Stillschweigen zu ärgern.

»Vorwärts!« kommandirte der Polizeirath. Fritz ging als Führer voran, ihm folgte der Sergeant mit seinem Gefangenen, den Schluß des Zuges machte wieder der Polizeirath, der während des ganzen Weges rastlos seine Augen nach rechts und links schweifen ließ. Plötzlich kommandirte er Halt, gerade als Fritz aus dem Walde in den Weg einbiegen wollte, der von Kabelwitz nach Nordenheim führt.

Nicht ferne vom Wege war zur rechten Hand desselben ein dichtes Gestrüpp verworren durcheinander rankender Brombeeren, in diesem fiel dem Polizeirath eine geknickte Ranke auf, auch schien es ihm, als lägen die übrigen nicht natürlich über einander, als müsse hier eine Menschenhand vor kurzer Zeit thätig gewesen sein. Nur ein so geübter Blick wie der seinige würde dies erkannt haben, er aber glaubte, nachdem er das Brombeerendickicht noch einmal forschend angeschaut hatte, seiner Beobachtung sicher zu sein.

»Sergeant!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«

»Brombeergebüsch hier genau durchsuchen. Werde inzwischen Gefangenen übernehmen;« er schlang sich dabei das Drahtseil fest um die eigene Hand, ohne indessen den Blick von dem Brombeerbusch zu wenden.

Der Sergeant bog die Brombeerranken vorsichtig auseinander: im nächsten Augenblick schon stieß er einen Ausruf freudiger Ueberraschung aus. »Gefunden!« schrie er. »Hier ist die Brieftasche und dort liegt auch die Börse tiefer im Busch.«

Er hob zunächst die Brieftasche auf und überreichte sie dem Polizeirath.

»Nun Michel, willst Du immer noch läugnen?«

Aber Michel verharrte in seinem finsteren Schweigen; der Polizeirath erwartete auch kaum eine Antwort. Er öffnete die Brieftasche, sie enthielt nur einige Briefe und Notizen; aber keine Werthscheine, nicht einen einzigen. Auch die Börse, welche der Sergeant aus dem Brombeergestrüpp hervorholte, war leer.

»Mörder hat Kern genommen, Schale fortgeworfen!« sagte der Polizeirath, indem er Fritz Brieftasche und Börse übergab, dann aber beugte er sich an dessen Ohr und flüsterte ihm zu: »Mir räthselhaft!! – Wenn der Kerl Uhr, Ringe, Nadel versteckt, weshalb nicht auch Brieftasche und Börse mit Geld? – Weshalb erst Geld herausnehmen? Paßt nicht zum Wildmichel! Hat vielleicht doch die Wahrheit gesprochen, hat Alles im Walde gefunden. Nicht unmöglich. Sind schon seltsamere Dinge vorgekommen. Augen offen behalten! Niemals von Vorurtheilen leiten lassen. Nur Eins steht fest, darauf laß ich meinen Kopf, – derjenige, der Geld und Brieftasche und Börse genommen hat, ist der Mörder. Wird Alles darauf ankommen, so schnell als möglich festzustellen, welche Summe in Brieftafel, aus welchen Werthscheinen sie bestand u. s. w. Ihre Aufgabe, Herr Doctor! Können das besser, als ich!«

Die Wanderung wurde fortgesetzt und nach kurzer Zeit die Waldlichtung erreicht, auf welcher Elwine den Leichnam Heinrichs von Nordenheim gefunden hatte.

Die Sonne war inzwischen aufgegangen, ihre ersten Strahlen vergoldeten die Gipfel der Bäume, – an jedem Grashalme hing ein leuchtender Thautropfen. Welch ein lieblicher Anblick wäre die rings von Wald eingeschlossene, von blühendem Heidekraut und dem üppigsten Rasen bedeckte Lichtung gewesen, hätte sich nicht das Auge unwillkürlich jenem häßlich braunschwarzen Fleck zuwenden müssen, der jetzt des Polizeiraths Aufmerksamkeit fesselte.

»Hier also ist's geschehen!« sagte er, indem er sich zum Boden niederbeugte und mit den Augen forschend die Blutspur, welche sich von einem größeren Fleck aus in einem schmalen Streifen im Rasen entlang zog und dann in einer Lache geronnenen Blutes endete, verfolgte; daß dabei sein Blick seitwärts gerichtet war, daß er keine Bewegung, keine Miene Wildmichels unbeachtet ließ, ahnte dieser nicht.

Wildmichel schien von dem Augenblick an, wo er gezwungen wurde, abermals die Waldlichtung zu betreten, nicht mehr so gleichgiltig gegen sein Schicksal, als vorher. Sein scheuer Blick flog, als er aus den Büschen heraus auf den freien Platz geführt wurde, sofort nach der vom Blute geschwärzten Rasenstelle, dann aber wendete er sich ab, er vermied es, den häßlichen Blutfleck anzuschauen; mit zur Schau gestellter Gleichgültigkeit blickte er den Weg hinab nach dem Walde, aber er hatte seine Züge nicht so in der Gewalt, daß er ein Zusammenzucken hätte vermeiden können, als der Polizeirath ausrief: »Hier also ist's geschehen!«

Der Polizeirath hatte Michels Erbleichen beim ersten Anblick der Blutstelle, sein Bestreben gleichgültig zu erscheinen, sein Zusammenzucken bei der Erwähnung des Mordes scharf beobachtet; er hatte genug gesehen und konnte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit der Betrachtung der Mordstelle widmen; diese aber lieferte seiner Forschung ein sehr ungenügendes Resultat.

Der Rasen war rings um den großen Blutfleck von vielen Männerfüßen zertreten, eine Menge kleiner Fichtenzweige, die Ueberbleibsel der zur Bahre zurechtgehauenen Aeste, lagen umher. Nach dem nahen Wege hin zogen sich zahlreiche Fußspuren, alle aber waren verwischt, weil sie wirr durcheinander liefen, auch auf dem Wege selbst, obgleich dieser an mehreren Stellen tiefsandig war, ließ sich doch nirgend die Form einer bestimmten Fußspur beobachten.

»Hier wird sich nichts feststellen lassen,« sagte der Polizeirath mißmüthig zu Fritz Stern. »Alles wirr durcheinander. Jede Nachforschung durch die vielen Menschen verdorben. Ganzer Rasen zerstampft. Nur eins geht aus Ortslage hervor. Mörder hat ganz aus der Nähe geschossen und Baron von vorn in's Herz getroffen, hat also Baron gegenüber gestanden. Hier lag Leiche, hier ist auch offenbar That geschehen. Alle Büsche weit entfernt. Mörder kann also nicht hinter Busch her geschossen haben. – Hatte Ihr Bruder gegen irgend Jemand Absicht ausgesprochen, gestern Abend nach Kabelwitz zu gehen?«

»So viel ich weiß, nein,« entgegnete Fritz. »Als ich ihn gestern Nachmittag verließ, um dem Onkel Streit einen Besuch zu machen und ihn einlud, mich zu begleiten, lehnte er es ab. Er habe keine Lust, so sagte er, mit dem Grafen Sarentin in Kabelwitz zusammen zu treffen. Er muß später seinen Entschluß geändert haben, vielleicht hat er auch gar nicht die Absicht gehabt, nach Kabelwitz zu gehen; – er kann möglicher Weise nur einen Spaziergang, zu dem er den angenehmen Weg durch die Heide gewählt hat, beabsichtigt haben.«

»Möglich! – Jedenfalls konnte Mörder nicht wissen, daß er diesen Weg nehmen würde. Kann ihm nicht aufgelauert haben. Also kein vorher überlegter, beabsichtigter Raubmord. – Wahrscheinlich plötzliche Morde Begegnung hier im Walde. – Vielleicht ein Streit. Dem Morde folgte dann der Raub. – Räthselhaft. – Noch vor 5 Minuten hielt ich Wildmichel für unschuldig am Morde. – Aber sehen Sie ihn nur an, glaube gar, Kerl zittert! – Seelenangst, böses Gewissen!«

Fritz Stern schaute nach dem Wildmichel, der von dem Sergeanten an dem Drahtseil gehalten, vielleicht 20 Schritte entfernt an dem Eingang der Lichtung stand. Die Bemerkung des Polizeiraths war treffend, Michels ganzes Wesen zeigte, daß er kaum die ihn beherrschende Angst überwinden konnte. Sein Gesicht war bleich, seine Augen irrten unstät umher von Busch zu Busch, stets den Blutfleck auf dem Rasen vermeidend.

»Er ist der Mörder!« sagte jetzt Fritz ebenfalls, von Wildmichels Schuld, die sich so augenscheinlich verrieth, überzeugt und sich voll Abscheu abwendend.

»Vorschnelles Urtheil, lieber Doctor!« – entgegnete der Polizeirath. – »Räthselhafte Geschichte. Spricht viel für, viel gegen ihn. – Schuldbewußtes Benehmen. In Besitz des Schlüssels und der Pretiosen; – aber wo ist das Geld! – Leere Börse! Seltsam! Weiter forschen! Wird noch viel Kopfzerbrechen machen, die Untersuchung! Unklarer Fall. Hier nichts mehr zu machen! Auch ein Verhör Wildmichels jetzt fruchtlos, – Kerl ist nicht mürbe genug, antwortet nicht. – Wollen nach Schloß Kabelwitz zurückkehren und ausruhen, bis Dummköpfe aus P*** kommen werden, dann weiter sehen, was zu thun ist.«

Der Rückweg wurde angetreten, aber schon nach wenigen Schritten unterbrochen durch den Sergeanten, der plötzlich ausrief:

»Herr Polizeirath!«

»Was soll's, Sergeant?«

»Dort neben jenem Haselbusch liegt ein kleines Stück weißes Papier. Wie kommt das hierher?«

Der Polizeirath folgte mit dem Auge der Richtung, welche ihm der Sergeant mit ausgestrecktem Finger zeigte, er sah jetzt auch etwas Weißes im Rasen neben einem dichtverwachsenen Haselbusch schimmern. Für ein Stück Papier hätte er es bei der weiten Entfernung nicht erkannt, aber er traute dem scharfen Blick des Sergeanten.

»Wollen nachsehen,« sagte er. »Hat zwar wahrscheinlich nichts zu bedeuten, irgend ein verlorenes Stückchen Papier; aber man darf nichts vernachlässigen. Auch geringste Kleinigkeit muß beobachtet und untersucht werden. Kommen Sie, Doctor. Warten mit dem Gefangenen, Sergeant!«

Er bog vom Wege ab und drang durch das lichte Gebüsch; als er den Haselstrauch erreicht hatte, neben dem das Papierstückchen lag, welches die Aufmerksamkeit des Sergeanten erregt hatte, brach er in einen Ausruf der Ueberraschung aus.

Das Gras war hinter dem Strauch niedergetreten und an einer Stelle in ziemlicher Ausdehnung zu Boden gedrückt.

»Hier hat vor Kurzem Jemand gesessen! Was ist das? Wahrhaftig Pulverkörner auf dem breiten Wegerichblatt! Doctor eine Spur! Hier hat Mörder nach der That sich hinter den Busch versteckt, damit er vom Wege aus nicht gesehen werden könne. Büchse wieder geladen. Zitternde Hand. Pulver verschüttet. Kann uns dienen!« – Der Polizeirath pflückte bei diesen Worten sorgfältig das breite Wegerichblatt ab, auf welchem eine Anzahl Pulverkörner verstreut lagen, er riß dann aus seinem Notizbuch ein Blatt Papier, machte aus demselben ein Tüte und verschloß darin das Blatt mit den Pulverkörnern sorgfältig. – »Wollen weiter sehen, was wir noch finden,« fuhr er fort. »Zuerst jenes Papierstückchen!«

Er nahm es auf, es war ein kleines, kaum einen halben Zoll langes, unregelmäßig von einem größeren Papier abgerissenes Stück; auf der einen Seite war es weiß, auf der andern waren ein Paar Buchstaben geschrieben. »Sare,« las der Polizeirath. »Donnerwetter, was ist das?« rief er erregt. »›Sare‹, der Rest ist abgerissen. Soll das heißen Sarentin? Die Augen offen, Doctor, müssen weiter suchen nach mehr solchen Stückchen. Wo eins ist, müssen mehrere sein. Hier ist ein Papier in kleine Stücke zerrissen worden. Strengen Sie Ihre Augen an, Doctor, suchen Sie, suchen Sie!«

Fritz Stern ließ sich den Rath angelegen sein, er ließ sein Auge umherschweifen und richtig, in nicht großer Entfernung, mehr nach dem Wege zu, in einem Brombeergestrüpp lag ein zweites noch kleineres Stück Papier, es war ebenfalls auf einer Seite weiß, auf der andern beschrieben und zwar mit den Buchstaben »in«. – »Sarentin, kein Zweifel,« sagte der Polizeirath; »aber Mittelglied fehlt. Wir müssen weiter suchen, brauchen aber dazu den Sergeanten. Hat Luchsaugen, wird schon mehr finden. Will selbst den Gefangenen übernehmen, suchen Sie inzwischen mit dem Sergeanten!«

Und so geschah es. Der Sergeant, der sich jetzt Fritz zugesellte, entdeckte sofort, daß von der Stelle, wo hinter dem das Haselstrauch das Gras niedergedrückt war, eine Fußspur durch das hohe Gras dem Weg zu, dann aber von diesem eine Strecke entfernt in der Richtung nach Kabelwitz führte. Da Fritz das zweite Stückchen Papier dem Fußwege etwas näher gefunden hatte, schloß der Sergeant, derjenige, der das Papier zerrissen, habe dies im Gehen gethan und die kleinen Stückchen vereinzelt fortgeworfen. Er folgte der Fußspur und lud Fritz ein, dasselbe zu thun, dabei aber nach rechts und links scharf auszublicken. Daß der Sergeant sich in seiner Annahme nicht getäuscht hatte, bewies der Erfolg; den vereinten angestrengten Bemühungen Beider gelang es, noch einige kleine Papierabrisse zu finden, welche sie sammelten und dem Polizeirath übergaben, als sie diesen, der mit dem Gefangenen langsam vorwärts ging, nicht fern von Kabelwitz da trafen, wo die Spur sich mit dem Fußweg wieder vereinigte.

»Im Schlosse wollen wir prüfen,« sagte der Polizeirath, über das Resultat des Fundes sehr vergnügt. »Sind gleich oben. Sergeant!«

»Zu Befehlen, Herr Polizeirath.«

»Gefangenen übernehmen. Nach altem Schloß in's Gefängniß. Nachsehen, was aus dummem Hans geworden. Schriftlichen Rapport. – Ueberwachen persönlich Gefangenen, verantwortlich für ihn. – Adieu, Doctor und ich gehen voraus.«

»Ohne Sorge, Herr Polizeirath! Zum zweiten Male entkommt der Kerl nicht, dafür stehe ich!«

Der Polizeirath nickte seinem Untergebenen freundlich zu, dann eilte er mit Fritz schnellen Schrittes dem Schlosse zu; er brannte vor Neugierde, die Papierabrisse zu untersuchen, und konnte die Zeit nicht erwarten, bis ihm dies möglich sein werde.

In dem elegant eingerichteten Gastzimmer, welches der Major ihm hatte anweisen lassen, angelangt, nahm sich der Polizeirath kaum die Zeit, den Hut abzulegen und ein Paar Morgenschuh anzuziehen, dann setzte er sich an den Tisch und breitete auf diesem die gefundenen Papierabrisse aus, es waren im Ganzen 14 an der Zahl, sämmtlich nur auf einer Seite mit wenigen Buchstaben beschrieben, nur einer enthielt das volle Wort »Darlehen«, die übrigen folgende Buchstaben:

Sare – – in – – rpflich – – – enwort – – ück – – ugus – – under – – Ehr – – ck zu za – – – päte – – Friedr – – Summ – on von No – –

Während kaum fünf Minuten war der Polizeirath eifrig beschäftigt, die Papierstückchen zusammen zu fügen und zu ordnen, dann aber legte er sich in den Lehnsessel zurück und die Hände wohlgefällig über den Bauch faltend, sagte er sehr zufrieden gestellt:

»Schauen Sie her, Doctor, das Räthsel gelöst. Zerrissener Schuldschein. Klar wie der Tag!«

Fritz Stern warf einen Blick auf die vom Polizeirath geordneten Papierstücke; auch ihm ward der Inhalt derselben durch die einzelnen Buchstaben, obgleich die Verbindungsglieder fehlten, bald klar. Die zusammengelegten Papierstücke besagten:

– under – – ück – – Friedr – – on von No – Darlehn – rpflich – – Ehr – – – enwort – – – Summ – – päte – – ugus – ck zu za – –– Sare – – in.

»Ist's Ihnen klar,« fragte der Polizeirath triumphirend. »Ich denke, man kann den Schuldschein deutlich lesen. Kleinigkeiten fehlen freilich. Schade! Ein paar Zahlen verloren; aber thut nichts, Schuldschein lautet sicher ungefähr:

So und so viel h – (undert) – St – (ück Friedr) – ichsdor habe ich von Herrn Bar – (on von No) – rdenheim als – (Darlehn) – erhalten und ve – (rpflich) – te mich auf mein – Ehr – (enwort) – diese – (Summ) – e bis s– (päte) – stens am so und so vielten A – (ugus) – t zur – (ück zu za) – hlen – Graf Alfons von – (Sare) – nt – (in). –

Schade, daß Datum und Summe fehlen. Alles übrige klar!«

Fritz schaute mit starrem Auge die Papierstücke an, er wußte, daß sein Bruder dem Grafen Sarentin eine bedeutende Summe auf Ehrenwort geliehen und daß er den Schuldschein in seiner Brusttasche bei sich getragen hatte. Dort lag der zerrissene Schuldschein. Welches Interesse konnte Wildmichel dazu geführt haben, gerade dieses für ihn ganz bedeutungslose Dokument zu zerreißen und die Stücke in den Wind zu streuen? – Nein, Wildmichel war der Mörder nicht! Graf Sarentin war es, der frühere, kaum eingeschläferte Verdacht erwachte von Neuem und wurde ihm durch die zerrissenen Papierstückchen zur Gewißheit.

»Sarentin ist der Mörder! Kein Zweifel, er ist's!« rief er, seine gewohnte Selbstbeherrschung ganz vergessend, stürmisch aus.

»Wieder vorschnelles Urtheil, lieber Doctor!« entgegnete der Polizeirath ernst. – »Vor halber Stunde sagten Sie: Wildmichel ist der Mörder. Schuldschein Verdachtsgrund, gebe es zu, aber sehr schwacher! Viel schwächer als Gründe gegen Wildmichel. – Was liegt vor gegen Grafen? Zusammenfassen! 1) Ist im Walde gewesen zur Zeit des Mordes mit Büchse. Bah, Wald groß. Gar kein Grund. Wissen noch nicht mal, ob Büchse losgeschossen. Nachforschen, Pulver vergleichen. Stimmt's, dann wäre schon mehr Grund zum Verdacht, aber immer noch schwach. 2) Graf kommt aus Wald zurück, ist bleich, verstört. – Bah, auch nichts. – Natürlich verstört, weil Hoffnung auf Verlobung erschüttert wird. Kann nicht anders sein. 3) Schuldschein. – Wer weiß, ob Graf ihn vielleicht schon vor 8 Tagen bezahlt und zerrissen hat? – War trocken Wetter, Papierstücke vom Winde getrieben, – fehlen ohnehin viele. Vom Wege abgeweht! – Mit so schwachen Gründen belegt man keinen so schweren Verdacht, lieber Doctor; würde nicht wagen Wildmichel dem Richter vorzuführen, wenn gegen ihn nicht mehr vorläge, und doch ist Wildmichel schon eines Mordes verdächtig, Zuchthäusler und Einbrecher!«

»Wollen Sie damit sagen, Herr Polizeirath, daß Sie dem Untersuchungsrichter gar keine Mittheilung von meinem, gegen den Grafen geäußerten Verdacht machen wollen?«

»Werde mich hüten, dies zu thun. – Richter und Staatsanwalt in P*** gute Kerle, aber mordsdumm. Würden Grafen vorladen, verhören, ihm eröffnen, trauriger Verdacht liege vor, möge sich rechtfertigen. Tiefe Entrüstung. Brillante Erklärung. Gegenseitiges Händeschütteln. Abgemacht! Ist Graf unschuldig, dann braucht Niemand von Ihrem Verdacht etwas zu wissen, er selbst am wenigsten! – Ist er schuldig, dann Thorheit, ihn durch Verhör zu warnen. Hat dann Geld aus Börse und Brieftasche geraubt. Werde ihn beobachten lassen auf jedem Schritt. Wird das Geld ausgeben, – werde sehen. Halte die Hand über ihm und fasse zu, sobald es Zeit ist; – jetzt aber ist es Zeit, daß ich noch ein Paar Stunden schlafe, ehe Dummköpfe aus P*** ankommen, – hab mir die Ruhe verdient, bin teufelsmäßig müde. Wenn das Geringste vorfällt, lassen Sie mich wecken; sonst aber erst, wenn die Herren aus P*** eintreffen. Gute Nacht.«

Er wartete eine Antwort nicht ab, sondern warf sich auf das weiche Sopha und ehe Fritz das Zimmer noch verlassen hatte, schnarchte der dicke Polizeirath schon in den höchsten und tiefsten Orgeltönen.


 << zurück weiter >>